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1. Anstatt einer Geschichte des Bergbaus

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„Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg“, sagte ein junger Bergmann vor mittlerweile 25 Jahren, als wir uns unterhielten über das absehbare Ende des Bergbaus im Ruhrgebiet.

Das Jahr 2018 geht in die Geschichte des Ruhrgebiets ein als das Jahr der Schließung der letzten Zeche der gesamten Region. In einem Festakt wird am 21.Dezember 2018 die Zeche Prosper Haniel in Bottrop offiziell stillgelegt; der Bergbau im Ruhrgebiet ist damit endgültig Geschichte.

In den Jahren 1994 und 1995 zeichnete sich immer mehr ab, dass die letzte Zeche in Gelsenkirchen sehr bald schließen würde. Aber Genaues wusste man nicht; es herrschte eine bedrückte Stimmung in der Stadt zwischen ganz wenig Hoffnung und sehr viel Bangen. Tatsächlich kam für die Zeche Hugo im Jahr 1997, als Verbundbergwerk Ewald-Hugo am 30.4.2000 das endgültige Aus.

In dieser Zeit, 1994-95, habe ich Gespräche geführt mit Bergleuten und mit Menschen aus dem Umfeld des Bergbaus. Diese Texte kommen mir heute vor wie ein Foto auf einem Familientreffen vor mittlerweile einem viertel Jahrhundert. Befürchtungen, Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen für die Zukunft werden geäußert. Eine Sicht darauf aus heutiger Perspektive macht vor allem eines deutlich: Es hat sich mittlerweile sehr vieles verändert und das mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Und das Klima wird rauer.

Und die „Seele des Ruhrgebiets“ ist weg?

Im Sommer 1994 bin ich mit einer Gruppe polnischer Deutschlehrer, die sich zur Fortbildung in Deutschland aufhält, auf Exkursion im Ruhrgebiet. Das ist durchaus nicht selbstverständlich: Diese Kurse finden zwar schon seit 15 Jahren im niederrheinischen Hamminkeln statt; aber das Ruhrgebiet ist erst seit kurzem Bestandteil des Kursprogramms.

Über Jahre hat mich das geärgert, schon weil ein Großteil der polnischen Gäste Verwandte und Bekannte im Ruhrgebiet hat. Ohne die vielen Menschen aus Ihrem Land wäre das Ruhrgebiet niemals zu dem geworden, was es ist, sage ich immer wieder bei der Vorbereitung der Exkursion. Hier hat es vor dem ersten Weltkrieg Stadteile gegeben, in denen die Mehrheit der Bevölkerung polnisch gesprochen hat, eine ganze Reihe polnischer Vereine hat es gegeben und sogar eine polnische Zeitung, den „Wiarus“. Aber das alles macht keinen sonderlichen Eindruck. Ich komme mir schließlich vor wie jemand, der einen Ladenhüter als Neuheit verkaufen will.

In unseren Deutsch-Lehrbüchern wird viel von der Romantischen Straße gesprochen, klären mich die Leute auf; und das ist unter landeskundlichem Aspekt doch auch viel interessanter ...

Was soll man schließlich im Ruhrgebiet? Wenn man sich an touristischen Attraktionen schon nicht erbauen kann, bietet die Region vielleicht wenigstens authentische Landeskunde zur Veränderung wirtschaftlicher Strukturen. Unsere Fahrt durch das Ruhrgebiet wird kurzerhand als Studienfahrt bezeichnet. „Strukturwandel im Ruhrgebiet“ heißt diese Veranstaltung des Kommunalverbandes. Wir haben uns für die Erlebnistour westliches Ruhrgebiet entschieden.

Bisher haben wir im Verkehrsstau der Essener Innenstadt gestanden, die Margarethenhöhe als Beispiel einer Arbeitersiedlung besucht, sind durch das Ruhrtal gefahren, haben erfahren, dass Mülheim - früher ein Zentrum der lederverarbeitenden Industrie - heute ein Dienstleistungszentrum vor allem des Einzelhandels ist; im Duisburger Hafen haben wir den Bus verlassen und allerlei Schiffchen auf dem Rhein beguckt, auf kilometerlange Stahlwerke und stillgelegte Hochöfen gesehen. An dieser Stelle erwähnt der Reiseleiter schon zum dritten Mal, dass diese abgetakelte Industrielandschaft oft als Kulisse für die Schimanski-Tatorte hergehalten hat. Auch diesmal stößt er auf breites Unverständnis: die polnischen Gäste kennen Schimanski gar nicht, und ich habe ohnehin noch nie verstanden, was der eigentlich mit dem Ruhrgebiet zu tun haben soll.

