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3,75 Jahre Süddeutscher Zeitdung

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Ende März 2002: Was für ein Drama! Großes Theater im Bundesrat. Abgestimmt werden sollte über das neue Zuwanderungsgesetz, das Rot-Grün durchsetzen, die Union aus CDU/CSU jedoch verhindern wollte. Hinter den Kulissen wurde fleißig Stimmung gemacht und manipuliert, am Ende lief es auf ein Duell zwischen Bundeskanzler Bernhard Schräder (SPD) und seinem Herausforderer, dem bayerischen Ministerpräsidenten Egmont Sträuber (CSU) hinaus. Es wurde mit harten Bandagen gekämpft und irgendwie mauschelten sich die Sozialdemokraten ins Ziel, indem sie das unterschiedliche Votum des Landes Brandenburg, in dem eine SPD/CDU-Koalition regierte, durch das Votum des Ministerpräsidenten Stolpe (SPD) aufheben ließen. Handelte es sich dabei um einen Pyrrhussieg der Roten oder doch eher um einen taktisch genialen Schachzug?

Die Unions-Ministerpräsidenten jedenfalls empörten sich lebhaft, doch als wenige Tage später herauskam, daß es sich dabei um ein Schauspiel gehandelt hatte, wuchs die Empörung der Bevölkerung, welche ihren Staatsschauspielern fortan noch weniger glauben wollte als zuvor. Ja, der ach so erhabene Bundesrat war zweifellos für parteitaktische Spielchen mißbraucht worden, aber irgendwie konnte man das auch nachvollziehen, denn gut fünfeinhalb Monate später sollte die Bundestagswahl stattfinden, in der es mal wieder für alle Parteien um alles ging.

20. Juli 2002: Es war vollbracht, ein weiterer Widerstandskämpfer hatte aufgeben müssen. Bundesverteidigungsminister Alf Paarping von der SPD war von seinem Chef, Bundeskanzler Schräder, gefeuert worden und fast alle atmeten erleichtert auf. Schließlich hatte sich der ehemalige SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende in den vergangenen Jahren immer unbeliebter und unmöglicher gemacht gehabt. Auf so einen Ballast im anstehenden Bundestagswahlkampf konnte und wollte man gerne verzichten. Außerdem erinnerte man sich auch noch schaudernd an die vergeigte Bundestagswahl 1994, in der Paarping als Kanzlerkandidat für die Sozialdemokraten angetreten und deutlich hinter allen Erwartungen zurückgeblieben war. Nein, der Alf wagte an jenem 20.Juli 2002 kein Attentat auf Kanzler Schräder, er plante auch keinen Putsch, doch sein Widerstand war endlich gebrochen, denn ohne ihn würde es seine Partei in Zukunft höchstwahrscheinlich leichter haben, seine Badefotos mit seiner damaligen neuen Flamme, einer Gräfin, waren allen in der Partei noch nur zu gut in Erinnerung. 65 Tage vor der Wahl war so ein Rausschmiß eines Ministers durchaus gewagt, doch im Grunde hatte die SPD nicht mehr viel zu verlieren, deswegen ging sie das Risiko ein.

Anfang September 2002: Für die PDS wurde es immer enger. Wegen der Bonusmeilen-Affäre war ihr Aushängeschild Igor Fysi als Berliner Wirtschaftssenator zurückgetreten und nun war der Einzug ins Parlament in Gefahr. Dank Flut und drohendem Irak-Krieg, wegen denen Schräder immer mehr Ostdeutsche auf seine Seite zog, drohte der PDS der parlamentarische Garaus. Man hoffte, drei Direktmandate zu erringen, um dadurch den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen, doch das war mehr als ungewiß. Das Hauptproblem für die Partei war und blieb Westdeutschland, denn dort erreichte man als "Regionalpartei Ost" höchstens ein bis zwei Prozent der Wählerstimmen. Früher hatte immer der dunkelrot wählende Osten das Ganze gerettet, doch dieses Mal sah es da auch nicht so gut aus. Schließlich wollten viele Ostdeutsche Egmont Sträuber als deutschen Bundeskanzler unbedingt verhindern, weshalb sie lieber die SPD als die PDS zu wählen beabsichtigten.

Hinzu kam, daß die Parteispitze und Fraktionsführung ziemlich blaß und unscheinbar rüberkamen, was die eigenen Erfolgsaussichten nicht unbedingt verstärkte. Sollte die PDS erstmals seit der Wende außen vor bleiben?

22.09.2002: Der Wahlabend gehörte zu den spannendsten überhaupt und wurde dank unfähiger Meinungsforscher noch viel aufregender als ohnehin. In der ARD wurde Egmont Sträuber bereits recht bald als Wahlsieger und künftiger Bundeskanzler präsentiert, im ZDF sah es eher nach einem Unentschieden oder leichten Vorteilen für Rot-Grün aus. Am Ende lag die SPD ganz knapp vor CDU/CSU, doch die Grünen hatten die FDP über einen Prozentpunkt distanziert, so daß es für Rot-Grün reichen würde, da es die PDS mit vier Prozent und zwei Direktmandaten als Partei nicht ins Parlament geschafft hatte, nur ihre beiden Direktkandidatinnen würden in den Bundestag einziehen.

Bernhard Schräder und seine SPD waren hochzufrieden. Zwar hatten sie etliche Prozentpunkte verloren und waren nur gerade so stärkste Partei geblieben, doch da sie in den Monaten vor der Wahl in den Meinungsumfragen weitaus schlechter dagestanden waren, konnten sie mit dem Wahlergebnis gut leben.

Ganz anders sah es bei der Union aus. Sie hatte zwar über drei Prozent an Wählerstimmen dazu gewonnen, aber dennoch keines ihrer drei Wahlziele erreicht.

Die Grünen freuten sich über einen beachtlichen Zuwachs, die FDP hatte ebenfalls zugelegt, allerdings viel mehr erhofft gehabt und war deswegen sehr enttäuscht.

Wieder einmal begann nach der Wahl das große Stühlerücken, die Herren Nerz (CDU) und Böllermann (FDP) verabschiedeten sich vorerst aus dem Rampenlicht und in den Parteien wurde das Wahlergebnis gründlich studiert sowie analysiert.

Gerade so hatte die rot-grüne Koalition ihren Kopf aus der Schlinge gezogen, man verfügte also noch über ausreichend Unterstützung im deutschen Volk, auch wenn man insgesamt betrachtet durchaus Stimmen verloren hatte.

Es gab einige Beobachter, die an jenem Wahlabend prophezeiten, das rot-grüne Bündnis würde keine vier Jahre durchhalten; da war zweifellos oft auch nur der Wunsch der Vater des Gedankens, doch im Nachhinein kann man konstatieren, daß die Propheten Recht behalten sollten, wenn auch erst im Jahre 2005.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegenheit nutzen und einige Querverweise anstellen, denn genau elf Jahre später, nämlich am 22.09.2013, fand bekanntlich wiederum eine Bundestagswahl statt. Verglichen mit der von 2002 legte die Union noch mal zu, die SPD hatte dramatisch verloren, die Grünen landeten fast beim selben Ergebnis, die FDP deutlich darunter und die Linke (ehemals PDS) gewaltig drüber. Zugegeben, man sollte nicht einfach zwei Bundestagswahlen, die dazwischenlagen, einfach überspringen, aber manchmal macht das durchaus Sinn und bietet erstaunliche Erkenntnisse. Der Fall der FDP zum Beispiel war nämlich bekanntlich viel tiefer, da sie ja nicht von 7,4 % sondern von 14,6 % auf 4,8 Prozent der Wählerstimmen herabgestürzt kam. Für die Grünen waren die 8,4 % auch nur deshalb ein Drama, weil sie von 10,7 % gekommen waren und sich wegen der tollen Werte in den Meinungsumfragen 2011 viel mehr ausgerechnet hatten. Egal, das nur am Rande, damit man mal sehen kann, wie relativ doch alles ist. Am besten erkennt man das natürlich an der SPD, denn die hat im Vergleich zu 2009 2,7 % Wählerstimmen dazu gewonnen und war deshalb gar nicht so traurig.

Wasserstandsmeldung vom 26.09.2013: Sowohl die SPD als auch die Grünen zieren sich immer noch und haben nicht recht Lust darauf, in eine Koalition mit dem Wahlsieger CDU/CSU zu gehen. Die FDP hofft verständlicherweise auf Neuwahlen, aber den Gefallen wird den Liberalen wohl niemand tun, denn nicht alle sind traurig darüber, daß die Partei der Besserverdienenden aus dem Bundestag geflogen ist.

Anfang Oktober 2002: Nach der Wahl war bekanntlich immer auch vor der Wahl und so saßen die Parteien sowie ihre jeweiligen Spitzenkandidaten bereits mit ihren Hufen scharrend in den Startlöchern. In Hessen und Niedersachsen wurde Anfang Februar 2003 ein neuer Landtag gewählt und so hoffte die SPD auf die Rückkehr an die Macht in Wiesbaden, wohingegen die CDU mit Tristan Gulf in Niedersachsen darauf setzte, daß aller guten Dinge drei wären und er es nach zwei gescheiterten Anläufen endlich ins Amt des Ministerpräsidenten schaffen würde.

In Hessen hatten meistens die Sozialdemokraten regiert, entweder alleine oder mit den Grünen, die CDU hatte es dort oft schwer gehabt, doch nun war sie selbstbewußt und optimistisch. Robert Doch wollte unbedingt wiedergewählt werden, hoffte er doch insgeheim auch auf eine mögliche Kanzlerkandidatur 2006. In Hessen wurde es oft sehr eng und spannend, denn die beiden Lager (Schwarz-Gelb und Rot-Grün) waren ungefähr gleich groß. Elf Jahre später sollte auch noch die Linke ein weiteres Mal im Parlament sitzen und damit jegliche Regierungsbildung beinahe unmöglich machen.

25.11.2002: Österreich hatte gewählt, Rolf Jan Schlüssel und seine ÖVP feierten einen triumphalen Erfolg, da es ihnen gelungen war, die enttäuschten FPÖ-Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Vier Jahre zuvor war man noch hinter den Rechtspopulisten geblieben und hatte mit 26,9 Prozent der Wählerstimmen ein desaströses Ergebnis erzielt gehabt, doch nun standen 42,3 % auf der Habenseite und alles war gut. Die FPÖ war böse abgestürzt, würde aber dennoch wieder Platz auf den Regierungsbänken finden, auch wenn sie selbst den Bruch der Koalition herbeigeführt hatte. Die SPÖ hatte zwar zugelegt, lag aber deutlich hinter der ÖVP und auch die Grünen waren nicht an der FPÖ vorbeigekommen. Österreich blieb also so konservativ wie eh und je, die Zeit der SPÖ auf Platz eins in der Wählergunst schien damit vorbei zu sein und Kanzler Schlüssel bereitete sich voller Genugtuung auf eine weitere Amtszeit vor. Auch der Verweis auf das rot-grüne Chaos in Berlin hatte der ÖVP scheinbar Stimmen gebracht und den Grünen wohl Stimmen gekostet.

In Deutschland ärgerte sich Egmont Sträuber derweil nach wie vor darüber, daß er nur im Süden so beliebt war, denn die West- und Norddeutschen, aber in allererster Linie die Ostdeutschen, hatten dafür gesorgt gehabt, daß er nicht ins Kanzleramt hatte einziehen können. Die Niederlage nagte immer noch an ihm, er warf Finanzminister Weichel und Kanzler Schräder Wahllügen vor und ließ sogar einen Untersuchungsausschuß ins Leben rufen, welcher jene Vorwürfe überprüfen sollte. So jemanden wie Sträuber nannte man gemeinhin einen schlechten Verlierer, aber der hoffte nach wie vor darauf, daß Rot-Grün bald am Ende sein würde. In den Meinungsumfragen stand die Koalition bereits zwei Monate nach der Bundestagswahl katastrophal da, so daß es auch für die Landtagswahlen im Februar 2003 sehr schlecht ausschaute. Genau darauf spekulierte die Union: Zwei heftige Niederlagen in Hessen und Niedersachsen, dann würde den "rot-grünen Chaoten in Berlin" der Wind so scharf ins Gesicht wehen, daß sie vielleicht aufgeben müßten. Na ja, Träumen mußte eben erlaubt sein, Sträuber hoffte halt nach wie vor immer noch darauf, womöglich doch irgendwie Bundeskanzler werden zu können, aber je mehr Zeit verstrich, desto unwahrscheinlicher wurde das.

Die FDP beschäftigte sich derweil lieber ausgiebig mit sich selbst, schließlich saß man schon wieder auf den Oppositionsbänken, weshalb man genügend Zeit dafür hatte. Als alleiniger Sündenbock für das unbefriedigende Wahlergebnis wurde Jörg D. Böllermann auserkoren, der mit seinen antisemitischen Tiraden die FDP eben nicht zu einer rechtspopulistischen, erfolgreichen Partei hatte machen können, obwohl es am rechten Rand durchaus ein beachtliches Wählerpotential gegeben hätte. Allerdings hatte seine Aggressivität die Wähler eher verschreckt als angezogen und so war aus dem Projekt 18 nicht mal ein Projekt 8 geworden. Böllermann selbst hielt sich für unschuldig, gab aber dem Druck seiner Parteifreunde nach, wenngleich er nach wie vor von der Richtigkeit seiner Strategie überzeugt war und sich immer noch für den Allergrößten hielt.

15. März 2003: Die große Rede war gehalten worden und nun würde sich zeigen, was davon zu halten war. In einem Berliner Lokal trafen im Pissoir der Herrentoilette zwei Journalisten aufeinander, die für verschiedene Zeitungen arbeiteten und deshalb umso begehrlicher alles daran setzten, Informationen auszutauschen. "Na, Jakob, wie hat Dir die Rede vom Schräder gefallen?" erkundigte sich der Ältere der Beiden. "Ich weiß nicht so recht, Hans. Irgendwie war das Ganze weder Fisch noch Fleisch", fand der Andere. "Also nicht mal was für die Grünen." "Doch, ich glaube, die können damit am besten leben." "Also daß die Gewerkschaften aufschreien würden, das war ja ohnehin von vornherein klar gewesen, aber die Kritik von der Opposition ist schon ein wenig lächerlich." "Findest Du? Das sehe ich anders. Die Gerkel und der Festerbelle würden Deutschland, wenn sie könnten, am liebsten so was von durchregieren, daß kein Stein auf dem anderen bleibt." "Ja, in der Opposition ist gut stinken. Das sagen die jetzt, aber wenn sie dann die Wahlen deswegen verlieren, dann knicken die ganz schnell wieder ein." "Mag sein, aber derjenige, der jetzt erst mal die Wahlen verlieren wird, ist zweifellos der Bundeskanzler." "Gut, da ist wohl was dran, aber das war ja in den letzten Jahren ohnehin fast immer der Fall gewesen, von daher ändert sich nicht wirklich was." "Auch wieder wahr. Trotzdem glaube ich, daß er da seiner SPD und deren Wählern schon jede Menge zumutet. Ganz schön mutig, das alles." "Na ja, dem ist halt das Land wichtiger als die eigene Partei. Eigentlich schon lobenswert, wenn es mal einer in Kauf nimmt, wegen Reformen abgewählt zu werden, die meisten Politiker würden sich das nicht trauen." "Ja, stimmt schon, aber vielleicht hat der Schräder auch einfach keinen Bock mehr und will auf die Art und Weise so schnell wie möglich aus dem Kanzleramt raus." "Das glaube ich nicht. Der spielt halt mal wieder alles oder nichts, denn wenn er so weitermachen würde wie bisher, dann hätte er bei der nächsten Wahl überhaupt keine Chance." "Ja, das kann man so sehen. Also gut, war schön mit Dir geplaudert zu haben, laß uns jetzt aber lieber gehen, die ganzen anderen Männer warten schon und trauen sich nicht hierher zum Pinkeln, weil sie uns nicht stören wollen." "Ach ja, tatsächlich. Schön, dann bis zum nächsten Mal, vielleicht treffen wir uns dann ja an einem gemütlicheren Ort."

