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2022

Es gab eine Alternative.

Wir hätten die schrecklichsten Auswirkungen des Klimawandels vermeiden können, wenn wir unsere Lebensweise wirklich geändert hätten. Wir hätten erhebliche Opfer bringen müssen. Und wir hätten unsere Differenzen beiseitelassen und unsere Bemühungen bündeln müssen, um eine andere Gesellschaft zu bauen. Es hätte große Anstrengungen von uns allen erfordert: Politikern, Geschäftsleuten, Verbrauchern.

Zum ersten Mal war eine klare Entscheidung verlangt, jedenfalls für die, die bereit waren zuzuhören. Wir hatten die Wahl zwischen schlecht und katastrophal.

Das Schockierende ist, dass die Welt trotz der deutlichen Warnung, trotz der unvermeidlichen Folgen von Nichtstun, trotz der offensichtlichen Notwendigkeit, den Kurs zu ändern, einfach weitermachte.

Obwohl das schon fast dreißig Jahre her ist, staune ich immer noch, wie deutlich damals alles zu sehen gewesen wäre, wenn die Menschen nur hingeguckt hätten. Klar gab es einige wenige, die die Schrift an der Wand gesehen hatten – aber wie gesagt, es waren nur wenige. Die große Mehrheit lebte ihr Leben weiter wie gehabt, so, als habe das keine Folgen. Wenn sie sich überhaupt über etwas Gedanken machten, waren das die Tagesprobleme. Die des Hier und Jetzt. Wer Präsident:in, Premierminister:in oder Kanzler:in würde. Welches Team die nächste Trophäe erringen würde. Ob SUVs höher besteuert werden dürften. Welche Celebrity heiratete oder dem Publikum ein Produkt empfahl, von dem es bis dahin noch nicht wusste, wie dringend es dies brauchte.

Die Bedrohungen lagen entweder noch zu viele Jahre in der Zukunft oder waren einfach zu schrecklich, als dass man sich mit ihnen befassen wollte. Den Alten war alles gleich, weil sie ja die unvermeidlichen Folgen ihres Handelns nicht mehr erleben würden, und die Jungen waren zu sehr damit beschäftigt, Tag für Tag das meiste aus ihrem Leben herauszuholen. Und niemand wollte belehrt werden. Zukunftssorgen bezeichneten die meisten als „Angstmache“ und verdrängten alle Gedanken an eine mögliche künftige Krise.

Natürlich gab es auch andere. Manche änderten ihre Alltagsgewohnheiten. Sie fuhren Elektroautos, recycelten ihre Haushaltsabfälle, sorgten für bessere Wärmeisolation ihrer Häuser, flogen weniger und aßen vor allem Gemüse und Obst. Und es gab Kampagnen, die die Regierungen zwingen wollten, ernsthaft etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Die meisten, die da mitmachten, waren jung, Teenager oder Anfang zwanzig.

Ich habe selbst auch an diesen Protesten teilgenommen.

Einmal, es war wohl das Jahr 2018, wollte ich in London zur British Library und fand meinen Weg durch eine Demonstration auf der Waterloo Bridge blockiert. Ich war gar nicht empört darüber. Im Gegenteil, ich fand das gut, ich unterstützte diese Aktionen. Unter den jungen Menschen dort entdeckte ich auch deinen Onkel Quentin, er nahm oft an solchen Protesten teil.

Doch die große, große Mehrheit der Menschen auf unserem Planeten unternahm gar nichts. Sie änderten ihr Leben kein bisschen. Und das war die falsche Entscheidung. Aber zurück zur Geschichte. Wo waren wir? Ja, natürlich, im Jahr 2022.

2022 war ein Regenbogenjahr. Wie ein Sturm, der sich in Sonnenschein und Frieden verwandelte. Das mag sentimental klingen, aber ich glaube, es stimmt. Aus heutiger Sicht war die dramatische Entwicklung vielleicht gar nicht erstaunlich. Damals aber war dieser Ausbruch von Gewalt ein Schock. Gewalt ist vielleicht sogar ein zu harmloses Wort. Vielleicht sollten wir besser von dem reden, was es wirklich war – ein Blutbad. Manchmal muss etwas im richtigen Augenblick geschehen, damit es die Geschichte ändert. Dieser Augenblick war der Aufstand in einem der berüchtigsten Gefängnisse der USA. Den Namen habe ich vergessen, aber der spielt auch keine Rolle.

Ich habe zuerst in den Interwebs darüber erfahren. Das Gefängnis war eines der größten der Welt. Die meisten Insassen warteten auf ihren Prozess, waren also noch gar nicht verurteilt. Die Haftbedingungen waren furchtbar. Schlägereien und Messerstechereien waren Alltag, und allmonatlich wurde jemand ermordet.

Der Aufstand begann in der Kantine, so, wie das oft der Fall ist. Woran er sich genau entzündete, ist im Laufe der Zeit verloren gegangen, jedenfalls herrschte in dem Raum binnen Minuten das totale Chaos. Mehr als zehn Wärter wurden brutal angegriffen, und mehr als hundert Gefangene wurden schwer verletzt. Das halbe Gefängnis brannte. Den Aufständischen ging es zunächst darum, so sagten sie, darauf aufmerksam zu machen, dass die Gefängnisse völlig überbelegt waren. Dem konnte man nur schwer widersprechen, denn das Gefängnis war für 5000 Männer gebaut, und es war nicht ungewöhnlich, dass dort gleichzeitig 10 000 Männer festgehalten wurden.

