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William LaRouche war Interkontinentalflüge gewohnt und litt selten unter Jetlag. Er war im Morgengrauen auf Bangkoks Suvarnabhumi International Airport gelandet und saß nun auf der Terrasse eines schlichten Apartments, das er in einer versteckten Gasse am Ufer des Chao Phraya gemietet hatte. Dem neugierigen Portier der Hotelpension, einem schnauzbärtigen Inder mit kleinen Mausaugen, hatte William erklärt, er sei Journalist, was seine künftige Tagesgestaltung rechtfertigen sollte, die sich deutlich von derjenigen herkömmlicher Touristen unterscheiden würde.

William sog die von Feuchtigkeit gesättigte Morgenluft ein, deren Temperatur sich schon wieder an die Dreißiggradmarke heranschlich und die sich so vollkommen von der herbstlich frischen Brise unterschied, die ihm noch vor wenigen Stunden in Hoboken um die Nase geweht war. Sein Blick ging hinunter zum mächtigen Chao Phraya, der sich einen Steinwurf von ihm entfernt behäbig und lauwarm durch das erwachende Bangkok schob. So geruhsam der Strom der Könige seiner Mündung zustrebte, so geschäftig ging es auf seiner Wasseroberfläche zu. Nagelnde Dieselschlepper zogen tief im Wasser liegende Lastkähne hinter sich her. Ein Fluss-Omnibus spuckte an der Oriental Pier Büroangestellte und adrett uniformierte Schüler der katholischen Assumption Convent School aus. Aquadynamisch geformte Longtailboote durchpflügten knatternd die Fluten, um Expressgüter aller Art zu den Empfängern in Bangkoks verzweigtem Kanalsystem zu liefern.

William zündete sich eine Lucky Strike an und blätterte in den Unterlagen, die ihm Jonathan am John F. Kennedy Airport in New York überreicht hatte. Seine Aufgabe war es also, einen amerikanischen Staatsbürger aufzuspüren, nach dem das Justizministerium schon seit Jahren fahndete. Die Zielperson hatte 1951 in Buenos Aires als uneheliches Kind eines mittelmäßigen und mittellosen italo-amerikanischen Revuegirls mit dem Namen Emily „Holly“ Mazzini das Licht der Welt erblickt und wurde auf den Namen Larry Mazzini getauft. Larrys Vater war dagegen eine echte Berühmtheit, wenn auch eine makabre. Selbst William hatte dessen Namen schon gehört. Als Larrys Erzeuger keine Verantwortung für Mutter und Sohn übernehmen wollte, kehrten Holly und der kleine Larry nach Amerika zurück, wo sie ein paar Jahre in Las Vegas lebten. Dann heiratete Holly einen Bauunternehmer, der mit Larry schlecht zurechtkam und ihn in ein Internat steckte. William schloss die Akte und besorgte sich aus dem Kühlschrank eine Coca-Cola. Er ließ den Metallverschluss aufschnappen und goss die Brause, deren Farbe dem schlammigen Ockerbraun des Chao Phraya zum Verwechseln ähnelte, in ein angestaubtes Long-Drink-Glas. In diesem Moment meldete sein Mobiltelefon einen Anruf.

„Billy, bist du gut angekommen?“

Es war Jonathans Stimme.

„Alles klar! Und wie geht’s dir, alter Mann?“ Seit dem Tagtraum im Sinatra-Park von Hoboken und seiner Entscheidung, Jonathans Bitte um Unterstützung Folge zu leisten, war William in aufgeräumter Stimmung. Er hatte seine Zweifel beiseitegeschoben und war auf dem besten Weg, sich tatsächlich auf seinen Einsatz zu freuen. Fast eine Dekade lang war er in Südostasien im Einsatz gewesen, die meiste Zeit davon als FBI-Agent im Legal Attaché Office der amerikanischen Botschaft in Bangkok. Drei Jahre waren seit seinem Abschied aus Thailands Hauptstadt mittlerweile vergangen, eine Ewigkeit angesichts des atemberaubenden Entwicklungstempos asiatischer Metropolen. William nahm sich vor, in den nächsten Tagen erst einmal mit wachen Sinnen durch die Stadt zu streifen. Er wusste, dass er nur erfolgreich sein konnte, wenn er das Gefühl für den Rhythmus Bangkoks zurückgewann.

„Mein Junge. Wie besprochen operierst du zunächst inoffiziell. Zur Sicherheit habe ich die Polizeidirektion von deinem Status in Kenntnis gesetzt. Die direkte Mithilfe der thailändischen Behörden benötigen wir allerdings erst nach der erfolgreichen Enttarnung der Zielperson. Hast du dich schon in der Niederlassung von Goldstein & Schulman gemeldet?“

„Mein Körper ist eben erst in Bangkok gelandet. Gib mir wenigstens noch ein paar Stunden, damit auch meine Seele ankommt.“

„In der Kanzlei wendest du dich an eine Miss Penelope Owens“, fuhr Jonathan unbeirrt fort. Er mochte William von ganzem Herzen, aber sein Junge hatte einen Auftrag angenommen und die Zeit drängte.

„Ist sie hübsch?“

Eine solche Frage wäre William vor zwei Tagen nicht im Traum eingefallen und er wunderte sich über seinen Übermut. War es das schwülheiße Klima, das ihn ans heimatliche Louisiana erinnerte? Oder wurden seine Lebensgeister durch den lange Zeit ruhenden, nun aber wieder aktivierten Jagdtrieb geweckt, der ihn in der Vergangenheit zu einem der erfolgreichsten Personenfahnder des FBI hatte werden lassen?

„Lass den Quatsch. Miss Owens ist eine versierte Juristin in Aaron Goldsteins Kanzlei und noch dazu die Tochter von Richter Andrew J. Owens, dem ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs.“

„Alles klar, eine solche Kombination verbietet natürlich gutes Aussehen“, warf William ein.

„Der lange Flug. Die Klimaveränderung. Dafür habe ich Verständnis. Leg dich noch ein paar Stunden aufs Ohr. Sieh zu, dass deine Seele ankommt. Und dann konzentriere dich auf deinen Job“, ermahnte Jonathan und war dabei heilfroh, dass William offenbar im Begriff war, das Schneckenhaus der Lethargie zu verlassen. „Mein Junge, ich freue mich, dass du den Auftrag angenommen hast. Du hast die richtige Entscheidung getroffen.“

Bangkok Rhapsody

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