Ende März 2003: "Herr Doktor, ich glaube ich bin schizophren", begann der Patient das Gespräch beim Psychiater." "Das hätten Sie wohl gern, aber so leicht wird man das nicht", entgegnete der Arzt. "Ich schon, ich bin nämlich ein führendes Mitglied der Grünen." "Au weh, da habe ich mir ja was angetan. Guter Mann, ich glaube, Ihnen und Ihrer Partei ist nicht mehr zu helfen. Wer sich dermaßen verbiegt, nur um in der Regierung zu bleiben, mit dem wird es noch ein böses Ende nehmen." "Das befürchte ich auch. Ich weiß ja selber schon gar nicht mehr, wo mir eigentlich der Kopf steht." "Kein Wunder, bei diesen ständigen Positionswechseln und faulen Kompromissen. Dabei hätte Ihre Partei doch wirklich allen Grund zu feiern. 20 Jahre im Bundestag ist schließlich wirklich eine Leistung." "Ja, aber wir Grünen sind ja 1990 im Westen aus dem Parlament geflogen und quasi nur wegen Bündnis 90 wieder reingekommen." "Gut zu wissen, daran kann ich mich nämlich überhaupt nicht mehr erinnern. Guter Mann, was kann ich eigentlich für Sie tun?" "Das weiß ich leider auch nicht so genau. Entweder eine Gehirnwäsche, damit ich alles toll finde, was die rot-grüne Bundesregierung macht oder einen kompletten Neustart in meinem Kopf, damit ich noch einmal ganz von vorne beginnen kann." "Wissen Sie, Regierungsjahre sind keine Herrenjahre, vor allem nicht als kleiner Koalitionspartner. Die Welt da draußen ist nicht so schön, wie Ihr Grünen Sie Euch vorstellt. Deshalb solltet Ihr Euch lieber mit den Realitäten abfinden." "Aber wir hatten doch immer so wunderschöne Träume." "Zeiten ändern sich eben. Wer Einfluß und Macht haben will muß leiden." "Also gut, wenn das so ist, Herr Doktor, dann möchte ich jetzt doch meine Gehirnwäsche." "Mit dem größten Vergnügen."

Mal wieder saßen die Parteivorsitzenden von CDU und CSU, Andrea Gerkel und Egmont Sträuber, in einem Büro zusammen, um sich über die allgemeine politische Lage auszutauschen. "Wie geht es denn Ihrer Muschi, Egmont?" wollte die Ostbiene wissen. "Also wirklich, Sie sind und bleiben ein Ferkel, Andrea! Ich bin doch kein Trans, Trans, Transrapid!" empörte sich der Bayer. "Aber ich meinte doch Ihre werte Gemahlin, mein lieber Egmont, die Kathrin." "Ach so, die Muschi meinen Sie. Ja mei, solange es mir gut geht, geht es der auch gut, glaube ich zumindest." "Möchten Sie denn mal meine Muschi sehen?" "Äh, also, na ja, ich weiß nicht." "Ich meine doch meine schwarze Katze, Sie Schwein." "Ach so. Na gut, meinetwegen." "Das freut mich, dann bringe ich sie das nächste Mal zu unserem Gespräch mit. Wissen Sie noch, wie Sie mich damals beim Golfradshausener Frühstück vernascht haben, Egmont?" "Aber selbstverständlich und das werde ich auch nie vergessen. Leider hat es dann ja doch nicht ganz für mich gereicht." "Sie haben Ihr Bestes gegeben. Mein lieber Egmont, wann darf ich denn endlich Herr Sträuber zu Ihnen sagen?" "Soweit sind wir noch lange nicht, hochverehrte Andrea. Das dürfen nur meine besten Parteifreunde und sonst niemand. Außerdem finde ich es nicht gut, daß Sie die Wahlchancen unserer Union so gefährden." "Was meinen Sie damit?" "Schräder punktet, weil er gegen den Irak-Krieg ist und Sie kriechen dem Bush in den Arsch. Das ist so was von unpopulär." "Na und? Beliebtheit ist nicht alles." "Das erklärt auch Ihre miesen Umfragewerte. Wissen Sie eigentlich, wie Sie bei uns in der CSU genannt werden?" "Jetzt bin ich aber gespannt. Wie denn?" "WC-Ente." "WC-Ente? Wieso das denn?" "Ganz einfach: Im aktuellen Politbarometer liegen Sie auf der Skala von plus fünf bis minus fünf bei 0,0." "Ich verstehe. Und wenn schon?" "Nichts da, Popularität ist wichtig und die bekommt man nur mit Populismus. Der Mischer steht bei plus 2,4." "Das macht nichts, denn wenn ich erst mal deutsche Bundeskanzlerin bin, dann werde ich auch so gute Werte haben." "Glauben Sie das wirklich, Andrea?" "Warum nicht?" "Ach, da würden mir viele gute Gründe einfallen." "Mein lieber Egmont, soll das etwa heißen, daß Sie von mir erwarten, daß ich den Leuten nach dem Mund rede?" "Genau das heißt es. Aber fürs Erste würde es mir schon reichen, wenn Sie mir nach dem Mund reden. Also, was ist jetzt mit den Amerikanern?" "Ich mag den Greg U. und daran wird sich auch nichts ändern." "Ja, das ist auch völlig in Ordnung, aber denken Sie bitte daran, daß fast alle Deutschen gegen den Irak-Krieg sind." "Mag sein, aber wir sind in der Opposition, lieber Egmont und es ist unsere Aufgabe, die Regierung zu kritisieren." "Das schon, aber doch nur, wenn es auch Wählerstimmen bringt." "Ach so, ich glaube, ich habe verstanden." "Na also, es geht doch." "Wieso ähn Sie eigentlich fast nicht mehr?" "Ach, das tue ich nur, wenn ich denke bevor ich rede." "Danke für die Blumen."

Anfang der letzten Maiwoche 2003: 10 Jahre Sträuber als Ministerpräsident in Bayern. Ich verneigte mein Haupt in Erfurt, äh, natürlich in Ehrfurcht vor jenem großen Meister, der aus Bayern die Vorstufe zum Paradies gemacht hatte. Egmont Sträuber Superstar, er war und blieb der Mann der Stunde, seine Minister zitterten vor ihm, er interessierte sich für alles, las jede Akte höchstpersönlich und er war so etwas wie der Alleinherrscher in Bayern. Sein Volk war zufrieden mit ihm, seine Wahlergebnisse waren grandios und er hoffte nach wie vor darauf, vielleicht doch noch Bundeskanzler in Berlin zu werden. Um das zu schaffen, brauchte er ein phänomenales Wahlergebnis bei der Landtagswahl im September 2003 und da die Deutschen und damit auch die Bayern höchst unzufrieden mit der rot-grünen Koalition waren, weshalb jene schon in Hessen und Niedersachsen gewaltig abgestraft worden war, sah es gut aus für den tollen Egi. Früher hatte er sich mit Parteifreunden herumschlagen müssen, die ihn als Ministerpräsidenten verhindern hatten wollen, aber die CSU-Basis und die Landtagsfraktion hatten ein Machtwort gesprochen und sich und damit auch ihn durchgesetzt. Dennoch war es fünf Jahre lang nicht immer leicht, denn Leo Baigel war CSU-Parteichef und Finanzminister in Bonn, weshalb sich Sträuber des Öfteren mit jenem auseinandersetzen und streiten mußte. Doch seit der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl 1998 war der nervende Leo weg vom Fenster und Sträuber war auch noch CSU-Parteichef geworden, also vergleichbar mit Schräder, der nach Afrotränes Demission SPD-Chef geworden war. Egmont Sträuber stand im Zenit seines politischen Lebens und es gab nicht wenige Journalisten, die sich vorstellen konnten, daß der große Kümmerer, den die Bayern unheimlich mochten, noch zehn weitere Jahre als Ministerpräsident in Bayern regieren würde. Was für eine Lichtgestalt!

Ende Mai 2003: Es war einer jener Tage, an denen Bernhard Schräder von Anfang an wußte, daß er lieber im Bett hätte bleiben sollen, doch dann hätte ihn seine neue Alte, die Frau, die sie Pferd nannten, wohingegen er der Typ war, den sie Bernd nannten, weshalb die Beiden hervorragend zusammen paßten, ihn wieder zugetextet und das brauchte er auch nicht jeden Tag. In der Partei war die Stimmung mies, so wie eigentlich immer, Schräder konnte sich nicht daran erinnern, daß die Stimmung in der Partei jemals gut oder normal gewesen wäre, das schien wohl in der SPD einfach Usus zu sein. Ganz egal ob die Sozialdemokraten regierten oder opponierten, sie trugen immer diesen gequälten Gesichtsausdruck mit sich herum, in dem sich das ganze Leid der Welt widerspiegelte. Was für Heulsusen! Er aber war der Kanzler der ruhigen und starken Hand, er wollte etwas vorwärtsbringen in diesem Land. Seine Agenda 2010 wurde ihm fast pausenlos um die Ohren gehauen und als ob das nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, machte der relativ neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Pierre Seinglück, nun ein weiteres Faß auf, indem er damit drohte, die Koalition mit den Grünen zu beenden und stattdessen die FDP mit ins Boot, beziehungsweise ins Koalitionsbett zu holen. Das hätte Schräder und seiner SPD gerade noch gefehlt, es war so schon alles mühselig genug. Was konnte man dagegen tun? Ein Killerkommando engagieren? Einen Privatdetektiv ansetzen? Oder einfach mit den betreffenden Leuten vernünftig reden? Alles Optionen, die nicht wirklich überzeugen konnten und so ärgerte sich Bernhard ein wenig, bevor er sich wieder in seine soziale Hängematte legte, um dort von seinem Recht auf Faulheit Gebrauch zu machen, wie es seiner Ansicht nach vor allem die Lehrer, jene "faulen Säcke", tagtäglich praktizierten. Das Leben war schön, nur in der SPD schien die Sonne nie.

05.06.2003: Was war passiert? Jörg D. Böllermann, der ehemalige absolute Überflieger der FDP, hatte sich mit einem Fallschirmsprung das Leben genommen. Ganz Deutschland war schockiert und das völlig zurecht. Der Betroffene selber aber hatte scheinbar keinen anderen Ausweg mehr gesehen, denn nachdem er in seiner Partei nicht mehr sonderlich gern gesehen gewesen war, hatte nun auch noch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet gehabt. Eigentlich etwas, das man einem FDP-Mitglied durchaus zutraut und wofür man sich als Liberaler nun wirklich nicht schämen braucht, außer vielleicht dafür, daß man dabei erwischt wurde, aber bei Jürgen, den manche Leute gerne lieber würgen wollten als für ihn zu bürgen, war alles ein bißchen anders. Er hatte ein Buch geschrieben gehabt, mit dem bezeichnenden Titel "Klartext" und plante, eine eigene Partei zu gründen, die mal gründlich aufräumen sollte mit den Altparteien und den ganzen Lügen, Tabus und was da noch so alles dazugehörte. Doch er wußte, daß er das alles vergessen konnte, wenn gegen ihn ermittelt wurde. Scheinbar hatte der gute Mann Millionen ins Ausland gebracht, vielleicht die Zinsen nicht versteuert, womöglich war er auch ein wenig korrupt gewesen, Hans Werner Braus läßt grüßen, wer weiß das schon so genau? Man soll über die Toten nichts Schlechtes sagen, auf alle Fälle war Jörg D. Böllermann einer von denen gewesen, die ganz hoch hinaus hatten wollen. Er hielt sich für den geborenen Kanzlerkandidaten der FDP, hatte Festerbelle das Projekt 18 eingeredet und versucht, am rechten Rand zu fischen. Doch nun war er tot und die Welt mußte ohne ihn weiterleben. Würde ihr das gelingen?

Anfang Juli 2003: Luigi Herlusconi hatte die Schnauze voll gehabt und deshalb zurückgeschlagen. Andauernd hatten ihn die europäischen Linken provoziert und kritisiert, doch dann kam die Retourkutsche und die hatte es in sich gehabt. "Diese blöden Deutschen können mich mal", hatte er sich vermutlich gedacht gehabt und deswegen seinem Lieblingsgegner vorgeschlagen, er könne in einem Film über Konzentrationslager, der gerade in Italien gedreht werde, "den Kapo spielen". Eigentlich durchaus lobenswert, wenn der italienische Regierungschef einem deutschen Sozi ein Jobangebot macht, aber in dem Fall handelte es sich dann wohl doch eher um eine gezielte Beleidigung.

Andererseits mußte man den guten Luigi auch verstehen. Immer wieder kritisierten die europäischen Linken sein Medienimperium, seine Macht und seinen Einfluß, dabei fühlte er sich unschuldig und hielt sich selbst für einen liberalen Freigeist. Na ja, jedenfalls wollte er sich nicht andauernd anpissen lassen, zunächst hatte er sich alles Mögliche angehört gehabt, doch irgendwann war ihm die Hutschnur geplatzt. "Diese Deutschen sollen sich mal nicht so haben. Die waren es doch gewesen, die ganz Europa überfallen haben", bemerkte Herlusconi. "Das stimmt natürlich, aber den Faschismus erfunden haben wir Italiener", wandte ein Freund von ihm ein. "Na und? Was geht uns das an? Diese Deutschen sind viel zu empfindlich, die haben keinen Sinn für Humor und verstehen keine Ironie." "Da hast Du natürlich Recht, Luigi, aber vielleicht solltest Du Dich doch besser entschuldigen." "Ich? Mich entschuldigen? Aber warum das denn? Die haben mich doch die ganze Zeit angegriffen, verleumdet und beleidigt!" "Ja, aber trotzdem." "Also gut, solange ich es nicht ehrlich meinen muß." "Aber natürlich.Wir verstehen uns schon."

Ende Juli 2003: Die bayerische SPD, seit Jahrzehnten ein Fall für die "Aktion Sorgenkind". In den Städten gut verwurzelt, aber auf dem flachen Land ein unbekanntes Wesen. Jede Menge Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte, aber im Landtag überhaupt nichts zu melden. Wahrscheinlich handelt es sich bei der bayerischen SPD um die Partei, die am längsten von allen in der Opposition gelandet ist. Und dann als Gegner auch noch eine Partei, die nur in Bayern antritt und sich deshalb voll auf dieses Land konzentrieren und so tun kann, als wäre sie eins mit dem Freistaat. Als bayerischer Sozialdemokrat braucht man eine gewisse masochistische Ader, aber zu viel Mitleid ist auch nicht angebracht. "Die sind selber schuld, die theoretisieren immer nur rum und wollen ihre Landsleute umerziehen", urteilte ein Politikwissenschaftler. "Genau, die haben sich in ihrer Oppositionsecke bequem eingerichtet und fühlen sich dort pudelwohl", stimmte ihm ein Soziologe zu. "Sobald einer der Ihren beliebt ist, wird er schon verdächtig und nicht für voll genommen." "Ja, wer Erfolg hat, ist der bayerischen SPD grundsätzlich suspekt. Solche Leute läßt man am liebsten links liegen und ignoriert sie so lange, bis sie aufgeben oder die Partei wechseln." "Ja, man bleibt lieber unter sich und kungelt sowie mauschelt mit seinesgleichen, anstatt die verstaubten Räume mal gut durchzulüften. Schuld sind immer die Anderen, im Zweifel die Wähler." "Glaubst Du, daß die SPD irgendwann mal in Bayern Erfolg haben wird?" "Ich kann es mir nicht vorstellen. Da müßte es sich die CSU schon dermaßen mit ihren eigenen Wählern verscherzen, aber das ist wirklich unrealistisch." "Allerdings."

