Читать книгу Future History 2050 - Thomas Harding - Страница 11
ОглавлениеMein größter Wunsch ist es, bei den All Stars Fußball zu spielen. Mein Trainer sagt, ich wäre eigentlich gut genug, aber ich müsste mehr trainieren.
Mein anderer Traum ist zu reisen. Wir können uns nur in den nichtüberfluteten Zonen bewegen, aber es gibt ja noch jede Menge andere attraktive Reiseziele. Doch den City Tower zu verlassen ist teuer. Die Energie, die selbst für eine kurze Reise verbraucht wird, ist sehr groß. Ich spreche natürlich von Straße und Schiene, denn Flugzeuge sind bekanntlich seit 2029, dem Höhepunkt der Klimakatastrophe, wir nennen ihn den SHOCK, verboten. Leider hat noch niemand eine Co2-freie Technologie für Luftverkehr im großen Stil erfunden, obwohl das immer wieder angekündigt worden ist.
Dieses Jahr wollen wir eine mehrwöchige Reise unternehmen. Eines Tages möchte ich auch einmal die Alpen sehen. Es heißt, da soll es noch einen richtigen Gletscher geben. Den möchte ich unbedingt sehen. Auch die Wildblumen dort sollen großartig sein, behauptet jedenfalls meine Freundin Katia. Vielleicht sollten wir zusammen fahren. Ich werde sie morgen fragen.
Ich bin am 5. Juli 2035 geboren. Meine erste Erinnerung ist, wie ich vier Kerzen auf einem Geburtstagskuchen ausblase. Er stellte eine mittelalterliche Burg dar. Die Zinnen waren aus Schokolade mit orangenem und gelbem Zuckerguss. Ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nicht, ob ich mich wirklich daran erinnere oder ob die Erinnerung von einem Foto stammt, das meine Eltern damals gemacht haben. Jedenfalls sehe ich da glücklich aus, mit langen zotteligen Haaren und einem breiten Grinsen auf meinem Gesicht.
Anscheinend habe ich erst mit dreieinhalb sprechen gelernt. Meine Eltern behaupten, ich hätte dann aber umso mehr geredet. Ich bin immer neugierig gewesen, das werden alle bestätigen. Ich bin die Jüngste in der Familie, und eine andere frühe Erinnerung von mir ist die, dass meine Geschwister ständig sagten: „Hör auf mit deinen ewigen Fragen!“
Über mittelalterliche Burgen weiß ich eine Menge. Ich habe alle Bücher gelesen, die ich dazu finden konnte. Ich kann erklären, was der Unterschied zwischen einer Motte (einem – oft künstlichen – Hügel mit Palisadenzaun), einer steinernen Burg (die natürlich aus Steinen gebaut ist) und einer konzentrischen Burg (mit einer Menge innerer Mauern und Höfe) ist. Ich weiß, was die Verteidiger gegen die Angreifer geschleudert haben (flüssiges Pech; muss echt weh getan haben) und was für Dinge die Angreifer benutzt haben (Sturmleitern, Rammböcke und Katapulte). Wusstest du zum Beispiel, dass eine „Zinne“ – wie die „Zinke“ einer Gabel – etwas mit Lücken dazwischen ist und auch etwas mit Zahn zu tun hat (vielleicht hatten die Leute früher mehr Zahnlücken)? Ich mag alles aus der Vergangenheit. Neben Burgen sind meine Lieblingsthemen: Dinosaurier, die Römer und die Han-Dynastie in China. Besonders interessiert mich, wie Menschen oder Völker jeweils große Macht erlangten und sie dann wieder verloren.
Also ja, die Vergangenheit interessiert mich total. Mein Hobby ist, Geschichtsbücher zu lesen. Meine Eltern behaupten, dass ich, seit ich lesen kann, nie ohne meinen Library1500-Reader unterwegs war. Ja, ich habe das Ding geliebt! Ich musste meinen Speicherplatz immer mehr erweitern. Mit acht hatte ich fünf iShelves. Als ich zehn war, brauchte ich schon 15, und als ich dreizehn wurde 45. Auf ein iShelf passen 100 Bücher, also eine ganze Menge! Manche Leute löschen, was sie auf ihren iShelves haben, um Platz für neue Bücher zu haben. Doch ich habe alle behalten.