Eher schon die A42, über die wir durch die Emscherzone nach Essen zurückfahren. Hier zeigt das Ruhrgebiet wirklich den Arsch, hat mir ein Bekannter aus Süddeutschland vor ein paar Jahren mal gesagt und damit bei mir ein seltsames Jetzt-erst-recht-Gefühl ausgelöst: Was hast du denn vom Kohlenpott erwartet? Einen Luftkurort? Wichtig ist doch, dass die Menschen sich hier wohl fühlen und nirgendwo anders wohnen wollen. Und das ist einfach so. Eine Meinung, die ich später zwar noch oft vertrete; aber mittlerweile, im Jahr 2019, habe ich immer größere Probleme damit.

Als der Bus auf die B224 abbiegt, sind ein paar der polnischen Gäste nur aus Höflichkeit noch nicht eingeschlafen. In Bottrop-Ebel werden alle noch einmal geweckt. Der Bus hält direkt vor dem Förderturm der Zeche Prosper II, einem angeblich architektonisch und industriegeschichtlich interessanten Bauwerk: in einen wuchtigen Malakoffturm aus dem vergangenen Jahrhundert hat man in diesem Jahrhundert ein Stahlfördergerüst gebaut. Auf die Gruppe scheint das nicht sonderlich viel Eindruck zu machen; auch nicht die Tatsache, dass man auf der Zeche „Prosper Haniel“ noch bis zum Zweiten Weltkrieg hauptsächlich polnisch geredet hat. Sogar die Hinweisschilder unter Tage waren angeblich zweisprachig, unternehme ich einen letzten Versuch; aber in Gedanken ist man wahrscheinlich schon an der Ruhr-Universität in Bochum, die am Nachmittag auf dem Programm steht. Was sollen wir denn hier?, fragt eine Frau. So etwas gibt es bei uns in Oberschlesien noch mehr als genug. Außerdem sollten wir vor allem den wirtschaftlichen Wandel zu sehen bekommen; der Bergbau ist doch Schnee vom vorigen Jahr.

Augenblicklich rebelliert etwas in mir gegen diese Behauptung. Schnee vom vorigen Jahr?

Das Ruhrgebiet und der Bergbau gehören in meiner Vorstellung einfach zusammen, sind geradezu identisch. Der Kohlenpott eben. Das hat man schließlich schon im Heimatkundeunterricht gelernt: Wir haben die Sage vom Schweinehirten gelesen, der zufällig die Kohle entdeckt haben soll; auf einer Karte von Gelsenkirchen mussten wir die Straßennamen heraussuchen, die mit dem Bergbau zu tun hatten: Bergmannstraße und Hauergasse leuchteten noch unmittelbar ein, St.Barbara-Straße und Schlägelstraße wurden erklärt. Flöz Dickebank wusste auch unser Frollein nicht so ganz genau. Sie kam nämlich aus Münster und war insgeheim stinksauer darüber, dass die Schulverwaltung sie in dieses „Drecksloch“ geschickt hatte.

Als wir in den 60er Jahren Verwandte in Nürnberg besuchen und ich als Kind immer wieder hören muss wie schön diese Stadt doch ist, sage ich schließlich aus lauter Wut, dass ich Gelsenkirchen aber viel schöner finde. Dem anschließenden Gelächter nach zu urteilen ein gelungener Witz. Dabei ist meine Reaktion über Jahrzehnte durchaus typisch für jemanden aus dem Ruhrgebiet: dem schlechten Image bei der Außenwelt entsprach immer eine nicht geringe Hochschätzung der Region durch die Einheimischen. Es ist eben immer die Frage, was aus welchen Gründen für wen „schön“ ist.

Innerhalb des Ruhrgebiets scheint dem schlechten Außenbild immer schon der Hang zur Unterscheidung im eigenen Laden entsprochen zu haben. Und das aus Gründen: in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird oft innerhalb weniger Jahre die einheimische Bevölkerung zur verschwindenden Minderheit. Die Not und die Aussicht auf Arbeit treiben Hunderttausende aus zumeist agrarisch bestimmten und wirtschaftlich rückständigen Regionen ins Ruhrgebiet. Ganz besonders gilt das für die Emscherzone, wo in einer Zeitspanne von nur 50 Jahren aus völlig unbedeutenden Dörfern Großstädte werden. Zumindest von ihrer Bevölkerungszahl her: Hamborn beispielsweise wird noch im Jahr 1910 mit über 100000 Einwohnern die kommunale Selbstverwaltung verweigert; man lebt dort also nicht in der Großstadt, sondern im größten Dorf Deutschlands. Auch heute noch lebt man zumindest verwaltungstechnisch ja nicht im Ruhrgebiet, sondern in einem sog. Ballungszentrum, das drei verschiedene Regierungsbezirke unter sich aufgeteilt haben und in dem die einzelnen Kommunen oft mehr gegen- als miteinander arbeiten.