Sommer 2003: "Riegler paßt auf Haderlein, der flankt in die Mitte, wo Ode verpaßt, der Ball wird abgewehrt, aus dem Hintergrund müßte Magnet schießen, Magnet holt aus, trifft den Ball Vollspann und der fliegt in den rechten oberen Winkel! Tor! Tor für die SPD!!!" Vielleicht befürchteten die CSU-Granden zukünftig solche Fußballspielkommentare von Hermann Noch, der Reporterlegende aus Franken. Anders konnte man es sich nicht erklären, daß man ihn dazu bringen, beziehungsweise zwingen wollte, sich zwischen seinem Hobby als Fußballreporter, das er neben seiner Lehrertätigkeit ausübte und einem Sitz im Landtag für die bayerische SPD zu entscheiden. Ich persönlich glaube, wenn der Herr Noch für die CSU angetreten wäre, dann hätte damit niemand ein Problem gehabt. Bekanntlich war und ist ja der bayerische Ministerpräsident für alle Belange des Bayerischen Rundfunks zuständig, von daher konnte man sich schon vorstellen, wie die ganze Schmierenkomödie enden würde. Wovor fürchteten sich die schwarzen Männer? Vor Reportagen wie: "Baumeiler vertändelt den Ball im Mittelfeld, Zuber wird getunnelt und grätscht erfolglos hinterher, Waldhauser versucht es mit Schönspielerei und Kapitän Sträuber schimpft und flucht wie ein Rohrspatz. Schwarz-Weiß Tuntenhausen zerlegt sich selbst." Na ja, wenn ich mich entscheiden müßte, dann würde ich weiterhin Fußballspiele kommentieren, denn das ist bestimmt spannender, unterhaltsamer sowie abwechslungsreicher, als die Taten der absoluten CSU-Mehrheit begutachten zu müssen, ohne sie daran hindern zu können, nur das zu machen, was sie will und was ihr etwas bringt.

20.08.2003: "Ole, Ole, Ole, Ole!" rief ein bekennender Homosexueller ganz laut in Hamburgs Straßen. "Was ist denn los? Wer hat denn jetzt schon wieder gewonnen? Hamburg oder St. Pauli?" wollte ein schwuler Bekannter von ihm, dem er gerade auf einer Straße in Hamburg vor die Füße lief, etwas genervt von ihm wissen. "Von Zeust hat gewonnen und Hamburgs Bürger haben gewonnen. Stills out." "Und wenn schon? Diese merkwürdige Koalition wird ja trotzdem weiter regieren." "Das schon, aber ohne ihren bösen Buben." "Ach was, die Anderen sind doch auch nicht besser oder anders. Immer nur Vetternwirtschaft, Korruption und Wählerbetrug." "Das war aber zu SPD-Zeiten auch nicht anders. Macht macht gierig. Wie dem auch sei, Hamburg ist seit gestern wieder frei." "Abwarten und Astra trinken. Bin nur mal gespannt, ob der Uli von Zeust sich jetzt endlich mal vorne hinstellt und sagt: "Jawohl, ich bin ein Hinterlader und das ist auch gut so." Aber wahrscheinlich traut er sich das wieder nicht." "Mal sehen. Eigentlich muß er jetzt ja Farbe bekennen, denn nachdem ihn der Still dermaßen erpreßt hat." "Alles Ansichtssache. Der Still behauptet ja, er habe den von Zeust nur darum gebeten, nicht mit zweierlei Maß zu messen." "Jetzt aber mal unter uns: Glaubst Du wirklich, daß der Uli was mit dem Robert Husch hatte oder hat?" "Ich weiß nicht so recht. Auf alle Fälle würde ich diese Zeugen, die der Still da ins Spiel gebracht hat, nicht so ernst nehmen. Viele Leute hören und glauben ja nur das, was sie hören wollen." "Deshalb sind sie für Populisten ja auch ein gefundenes Fressen. So eine Koksnase wie der Still sollte ohnehin nur sehr vorsichtig für voll genommen werden." "Ja, aber das ist ja auch nicht bewiesen. Alles nur Gerüchte und Spekulationen." "Fest steht jedenfalls, daß die Still-Partei bei der nächsten Wahl übel abstürzen wird." "Jeder bekommt was er verdient." "Wie meinst Du das denn jetzt? Willst Du damit etwa andeuten, ich hätte mir meinen Tripper verdient?" "Kann schon sein, was weiß denn ich, wo Du Deinen Arsch überall hinhältst. Egal, aber wenn man von fast 20 Prozent der Wählerstimmen kommt, dann wird das ein ziemlich tiefer Fall." "Darauf kannst Du einen lassen. Oh, das habe ich schon für Dich erledigt. Sorry, mein Süßer, den wollte ich mir ja eigentlich für heute Abend aufheben. Na ja, wie dem auch sei, ein schönes Handtäschchen trägst Du heute. Ups, Pups I did it again. Also dann, Schatzi, bevor ich hier noch zum Stinktier werde, verdufte ich lieber." "Es muß ja auch nicht immer etwas hinten rein kommen, bei uns Homos, manchmal kommt dort auch was raus. Mach’s gut, aber nicht zu oft!" "Das ist meine Sache, Du weißt doch wie notgeil wir Männer nun mal sind. Auf alle Fälle wird es in Hamburg ohne Still wieder richtig chillig." "Wie wahr Espana! Aber wenigstens sehen unsere Polizisten jetzt viel schicker aus, in ihrer neuen preußisch-blauen Uniform. Da läßt sich unsereins doch gerne mal verhaften." "Ach ja, die immer mit ihren Schlagstöcken."

Anfang September 2003: Gesucht wird ein Bundespräsident, den momentan noch niemand kennt, Frau Gerkel formiert ihre Truppen schon, denn dieses Mal besteht die Aufgabe der Opposition, darin jemanden zu finden, an den sich deutsche Wählerherzen binden, gesucht wird ein Kandidat, nicht zu soft, aber auch nicht zu hart, am besten wäre er keine Frau, denn die Andrea ist sehr schlau, würde es nämlich eine Bundespräsidentin geben, dann könnte sie selbst ihre Zukunft als Kanzlerin nur in Tagträumen leben, dumm an der ganzen Sache ist nur, der Festerbelle ist ziemlich stur, die FDP hat bei der Kandidatenkür ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, und das gefällt nicht unbedingt jedem, mal wieder gesucht wird ein Kompromiß, als vorzeigbarer Fliegenschiß, man will das Ende von Rot-Grün einläuten, außerdem soll der neue BP hoch angesehen sein bei den Leuten, mögliche Kandidaten gibt es zuhauf, das Karussell nimmt munter seinen Lauf, eines ist traurig, aber wichtig: Keiner der genannten Kandidaten paßt so richtig, vielleicht wollen Egmont, Andrea und Guildo irgendwann nicht mehr länger leiden, und lassen einfach das Los entscheiden.

11.09.2003: Aussprache zum Kanzleretat im Bundestag. Wir haben es zu tun mit einer Bundesregierung, die dermaßen unbeliebt ist, daß sie noch heute zurücktreten könnte und damit wohl eher Begeisterungsstürme als Trauerfeiern entfachen würde. Auf der anderen Seite befindet sich eine Opposition, von der alle Beteiligten froh darüber sind, daß sie nicht die Regierung stellt. Früher hatte man wenigstens die Wahl zwischen Pest und Cholera, heutzutage bleibt einem nicht einmal mehr das vergönnt. Schlechte Reden halten können ist eine Fähigkeit, die durchaus Bewunderung verdient, noch dazu bei solch hoch bezahlten Politikern, von denen man prinzipiell annimmt, daß sie ganz gut reden können müßten, weil sie sonst ja wohl kaum im Parlament gelandet wären. Nun ja, das lassen wir mal so dahingestellt, jedenfalls sollte man keine zu hohen Erwartungen wie eine Monstranz vor sich hertragen, wenn man sich im Reichstag unter die Zuhörenden mischt. Klar, in der Politik ist es im Prinzip genauso wie auf dem Fußballfeld: Es reicht völlig aus, besser zu sein als der Gegner, auch ein 1:0 Arbeitssieg bringt drei Punkte ein und in zwei Wochen erinnert sich sowieso niemand mehr an den Grottenkick. Von daher waren Micki Glas (der deutsche oder besser fränkische Mick) sowie CDU-Fraktions- und Parteivorsitzende Gerkel für Bernhard Schräder natürlich leicht zu überbieten, denn sie boten, wie des Öfteren, rhetorische Magerkost. Ein ganz anderes Kaliber war da schon Friedbert Nerz gewesen, doch den hatte die Chefin ja hinter sich selbst in die zweite Reihe verbannt gehabt. Was bleibt? Die Gewißheit, daß nicht an jedem 11.September zwei Türme in die Luft fliegen, nur weil am Tag zuvor eine Debatte im Bundestag stattgefunden hat.

Wer braucht die FDP in Bayern? Eine gute sowie berechtigte Frage, die nicht einmal eingefleischte Liberale überzeugend beantworten können. Die CSU steuert in den Umfragen wenige Wochen vor der Wahl auf eine Zweidrittelmehrheit im Bayerischen Landtag zu, die hat schon mal kein Interesse daran, daß die Freien Demokraten den Sprung ins Parlament schaffen. Die SPD und die Grünen können vermutlich ebenfalls auf die FDP verzichten, denn sonst müßte man den ohnehin schon kleinen Kuchen mit einem weiteren hungrigen Maul mit großer Klappe teilen. Nichtsdestotrotz gibt die bayerische FDP-Chefin Sabrina Heutläuser-Knarrenberger alles, um ihre Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven, denn Wunder gibt es schließlich immer wieder und jeder Mensch braucht nun mal Herausforderungen im Leben. Zugegeben, es würde ein wenig bunter werden im Landtag, sollten die Liberalen den Sprung dorthin schaffen, aber regieren werden ohnehin die Schwarzen ganz allein, von daher macht es auch nicht wirklich einen Unterschied, oder? Kein Wunder, daß die ehemalige Bundesjustizministerin das ein kleines bißchen anders sieht, aber der werden am Wahlabend auch die Augen aufgehen, so viel läßt sich schon mal im Voraus annehmen. Gelbsucht?

20.09.2003: Was wäre Deutschland ohne das Saarland? Zweifellos um so einiges ärmer, man denke nur an so Geistesgrößen wie Oswald Afroträne und Erich Honecker, von Dieter Füller ganz zu schweigen. Nun war es aber so gekommen in den vergangenen Jahren, daß die CDU im einst so roten Lande ganz allein regierte und da sie das scheinbar nicht gar so schlecht machte, stand zu befürchten, daß sie auch bei den Wahlen 2004 wieder reüssieren würde. Was konnte man dagegen tun? Vielleicht wieder mal das alte Schlachtroß ins Getümmel schicken, denn auch alte Besen kehrten manchmal gut, zumindest wirbelten sie zunächst jede Menge Staub auf. Oswald Afroträne war wieder im Gespräch und das freute alle, die mit jener Personalie irgendwas zu tun hatten. Immerhin war der ja ziemlich lange der Ministerpräsident des Saarlandes gewesen, von daher war es doch schon irgendwie naheliegend, eventuell auf den alten Siegertypen zurückzugreifen. Andererseits, gab es da überhaupt etwas zu gewinnen oder stand die erneute Niederlage nicht schon im Vornherein fest? Schließlich war die rot-grüne Bundesregierung dermaßen unbeliebt, daß jede Landtagswahl zu einem Plebiszit gegen sie mutierte. Nun ja, wenn die Gegenwart nicht gar so rosig erschien, dann erinnerte man sich halt überall immer gerne an die guten alten Zeiten, verklärte massiv die Vergangenheit und sehnte sich danach zurück. Wie aber mit Afroträne nun umgehen, der immer noch sehr populär im Lande war und dem die Basis seine Flucht aus allen Ämtern im Jahre 1999 wohl verziehen zu haben schien? Gute Wahlkämpfer konnte man immer brauchen, doch würde sich jener Spitzenpolitiker einreihen können und wollen? Das war die Frage aller Fragen, die niemand so recht beantworten konnte. So blieb erst einmal alles offen, die Einen waren tief betroffen, die Anderen dagegen begannen zu hoffen.

Die bayerische SPD taumelte derweil dem Abgrund entgegen. Hans Magnet freute sich über das bevorstehende Ende des aussichtslosen Wahlkampfs und die CSU bereitete sich auf eine gigantische Siegesfeier vor, eventuell würde Egmont Sträuber die Partei hinauf in himmlische Sphären führen, denn die mögliche Zweidrittelmehrheit bedeutete ja im Grunde so etwas wie die göttliche Allmacht, schließlich konnte man mit der eigenhändig die Bayerische Verfassung ändern. Doch hatte eine Partei, welche die Verfassung ohnehin immer genau so interpretierte, wie sie ihr gerade in den Kram paßte, das überhaupt nötig? Die CSU herself befand sich 2003 in einer exzellenten Verfassung, die Ausgangslage war hervorragend und im Grunde konnte man sich den 21.09.2003, an dem die Bayerische Landtagswahl über die Bühne gehen würde, so vorstellen: Es war genauso, wie wenn der FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga zu Hause auf den SC Freiburg traf. Es stand schon von vornherein fest, daß der FC B gewinnen würde, darum stellte sich lediglich die Frage, wie hoch der sichere Sieg ausfallen würde. Für die Wahl hatten die Meinungsforscher also im Falle der CSU einen 5:0 Sieg vorhergesagt, vielleicht würde die Abstimmung auch 6:1 oder 7:0 enden, das war das einzig Spannende bei der ganzen Angelegenheit.

Was aber war das Geheimnis jener tollsten Partei der Welt? Warum liefen ihr die Wählerinnen und Wähler so hinterher, daß man fast schon von Stalking sprechen mußte? Na ja, zum Einen war und ist die CSU einfach einmalig. Sie ist einzigartig, sie ist etwas Besonderes, es gibt sie nur in Bayern, einzig und allein im Freistaat kann sie überhaupt gewählt werden. Sie ist deshalb nicht beliebig und austauschbar, sondern statt dessen beliebt sowie unverwechselbar. Das Brüllen des bayerischen Löwen vernimmt man sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Bei der CSU handelt es sich um eine Marke, ein Unikat, einen Mythos. Den Mythos der absoluten Mehrheit, der Unbesiegbarkeit. Die CSU ist landespolitisch unterfordert, deshalb mischt sie auch in der Bundes- und der Europapolitik munter mit. Man muß sich das einmal vorstellen: Ihr Wahlergebnis bei der Bundestagswahl in Bayern reicht dieser phantastischen Partei locker aus, um über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde zu springen und somit in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Außerdem bekommt sie seit Jahrzehnten so viele Direktmandate, daß sie es ohnehin immer in den Reichstag schaffen würde. CSU und Bayern, dabei handelt es sich um eine Symbiose, vielleicht sogar um eine Liebesbeziehung. Die meisten Wähler vertrauen der CSU, weil sie wissen, daß es sich dabei um ihre Bayernpartei handelt. Würde die CSU auch noch in anderen Bundesländern zur Wahl stehen, was sie ja einst ernsthaft erwogen hatte, dann würde sie in Bayern an Reiz und damit auch ihren ureigenen Charme verlieren. So aber kann sie immer und für alle Zeiten so tun, als wäre für sie nur Bayern und damit selbstverständlich auch die Bayern wichtig. Die CSU ist ein Gesamtkunstwerk, daran besteht kein Zweifel.

