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Als sie den Gebetstempel verließen, empfing die beiden Frauen die Wucht der tropischen Schwüle. Hoch über dem Kloster Wat Suwan formierten sich grafitgraue Wolkentürme. Weiter unten verharrte die Atmosphäre noch regungslos und lastete schwer auf der lebenden Kreatur. Gleich würde die Ouvertüre folgen, in der Luftvibrationen die Regungslosigkeit ablösten und sich die Spannung bis zur Unerträglichkeit steigerte. Surang hob den Kopf und schnupperte, wie ein scheues Tier, das Witterung aufgenommen hat. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es früher zu dieser Jahreszeit noch so aufdringlich nach Unwetter gerochen hatte. Alles schien durcheinandergeraten zu sein. Ihre Begleiterin blickte ängstlich zu dem Gewittergebirge über den nördlichen Stadtbezirken Bangkoks und ergriff Surangs Hand. „Wir müssen uns beeilen. Es wird gleich schrecklich stürmen und regnen.“

Unzählige Male hatte Surang den Weg vom Kloster zum Altenheim zurückgelegt. Selten unbegleitet, denn auf sich alleine gestellt hatte sie ihre Orientierung vor einer Ewigkeit verloren. Was wusste ihre junge Führerin schon über die wirklichen Gefahren des Lebens? Wortlos folgte sie dem Mädchen durch die staubigen Gassen, dem heranbrausenden Unwetter entgegen.

Gerade noch rechtzeitig schlüpften die Frauen durch das hölzerne Tor in die schützende Empfangshalle des Altenheims, ehe sich der Himmel mit feuchtheißer Explosivität öffnete. Blitze durchschnitten gespenstisch die plötzliche Düsternis. Krachender Donner rollte über den Stadtteil Khlong San. Die Wassermassen klatschten gegen die schmalen Fenster, die zur Soi Charoen Nakorn zeigten. Aus kleinen Rinnsalen wurden auf dem löchrigen Asphalt der belebten Gasse rasende Bäche, die zuerst die Kanalisation überfluteten, um sich dann in teichgroßen Sammelbecken zu vereinen. Ladenbesitzer rafften ihre Auslagen zusammen und brachten sich und die Ware vor dem Regensturm in Sicherheit. Passanten hasteten durchnässt zum nächstgelegenen Unterstand. Andere flüchteten in die einfachen Restaurants des Viertels und gönnten sich eine scharfe Suppe oder etwas Kurzgebratenes.

Durch die zum überdachten Innenhof geöffneten Fenster und Türen drückte der feuchtwarme Dunst ins Gebäudeinnere des Altenheims.

Auf dem Bildschirm des Fernsehgerätes flackerte eine Reklame für Eistee. Surang beobachtete gebannt, wie eine giftgrüne Flüssigkeit perlend in ein Glas strömte, und versuchte dabei vergeblich, den Duft des Getränks zu erhaschen. Endlich setzte sie sich mit überkreuzten Beinen auf den Dielenboden und wandte sich dem Hausaltar zu, in dem eine goldglänzende Buddha-Figur, umgeben von Räucherstäbchen, Blumengirlanden und allerlei Opfergaben, über die Halle wachte. Surang schloss die Augen und begann, ihren Oberkörper im Einklang mit ihrem Herzschlag rhythmisch zu wiegen. Dabei presste sie bei der Vorwärtsbewegung ihre Lippen fest aufeinander, um sie auf dem Rückweg wieder einen schmalen Spalt zu öffnen, so als ob sie zum Sprechen ansetzen wollte. Man ließ die kleingewachsene Frau mit dem gescheitelten, schulterlangen Haar ihre eigenwillige Meditation unbehelligt zelebrieren. Jeder im Heim kannte dieses Ritual, dem sich Surang regelmäßig hingab.

Zwei Helferinnen ließen sich, nicht weit entfernt, ebenfalls auf dem Fußboden nieder. Sie griffen nach den noch nicht ganz fertiggestellten Schiffchen aus den Strünken der Bananenstaude, die sie mit den Heimbewohnern für das Loy-Krathong-Fest bastelten. Geschmückt mit Blumen und brennenden Kerzen wollte man die schwimmenden Gestecke in der Vollmondnacht des zwölften Monats des Lunisolarkalenders, die stets auf das Novemberende fiel, gemeinsam auf dem Chao Phraya zu Wasser lassen und das Ende der Regenzeit feiern. Die Opfergaben würden Mae Khongkhe, die göttliche Mutter des Wassers, gewiss versöhnlich stimmen und die Seelen der Spender von den Verunreinigungen des ausgehenden Jahres befreien.

Ein paar Interessierte gesellten sich zu der kleinen Runde und boten ihre Hilfe an, während die Regenflut unvermindert auf das Gebäude herabstürzte. Wieder zuckte eine elektrische Himmelsentladung grell durch die im Halbdunklen liegende Halle. Unmittelbar darauf folgte ein Donnerschlag, der die Grundmauern des Anwesens zu erschüttern schien. Flehende Blicke wandten sich gen Firmament, in der Hoffnung auf ein Erbarmen der Gewitterdämonen.

Einzig Surang schaukelte unbeirrt im gleichen Takt hin und her, unbeeindruckt vom Tosen der Naturgewalten. Keine der jungen Pflegerinnen kannte die Vergangenheit dieser verschlossenen Frau. Ihre äußere Erscheinung ließ keine verlässliche Schätzung ihres Alters zu. Surangs mädchenhafte, biegsame Figur täuschte eine Art unbekümmerte Jugend vor. Sie schien in einer eigenen Welt zu leben, unnahbar und stumm. Nur der Heimleiter Dr. Bertoli kannte Surangs Geschichte und wusste, dass sie durchaus in der Lage war zu sprechen.

Bangkok Rhapsody

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