Ein solches staatliches Vorgehen verhinderte natürlich zusätzlich die Identitätsfindung der Bevölkerung im Sinne einer bürgerlichen städtischen Gemeinschaft. „Dass unter solchen Verhältnissen das Wachsthum der Bevölkerung des Ortes ein ganz abnormales werden mußte, läßt sich nicht verkennen. Daß wir hier in sittlicher Beziehung unter dem Normalpunkt stehen, kann bei der abnormen Bevölkerung und beschränkten Seelsorge kein Wunder nehmen.“ Mit diesen Worten beklagt der Bürgermeister von Gelsenkirchen im ersten Verwaltungsbericht aus dem Jahr 1877/78 die ungesunde Sozialstruktur seiner Stadt. Es gibt viel zu viele Arbeiter, der bürgerliche Mittelstand fehlt fast völlig. Und folgerichtig ist jeder noch so kleine Kleinbürger mehr als ein Arbeiter. Etwas Besseres eben.

Dabei sind noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bergleute eine ständisch organisierte und relativ privilegierte Schicht der Bevölkerung; durch das sog. Direktionsprinzip sind alle am Bergbau Beteiligten - Gewerken und Arbeiter - einer unabhängigen staatlichen Bürokratie unterworfen, die vor allem die Bergleute vor privaten Gewinninteressen schützt. Als Gegenleistung für diese feudale Variante der „Subventionierung“ des Bergbaus verlangt der Staat allerdings unbedingte Loyalität. Erst durch das Allgemeine Bergrecht wird 1861 der Rechtsrahmen für eine kapitalistisch orientierte Produktionsweise im Bergbau endgültig festgeschrieben. Am Ende des 19. Jahrhundert ist aus dem ständisch-privilegierten Bergmann letztendlich der Industriearbeiter geworden, der dem Diktat der Unternehmerinteressen weitgehend schutzlos ausgeliefert ist, schließlich sogar ersetzbar durch jeden arbeitsfähigen Tagelöhner, so dass zu dem erheblichen Prestigeverlust ein zumeist nicht unerheblicher Verlust an sozialer Sicherheit und Einkommen hinzukommt.

Der Bergmann des Ruhrgebiets ist immer der Industriearbeiter gewesen, weitgehend ohne Traditionsbewusstsein, ohne Identität, oft diffamiert und verkannt. Es fehlt die große Tradition anderer Bergbaugebiete, und was der Bergmann des Ruhrgebietes dennoch an „Kultur“ im weitesten Sinne hervorgebracht hat, ist für die bürgerliche Gesellschaft immer zweite Wahl geblieben, schlechte Kopie im Stile des Gelsenkirchener Barock, von der bürgerlichen Kultur oft nur spöttisch belächelt und mit dem Flair des Peinlichen umgeben, von dem man sich doch besser distanziert. Über Jahrzehnte gilt das auch für die Überbleibsel der Industriegeschichte: Fördertürme, Werkhallen, Arbeitersiedlungen werden reihenweise platt gemacht. Dass auch sie Denkmäler (der vielleicht wichtigsten Epoche in der Menschheitsgeschichte) sind, wird erst spät Bestandteil des öffentlichen Bewusstseins. Bis zur Anerkennung eines Weltkulturerbes ist es ein weiter Weg. „Die Fähigkeit, die Materie spielerisch zu beherrschen“, meinte der Künstler Alfred Schmidt (verstorben 1997, erster Ehrenbürger des Ruhrgebiets), „hat den Bergleuten eine gewisse Souveränität gegeben, eine bestimmte Selbstgewissheit. Dies stand immer in krassem Gegensatz zur Einschätzung der Bergleute durch andere. Vor Kohle waren sie Könige, über Tage die untersten der Industriearbeiter. Das Verweigern der Anerkennung ist eine ständige Beleidigung dieser Menschen. Ungeheuerlich!“

Diese diffamierende Einstellung bleibt bewusst oder unbewusst noch lange in den Köpfen der Leute. Die „Volksschule“ Anfang der 60er Jahre lag direkt neben der Siedlung Schüngelberg der Zeche „Hugo“. Der größte Teil der Mitschüler stammte aus Bergarbeiterfamilien. Und er blieb auch auf dieser Schule. Nach dem vierten Schuljahr, 1964, gehen aus meiner Klasse von ungefähr 40 Schülern gerade mal vier zu weiterführenden Schulen. Unsere Väter sind kaufmännischer Angestellter, Polizeibeamter, Lehrer und Steiger. Steiger war zwar auch einer vom Pütt, aber eben doch etwas Besseres. Aber Arbeiterkinder haben auf dem Gymnasium ohnehin nichts zu suchen: Diese Fülle an Lebensweisheit wurde auf dem Max-Planck-Gymnasium in Gelsenkirchen noch Ende der 60er Jahre mit der größten Selbstverständlichkeit vertreten. Und nach dieser Maxime wurde auch gehandelt.