21.09.2003: "Sehr geehrter Herr Doktor Sträuber, Sie haben mit Ihrer CSU die Zweidrittelmehrheit geschafft. Was sagen Sie dazu?" forschte der Journalist. "Also, ich bin natürlich begeistert, unheimlich stolz und dankbar. Hierbei handelt es sich um einen großartigen Vertrauensbeweis von Seiten der Menschen in Bayern und ich verspreche Ihnen allen, daß ich alles dafür tun werde, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen." "Was fällt Ihnen denn zum Ergebnis der SPD ein?" "Äh, also, na ja, wie soll ich das am klügsten ausdrücken, die bayerische SPD hat ja schon immer schlechtere Ergebnisse abgeliefert als die Bundespartei, aber in diesem Fall sind die Fehler natürlich in allererster Linie in Berlin und ganz besonders bei Bundeskanzler Schräder zu suchen." "Werden Sie 2006 noch einmal als Kanzlerkandidat der Union antreten?" "Also, na ja, diese Frage entscheiden wir Ende 2005 oder Anfang 2006, das steht heute Abend nun wirklich nicht zur Debatte. Fest steht jedenfalls, daß die CSU sowohl in Bayern als auch im Bund mit diesem Ergebnis natürlich unheimlich gestärkt worden ist." "Die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag, das ist ja nicht nur sensationell, sondern auch schon historisch. Hat man da als CSU und insbesondere Sie als überall beliebter und hochangesehener Ministerpräsident überhaupt noch Ziele?" "Aber selbstverständlich. Unser nächstes Ziel wird die Erringung der Dreiviertelmehrheit sein, danach streben wir die Vierfünftelmehrheit an und irgendwann möchten wir verständlicherweise die Fünfsechstelmehrheit erreichen." "Donnerwetter, da haben Sie sich ja ganz schön was vorgenommen. Wollen Sie etwa die Opposition aus dem Landtag jagen?" "Langfristig schon. Wir brauchen in Bayern keine Opposition, das erledigen wir notfalls auch selbst. Natürlich wird es schwierig werden, die SPD unter die Fünf-Prozent-Hürde zu bringen, aber wir arbeiten daran." "Na wenn das so ist, dann viel Erfolg!" "Vielen Dank! Ich träume davon, in einem Parlament zu sitzen, in dem sich nur Parteifreunde von mir befinden. Stellen Sie sich mal den Bayerischen Landtag mit 180 oder meinetwegen auch 200 Sitzen vor und die werden alle von CSU-Politikern besetzt." "Oh mein Gott, mir wird ganz schwarz vor Augen."

Die SPD hatte ein Waterloo erlebt. 19,6 Prozent, nicht einmal die 2 stand mehr vorne, daß man so tief sinken könnte, hatten sich nicht mal die düstersten Pessimisten vorstellen können. Klar, die Wahlbeteiligung war genauso eingebrochen wie die SPD, aber was half es zu wissen, daß womöglich viele von den eigenen Anhängern aus Frust oder Enttäuschung daheim geblieben waren? Man war es ja gewohnt, seit Jahrzehnten gegen die CSU zu verlieren, aber so eine Schlappe hatte es noch nie zuvor gegeben. Mehr als 40 Prozent lagen nun zwischen CSU und SPD, das war wirklich historisch. Wieder gab es Diskussionen, ob man sich nicht von der Bundes-SPD lösen und eine spezifische bayerische SPD gründen sollte, aber auch solche Überlegungen wurden schnell wieder verworfen. Wie tief würde man als SPD noch in den Keller rutschen?

Andererseits waren das Probleme, die Andere bestimmt gerne gehabt hätten. Klar, die Grünen waren zufrieden, sie hatten zwei Prozent dazu gewonnen und mußten dieses Mal nicht um den Einzug in den Landtag bangen. Aber die Freien Wähler und die FDP hatten es wieder nicht ins Parlament geschafft, genauso wenig wie die Republikaner, die ÖDP und alle anderen kleinen Parteien. Es blieb also bei gerade mal drei Parteien, welche über fünf Prozent der Wählerstimmen gekommen waren und das zeigte mehr als deutlich, wie schwer es war, in Bayern auf einen grünen Zweig zu kommen. Sträuber und die CSU freuten sich, die SPD war am Boden zerstört und die Grünen sahen sich im Aufwind. Kein Wunder, daß der SPD-Landesvorsitzende Haderlein mitsamt seiner Generalsekretärin Dielefeld am Tag nach der Wahl zurücktrat, aber ob das langfristig etwas nützen würde? Erstmals hatte die CSU alle Direktmandate gewonnen, schlimmer konnte es nun wirklich nicht mehr werden, ganz Bayern war tiefschwarz und würde es wohl auch bleiben.

Ende September 2003: Zwei Männer auf der Straße unterhielten sich über Politik, während ihre Ehefrauen miteinander über den neuesten Tratsch klatschten. "Also eines muß man dem Hans Magnet lassen: Das ist schon eine Leistung: Erst so eine historische Niederlage als Spitzenkandidat einzufahren und danach trotzdem als neuer Hoffnungsträger der SPD gehandelt werden", faßte einer der Männer zusammen. "Und wenn schon? Er hat ja keinen Bock drauf, was man auch verstehen kann. Die Süddeutsche nennt ihn deshalb schon Hans mag net. Ich hätte auch keine Lust darauf, so einen Trümmerhaufen wiederaufzubauen. Außerdem: Die nächste Wahlschlappe kommt bestimmt, das ist bei der bayerischen SPD so sicher wie das Amen in der Kirche", behauptete sein Gegenüber. "Ach ja, die Armen in der Kirche, die tun mir auch leid. Wie dem auch sei, die SPD braucht in Bayern neue Leute in den Führungspositionen, sonst sieht sie bald ganz alt aus." "Noch älter als ohnehin? Wer will denn freiwillig so ein Himmelfahrtskommando übernehmen? Die bayerische SPD hat genauso wie die Bundes-SPD in den letzten Jahren extrem abgewirtschaftet und bei den eigenen Anhängern jede Menge Vertrauen verloren." "Das stimmt, aber es wissen doch eigentlich alle, daß Reformen nötig sind." "Natürlich, aber die sollen doch bitte schön die Anderen machen und dafür bei den Wahlen abgestraft werden, aber auf keinen Fall die eigenen Leute. Es gibt inzwischen nicht Wenige bei den Sozen, die sich Hartmut Fohl als Kanzler zurückwünschen, weil sie der festen Überzeugung sind, daß es unter dem seiner Herrschaft in Deutschland sozialer zugegangen ist." "Oh Gott! Das ist ja schrecklich! Meine Güte, vor fünf Jahren bei der Bundestagswahl noch über 40 Prozent und jetzt nicht mal mehr 20 in Bayern, das sagt schon alles." "Wie dem auch sei, ich höre gerade, daß unsere Frauen mit ihrem Austausch von Neuigkeiten fertig sind, also dann, habe die Ehre." "Ja, Du mich auch." Sie gingen froh auseinander.

Derweil hatte die rot-grüne Bundesregierung in Berlin mal wieder so einiges zu überstehen. Mit der Union hatte sie eine Gesundheitsreform ausgehandelt, weshalb von vornherein schon klar war, daß das Ding im Bundestag beschlossen werden würde. Trotzdem oder gerade deswegen legte Bundeskanzler Schräder allergrößten Wert darauf, daß man als Regierung eine eigene Mehrheit im Parlament zustande brachte, weshalb er sich im Vorfeld inständig darum bemüht hatte, die letzten Zweifler, Nörgler, Kritiker und Besserwisser zu überzeugen. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, hatte er mit dem vorzeitigen Ende der Koalition und dem damit verbundenen Abschied von der Macht gedroht, etwas, das sich schon früher immer wieder bewährt hatte.

Für die Kanzlermehrheit reichte es bei der Abstimmung im Bundesrat dennoch nicht, was Bernd aber nicht weiter tangierte, er gab sich mit einer Mehrheit von 297 Stimmen zufrieden, ganz im Gegensatz zu Außenminister Mischer, der extra wegen der Abstimmung aus New York herbei beordert worden war und der sich darüber ärgerte, wegen so etwas einen Jetlag abgekriegt zu haben.

Ende 2003: Jahresrückblicke sind ja auch nicht gerade unbedingt jedermanns Sache. Meistens fallen einem all die peinlichen Geschichten wieder ein, die man schon längst wieder gerne verdrängt hätte. So wie der Gregor U. Push seinen Irak-Krieg zum Beispiel, der ihm jede Menge Nerven kostete und Ärger bereitete, denn obwohl die amerikanischen Truppen, mit ihrer "Koalition der Willigen" im Schlepptau, einen schnellen und eindeutigen Sieg errungen hatten, so gab es im Nahen Osten trotzdem lauter Probleme und Scherereien. Aber da mußten die Amis nun mal durch, schließlich hatten sie sich jenen Feldzug unbedingt eingebildet gehabt, weil Push junior seinem Vater mit demselben Namen imponieren wollte, welcher Saddam Hussein seinerzeit im Golfkrieg 1991 an der Macht gelassen hatte, obwohl jener Kuwait überfallen hatte. Es blieb also alles in der Familie.

Weitaus unterhaltsamer war die Geschichte vom deutsch-jüdischen Michel (Kriegmann), der es sich mit jeder Menge Koksnutten des Öfteren gemütlich gemacht hatte und welcher demzufolge als "Manolo Hinkel" noch einmal einen ganz speziellen Bekanntheitsgrad erreichte. "Der Böllermann hatte schon Recht mit seiner Judenschelte, der würde in seinem Grab jetzt vor lauter Freude Cha Cha Cha tanzen", mögen sich manche Leute dabei gedacht haben, aber davon wurde der gute Jörg D., übrigens kein Verwandter von Gregor U., obwohl man das zunächst annehmen könnte, auch nicht wieder lebendig.

Äußerst lebendig war es 2003 dagegen in der deutschen Politik zugegangen. Die SPD hatte drei Landtagswahlen krachend verloren (Hessen, Niedersachsen und Bayern), nur in Bremen war man an der Macht geblieben, aber dabei handelte es sich ja auch bloß um einen winzigen Stadtstaat, in dem die Linken schon immer in der Mehrheit gewesen waren. Ansonsten überboten sich Regierung sowie Opposition gegenseitig mit Reformvorschlägen, was die Bürger des Landes nicht unbedingt nur erfreute. Doch die Watschen bekamen in erster Linie die Sozialdemokraten ab. Erstens waren die in der Regierung, zweitens hatte man so etwas wie die Agenda 2010 von denen nicht erwartet und drittens bildeten sich die Oppositionsparteien auf ihre Umfragewerte so viel ein, daß sie meinten, die deutschen Wählerinnen und Wähler wären total geil auf noch mehr und härtere Reformen, was aber überhaupt nicht stimmte. Das also war das Jahr 2003 gewesen, wer noch mehr darüber wissen will, sollte Geschichtsbücher lesen.

Mitte Januar 2004: Neues Jahr, neues Glück? Ja, aber. Wenn man verliert, dann ist man erst mal traurig und überlegt sich danach, woran es denn gelegen haben könnte. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Option besteht darin, das Ganze als ungerecht anzusehen, sich selbst als den Allergrößten zu betrachten und es später genauso zu machen wie derjenige, gegen den man unterlegen gewesen ist. Tja, das also hatte Egmont Sträuber beherzigt und praktiziert gehabt. Monatelang war er im Wahlkampf 2003 im Sommer durch das Bayernland gezogen, hatte allen alles versprochen oder wenigstens versichert, daß sich nichts verändern oder verschlechtern würde und kaum war er mit über 60 Prozent wiedergewählt, hielt er es mit Wadenhauer und Schräder, indem er sich dachte: "Was kümmert mich mein verlogenes Geschwätz von gestern?" Mitte September war Bayern noch das Schlaraffenland gewesen, Anfang Oktober handelte es sich beim selben Freistaat plötzlich um einen Sanierungsfall. "Der hat uns ins Gesicht gelogen", erkannten etliche Bauern, Lehrer und Polizisten mal wieder leider zu spät. "Sträuber heißt er - uns bescheißt er" oder "We don’t need no Egi-cation", lauteten die Sprüche, die man auf Bannern lesen konnte und das ausgerechnet bei Demonstrationen gegen die bayerische Staatsregierung! Ja, Sie haben tatsächlich richtig gelesen, Anfang 2004 erwachte das bayerische Volk und erhob sich nicht etwa gegen die "rot-grünen Chaoten in Berlin", wie es die CSU sicherlich gerne gesehen hätte, sondern protestierte gegen ihre eigenen Leute, gegen die Kameraden, die man erst wenige Monate zuvor eindrucksvoll in ihren Ämtern bestätigt und mit einer Machtfülle ausgestattet hatte, welche ihresgleichen suchte.

Na ja, so schlimm das alles auch für die Gelackmeierten sein mochte, so hatte der weise Egmont doch eigentlich nur einen Rat beherzigt, den schon die großen Staatenlenker und Polit-Vorbilder längst erkannt sowie ausgesprochen hatten. Grausamkeiten, so hieß es da, begehe man am besten zu Beginn einer Legislaturperiode, denn dann sind sie gegen Ende derselben wieder vergessen und man wird trotzdem wiedergewählt.

Blöd für Sträuber war halt, daß es sich nicht um irgendwelche Linken handelte, die da gegen ihn auf die Straße gingen, sondern um CSU-Anhänger, also quasi "Stimmvieh" aus dem eigenen Stall. Noch unangenehmer war natürlich, daß diese Leute genau zu wissen glaubten, warum der Sträuber plötzlich so grausam und brutal war, daß er sogar das Blindengeld kürzen wollte. Sein Ziel bestand nämlich nunmehr auf einmal darin, 2006 mit Bayern als erstem deutschen Bundesland einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und damit erhoffte er sich insgeheim eine weitere Nominierung zum Kanzlerkandidaten der Union. Genau das regte die Betroffenen am allermeisten auf; daß sie dafür bluten sollten, daß der feine Herr Egmont seinen Kanzlerträumen nachhängen konnte. Es ging also mächtig zur Sache, aber der rigide Sparkurs wurde nichtsdestotrotz knallhart durchgesetzt, das wäre ja schließlich noch schöner, wo kämen wir denn da hin, wenn wir vor einzelnen Interessengruppen wie dem Bayerischen Beamtenbund einknicken würden oder wenn am Ende gar das Volk in einer Volksherrschaft (= Demokratie) bestimmen wollte, wo es lang geht! Also wirklich, alles was Recht ist, aber das geht dann doch zu weit. Daß es das Volk auch gar nicht so ernst meinte mit seinen Protesten, zeigte eine neue Umfrage, in der die CSU bei sage und schreibe 62 Prozent landete!

Ende Januar 2004: Wieder einmal hatte ein Superwahljahr begonnen und das bedeutete für die rot-grüne Bundesregierung vermutlich nichts Gutes. Eine Europawahl, fünf Landtagswahlen, acht Kommunalwahlen sowie eine Bundespräsidentenwahl standen auf dem Programm und die Union bereitete sich mal wieder auf viele schöne, weil erfolgreiche Wahlabende vor. Im Bundesrat hatte die Opposition ohnehin schon eine Mehrheit hinter sich, von daher konzentrierte man sich vor allem darauf, bei der Kür des Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten keinen Fehler zu machen. Schließlich wollte man ja allen Menschen in Deutschland eindrucksvoll beweisen, daß man mit Macht verantwortungsvoll umgehen konnte und deswegen auch für höhere Weihen geeignet war. In Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg und im Saarland standen 2004 Landtagswahlen vor der Tür und außer in Brandenburg gab es für die SPD nicht wirklich viel zu hoffen und zu erwarten.

Anfang Februar 2004: Vielleicht spielte auch das eine Rolle für eine Entscheidung, welche im politischen Berlin wie eine Bombe einschlug. Schräder trat zurück! Als SPD-Parteivorsitzender, aber natürlich nicht als Bundeskanzler, der Mann war schließlich nicht völlig bescheuert, der wußte schon ganz genau, auf welches Amt man verzichten konnte. Dan Mützewirsing wurde zu seinem Nachfolger auserkoren und das begeisterte die Genossen dermaßen, daß plötzlich von Aufbruchstimmung die Rede war. Klar, Bernhard Schräder war zwar jahrzehntelanges Parteimitglied, aber seine knapp fünfjährige Zeit als Parteivorsitzender war eine Vernunftentscheidung gewesen, nachdem Afroträne im März 1999 plötzlich hingeschmissen und bildlich geschrieben auf den roten Teppich im Billy-Rand-Haus geschissen hatte, falls es dort so etwas überhaupt gibt. Jedenfalls freuten sich sowohl Schräder als auch die SPD-Parteimitglieder darüber, nicht länger so stark aufeinander angewiesen zu sein. Mützewirsing sollte der neue Ausputzer auf dem Spielfeld werden, der Schräder den Rücken freihalten sollte, damit jener endlich wieder aufs gegnerische statt aufs eigene Tor schießen konnte.

