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Der Mann schlenderte zufrieden den belebten Sukhumvit Boulevard entlang und zog dabei sein rechtes Bein ein klein wenig nach. Die Sonne brannte schon zu dieser Vormittagsstunde erbarmungslos und trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Als er die Haltestelle der Omnibuslinie 22 erreichte, trocknete er sich mit einem Taschentuch die Stirn und seine fettig-verschwitzte Nase, auf der eine wuchtige Hornbrille keinen rechten Halt mehr finden wollte. Der Mann hatte seinen freien Tag genutzt, um wieder einmal seinen Lieblingsbuchladen zu besuchen. Genau genommen war es eine Art Antiquariat, das der Besitzer in einem Hinterhof versteckt hatte. In dem zusammengewürfelten Durcheinander von gedrucktem Schund aus aller Herren Länder konnte man hier mit Geduld und etwas Glück durchaus Raritäten oder Kurioses entdecken. Der Mann hatte heute bemerkenswertes Glück gehabt: Unter Jahre altem Staub hatte er in einem der raumhohen Regale des verwinkelten Labyrinths eine gebundene Erstausgabe von George Orwells Tage in Burma aus dem Jahr 1934 ausgegraben und diese dann für lächerliche zehn US-Dollar erstanden. Er zog die kostbare Neuerwerbung aus der Umhängetasche. Wie war diese Perle der Weltliteratur wohl in diesen verborgenen Winkel Bangkoks gelangt? Die Antwort wäre womöglich noch interessanter als der Inhalt des Werkes, der dem Mann selbstverständlich bekannt war. Er strich nachdenklich über den ausgebleichten Leineneinband. Dabei fiel sein Blick auf seinen linken Ringfinger, an dem das letzte Glied fehlte. Er dachte wehmütig, wie unvollständig er sich seit dem Verlust dieses Teils seines Körpers fühlte, dem nüchtern betrachtet keine unverzichtbare Funktion zukam. Als nach gehöriger Wartezeit in praller Hitze in der Ferne endlich ein Omnibus auftauchte, trat der Mann dicht an die Bordsteinkante, beschattete seine Augen mit der ausgestreckten Hand und entzifferte erleichtert auf der Frontscheibe die Nummer 22.

Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, traf ihn ein Stoß, nicht einmal besonders heftig, aber ohne jede Vorwarnung. Im Grunde war es nur eine gezielte Berührung an der richtigen Stelle, die ihm das Gleichgewicht raubte. Er hatte schließlich die sechzig bereits überschritten und in seinem Leben noch nie Sport getrieben. Seine Beine konnten keinen Gegenhalt bieten und er stolperte auf die Fahrbahn, auf der in diesem Moment der farbenprächtig lackierte Bus der Linie 22 direkt auf ihn zu rollte. Bruchteile einer Sekunde später prallte die Stoßstange gegen sein Becken, er vernahm kreischende Bremsen, wurde zu Boden geschleudert, sah den wolkenlosen Himmel über Bangkok und wusste, dass dies sein Ende war. Reflexartig riss er seinen Rumpf noch einmal in die Höhe. Sein Blick traf den des Busfahrers, der mit weit aufgerissenen Augen nicht verhindern konnte, dass die Front des Fahrzeugs ein weiteres Mal das Opfer traf. Der letzte Gedanke, der durch das Gehirn des Mannes raste, war eine Frage: Warum musste sein Leben auf diese jämmerliche Weise enden? Er hatte doch noch so viele Pläne. Und seinen Tod, der ihn natürlich unweigerlich eines Tages ereilen würde, hatte er sich eindrucksvoller und heroischer vorgestellt. Dann zersplitterte sein Schädel. Knochenfragmente rammten sich in sein Gehirn, noch ehe das erste Blut aus dem zertrümmerten Haupt herausquoll. Schließlich verdrängte eine eisige Finsternis die glutheiße Helligkeit, die ihn noch eben umhüllt hatte.

Bangkok Rhapsody

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