Oder der Ersatzdienst als Kriegsdienstverweigerer: ich arbeite Anfang der 70er Jahre in einem Krankenhaus in Gelsenkirchen-Horst, und die große Mehrheit der Patienten sind damals noch Bergleute auf der Zeche „Nordstern“. Der Umgangston ist rau, aber herzlich; vor allem duzt sich jeder mit jedem, und anfangs kann ich das einfach nicht, und schon nach kurzer Zeit habe ich den Ruf weg, ein feiner Pinkel zu sein. Als ich eines Tages von einem Patienten darauf angesprochen werde, schütte ich dem mein Herz aus, und der Pfleger, mit dem ich an diesem Tag zusammen Dienst habe, will sich fast totlachen: Na, wenn du sonst keine Probleme hast, ist es ja gut! Er selber ist einer der ersten Bergleute, die nach der Kohlekrise Ende der 60er Jahre in einen pflegerischen Beruf umgeschult haben. Und mit dieser Bemerkung ist sein Verständnis für mein Problem auch schon erledigt. Komm Kalle, wendet er sich wieder dem Patienten zu; heb mal die fette Dupa hoch, wir müssen weiter ....

Der Bergbau war immer viel zu selbstverständlich, als dass man als jemand aus dem Kohlenpott viel Aufhebens darum gemacht hätte, geschweige denn darauf in irgendeiner Weise hätte stolz sein können. Er war nie mehr als ein ebenso lästiges wie notwendiges Etwas, das die Industrialisierung im 19. Jahrhundert mitgebracht und an das man sich gewöhnt hatte, das sich durch Bergschäden an Straßen und Häusern, durch Ruß und Kohlenstaub auf der Wäsche ohnehin immer wieder in Erinnerung brachte. Von der Zersiedlung der Landschaft ganz zu schweigen: Mit Ausnahme der Städte der Hellwegzone, die zumindest über einen kleinen Kristallisationskern für eine urbane Entwicklung verfügten, konnte von kommunaler Planung kaum die Rede sein. Das Sagen hatten die Unternehmer, und wo man auf Kohle stieß, wurde ein Schacht abgeteuft, entstanden in der Folge Wohnmöglichkeiten zwischen Fördertürmen und Bauernhöfen. Noch heute kann man sich mit Fug und Recht fragen, ob die Städte des nördlichen Ruhrgebiets wirklich Städte sind oder nicht doch eher ein ziemlich chaotisches und zusammenhängendes Durcheinander von Siedlungen und Industriebrachen.

Ein lästiges Etwas eben, das erst auffällt, wenn es verlorengeht.

Die Fakten sind eindeutig, der Bergbau befindet sich in den letzten Jahren des 20.Jahrhunderts im steilen Sturzflug. Und doch sind es zwei verschiedene Dinge, über Zechenschließungen und Zusammenlegungen in den Zeitungen zu lesen und eines Tages von der Berliner Brücke aus zu sehen, dass der Schacht der Zeche „Consol“ gegenüber dem Schalker Markt tatsächlich stillgelegt ist. Es verursacht Unbehagen, dass das Selbstverständliche plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist. Der Kohlenpott ohne Zechen? Kaum vorstellbar.

Die Zahlen sprechen aber eine eindeutige Sprache. Die deutsche Kohle ist auf dem Weltmarkt viel zu teuer. Eigentlich unvorstellbar, aber wir können eine Tonne Kohlen aus Australien, den Vereinigten Staaten, Südamerika oder China kaufen, und jedes Mal ist diese Tonne inklusive Transport um die halbe Welt noch wesentlich billiger, als wenn deutsche Bergleute Hacke und Schaufel noch in die Hand nehmen. Weshalb diese Kohle so billig ist, wer für diese Kohle im Zweifelsfall mit seiner Gesundheit oder sogar seinem Leben bezahlen muss, das interessiert niemanden. Kinderarbeit wie in Kolumbien, 12000 Bergbautote pro Jahr wie in China, Umweltvernichtung durch rigorosen Tagebau, das alles sind Dinge, über die sich trefflich moralisieren lässt; Einfluss auf den Weltmarkt haben solche Überlegungen jedenfalls nicht.

Die Kaltschnäuzigkeit, mit der das Spiel wirtschaftlicher Daten im internationalen Monopoly über alle Belange der Menschen gesetzt wird, kann nach dem Vollzug der deutschen Einheit ohnehin kaum noch schockieren, ruft nur noch gelegentlich Entrüstung hervor. „Ich weiß aber sehr wohl, dass Wirtschaft ohne Ethik einfach Teufelskram ist“, meint ein katholischer Geistlicher, dessen Gemeinde zeit ihres Bestehens eng mit dem Bergbau verbunden war. Wer will dieser Ansicht widersprechen? Bloß: Weiß die andere Seite das auch?

Aber welche andere Seite überhaupt?

Im Ruhrgebiet war es immer schon schwierig, den bösen Kapitalisten beim Namen zu nennen. Mit wenigen Ausnahmen (wie etwa Krupp) fehlen die großen Patriarchen, und vor allem die Entwicklung des Bergbaus war angewiesen auf den Zusammenschluss vieler Geldgeber, der sog. Gewerken, weil das finanzielle Risiko bei der Abteufung eines Schachts in aller Regel groß war. Und weil der Region selber die bürgerliche Mittel- und Oberschicht weitgehend fehlt, kommt das notwendige Kapital oft von weither, wie die Namen einiger Zechen belegen: Hibernia, Holland, Consolidation, Shamrock.