Zwei Sozialdemokratinnen unterhielten sich über die neue Situation: "Also als Genossin finde ich die Entscheidung richtig, aber als Frau hätte ich den Schräder schon lieber als Parteivorsitzenden gehabt. So ein schöner Mann", fand die Eine. "Absolut. Da konnte man immer so schön träumen und sich lebhaften sexuellen Phantasien hingeben, wenn der eine Rede gehalten hat. Der war immer so kämpferisch und energisch, ein richtiger Machtmensch, ein Macher halt." "Ja, aber der Dan ist natürlich besser für die verstörte Seele unserer Partei. Allerdings weiß ich nicht, ob ich bei dem feucht werde." "Das wird in der Tat sehr schwierig. Klar, die Jungs mußten etwas unternehmen, so konnte es nun wirklich nicht weitergehen. Vielleicht war das wirklich der Befreiungsschlag, den unsere Partei unbedingt gebraucht hat, aber ob wir deswegen jetzt plötzlich wieder Wahlen gewinnen werden?" "Das kann ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen. Wir haben unsere Anhänger dermaßen vergrätzt, daß die nichts mehr von uns wissen wollen, was durchaus nachvollziehbar ist. Na ja, wir müssen halt in Zukunft versuchen, uns auf den Parteitagen den Dan schön zu saufen." "Das wird nicht leicht, aber irgendwie bekommen wir das schon hin. Hauptsache, die Basis ist erst mal befriedet." "Ganz genau. Aber mein Schräder-Poster lasse ich trotzdem hängen."

Ende Februar 2004: Beim Politischen Aschermittwoch, der vor allem in Bayern praktiziert wird, handelt es sich um eine Einrichtung allererster Güte, die dazu dient, die eigenen Anhänger so geschlossen wie möglich hinter sich zu scharen und lustvoll auf den politischen Gegner einzuschlagen. Besonders gern zelebriert ihn verständlicherweise die CSU, insbesondere dann, wenn sie nicht in Berlin an der Macht ist. "Die können es nicht, die müssen weg", lästerte Sträuber daher seit 1999 alljährlich über die rot-grüne Bundesregierung, allerdings war 2004 alles ein bißchen anders, denn draußen vor der Passauer Dreiländer-Halle demonstrierten wütende Polizisten gegen den bayerischen Ministerpräsidenten und seine aus ihrer Sicht ungerechte Sparpolitik. Öffentlicher Widerstand im Bayernland?

Drinnen wurde derweil gejohlt und gesoffen, Tausende CSU-Fans tummelten sich, um ihren Egmont schimpfen und loben sowie protzen und toben zu hören, doch da die CSU gerne Rekorde aufstellt, wurden mal wieder zu viele Karten ausgegeben, weshalb etliche der Zuhörer nicht wesentlich mehr Platz als eine Henne in einer Legebatterie zur Verfügung hatten. Der Vorteil dabei bestand darin, daß man auf die Art und Weise nicht so leicht umfallen konnte wie diverse Politiker nach Wahlen.

Bei der SPD war die Stimmung nicht so gut, außerdem gab es dort wie immer viel weniger Zuhörer, was auch, aber nicht nur mit dem für mehr Gäste nicht ausreichenden Platz zu tun hatte. Dort gab es mehrere Redner und als der neue bayerische SPD-Vorsitzende Ludger Riegler Sträuber mit "Ich grüße den Gruftenpfänder in Passau" einen Willkommensgruß entbot, kam Stimmung auf. Ein bayerisches Finanzamt hatte nämlich tatsächlich angedacht oder versucht gehabt, die Gruft des heiligen Hans Werner Braus zu pfänden, zumindest die Anteile, welche sein Sohn Mark Braus daran besaß. Ja, was war nur in die bayerischen Behörden gefahren, kannten die auf einmal überhaupt kein Pardon mehr und erst recht keinen Respekt vor ihrem, also der CSU ihren Übervater?

FDP, Grüne, Freie Wähler und ÖDP, außerdem Bayernpartei, Republikaner usw. hielten auch Veranstaltungen ab, doch bei ihnen tummelten sich weit weniger Leute als bei den großen Parteien. Die Massen zieht es nun mal gerne und fast immer dorthin, wo sich bereits eine Menschenmenge befindet, denn für die ist eine Ansammlung von Leuten bereits ein Qualitätsnachweis.

Wie auch immer, eine bemerkenswerte Randnotiz zum Politischen Aschermittwoch 2004 gab es dann doch noch: Erstmals nach mehr als 15 Jahren war der ehemalige CSU-Parteivorsitzende und ehemalige Bundesfinanzminister Leo Baigel nicht bei der Veranstaltung der CSU in Passau anwesend. Da man bekanntlich nicht nicht kommunizieren kann, war das eine deutliche Ansage, nicht umsonst galt Baigel als Sträuber-Gegner und das nicht ohne Grund, schließlich wäre er 1993 selber gerne bayerischer Ministerpräsident geworden, doch da seine privaten Verhältnisse öffentlich wurden und nicht der scheinheiligen Doppelmoral der CSU-Granden entsprochen hatten, gab es für ihn damals keine echte Chance.

11.03.2004: Genauso wie der Politische Aschermittwoch gehört auch das Politikerderblecken auf dem Nockherberg zu den Pflichtterminen für alle bayerischen Politiker. Dabei werden die meisten von ihnen dort ganz schön durch den Kakao gezogen, doch das macht ihnen wenig aus, denn es ist eine große Ehre, dort genannt und verarscht zu werden. So richtig sauer und enttäuscht sind eigentlich meistens nur diejenigen, die nicht erwähnt werden.

Zunächst hält ein meistens als Mönch verkleideter Kabarettist eine Rede, danach gibt es ein Singspiel, in dem Politiker-Doubles auftreten und ihre Doppelgänger lächerlich machen. Das Ganze erfreut sich allergrößter Beliebtheit.

Das Besondere an der Veranstaltung 2004 bestand darin, daß mit Kuno Monas ein neuer Redner gewonnen hatte werden können und daß kurz vor der Aufführung Vater (Präsident vom TSV 1860 München) und Sohn Mildwoser wegen Schmiergeldvorwürfen im Knast gelandet waren. Es gab also jede Menge Gesprächsstoff und durfte wie immer viel gelacht werden.

Selbstverständlich bekommt der jeweilige amtierende bayerische Ministerpräsident das meiste Fett ab, aber der darf dafür auch aus der ersten Starkbiermaß trinken. "Starkbierprobe" heißt das Ding nämlich eigentlich, die Paulaner-Brauerei lädt alle prominenten Politiker und sonstige Größen zum Freibier auf den Nockherberg ein und dort wird ihnen dann eingeschenkt. Selbstverständlich so, daß die Veräppelten nicht so verärgert werden, daß sie im Jahr darauf nicht mehr wiederkommen, man will es ja schließlich auch nicht zu weit treiben.

Mitte März 2004: Wieder zurück in die politische Realität, es ging im bayerischen Landtag mächtig zur Sache. In der CSU-Fraktion sprach man von einer "Lutinisierung der bayerischen Politik", weil nur noch oben bestimmt wurde, was die da unten, also die CSU-Abgeordneten im Landtag, dann abzunicken hatten. Dabei hätte die Aufgabe der CSU-Fraktion eigentlich darin bestanden, der Regierung auf die Finger zu schauen und notfalls auch zu hauen, aber in einer Führerpartei wie der CSU machte man schon immer das, was der Chef befahl.

Draußen vor den Toren des Landtags demonstrierten Tausende gegen den "Spar-Diktator", doch auch sie konnten, genauso wenig wie die Oppositionsparteien im Landtag, verhindern, daß Sträubers Sparpläne beschlossen und damit Gesetz wurden. Alle Anträge der Opposition wurden abgelehnt, so wie es in der CSU zu jener Zeit nun mal Usus war, doch so richtig glücklich waren die CSU-Abgeordneten nicht. Nichtsdestotrotz hatten sie mal wieder allen Zumutungen zugestimmt.

Sträuber und Zuber unterhielten sich über die Lage: "Merlin, wir müssen ein wenig aufpassen, sonst kommt es hier noch zu einer Meuterei. Die Leute draußen können demonstrieren soviel sie wollen, die tangieren mich nur peripher, aber wenn sich unsere Abgeordneten gegen uns auflehnen, dann ist alles zu spät", erläuterte Sträuber. "Aber Chef, da seien Sie mal ganz beruhigt. Die wissen doch auch alle, daß sie nur wegen Dir überhaupt im Landtag sitzen", erwiderte Zuber. "Mag sein, trotzdem traue ich dem Frieden nicht. Zweifellos sind unsere Sparvorhaben richtig und wichtig, aber ich brauche die Zustimmung von diesen Hanswursten aus der Fraktion, sonst können wir unseren Laden hier dichtmachen." "Keine Sorge, die werden sich schon zweimal überlegen, ob sie sich mit uns anlegen wollen. Schließlich sitzen wir am längeren Hebel." "Natürlich, das weiß ich doch auch, trotzdem. Es ist nicht gut, wenn es andauernd nur negative Schlagzeilen über uns gibt. Und den Spruch mit den Fröschen hättest Du Dir auch sparen können." "Aber Chef, der ist überhaupt nicht von mir, obwohl er natürlich hervorragend paßt." "Wie auch immer, ich habe zu arbeiten und deshalb kann ich mir keine Unruhe in der Fraktion leisten. Deswegen sagst jetzt halt erst mal, daß das Tempo der Reformen gedrosselt werden soll." "Echt, Chef?" "Nicht wirklich, aber wenn uns die Deppen das abnehmen, dann können wir in Ruhe weiter kürzen und reformieren." "Jawohl, Chef." "Sehr gut Merlin, Du bist halt doch mein Bester." Die Beiden grinsten erfreut.

Sobald die Regierungsparteien immer weiter in die Mitte rückten, entstand am rechten oder linken Rand ein Vakuum, das es zu füllen galt. Im Falle von Rot-Grün wurde links jede Menge Platz frei und dort formierte sich aus enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, die den Reformkurs der Regierung Schräder nicht mittragen wollten, eine neue politische Kraft. Über jene sprachen natürlich auch die beiden starken Männer der SPD.

"Bernd, was machen wir mit dieser neuen linken Partei, die sich jetzt bald gründet?" erkundigte sich Mützewirsing. "Na das ist doch ganz klar: Wenn geile Weiber drin sind, dann kopulieren, äh koalieren wir mit denen. Aber ich befürchte, daß sich darin wohl eher nur die ganzen Gewerkschaftstrullas mit ihren Doppelnamen tummeln werden. Von daher lieber ignorieren", erklärte Schräder. "Das sehe ich genauso. Aber die SPD-Mitglieder, die da mitmachen wollen, die müssen wir doch aus unserer Partei ausschließen, schließlich kann man ja nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen." "Also ich konnte das schon, aber Du hast natürlich völlig Recht. Du sag mal, darf ich Dich eigentlich auch "Mütze" nennen?" "Selbstverständlich … nicht. Für Dich bin und bleibe ich Kaiser Dan." "Ha ha, der war echt gut." "Das war kein Witz." "Ich verstehe. Na gut, dann wollen wir bloß hoffen, daß diese neuen Linken nicht den Afroträne als Spitzenkandidaten ausgraben und daß sie nicht auf die Idee kommen, mit der PDS zu fusionieren." "Allerdings, denn dann wären wir geliefert. Scheiß Gewerkschafter, das sind die wahren Verräter!"

21.März 2004: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, erst recht bei so einer Liebesheirat wie der zwischen der SPD und Dan Mützewirsing. Schade bei der ganzen Sache war nur, daß es Bundeskanzler Schräder erst jetzt gelang, seine Reformpolitik zu erklären und verständlich zu machen. Hätte er das schon eher ernsthaft versucht gehabt, dann hätte er womöglich die Partei innerlich befriedet und ihr Vorsitzender bleiben können. Früher war er bei seinen Parteitagsreden immer sehr verkrampft gewesen, weil er wußte, daß ihn viele SPD-Mitglieder mit Argwohn betrachteten, doch in der Stunde des Abschieds von dem Amt, das "Mütze" als "das schönste neben dem Papst" bezeichnet hatte, kam kurzzeitig sogar so etwas wie Wehmut auf. "Du wir können doch gute Freunde bleiben", schien die Losung des Tages zu lauten, obwohl es sich bei jener Ehe zwischen Schräder und der SPD im Jahre 1999 wohl eher um eine Zwangsheirat gehandelt hatte. Wie dem auch sei, die Parteimitglieder schöpften neuen Mut, denn sie liebten den Dan aus dem Sauerland, weil der einer von ihnen war und so kurze Sätze sprach, daß alle wußten was er meinte. Schräder würde also seine ganze Kraft auf das Amt des Bundeskanzlers konzentrieren und Mützewirsing hatte die undankbare Aufgabe übernommen, den unpopulären Reformkurs der eigenen Regierung den eigenen Parteimitgliedern verständlich zu machen. Kuno Monas hatte es auf dem Nockherberg so formuliert: "Der Schräder tut den Leuten weh und der Mützewirsing sagt: "Es tut weh"." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

13.06.2004: Wahltag ist Zahltag und Europawahltag war für die SPD meistens ein Qualtag. So auch in diesem Fall. Man wiederholte den Absturz, den man bereits in Bayern praktiziert hatte, verlor neun Prozentpunkte und landete bei 21,5 %. Die Union kam auf 44,5 %, die Grünen auf 11,9 Prozent, die FDP und die PDS erreichten jeweils 6,1 Prozent der Wählerstimmen. Wahlbeteiligung: 45,5 %.

Mal wieder ein Desaster für die Sozialdemokraten und auch die Landtagswahl in Thüringen brachte keinen Grund zur Freude. Von einem sehr niedrigen Niveau gestartet, verlor man noch mal und landete bei 15 Prozent, also schlimmer ging es eigentlich nimmer. Das Blöde daran war halt, daß man wußte, daß es an der eigenen Regierung lag, denn die Oppositionsparteien wurden nie gewählt, weil sie so toll waren, sondern da die Menschen mit der aktuellen Regierung unzufrieden waren. Nun ja, irgendwann gab es schließlich immer ein Licht oder zumindest Ende des Tunnels, von daher machte man weiter, es blieb einem auch gar nichts Anderes übrig. Der erhoffte "Mütze-Effekt" war erst mal ausgeblieben, andererseits hatte man in Thüringen vorher auch nicht mitregiert gehabt, von daher hielt sich die Enttäuschung in Grenzen, die Begeisterung allerdings erst recht.

20.07.2004: Ach ja, die Bayern. Irgendwie waren und sind sie schon ein besonderes Völkchen, deshalb verwundert es auch nicht wirklich, daß dort eine ganz spezielle Partei ihr Unwesen treibt. Andererseits überrascht es auch nicht, wenn herauskommt, daß die Tochter von Hans Werner Braus, die nur zu gerne ihrem verstorbenen Vater irgendwann im Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten nachfolgen würde, parteiinternen Kritikern droht, indem sie einen grünen oder blauen Plastikordner oder Schnellhefter präsentiert und dazu meint: "So, gegen jeden von Euch gibt es was." Da hat das Töchterchen einfach gut vom Papa gelernt, der ja schon früh wußte und erfahren hat, daß die größten Feinde oft die eigenen Parteifreunde sein können. Wenigstens ließen sich die Erpreßten das nicht bieten und jetzt durfte die Mari den Münchner CSU-Bezirksvorsitz abgeben. Dabei hatte der von ihr protegierte Johannes Raedke, der für etliche Manipulationen innerhalb der Münchner CSU verantwortlich gewesen sein soll, schon davon geträumt gehabt, eines Tages als Staatskanzleichef zu fungieren, unter der tollen Marina Kohlfeier als Ministerpräsidentin. Manche Träume werden glücklicherweise niemals wahr.