Und bald sprachen die Aufständischen auch über andere Dinge. Das schreckliche Essen. Die Gewalt im Gefängnis. Die Drogen und der Missbrauch, den die Wärter damit trieben. Das Fehlen jeglicher Privatsphäre. Depressionen. Der Rassismus des Justizsystems – in den USA war es zehnmal wahrscheinlicher, dass ein Schwarzer für einen Rechtsbruch verhaftet wurde als ein Weißer. Doch das Schlimmste war die Hoffnungslosigkeit. Denn die meisten unter den Gefangenen würden sich nach ihrer Freilassung bald wieder in diesem oder einem ähnlichen Gefängnis befinden, da sie sich ein für allemal in der Drehtür des Gefängnissystems befanden.

Ungewöhnlich war, dass dieser Gefängnisaufstand sich auf andere Einrichtungen im ganzen Land ausbreitete. Wenn ein Gefängnis wieder unter Kontrolle war, brach in einem anderen das Chaos aus. Offenbar inspirierte eine Revolte die nächste. Wie bei einer Straßenrevolte, bei der zu Beginn nur ein paar Leute Steine werfen und Läden plündern. Dann kommen andere hinzu, sehen, was möglich ist, und bald ist ein gefährlicher Mob entstanden. In den nächsten fünf Jahren befanden sich fünfundvierzig Gefängnisse, Zuchthäuser und Haftlager in der Hand der Gefangenen.

Als das Gefängnissystem schließlich wieder unter Kontrolle der Behörden war – und nachdem wir, die Öffentlichkeit, jahrelang schreckliche Szenen von Zerstörungswut und brutalen Kämpfen der Aufständischen in den eigenen Newsfeeds gesehen hatten –, gab es einen allgemeinen Aufschrei, einen Ruf nach einer Gefängnisreform.

Zur Zeit der Aufstände hatten die Vereinigten Staaten die höchste Gefangenenrate weltweit. Während die Bevölkerung der USA nur gut vier Prozent der Weltbevölkerung ausmachte, lebten in amerikanischen Gefängnissen rund 22 Prozent der Gefangenen der Welt. Innerhalb von zehn Jahren wurde das System reformiert. Die Zahl der Gefängnisinsassen sank von 2,3 Millionen auf unter 200 000. Diese Übriggebliebenen waren die wirklich pathologisch gewalttätigen Kriminellen, denen man nicht gern auf der Straße begegnen würde. Die Ersparnisse der öffentlichen Kassen waren gewaltig und wurden in andere staatliche Initiativen investiert, etwa Beschäftigungsprogramme (um den Freigelassenen Arbeit zu geben), aber auch, und das war vielleicht noch wichtiger, in neue Projekte zur Erzeugung sauberer Energie.

Andere Länder folgten dem Vorbild der USA. Die Schweiz, Norwegen, Brasilien, Indien, China. Die Menschen nannten Zuchthäuser und Gefängnisse jetzt „mittelalterlich“ oder „sadistisch“ und fragten sich, wie sie – als eine zivilisierte Gesellschaft – so viele Menschen einfach wegschließen konnten. War persönliche Freiheit denn kein wesentliches Menschenrecht?

Bis 2035 hatte sich die Bevölkerung der Gefängnisse weltweit halbiert, und sie sollte sich im folgenden Jahrzehnt noch einmal halbieren. Das bedeutete mehr persönliche Freiheit für viele, aber auch – und das war die Voraussetzung dafür – mehr staatliche Kontrolle über uns alle. Überwachungskameras gab es nun an jeder Ecke, und das Monitoring unserer privaten Kommunikation war die Regel. Wie viele andere war ich erstaunt, wie schnell das System revolutioniert worden war. Und ich fand das sehr gut.

Aber – wichtige staatliche Maßnahmen wie diese können sehr wohl auch persönliche Auswirkungen haben, wie wir sehen werden.

Notiz Nr. 3

Noch nie vorher habe ich Großma Nancy von Quentin sprechen hören. Nie! Ich bin jetzt fast fünfzehn Jahre alt, und sie hat noch nie seinen Namen erwähnt. Jedenfalls nicht, wenn ich in der Nähe war.

Eine Träne rann von Großmas Wange herab, als sie von ihm sprach. Sie entschuldigte sich, und ich sagte, dass ich froh wäre, von meinem Onkel zu erfahren. Ich fände es aber etwas seltsam, weil ich nicht einmal wüsste, wie Quentin aussah.

Als ich später in meine Schlafkapsel steige, finde ich ein Foto von Quentin auf meinem Kopfkissen. Auf dem Bild ist er ein Teenager wie ich. Kurze Haare, Jeans und ein kariertes Hemd. Er guckt aufmerksam in die Kamera. Er strahlt Energie aus. Auf einmal wird er wirklich. Plötzlich spüre ich, wie seltsam es ist, dass meine Familie alle Erinnerungen an Quentin verdrängt hat.

Was Großma Nancy über den SHOCK erzählt hat, hat mich ganz verrückt gemacht. Wenn die Menschen doch wussten, was passieren würde, warum haben sie dann nichts unternommen, um es zu verhindern? Ich fange an, mich darüber aufzuregen. Und frage mich, wie das für Großma Nancy zu der Zeit war.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie es ist, in einem Gefängnis zu leben. Wie kann jemand damit einverstanden sein, dass jemand anderes weggeschlossen wird? Ich finde, das ist völlig falsch. Ich will checken, ob die Bibliothek irgendwelche alten Videos von Gefängnissen und Interviews mit Gefangenen hat.

Diese Unterhaltungen mit Großma Nancy sind interessanter, als ich es in meinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt habe. Ich bin gespannt, worum es in unserer nächsten Sitzung gehen wird.

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