Die wirtschaftlichen Interessen von heute heißen in einer wirtschaftlich globalisierten Welt kurz und bündig „Sachzwänge“, und die Politiker müssen als Sündenbock herhalten. Vor allem natürlich die CDU und die FDP, aber inzwischen kriegen auch die „Roten“ (gemeint ist die SPD) ihr Fett weg: Hat man in Nordrhein-Westfalen nicht tatsächlich viel zu lange gezögert, die Situation der traditionellen Schwerindustrie realistisch einzuschätzen und den Leuten die Wahrheit zu sagen? Ihnen womöglich sogar „Sand in die Augen gestreut“? Wusste man doch gerade an Rhein und Ruhr immer sein treuestes Wählerpotential. Die Rathäuser an der Ruhr sind rot: das war so, seit ich denken kann.

Und die Gewerkschaften? Waren sie in den fetten Jahren vielleicht wirklich nur das Dienstleistungsunternehmen, das den Bergleuten ihre jährlichen Lohnzuwächse verschaffte, wie einige Gesprächspartner kritisieren? Auf jeden Fall bekommen sie jetzt die Quittung: die Basis tritt massenweise aus, und die Funktionäre können tun, was sie wollen, sie verhindern doch nichts mehr.

Die Spirale von Frustration und Aggression findet immer Sündenböcke; das Gefühl der Ohnmacht lässt auch den Ruf nach radikalen Lösungen laut werden: Wenn ich hier was zu sagen hätte, gibt sich einer der Gesprächspartner seinen Phantasien hin, so wie früher der Hitler .... 25 Jahre später zeigen sich die „Volks“-Parteien, die keine mehr sind, entsetzt über die Ergebnisse der rechten bis rechtsradikalen AfD vor allem in den Städten der Emscher-Zone. Ein älterer Bergmann erinnert sich noch an die Nazi-Zeit, als „man“ vermeintlich das Sagen hatte: „Die mickrigsten Figuren liefen plötzlich nur noch mit Uniform und Pistole durch die Gegend. Und das waren ja auch alles Kumpel. Es war einfach nur erbärmlich, wie diese kleinen Scheißer mit Uniform und Pistole herumliefen.“

Irgendwann wende ich mich an einen Verlag in Ost-Berlin mit der Frage, ob man interessiert sei an einem Buch über das Ende des Bergbaus im Ruhrgebiet. Bei einem Gespräch erklärt mir die zuständige Lektorin, dass sie dieses Thema natürlich für sehr interessant halte; aber, fügt sie hinzu, glauben Sie wirklich, hier in Ostdeutschland hätten die Menschen für diese Thematik viel Verständnis? Bei uns wurde schließlich gerade ein ganzes Land als Industriestandort platt gemacht, kein Hahn hat danach gekräht. Und bei uns schicken sie die Leute mit Ende 50 noch zum Sozialamt ....

In meine halbherzige Empörung über die bösen Kapitalisten, die mit uns machen, was sie wollen, mischt sich so etwas wie Scham. Ist mein plötzliches Interesse für den Bergbau und seine Bedeutung für diese Region nicht tatsächlich ein ziemlich weinerlicher Unfug? Seele des Ruhrgebiets! Nach Else Stratmann und tausend Worten Bottropisch der nächste Affe im Tulpenbeet?

Was genau geht denn eigentlich verloren? Zechenanlagen? Fördertürme? Kokereien?

An deren Verschwinden hatte man sich doch auch vor 25 Jahren schon lange gewöhnt: Der Rückbau des Bergbaus hatte schon Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre begonnen, im südlichen Ruhrgebiet und in den großen Städten der Hellweg-Zone gibt es schließlich schon seit Jahrzehnten nicht eine einzige fördernde Zeche mehr, und in aller Regel wurde bei deren Verschwinden lediglich der Chronistenpflicht genügt; über gelegentliche Sentimentalitäten bei der letzten Schicht wurde in der Lokalpresse berichtet. Die Keimzelle des Bergbaus, die Ruhrzone im Süden, ist längst eine bevorzugte Wohngegend für betuchtere Kreise geworden. Will heutzutage jemand aus dieser Region etwas ganz besonders Exotisches erleben, so reicht eine Fahrt mit der Straßenbahn aus dem Essener Süden in den Essener Norden.