Andererseits sollte man an dieser Stelle durchaus eindringlich darauf hinweisen, daß es innerhalb von Parteien durchaus üblich ist, Wissen über Parteifreunde zu nutzen, nicht umsonst lautet der Spruch ja: Wissen ist Macht. Andererseits steht auch fest, daß die Familie Braus schon seit jeher mit allen Wassern gewaschen war und daß sich insbesondere der großartige HWB nicht nur um den Freistaat Bayern, sondern auch ganz besonders um sein eigenes Privatvermögen verdient gemacht hat. Was also bleibt? Die Hoffnung auf ruhigere Zeiten in Münchens CSU.

10.08.2004: Nun gab es also auch noch Massendemonstrationen gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung! Vor allem im Osten Deutschland schlugen die Wellen der Empörung hoch, denn dort waren sehr viele von der geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe betroffen. Die Demonstranten hofften, ähnlich wie 1989, durch Protest einen Wandel herbeizuführen, doch Bundeskanzler Schräder zeigte sich sowohl unbeeindruckt als auch unnachgiebig und hielt den Protesten stand. Das gelang ihm unter Anderem deshalb, weil er von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt war.

Dort, wo es Menschenmassen gab, waren bekanntlich auch die Populisten nicht weit und der begnadetste unter ihnen, Oswald Afroträne, nutzte die Gunst der Stunde und stellte sich an die Spitze der Bewegung, indem er sogar Bernhard Schräders Rücktritt als Bundeskanzler forderte. Das war mehr als eine bloße Majestätsbeleidigung, schließlich befand sich Afro immer noch als Mitglied in der SPD und unterstützte außerdem seine Saarländer Genossen im Wahlkampf. Nun ja, es ging also ziemlich zur Sache und die linke Protestpartei im Westen, deren Bildung immer näher rückte, wurde zusehends konkreter. Würde sich der rote Oswald dazu herablassen, mit jener gemeinsam in die Schlacht zu ziehen, oder war er sich dafür zu fein? Man wußte es nicht genau, deshalb durfte fleißig spekuliert werden.

19.09.2004: Es hatten mal wieder Landtagswahlen stattgefunden, ausgerechnet im Osten, wo es der SPD eh schon durchs Dach hinein regnete. Aber die Sozialdemokraten bewiesen, daß man mit einem beliebten Spitzenkandidaten die eigenen Verluste in Grenzen halten konnte und so blieb die SPD in Brandenburg stärkste Partei, wenngleich sie auch dort kräftig Federn lassen hatte müssen. Noch schlimmer erging es der CDU in Sachsen, welche auf einmal dazu gezwungen war, mit der SPD, die nicht einmal mehr zehn Prozent der Stimmen dort erreicht hatte, eine Koalition zu bilden. Stark abgeschnitten hatten in beiden Ländern auf der einen Seite die PDS und auf der anderen Seite die Rechtsextremen. Beinahe wäre in Sachsen die NPD so stark wie die SPD geworden, das sagte schon so einiges. Die Wahlbeteiligung ließ natürlich auch, so wie fast immer, zu wünschen übrig, aber irgendwie waren die Volksparteien nichtsdestotrotz sehr erleichtert darüber, nicht noch stärker abgestraft worden zu sein. Ja, die Wählerinnen und Wähler im Osten blieben eben unberechenbar und waren immer für eine Überraschung gut.

Festerbelle fand das alles weniger schön und redete darüber mit Müderle. "Einer geht noch, Brüderchen." "Aber mit Wonne zur Sonne, Festerbelle." Sie tranken ihren Schnaps und lachten. "Diese vermaledeiten Grünen! Diese Müslifresser können einem aber auch wirklich alles verderben! Wegen denen können wir jetzt nicht in Sachsen mit der CDU regieren!" schimpfte Guildo ohne Horn. "Dabei hätten wir so einen Erfolg dringend gebrauchen können. Wie stehen wir denn jetzt da? Die CDU koaliert mit der SPD und wir sind auch noch hinter der NPD gelandet", konstatierte der Weinköniginnenknutscher. "Dabei war es doch eigentlich immer unsere Domäne gewesen, genau 5,1 Prozent der Wählerstimmen zu erreichen und damit gerade so in die Landtage einzuziehen." "Ja, jetzt haben die das auch noch von uns geklaut. Und die blöde CDU wird ebenfalls immer schwächer; wenn das so weitergeht, dann wird das 2006 wieder nichts mit einer schwarz-gelben Bundesregierung." "Keine Sorge, das wuppen wir schon irgendwie. Deutschland braucht uns, denn die Deutschen wollen mal so richtig durchreformiert werden und zwar von hinten." "Wie meinst Du das, mein warmer Bruder?" "Der Stillstand tut dem Land nicht gut. Deutschland und seine Bevölkerung brauchen politisch betrachtet einen Arschfick, um endlich mal wieder auf die Beine zu kommen und anzupacken. Wirtschaftswachstum ist das Ein und Alles, aber das bekommen wir nur, wenn wir die Leute aus ihrer Lethargie reißen." "Na ja, mag sein, daß einigen ein bißchen Feuer unter dem wohlgenährten Hinterteil ganz gut tun würde, aber wir dürfen auch nicht zu radikal werden, sonst machen die Menschen im Land nicht mit." "Ach was! Selbst die CDU ist seit ihrem Leipziger Parteitag auf dem richtigen Weg. Reformen, Durchregieren und raus aus der Krise, so lautet die Devise." "Du bist wirklich immer für einen guten Spruch zu haben, Guildolein." "Aber selbstverständlich und das schätze ich auch so an mir. Habe ich heute eigentlich schon Neuwahlen gefordert?" "Nicht daß ich wüßte." "Gut, dann mache ich das jetzt noch schnell, damit ich das auch wieder erledigt habe, sonst fehlt mir was. Ein Tag, an dem ich keine Neuwahlen in Deutschland fordere, ist nämlich ein verlorener Tag", behauptete Dr. Guildo, der Arzt, dem die Männer vertrauten und stellte sich daraufhin ein weiteres Mal vor eine Kamera, um seine Parolen unter das Volk zu bringen.

Mitte Oktober 2004: Ein Paukenschlag aus der Union! (Stören-Fried)bert Nerz schmiß hin; er wollte sich nicht länger von Gerkel und Feehoffer mobben lassen, weshalb er seine CDU-Führungsämter aufgab. Erst einmal großes Erstaunen und bei manchen auch leichtes Entsetzen. Dabei waren Andrea und Friedberg immer so reformgeil gewesen, sie hatten sich aneinander berauscht, vor allem natürlich an ihren Ideen, wie sie Deutschland vorwärts bringen konnten. Nun sollte das alles mit einem Mal vorbei sein? Gab es denn keinen christdemokratischen Gott, der solche Tragödien verhinderte? In der CSU hielt sich die Trauer in Grenzen. Zwar schätzte man den Kollegen Nerz durchaus wegen seiner fachlichen Kompetenz, aber die soziale Kälte, die da immer aus dem Norden strömte, behagte den Christsozialen nicht wirklich. Wieder einer weniger, ein weiterer Aufrechter, den die harmlos scheinende, brutale Andrea über die Klinge springen hatte lassen. Ja, das Leben in der CDU war kein Ponyhof, dabei hätte man den Friedbert doch noch so sehr gebrauchen können, aber nun war er weg, weg und sie war wieder allein, allein.

Derweil befand sich ein weiterer ehemaliger Würdenträger der CDU vor Gericht und das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, welche sich jedoch nur dem Sachkundigen erschloß. Alfred Panther, deutscher Innenminister von 1993 bis 1998, welcher sich einst als "Schwarzer Sheriff" einen Namen gemacht hatte, mußte sich verteidigen. Das war für einen wie ihn als gelernten Rechtsanwalt natürlich überhaupt kein Problem, aber weil es vor dem Gericht eine Anwaltspflicht gab, mußte er so einen Jungspund neben sich sitzen lassen, der zwar nichts zu sagen und zu fragen hatte, aber halt da zu sein hatte. Als Generalsekretär der hessischen CDU soll Panther mit zwei Mitstreitern 21 Millionen D-Mark in die Schweiz geschafft haben. Das alles wollte auch niemand bestreiten, doch als Straftat sahen es die Angeklagten nicht an, da sie ihrer hessischen CDU immer Geld zukommen ließen, wenn die eins brauchte. Es ging schließlich darum, die Kampagnenfähigkeit der eigenen Partei aufrechtzuerhalten und wenn man das Geld in Deutschland gelassen hätte, dann hätte man nach den damals neuen Gesetzen die Spender offenbaren müssen, was zur Folge gehabt hätte, daß niemand mehr der hessischen CDU Geld gegeben hätte. So redeten sich die Angeklagten heraus und Panther machte das, was er am besten konnte: Er präsentierte sich als Hüter von Recht und Ordnung, der immer nur das Beste für sein Land und seine Partei gewollt hatte. Was für ein aufrechter Kämpfer! So jemanden durfte man einfach nicht verurteilen!

19.11.2004: Schön langsam wurde es ungemütlich in der Union. Zwar hatten sich die Parteispitzen auf einen "Gesundheitskompromiß" geeinigt gehabt, doch weil den der für die CSU zuständige Sozialpolitiker und Gesundheitspolitikfachmann Torsten Feehoffer als "ungerecht" brandmarkte und demzufolge ablehnte, hatte man ihn über die Klinge springen lassen und ihm die Zuständigkeit für die Gesundheitspolitik kurzerhand entzogen. Auf dem CSU-Parteitag war die Stimmung deswegen leicht gedrückt, denn in der Partei sympathisierten viele mit Feehoffer und seiner Kritik. Nichtsdestotrotz setzte sich die Parteispitze bei der Abstimmung, so wie eigentlich immer, selbstverständlich durch und da Feehoffer auf dem Parteitag nicht aufgetreten war, weil er erst gar nicht antanzen hatte wollen, gab es zwar ein deutlich vernehmbares Grummeln bei der Basis, aber einen Aufstand wagte natürlich mal wieder niemand. Sträuber war zufrieden, er hatte für Ruhe in der Union gesorgt und konnte sich seiner Sache wieder recht sicher fühlen.

Ende November 2004: Wenn da eben nicht noch eine andere Baustelle gewesen wäre, die ständig Probleme sowie Ärger verursachte. Bei jener handelte es sich um die bayerische Kultusministerin Marina Kohlfeier, die es mittlerweile geschafft hatte, sich bei allen irgendwie an der Schulpolitik Beteiligten unbeliebt zu machen, was ja an und für sich auch schon eine durchaus beachtliche Leistung darstellt. Außerdem hing ihr immer noch der Stimmenkaufskandal der Münchner CSU wie ein Klotz am Bein und den wurde sie so schnell nicht los. Einer Braus-Tochter wurde schließlich alles Mögliche und Unmögliche zugetraut, deshalb hieß es nun plötzlich auch, zwei der Mitwisser, die sie belasten hätten können, wären mit Jobversprechen ruhig gestellt worden. Was wirklich dahintersteckte wird man wie so oft wohl nie erfahren, fest stand jedenfalls, daß es für die Mari immer enger wurde, denn die Unzufriedenheit mit ihr sowie ihrer Arbeit wuchs und aus der ehemaligen Retterin der Münchner CSU war inzwischen eine selbst schwer gebeutelte, angeschlagene Ministerin geworden, die immer mehr zu einer Belastung für das Kabinett und die ganze CSU mutierte. Was hätte Hans Werner Braus wohl dazu gesagt? Vermutlich alle Journalisten und Kritiker übelst beschimpft und so getan, als wäre seine Tochter das Opfer der Medien, mit der Wahrheit nahm man es im Hause Braus ja nie so genau, von daher war es wohl besser, daß der Alte das nicht mehr erleben mußte.

07.12.2004: Das Jahr ging dem Ende entgegen und in der Union herrschten auf einmal Friede, Freude und Eierkuchen. Man war stolz auf sich und Deutschland, nur nicht auf die Bundesregierung, aber alle Unklarheiten und Differenzen waren ausgeräumt worden, man verstand sich wieder prächtig miteinander, die Störenfriede Nerz und Feehoffer waren abgetreten, beziehungsweise zurechtgestutzt worden und so etwas wie vorweihnachtlicher Friede legte sich über die Gemüter. Man bejubelte sich selbst, lobte die eigene Arbeit sowie die tollen Wahlerfolge und beschwor die Geschlossenheit der Union, was im Grunde nichts Anderes bedeutete, als daß die Kritiker endlich die Klappe halten sollten, um den angestrebten Wahlsieg 2006 nicht zu gefährden.

Nur ein Mann fühlte sich nicht sonderlich wohl und war auch nicht gerade glücklich. Herwig-Joachim Karenz hieß der Gute, war Sozialpolitiker der CDU in Nordrhein-Westfalen und wäre gerne wieder ins Präsidium der Partei gewählt worden. Aber er bekam nur 33,8 % der abgegebenen Stimmen, 50,1 Prozent hätten es allerdings schon sein müssen, damit er sein Ziel erreicht hätte. Warum wurde der nette Mann denn so abgestraft? Ganz einfach: Es war wenige Tage vorher bekannt geworden, daß der Schlaukopf 60000 Euro im Jahr und kostenlosen Strom von einer RWE-Tochter bekam und das ohne dafür eine sichtbare Leistung zu erbringen. Das roch schon ein bißchen stark nach Vetternwirtschaft sowie Korruption und war der CDU, insbesondere der nordrhein-westfälischen, welche sich immer lautstark gegen den Filz gewandt hatte, ziemlich peinlich. Na ja, der Mann wird seine Enttäuschung schon überwinden, schließlich bekommt er ja vom Stromriesen Schmerzensgeld und die ständigen Strompreiserhöhungen können ihm auch nichts anhaben.

Ende 2004: Zeit für einen Rückblick, mit Korn, aber ohne Zorn? Nun ja, Schräder und die SPD hatten sich gefangen, in der Wirtschaft würde es heißen, es war ihnen gelungen, sich zu konsolidieren und das war durchaus überraschend, denn die Massenproteste gegen die Agenda 2010 waren noch gar nicht so lange her gewesen. Mittlerweile hatte die Standfestigkeit des Bundeskanzlers für Respekt gesorgt und da sich zeitgleich CDU und CSU wegen der Kopfpauschale monatelang gestritten hatten, strahlte Schräders Schein noch heller als ohnehin. Plötzlich war Rot-Grün in den Umfragen vor Schwarz-Gelb, was nun wirklich fast niemand für möglich gehalten hatte. Aber über dem Berg war die SPD deswegen noch lange nicht, man betrachte da nur die Wahlergebnisse des Jahres 2004:

In Hamburg konnte Uli von Zeust nun mit seiner CDU allein regieren, denn außer seiner Partei hatten es nur die SPD und die Grünen in den Senat geschafft gehabt. In Thüringen freute sich die CDU mit ihrem Ministerpräsidenten Peter Kalthaus über fünf weitere Jahre Alleinherrschaft, denn dort waren neben ihr nur die PDS und die SPD im Landtag gelandet. Die Europawahl hatten wir schon besprochen, im Saarland blieb Dieter Füller mit seiner CDU weiterhin allein an der Macht, auch wenn neben der SPD sowohl die Grünen als auch die FDP (mit sensationellen 5,2 %!) den Einzug ins Parlament geschafft hatten. Sachsen und Brandenburg hatten wir ebenfalls bereits erwähnt, die Kommunalwahlen in NRW gewann die CDU, auch wenn sie deutlich an Stimmen verloren hatte. Was also blieb zusammenfassend zu konstatieren? Es schien wieder aufwärts zu gehen mit den Sozis, das Schlimmste schienen sie hinter sich zu haben, aber so richtig daran glauben, konnten und wollten sie wohl selbst noch nicht. Kein Wunder, denn wenn man jahrelang beschimpft worden ist, dann bleibt man erst mal vorsichtig und nur weil es mal zu regnen aufgehört hat, heißt das noch lange nicht, daß gleich die Sonne scheint.