Aber Bücher und alte Filme zu gucken reicht nicht. Besser ist es, Geschichte direkt von denen zu erfahren, die sie selbst erlebt haben. Und aus diesem Grund verbringe ich so viel Zeit wie möglich mit Großma Nancy, solange sie noch genug Kraft dazu hat, und wir plaudern über früher. Wir reden und reden stundenlang, ohne dass ich bemerke, wie die Zeit vergeht. Obgleich sie jetzt in ihrem elften Lebensjahrzehnt ist, ist ihr Gedächtnis noch ausgezeichnet.
Ich hatte beschlossen, Großma Nancy richtig zu interviewen, und angefangen, Aufzeichnungen zu machen. Ich habe schon immer in meinem All-In-One Tagebuch geführt, um festzuhalten, was ich jeden Tag tue: was ich lese oder was Wichtiges am Tag passiert ist (falls etwas passiert ist). Aber das jetzt ist etwas anderes. Es geht um Geschichte, und ich möchte, dass die Aufzeichnungen stimmen und gesichert sind. Deshalb hatte ich unserer Handschreiblehrerin von meinem Projekt erzählt, und sie hatte mir freundlicherweise zwei Päckchen mit Heften aus Papier sowie drei Schreibstifte gegeben.
Großma Nancy war sehr zufrieden, als ich ihr das mit den Papierheften erzählte.
„Biografen haben schon immer auf handgeschriebene Briefe und maschinenschriftliche Dokumente zurückgegriffen“, sagte sie. „Ich weiß gar nicht, wie die Historiker demnächst etwas über die Menschen von heute herausfinden wollen, wo sich doch alles nur noch in den Social Media abspielt.“
So macht Großma Nancy das immer: Sie greift irgendein kleines Thema auf und bläst es zu einer Lehre fürs Leben auf. Meistens ist mir das egal, aber manchmal nervt es mich, wie in diesem Fall. Und das habe ich ihr auch gesagt. Sie hat gelächelt, mit den Schultern gezuckt und gemeint: „Du weißt doch, es heißt: ‚Du kannst einem alten Hund keine neuen Kunststücke mehr beibringen.‘ “ Und dann hat sie gesagt, ich solle nicht vergessen, mich bei der Lehrerin zu bedanken. Ich habe nur die Augen verdreht.
Als wir uns dann zum ersten formellen Interview hinsetzten, sagte Großma Nancy auf einmal, dass sie eine Bedingung stellt. Nämlich dass ich alles Wort für Wort „protokolliere“. Als ich fragte, was sie mit „protokollieren“ meint, schlurfte sie zu einer großen Truhe, öffnete den Deckel, griff hinein und holte ein großes blaues quaderförmiges Ding heraus. Es war offenbar richtig schwer, denn als sie quer durch den Raum zurückschlurfte, mit dem Ding vor der Brust, bewegte sie sich ganz langsam. „Das ist für dich“, sagte sie und ließ das Ding in meine Arme fallen. Es war wirklich schwer!
Beim genaueren Hinsehen entdeckte ich, dass der Quader ein riesiger abgewetzter marineblauer Schuber war –, mit einer kleinen Schublade –, der zwei dicke gedruckte Bücher aus der alten Zeit enthielt. Es war ein Lexikon aus Papier, und es war riesig!
Während Großma es sich bequem machte, habe ich schnell in meinem All-In-One nachgeguckt. Offenbar ist das Lexikon 1928 zuerst in zwölf Bänden erschienen, nachdem man über 70 Jahre daran gearbeitet hatte. Es enthält nicht weniger als 414 800 Wörter. Das ist eine ziemliche Menge. Die Leute, die das Wörterbuch gemacht haben, müssen irgendwann eingesehen haben, dass es bei den meisten Menschen keinen Platz für zwölf Bände in ihren Wohnungen gibt, und so wurde es 1971 in zwei Bänden herausgegeben. Damit alle Wörter hineinpassten, mussten die einzelnen Einträge total geschrumpft werden.