Oder verschwinden bestimmte Sozialstrukturen, deren Entstehung vor allem dem Bergbau zugeschrieben werden und für die das Ruhrgebiet weithin bekannt, beliebt und berüchtigt ist? Typen, die diese Region hervorgebracht hat? Der „Taumvatter“ vom Schlage eines Tegtmeier? Der Kumpel Anton? Tana Schanzara mit „ihre Klümkesbude“? Die Kneipe an nahezu jeder Ecke? Der „echte“ Schalker, der eigentlich in die polnische Nationalmannschaft gehört, morgens auf dem Pütt malocht und nach Feierabend Deutscher Fußballmeister wird? Die Proletenidylle am Kanal im Sommer? Der Kohlenpott ist zwar ein Drecksloch, aber die Menschen sind in Ordnung: herzlich, ehrlich und unkompliziert, eine einzige große Familie, die solidarisch ist und zusammenhält?

Ist das nicht alles Firlefanz? Ein Vorurteil, das mit der Realität nichts zu tun hat? Der Affe im Tulpenbeet eben? Ein untrügliches Zeichen dafür, dass in der Tat irgend etwas schon längst verlorengegangen und zum Mythos geworden ist, ein sehnsüchtig verklärter Blick in eine Vergangenheit, die mit der Realität des 21.Jahrhunderts endgültig aber auch gar nichts mehr zu tun hat?

Und natürlich kam in den Gesprächen vor 25 Jahren fast immer „die Vergangenheit“ zur Sprache. Vielleicht ist man zunächst geneigt, diese „Vergangenheit“ lediglich als verklärte Erinnerung abzutun, in der (immer schon) alles größer, schöner und besser war als in der Gegenwart; die in aller Regel gleichzeitig geschilderten z.T. sehr harten Lebensbedingungen sprechen allerdings eher gegen eine verklärte Darstellung der Vergangenheit. Der Unterschied zum Hier-und-Jetzt sagt dann vor allem etwas über die Gegenwart aus. Die Schriftstellerin Ilse Kibgis hat es auf den Punkt gebracht: „Es kommt mir immer noch so vor, als wenn ich in unserer Bergarbeitersiedlung unter lauter Verwandten gewohnt hätte.“ Einen größeren Unterschied zur gegenwärtigen Lebens- und Arbeitswelt der meisten Menschen kann man sich kaum denken. Die postindustrielle Gesellschaft scheint sich längst damit abgefunden zu haben, dass heute nur noch der Erfolg hat, der dem anderen ein Deiwel ist. Wirtschaft ohne Ethik ist eben tatsächlich Teufelskram. „Das 21.Jahrhundert muss von allen gestaltet werden“, meinte der Gelsenkirchener Künstler Alfred Schmidt (verstorben 1997, erster Ehrenbürger des Ruhrgebiets). „Mit Phantasie, mit scharfem Verstand, mit Sinn für Recht und Billigkeit und mit dem Blick für das Wohl des Ganzen. Es würde sonst zur Hölle.“

Deutlich wurde in den Gesprächen aber auch eine Zeitspanne, die sich mit der Vorstellung einer abgeschlossenen „Geschichte“ des Bergbaus ganz offensichtlich noch nicht abfinden wollte und konnte. Über mehr als 150 Jahre hat der Bergbau das soziale Gefüge des Ruhrgebiets maßgeblich geprägt, hat der „Pütt“ als Sozialisationsinstrument Solidarität, Integration und Toleranz gefördert. Gerade in Gesprächen mit jüngeren Bergleuten wurde deutlich, wieviel davon bereits vor 25 Jahren verlorengegangen war und jeden Tag weiter verlorengeht. Die unerträgliche Debatte um die Subventionierung des deutschen Bergbaus vergiftete das Klima, erhöhte den Konkurrenzdruck und beleidigte die Betroffenen, als seien sie Bittsteller oder parasitäre Existenzen. „Ich will lebenden Bergbau, keine Bergbaugeschichte“: mit dieser Forderung eines Gewerkschaftlers war wohl nicht nur der Wunsch nach einem Überleben irgendwelcher Branchen des Bergbaus gemeint, die sich noch gewinnbringend den Gesetzen der sog. freien Marktwirtschaft anpassen lassen; es ging jedenfalls um mehr. In kaum einem Bericht der älteren Bergleute fehlt der Hinweis darauf, dass sich das tägliche Leben in den letzten Jahren - trotz oder auch gerade wegen des gestiegenen Wohlstands - verschlechtert habe; der Hinweis auf die Kultur eines Umgangs miteinander, der angeblich der Ausdruck der sozialen Strukturen dieser Region war und mittlerweile gar nicht mehr denkbar ist.

„Was wir im Augenblick erleben, ist doch nur noch ein Sterben auf Raten“, resignierte ein junger Steiger. Andere gaben sich kampfbereit: „Dann nehmen wir den Hackenstiel in die Hand, und dann geht es zur Sache!“ Damals wirklich noch eine realistische Einschätzung? Oder nicht doch eher das Pfeifen im Walde, das die eigene Angst und Ohnmacht verscheuchen sollte? Wehmütige Erinnerung an eine Zeit, in der der Satz noch galt: Wenn die Ruhr brennt, ist nicht genügend Wasser im Rhein, um das Feuer zu löschen?