Zwei Nachträge galt es noch anzubringen. Mit den Stimmen von CDU, CSU und FDP wurde Thorsten Nöler im Mai 2004 zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Außerdem sorgte im Laufe des Jahres, also irgendwann im Sommer, Egmont Sträuber für Schlagzeilen. Eigentlich hatte er nur gesagt gehabt, man dürfe Schräder und Mischer mit ihrer langjährigen Regierungserfahrung nicht unterschätzen, das seien "keine Leichtmatrosen". Daraus machten die Medien natürlich sofort, Sträuber hätte Gerkel und Festerbelle als "Leichtmatrosen" bezeichnet. Möge sich dazu jede/r selbst ein Urteil bilden, damit endet die Betrachtung jenes Jahres endlich.

20.02.2005: Ein neues Jahr begann, aber wie! Ende 2004 hatte es eine große Katastrophe in Südostasien gegeben, ein Tsunami hatte dort für viele Tote und eine unglaubliche Zerstörung gesorgt. Die Deutschen spendeten fleißig, um etwas zum Wiederaufbau dort beizutragen und so wie immer bei Krisen, profitierte zunächst die Bundesregierung in den Meinungsumfragen von jenem Ereignis, denn sie konnte handeln, indem sie Gelder für die Opfer und Geschädigten bereitstellte. Sogar das Lied "Perfekte Welle" von "Juli" wurde aus den Musikprogrammen der Radiosender genommen, weil es in dem Zusammenhang irgendwie zynisch erschien. Na ja, jedenfalls wartete das politische Deutschland ganz gespannt auf die Landtagswahl in Schleswig-Holstein, denn jene würde zeigen, ob Rot-Grün noch eine Chance hatte, oder ob schon alle Zeichen auf Schwarz-Gelb standen. Das Wahlergebnis vom 20.Februar 2005 zeigte Folgendes: Weder noch. Zwar lag die CDU eineinhalb Prozentpunkte vor der SPD und die FDP hatte einen Vorsprung von knapp einem halben Prozent auf die Grünen, aber da der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der als Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit im Land von der Fünf-Prozent-Hürde befreit war, mit 3,6 % der Wählerstimmen ebenfalls in den Landtag eingezogen war, reichte es für Schwarz-Gelb um Haaresbreite nicht. Heike Bisonis war nach 12 Jahren an der Spitze der Landesregierung zwar enttäuscht darüber, daß ihre SPD mit den Grünen keine Mehrheit erreicht hatte, dennoch wollte sie die Gunst der Stunde nutzen, den SSW mit ins Regierungsboot holen und so an der Macht bleiben. Das fand Peer Larry Garstensen, ein Bär von einem Mann und der Spitzenkandidat der CDU, überhaupt nicht lustig, aber er konnte es auch nicht verhindern. Wieder mal hatte die FDP enttäuscht und nicht die anvisierten Prozente an Wählerstimmen erreicht gehabt. Es war ein langer Wahlabend in Kiel gewesen und es hatte lange Zeit so ausgesehen gehabt, als würde es für CDU und FDP reichen, doch wer mit Carstensen als Regierungschef eingeschlafen war, erwachte am nächsten Morgen mit Heike Bisonis als Ministerpräsidentin. Auf dem Land war Schwarz-Gelb klar bevorzugt worden, doch in den Städten hatte Rot-Grün die Nase vorn. So hing also alles vom kleinen SSW ab, der politisch wesentlich näher bei Rot-Grün stand und deshalb das Bündnis mit jenen beiden Parteien wagen wollte.

In Berlin freute sich CDU-Chefin Gerkel über einen gefühlten Wahlsieg, sie verspürte Rückenwind für sich und ihre Partei, doch auch die anderen Parteien waren nicht gerade unzufrieden, von der FDP mal abgesehen. Die SPD hatte weitaus Schlimmeres befürchtet gehabt, schließlich gab es in Deutschland aufgrund der neuen Zählweise plötzlich über fünf Millionen Arbeitslose und das war natürlich ein Pfund, mit dem man nur sehr schwer wuchern konnte. Hinzu kam die Visa-Affäre, welche vor allem die Grünen mit ihrem Außenminister Mischer sehr beschäftigte und auch nicht gerade zur Mobilisierung der eigenen Klientel beigetragen hatte. Alles in allem war das ganze Spiel irgendwie Unentschieden ausgegangen, wenngleich sich Heike Bisonis an ihren Stuhl klammerte, denn Macht macht süchtig.

Mitte März 2005: Erst gab es eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers, dann ein Gipfeltreffen mit den Spitzen der Union, doch zur selben Zeit fand in Kiel ein Drama statt, das seinesgleichen suchte. Schräder versprach Steuersenkungen für Unternehmen, wollte den Mittelstand entlasten und war auf das Gesprächsangebot der Oppositionsführer eingegangen, Deutschland mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung weiterzuhelfen. Es ging also schon alles in Richtung Große Koalition, was nicht weiter verwunderte, denn die Grünen waren mit sich selbst, also der Visa-Affäre, beschäftigt und im Bundesrat hatten ohnehin CDU/CSU das Sagen. Von daher machte es durchaus Sinn, sich zum "Job-Gipfel" zu treffen.

Derweil nahm die Katastrophe in Schleswig-Holstein ihren Lauf. Heike Bisonis und Peer Larry Garstensen hatten sich als zu wählende Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufstellen lassen. 35 Stimmen waren im ersten Wahlgang erforderlich, das Duell endete 34 zu 33 für Bisonis. In den drei weiteren Wahlgängen endete das Duell der Beiden jeweils 34:34, wobei sowohl Bisonis als auch Garstensen im dritten und vierten Wahlgang die einfache Mehrheit der Stimmen, also bereits ein 34:33 gereicht hätte. Danach war Schluß mit lustig, die CDU-Vertreter freuten sich ausgelassen und bei der gescheiterten "Dänen-Ampel" herrschte Grabesstimmung. Damit war "Pattex-Heike", wie sie fortan in den Medien genannt werden sollte, weg vom Fenster, was viele Außenstehende durchaus mit Schadenfreude bedachten, denn letzten Endes hatte sie sich genauso an ihren Stuhl und die damit verbundene Macht geklammert wie die Herren Wiedenkopf und Träufel, für die sie immer nur Spott übrig gehabt hatte. Trotz allem trieb die Möchtegernkoalitionäre fortan die Frage um: Wer hat uns verraten? Für die Grünen sowie den SSW stand die Antwort recht schnell fest: Sozialdemokraten. Zumindest eine oder einer von denen. Es wurde viel spekuliert, doch man kann ziemlich sicher davon ausgehen, daß das Ganze von der CDU eingefädelt worden war. Sie hatte vermutlich einen SPD-Abgeordneten, welcher Bisonis eher nicht wohlwollend gegenüberstand, bestochen und sich damit die Gewißheit gesichert, daß es höchstwahrscheinlich eine Große Koalition unter der Führung von Garstensen geben würde. Allein die Tatsache, daß die erste Abstimmung 34:33 für Bisonis endete, läßt eindeutig darauf schließen, daß das so abgemacht war, um die Ministerpräsidentin in die Falle laufen zu lassen. Schließlich konnte sie ja darauf hoffen, im dritten oder vierten Wahlgang mit 34:33 die Abstimmung zu gewinnen und so im Amt zu bleiben. Dabei hatte einer aus der CDU oder der FDP nur im ersten Wahlgang absichtlich nicht für Garstensen gestimmt, damit die Anderen glaubten, sie hätten noch eine Chance. Die CDU hatte Bisonis blamieren wollen und das war ihr gelungen. Wie viel sie dafür bezahlt hat, wird vielleicht irgendwann mal rauskommen, aber da solche Geschichten im politischen Geschäft leider an der Tagesordnung waren, man erinnere sich nur an das Geschmiere 1972, sollte man es auch nicht zu hoch hängen.

18.03.2004: "Heike Bisonis gibt auf", lautete die Schlagzeile der SZ. Was blieb ihr auch Anderes übrig? Schließlich wußte sie nun, daß es da eine Person gab, welche ihre Macht genutzt hatte, um sie als Ministerpräsidentin zu verhindern, von daher gab es nur noch die Möglichkeit des Rückzugs. Wir aber hören uns derweil ein Gespräch von Bundeskanzler Schräder und Außenminister Mischer an. "Hast Du gesehen, wie interessiert sich die Gerkel in meinem Büro umgeschaut hat? Die glaubt wohl, daß sie dort schon bald sitzen wird", erwähnte Bernd. "Na ja, immer noch besser als der Sträuber. Aber sag mal, Bernd, was habt Ihr Euch denn da in Schleswig-Holstein geleistet? Also das geht ja nun mal gar nicht", kritisierte Mischer. "Hör mir bloß mit den Pappnasen dort oben auf! Die sind so was von unfähig, das hält man doch im Kopf nicht aus. Wenn ich daran denke, wie oft es uns hier gelungen ist, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, obwohl wir auch mehr als wackelige Mehrheiten hatten, dann merkt man sofort, was das dort oben für Amateure sind." "Oder eben Profis. Die Sache stinkt gewaltig und ich glaube, genauso wie Euer Finanzminister Gegner, daß dort bestochen worden ist." "Und wenn schon? Was wäre das für ein ehrloser Sozialdemokrat, der sich von den Schwarzen schmieren ließe?" "Vielleicht einer, der noch eine Rechnung mit der Heike offen hatte." "Kann schon sein, ich fand sie ja auch manchmal ziemlich anstrengend, aber so einen Abgang hat sie wirklich nicht verdient. Was ist jetzt mit Eurer Visa-Geschichte?" "Na ja, die Aufregung wird sich hoffentlich legen." "Das möchte ich auch ganz stark hoffen, denn wenn wir die Wahlen in NRW verlieren, dann ist Schicht im Schacht." "Wie meinst Du das, Bernd? "Ja glaubst Du etwa, daß ich und der Mütze dann noch den Laden hier zusammenhalten können?" "Aber wenn Ihr in Schleswig-Holstein mit der CDU eine Große Koalition macht, dann kann doch Schwarz-Gelb in NRW gewinnen und hat trotzdem keine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat." "Mag sein, aber wenn uns unser Stammland flöten geht, dann wird es ungemütlich im Bundestag, denn dann tanzen unsere linken Mäuse wieder auf dem Tisch und fordern mehr sozialdemokratisches Programm oder solche Scherze." "Ach du Schande, das würde uns ja gerade noch fehlen." "Allerdings. Deshalb sieh zu, daß diese Visa-Sache endlich in Ordnung kommt!"

11.04.2005: "Wahlkampfendspurt in Nordrhein-Westfalen: Verzagte Rote, euphorische Schwarze", hieß es sechs Wochen vor den Landtagswahlen in NRW in der Süddeutschen Zeitung. Die Meinungsumfragen waren mehr als deutlich: Schwarz-Gelb lag überaus komfortabel vor Rot-Grün und im Grunde wußten alle, was die Stunde geschlagen hatte. Ministerpräsident Seinglück von der SPD versuchte zwar noch, in die Offensive zu kommen, indem er bemerkte, er könne sich auch andere Regierungspartner als die Grünen vorstellen, doch erstens wußte man das schon von ihm und zweitens würde er mit jener Aussage das Ruder auch nicht mehr herumreißen können. Alle warteten gebannt und gespannt auf den 22.Mai, an dem die für den Bund vorentscheidende Wahl stattfinden sollte. Noch einmal hatten alle Parteien sämtliche Register gezogen gehabt und alles an Bundesprominenz aufgeboten, was sie in ihren Reihen vorzuweisen hatten. Doch nicht einmal das Staraufgebot der SPD konnte die enttäuschten Wähler der Sozialdemokraten mobilisieren, ganz im Gegenteil. Nachdem sie sich Schräder und Seinglück angehört hatten, gingen die meisten Anhänger nach Hause, obwohl doch auch noch Parteichef Mützewirsing sprechen sollte. Würde es nach fast vier Jahrzehnten SPD-Herrschaft im bevölkerungsreichsten Bundesland einen Regierungswechsel geben oder gab es für die vermeintlichen Verlierer noch Hoffnung auf ein Wunder?

Mitte April 2005: "Frust über Dan" in der SPD. Nach einem Jahr an der Spitze der Partei war die Euphorie längst gewichen. Zum Einen hatte auch "Mütze" den Absturz der SPD in der Wählergunst nicht aufhalten können und zum Anderen hatte er sich mit einigen autistisch anmutenden Entscheidungen, welche die Fraktion dann nur noch abnicken sollte, bei den eigenen Leuten unbeliebt gemacht. Nun stand die Ernennung des neuen Wehrbeauftragten an und in der SPD fürchtete man einen Denkzettel für den Dan, denn dafür war die Kanzlermehrheit nötig und das Gegrummel in der Partei war schon deutlich vernehmbar. Man wollte schließlich mitbestimmen und mitreden, nicht nur als Stimmvieh ge- und mißbraucht werden, sonst hätte man ja gleich in die CDU oder in die CSU eintreten können. Wenn man sich all das vor Augen führte, dann wurde einem vielleicht klar, warum Mützewirsing ausgerechnet jetzt einen Nebenkriegsschauplatz eröffnete, mit dem er die eigenen Reihen zu schließen versuchte. Die "Heuschrecken-Debatte" war geboren, "Mütze" kritisierte global operierende Unternehmen, welche in Deutschland Leute beschäftigten und fette Gewinne machten, allerdings keine Steuern zahlten und so wie Heuschrecken über den Planeten zogen, Menschen sowie Maschinen ausbeuteten, aber keinen Beitrag für das Wohl der Allgemeinheit leisteten. Die Linken in der SPD waren begeistert, die FDP sowie die Wirtschaft waren angesäuert, doch dem Dan war es wieder mal gelungen, ein Thema zu setzen und zu besetzen, mit dem er natürlich auch hoffte, die SPD-Anhänger in Nordrhein-Westfalen dazu motivieren zu können, zur Landtagswahl am 22.05. zu gehen und dort, so wie früher immer, für die SPD zu stimmen.

Für ihn ging alles gut aus, der Wehrbeauftragte wurde gewählt und konnte sich ins Amt robben, die Weltuntergangsszenarien, welche die Opposition bereits für Rot-Grün gesponnen hatte, erwiesen sich zunächst als Wunschträume und Rot-Grün hatte sich noch einmal eine Verschnaufpause verschafft, vielleicht die letzte.