Ganz konkrete Probleme waren den meisten ohnehin viel wichtiger: Heute versucht doch jeder nur noch, sich selber irgendwie in den Vorruhestand zu retten. Diese Meinung habe ich nicht nur einmal gehört. „Solidarität kennen diese Bratbären doch gar nicht mehr!“ schimpft ein schon lange im Ruhestand lebender Bergmann; und in der Tat scheint auf dem Weg in die postindustrielle Gesellschaft die Entsolidarisierung die fast zwangsläufige Folge. Nicht nur, dass der Verlust von immer mehr Arbeitsplätzen in der Schwerindustrie die Macht der Gewerkschaften drastisch schwächt; Sinn und Zweck gewerkschaftlichen Tuns scheinen sich vielen nicht mehr zu erschließen: „Als ich in den Vorruhestand gekommen bin“, sagt ein 50jähriger Bergmann, „bin ich sofort aus der Gewerkschaft ausgetreten. Was soll ich denn noch in diesem Verein? Das Geld kann ich besser sparen.“ Nicht einmal ansatzweise spielt die Vorstellung eine Rolle, dass es genau „dieser Verein“ war, der ihm ein Ausscheiden aus dem Berufsleben mit 49 Jahren überhaupt erst erkämpft hat.

„An solchen Dingen tragen wir natürlich auch ein Stück Schuld“, meint ein engagierter Betriebsrat selbstkritisch. „Über Jahrzehnte waren wir für die meisten Kumpel nicht mehr als eine Art Dienstleistungsunternehmen, das ihnen die jährlichen Lohnsteigerungen besorgte. Da darf man sich nicht wundern, wenn heute die Perspektiven fehlen.“ In einer globalisierten und nach sog. Sachzwängen agierenden Welt geht die Solidarität verloren, weil Widerstand sinnlos erscheint und die Würfel doch längst gefallen sind.

„Die Seele vom Ruhrgebiet wäre dann weg!“ hatte ein junger Gesprächspartner das damals absehbare endgültige Aus des Bergbaus kommentiert, und man ist sofort geneigt, ihm zuzustimmen. Aber was bedeutet das konkret: Seele des Ruhrgebiets?

Vielleicht so etwas, was das Wort „Ostalgie“ zum Ausdruck bringen soll, wenn Ostdeutsche meinen, dass in der DDR doch nicht alles nur schlecht gewesen sei, und dafür meist nur mit arroganter Ignoranz oder gar moralischer Empörung bedacht werden? Weil die meisten Menschen in Westdeutschland nicht einmal den Versuch unternehmen, zu verstehen, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll.

In einer Zeit, die sich der Probleme unserer Umwelt endlich in immer stärkerem Maße bewusst wird, kann es auf gar keinen Fall bedeuten, dass veraltete Industrien erhalten werden sollten, weil wir uns darin so wohlgefühlt haben, in „unserem urgemütlichen Grubengas-Paradies“, wie Georg Kreisler es in den 50er Jahren boshaft, aber durchaus nicht unkorrekt, formuliert hat. Der Grad an Informiertheit über die Lage und die Fähigkeit, das auch unverstellt zum Ausdruck zu bringen und Perspektiven zu finden, hat mich bei den Gesprächen vor 25 Jahren überrascht. Natürlich müsse es so schnell wie möglich einen Strukturwandel und ein Bewusstsein darüber geben, dass der in einer Region mit einer derartigen industriellen Monokultur sehr lange dauern wird, wurde gesagt. Es müssten Möglichkeiten geschaffen werden, dass die betroffenen Menschen mit all ihren Fähigkeiten in diese Umwandlung eingebunden und nicht mit all ihrem Wissen und ihren Werten und Normen aufs Altenteil geschoben werden. Es müssten Bedürfnisse ausgesprochen werden dürfen, ohne dass irgendwelche von vornherein zu akzeptierenden Sachzwänge oder das zumeist dumme Gerede über die politische Korrektheit das Sprechen unmöglich machen. „Was sind denn Sachzwänge?“, fragte der katholische Geistliche. „Sachzwänge sind immer Menschenzwänge. Eine Sache erzwingt gar nichts, die Menschen, die etwas wollen oder eben nicht wollen, die können etwas erzwingen.“

Wenn ich mir die Gespräche vor 25 Jahren noch einmal anschaue, dann tauchen vor allem Zweifel auf, ob ein solcher Weg wirklich auch nur ansatzweise eingeschlagen wurde. Oft auch das Gefühl, dass vielleicht schon viel zu viel unwiederbringlich den Bach heruntergegangen ist. Das Ende von irgendetwas ist immer auch die Chance, etwas Neues gestalten zu können. „Die Erfahrungen aus der Arbeit unter Tage wurden nach der Schicht gemeinsam bedacht und besprochen. Es hatte sich eine bestimmte Form von Gesellschaftlichkeit herausgebildet, eine bestimmte Art und Weise, miteinander umzugehen. Diese der Demokratie äußerst förderliche Art zu leben verfällt. Und das wird „Fortschritt“ genannt. Gegen ein dürftiges müssen wir ein ganzheitliches Verständnis der Gesellschaft setzen. Wir können sonst nicht mehr zusammen handeln, sondern werden nur noch behandelt, als seien wir tote Gegenstände.“, hatte Alfred Schmidt gewarnt.

Konkret hat eine Stadt wie Gelsenkirchen seit dem Ende der 60er Jahre rund ein Drittel der Bevölkerung verloren, ist die Arbeitslosigkeit in großen Teilen des Ruhrgebiets heute höher als in den neuen Bundesländern. Vor allem gut ausgebildete Menschen haben die Region verlassen, das Angebot an billigem und billigstem Wohnraum in z.T. schrottreifen Immobilien zieht Menschen an, die eher die Zahl der sog. bildungsfernen Haushalte ansteigen lässt. (Ich weiß nicht, ob das politisch korrekt ist, finde es aber auch egal.) Zum Ende des Jahres 2019 stellt der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband fest, dass das Ruhrgebiet mittlerweile die am stärksten von Armut betroffene und auch in Zukunft bedrohte Region in ganz Deutschland ist. Der Strukturwandel ist in großen Teilen des Ruhrgebiets eben wirklich kein 100m-Lauf, sondern mindestens ein Marathon. Und vielleicht wäre es gut, sich endlich einmal ganz grundlegend zu fragen, was Strukturwandel überhaupt bedeuten soll. Sollen da bestehende Strukturen soz. in therapeutischer Absicht geändert werden, bis wieder der Zustand irgendeiner „heilen Welt“ erreicht ist und das ganze System wieder besser funktioniert? Oder sollte man Strukturen nicht auch mal gänzlich in Frage stellen dürfen, die mit einem ganzheitlichen Verständnis von Gesellschaft ganz offensichtlich schon lange nichts mehr am Hut haben. „Ein ethischer Standpunkt wird dieses System ändern, das ist zweifelsohne so“, meinte der katholische Geistliche. „Aber natürlich leben wir im Augenblick in einer Luft, die ein solches Denken absolut nicht befördert. Ganz im Gegenteil: wir leben in einer immer egoistischer werdenden Gesellschaft, die auch noch offiziell gefördert wird, wenn ich nur an das Gerede über Leistungsprinzip und Leistungsgesellschaft gerade von konservativer Seite denke.“

Wer Visionen hat, soll zum Psychiater gehen?

Liegt es wirklich nur am Geld? (Den Städten des Ruhrgebiets fehlt natürlich das Geld für einen tiefgreifenden Strukturwandel. Ansonsten fehlt das Geld aber nicht. Nur scheint sich jeder mit der Tatsache abgefunden zu haben, dass dieses Geld immer ungerechter verteilt ist, als sei das eine Art Naturgesetz.) Es fehlen vor allem Sozialstrukturen so wie die, die über Jahrzehnte Menschen aus vielen Ländern zu einer Gemeinschaft zusammengeschweißt haben, in der man sich trotz – oder auch gerade wegen - aller Unzulänglichkeiten solidarisch miteinander und wohl gefühlt hat. In einigen Stadtteilen fühlen Menschen sich mittlerweile abgehängt, allein gelassen, verängstigt, es entstehen gefährliche und zum Teil kriminelle Parallelgesellschaften. Das Wort no-go-areas taucht immer häufiger auf. Fakten, die bei vielen Menschen zu „Visionen“ führen, die kein Psychiater heilen kann, die aber rechten Rattenfängern Tür und Tor öffnen.

Bereits im Jahr 2018 maßt eine ZDF-Studie sich an, herausgefunden zu haben, dass es sich von allen deutschen Städten in Gelsenkirchen am schlechtesten leben lasse. Platz 401. Fast alle Ruhrgebietsstädte schneiden übrigens nur wenig besser ab. Der empörte Aufschrei darüber ist letztlich bourgeoises Affentheater, um das man im Ruhrgebiet noch nie viel gegeben hat. Die Schriftstellerin Ilse Kibgis hat in einem ihrer Texte schon vor langer Zeit zum Ausdruck gebracht, was diese Stadt für sie einst lebenswert machte: meine Stadt ist keine Konkurrenz für touristische Sonderangebote, aber sie ist der Kreis, der mich einschließt, die Mauer, die mich schützt.

Daran fehlt es heute.

Der 1997 verstorbene Künstler Alfred hat es auf den Punkt gebracht:„Es ist ein usurpatorischer Akt, die ganze Gesellschaft nach den Bedürfnissen der Wirtschaft auszurichten. Eine derart zugerichtete Gesellschaft kann nur eine zutiefst inhumane sein. Eine Gemeinschaft zur Erfüllung des Lebens kommender Zeitgenossen in ständigem Austausch über ihre Angelegenheiten ist eine derart zugerichtete Gesellschaft jedenfalls nicht. Und damit auch keine demokratische.“

Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg

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