Für eine andere Politikerin sah es derweil überhaupt nicht mehr gut aus, weshalb sich Marina Kohlfeier mit ihrem ehemaligen Vertrauten Johannes Raedke unterhielt. "Ihr seid doch wirklich zu allem zu blöd! Erst fliegen Eure dilettantischen Fälschungen auf und jetzt konntet Ihr nicht mal diesem Verräter Bunker das Maul stopfen!" schimpfte Mari. "Du, dafür kann ich nun wirklich nichts. Ich habe andauernd bei dem angerufen und ausrichten lassen, daß er die Klappe halten soll", verteidigte sich der Angegriffene. "Aber wie stehe ich denn jetzt da? Mein Job ist in Gefahr." "Und was soll ich da erst sagen? Außerdem war das Ganze schließlich Deine Idee gewesen. Du wolltest ja unbedingt bayerische Ministerpräsidentin werden." "Und das völlig zurecht. Als Tochter des Königs von Bayern stand mir diese Aufgabe nämlich zu. Ich hätte mich nie mit Euch Amateurfälschern einlassen, sondern mich statt dessen an Profis wenden sollen. Ihr mit Eurer kleinkriminellen Energie wart für so eine große Aufgabe einfach nicht geeignet." "Aber am Anfang hat es doch immer gut funktioniert mit den Mitgliederkäufen und den dadurch manipulierten Abstimmungen." "Ja, aber Ihr habt trotzdem viel zu viele Fehler gemacht, sonst würde das alles ja jetzt nicht in der Zeitung stehen. Nur gut, daß mich der Sträuber nicht entlassen kann, weil ich viel zu viel über seine Vergangenheit weiß." "Na also, wieso regst Du Dich denn dann so auf?" "Weil der Plan nicht funktioniert hat. Ihr Vollidioten hättet das alles konspirativ durchziehen sollen und nicht den unterlegenen Kontrahenten stecken dürfen, was Ihr da veranstaltet habt. Kein Wunder, daß die Euch dann bei der Staatsanwaltschaft angezeigt haben." "Und wenn schon? Dein Vater hatte keine Angst vor bayerischen Staatsanwälten." "Ja, weil er die alle im Griff hatte und einfach versetzen ließ, wenn sie nervig wurden. Aber heutzutage geht das leider nicht mehr so einfach. Wie dem auch sei, jetzt gelte ich plötzlich als Drahtzieherin und stehe allein im Regen." "Jeder bekommt was er verdient." "Dabei habe ich doch so großartig gelogen, genau wie ich es von meinem Papa gelernt hatte." "Na ja, wir haben es wenigstens versucht." "Scheitern als Chance, oder wie? Aber nicht mit mir. Erst galt ich nur als Mitwisserin und jetzt sieht es so aus, als würde ich im selben Sumpf wie Ihr versinken." "Und das ist auch gut so, schließlich war das Ganze Deine Idee gewesen. Sogar der Sträuber hat uns damals gelobt. "Hund seid’s scho", hat er zu uns gesagt, aber das streitet er jetzt natürlich auch ab." "Ja, am Teflon-Egi bleibt leider nie etwas hängen. Na ja, vielleicht hält mich mein Wissen über ihn ja im Amt."

"Kohlfeier tritt zurück", hieß es in der Zeitung, doch das konnte man so und so verstehen. "- und will sich wehren", hieß es zusätzlich noch, damit waren jegliche Zweifel ausgeräumt und alle wußten, was Sache war. Sie blieb bei ihrer Version, mein Name ist Marina, ich wußte von nichts, doch die Anschuldigungen im Untersuchungsausschuß konnte auch sie nicht länger ignorieren. Schaden von der Partei wolle sie abwenden, hieß es, wie edel, nobel, hilfreich und gut sie doch war. Wer weiß, vielleicht täuschten sich fast alle in dem Menschen Marina Kohlfeier und sie war tatsächlich in eine Falle gelockt worden. Oder die Kritiker, Gegner und Konkurrenten hatten eben doch Recht und sie war ein verlogenes Luder, dem es nur um die Macht ging. Womöglich und höchstwahrscheinlich lag die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen, also vermutlich in der goldenen Mitte. Egal, Fakt war jedenfalls, daß die Familie Braus von jenem 15.04.2005 an nichts mehr in der CSU zu sagen hatte und das war ja dann irgendwie doch ein historisches Ereignis. Sträuber hatte damit ein Problem weniger, auch wenn ihm nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen wurde, viel zu lange an der Marina festgehalten zu haben. Da jener Vorwurf eben nicht nur von der Opposition kam, von der man so etwas natürlich erwartete, sonst hätte sie definitiv ihren Beruf verfehlt, sondern auch aus den eigenen Reihen, insbesondere aus der Münchner CSU, hatte das alles einen bitteren Beigeschmack. Dabei war sie einst gefeiert und begeistert empfangen worden, als sie ungefähr zwei Jahre zuvor den Bezirksvorsitz der Münchner CSU übernommen hatte, doch das war lange her. Seitdem war viel Wasser die Isar hinunter gelaufen und sie hatte es sich mit etlichen Leuten verscherzt gehabt. Vielleicht war sie unschuldig oder mitschuldig, doch eventuell trafen all die Vorwürfe auch voll ins Schwarze; wenn eine wußte, was wirklich dran war an den Gerüchten und Geschichten, dann sie. Auf jeden Fall hatte sich viel angestaut gehabt und so kam der Rücktritt von ihr, der freiwillig erfolgt war, für alle zur rechten Zeit und für einige viel zu spät. Erleichterung mischte sich mit Wehmut, wieder einmal war ein großes politisches Talent den hohen Erwartungen nicht gerecht geworden und hatte sich statt dessen in den Niederungen der Parteipolitik beschmutzt. Oh wie schade!

22.05.2005: Das war der Tag, an dem für die SPD die Welt in Trümmer fiel. Die unausweichliche Katastrophe hatte stattgefunden, CDU und FDP würden fortan in Düsseldorf über Nordrhein-Westfalen regieren, es gab keine einzige rot-grüne Landesregierung mehr und weil man im Grunde ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, setzte man alles auf eine Karte und rief Neuwahlen aus oder kündigte sie zumindest für den Herbst an. Ausrufezeichen!

Ein taktisch genialer Schachzug von Schräder und Mützewirsing, denn auf einmal redete niemand mehr über den sensationellen Wahlsieg von Rüttlers und Co., sondern alle sprachen nur noch von den in wenigen Monaten stattfindenden Neuwahlen und spekulierten, wer da wohl die größten Chancen haben würde. Ein letztes Mal war es der SPD gelungen, das Heft des Handelns festzuhalten und es auch zu nutzen. Aber nicht nur die Oppositionsparteien, sogar der Koalitionspartner der SPD, die Grünen, wurden vom Vorpreschen der SPD-Spitze kalt erwischt, weshalb sich die Begeisterung dort sehr in Grenzen hielt. Schräder wollte es noch einmal wissen, alles oder nichts, er konnte bei der ganzen Sache nur gewinnen, denn in den Umfragen lag die SPD so weit unten, daß es gar nicht mehr schlimmer für sie kommen konnte. Spannende Monate standen Deutschland bevor.

23.05.2005: Festerbelle und Gerkel im Gespräch: "Ich kann unser Glück immer noch nicht fassen. Da fordere ich seit Jahren quasi täglich Neuwahlen und jetzt gibt es sie tatsächlich. Steter Tropfen höhlt eben doch den Stein!" freute sich Guildo. "Na ja, ich glaube kaum, daß der Schräder und der Mützewirsing wegen Dir die Neuwahlen ausgerufen haben, vom Ergebnis der FDP in NRW werden sie wohl kaum so schockiert und überrascht gewesen sein, daß sie sich zu diesem Schritt gezwungen fühlten", erläuterte Gerkel. "Ach, das ist doch jetzt auch total egal. Ich bin völlig aus dem Häuschen, mein zuckersüßes Mäuschen." "Langsam reiten, Homo laber, erst einmal haben wir eine Wahl zu gewinnen und bei den mickrigen paar Prozent, die Deine Partei immer bei den Landtagswahlen auf die Waage gebracht hat, bin ich mir nicht so sicher, daß es für Schwarz-Gelb tatsächlich reichen wird." "Keine Sorge, wir werden liefern, das verspreche ich Dir hoch und eilig, äh, heilig, lieber Engel, äh, liebe Andrea. Deine Union bringt 40 Prozent Wählerstimmen mit und den Rest besorgen wir, dann reicht es auf alle Fälle", behauptete Festerbelle. "Also gut, darauf können wir uns einigen. Diese Regierung ist so was von im Arsch, da sollten 40 Prozent nun wirklich machbar sein. Hat ja schließlich schon der Sträuber 38,5 % geschafft und der war im Norden, Osten und Westen ja dermaßen unbeliebt, daß ich ihn dort überhaupt nicht unterbieten kann." "Na siehst Du, ich habe es doch gleich gesagt. Oh ich freue mich schon so darauf, dieses Deutschland endlich durchzureformieren. Ich weiß nur noch nicht, welchen Ministerposten ich mir aussuchen soll." "Da kann ich Dir leider auch nicht weiterhelfen, Guildo. Nur eines steht fest: Verteidigungsminister wirst Du definitiv auf gar keinen Fall, das können wir den deutschen Soldaten nicht zumuten, daß sie dann immer mit einem Brett vorm Arsch in Reih und Glied stehen müßten." "Aber warum denn nicht? Die könnten doch dafür das Brett hernehmen, das sie immer vor dem Kopf haben. Ist mir auch nicht so wichtig, ich habe ja eh schon einen Freund. Aber was wird aus dem Sträuber?" "Ja, das ist leider eine gute und mehr als berechtigte Frage, die mich seit Wochen nicht schlafen läßt. Wohin mit dem alten Mann aus Bayern?" "Wir könnten ja ein Ministerium zusammen basteln, in dem er keinen Schaden anrichten kann." "So etwas gibt es leider nicht, ansonsten würden wir es für Dich auch hernehmen. Na ja, wer weiß, vielleicht erledigt sich das Problem anderweitig." "Wie meinst Du das? Glaubst Du an ein sozialverträgliches Frühableben seinerseits? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, der Mann ist topfit." "Das weiß ich auch, genau deshalb nervt er mich ja auch so. Nein, vielleicht merkt er ja doch noch rechtzeitig, daß Berlin nichts für ihn ist." "Na ja, wir werden sehen. Ich für meinen Teil mache jetzt erst mal ein paar Monate lang fröhlich Wahlkampf und wenn alles gut läuft, dann werden wir sogar zweistellig." "Nichts dagegen, denn je größer unsere Mehrheit im Parlament ist, desto mehr können wir durchregieren." "Oh ja, diese Deutschen müssen endlich mal raus aus der Stagnation." "Wir aber auch." Sie grinsten sich überglücklich an.

Die Freude war also allerorten groß, nur die Grünen waren immer noch verschnupft, weil sie scheinbar überhaupt nicht mehr gefragt und gebraucht wurden. Zwar gab es diverse Verfassungsrechtler, die der Meinung waren, daß das alles verfassungsrechtlich äußerst bedenklich wäre, doch solche Kommentare beeindruckten Schräder und Mützewirsing kein bißchen. Man hatte noch einmal gezeigt, daß man immer für eine Überraschung gut war und da nun alles so schnell von statten gehen würde, bestand auch keine Gefahr von der WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit), die bei den Wahlen in NRW immerhin über zwei Prozent der Stimmen abbekommen hatte, was in so einem großen Flächenland durchaus beachtlich war. Jetzt aber ging für jene neue Bewegung vermutlich alles ein bißchen zu schnell, doch deren Vertreter waren auch nicht dumm. Sie hofften auf Oswald Afroträne als zugkräftigen Spitzenkandidaten sowie auf eine Listenverbindung mit der PDS, welche im Westen traditionell schwach abschnitt. Von daher war von der linken Seite schon noch einiges möglich.

Sören Rüttlers hatte derweil ganz andere Probleme. Plötzlich wollten alle was von ihm und die meisten von denen würde er nicht so einfach wie seine Frau mit einer Spülmaschine abspeisen können. Viele Leute wanzten sich an ihn heran, in der Hoffnung auf einen guten Posten oder anderweitige Vergünstigungen. Auf einmal war der ehemalige NRW-Oppositionsführer ein gefragter Mann. Dumm an der Sache war nur, daß er zum Einen über einen Koalitionspartner verfügte, auf den er ebenfalls Rücksicht zu nehmen hatte und daß er in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit nichts Großartiges unternehmen durfte, da ja nun plötzlich Bundestagswahlkampf war. Das bedeutete auch, daß sein großer Triumph weitestgehend unbeachtet blieb; zwar konnte er zurecht darauf verweisen, durch seinen Wahlsieg die Neuwahlen im Bund ausgelöst zu haben, doch da alle nur noch von der Btw. redeten, kam der liebe Sören in den Berichterstattungen fast überhaupt nicht mehr vor, was ihn durchaus nicht unberührt ließ. Andererseits hatte er etwas, worauf er ganz besonders stolz sein konnte, denn zum ersten Mal hatten in NRW die Arbeiter mehrheitlich CDU gewählt und das war etwas, das noch nicht viele vor ihm zustande gebracht hatten. Chapeau!

Bayern hatte währenddessen ganz andere Probleme. Da nun mal stark davon auszugehen war, daß die CSU in Berlin demnächst wieder mit in der Regierung sitzen würde und weil Egmont Sträuber im Kabinett Gerkel eine herausragende Rolle spielen wollte, stellte sich die Frage, wer denn dann bayerischer Ministerpräsident werden würde. Im Grunde gab es drei mögliche Bewerber und zwar Blackschein, Zuber und Kehrmann. Letzterer wollte nicht wirklich, von daher würde es wohl auf ein Duell zwischen Zuber und Blackschein hinauslaufen. 2002 wäre es ja auch schon fast soweit gewesen, doch nachdem Sträuber nicht deutscher Bundeskanzler geworden war, hatte er weiterhin mit dem Posten als bayerischer Minipräsi vorlieb nehmen müssen. Damals wäre Zuber ganz bestimmt sein Nachfolger geworden, jedoch hatte sich der Merlin in den vergangenen Jahren in der Fraktion ziemlich unbeliebt gemacht, von daher wollten nicht mehr sonderlich viele CSU-Politiker auf ihn wetten. Blackschein dagegen erfreute sich in der Fraktion allergrößter Beliebtheit und hatte dort sicherlich die Nase vorn. Allerdings spielte natürlich auch eine gewichtige Rolle, wen Egmont Sträuber höchstpersönlich für seine Nachfolge als am besten geeignet hielt und da wiederum war Zuber klar die Nummer eins. Es würde also mal wieder spannend werden, nicht nur im Bund, sondern selbstverständlich, wie eigentlich fast immer, auch in Bayern. Ja mei.

Ende Mai 2005: Wahlkampfzeiten waren und sind nun mal besondere Zeiten. Im Grunde kann man fest davon ausgehen, daß die meisten Politiker an ihrem Dasein den Wahlkampf am meisten lieben, denn darin können und sollen sie den politischen Gegner beschimpfen, dürfen sich und die eigene Partei ohne falsche Kompromisse und ohne Rücksicht auf irgendwelche Koalitionspartner in den leuchtendsten Farben präsentieren und können so tun, als hätten sie die Probleme des Landes schon längst gelöst, wenn nicht die Anderen so unfähig wären und andauernd blockieren würden. So etwas machte einfach Spaß, nicht umsonst bezeichneten viele Politiker den Wahlkampf als ihren "Jungbrunnen".

Eine Nachricht schlug dann doch ein wie eine Bombe: "Afroträne tritt gegen die SPD an", hieß es in der SZ. Aber um gegen die SPD antreten zu können, mußte man natürlich erst einmal aus ihr austreten und genau das hatte der "Napoleon von der Saar" nun endlich vor, nachdem er schon lange nicht mehr mit den Genossen warm geworden war und, so wie Andere aus Bequemlichkeit oder alter Verbundenheit nicht aus der Kirche austraten, trotzdem in der SPD geblieben war. Es würde vermutlich eine PDS-Liste geben, auf der viele Mitglieder der WASG vertreten sein sollten, damit wollte man in ganz Deutschland antreten, am liebsten mit den Zugpferden Fysi und Afroträne an der Spitze.

Aber auch bei den Grünen war die Stimmung gut. Man fühlte sich frei; endlich, nach fast sieben Jahren in der Regierung, konnte man wieder man selbst sein und mußte sich nicht um des lieben Koalitionsfriedens willen verbiegen oder Sachen zustimmen, die man für unsinnig hielt. "Grün pur", und "auf die Grünen kommt es an", hieß es nun plötzlich, die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln wirkte wie eine Frischzellenkur. In den vergangenen Tagen hatte es massive Absetzbewegungen zwischen SPD und Grünen gegeben, die Neuwahlentscheidung hatte die SPD bereits ohne die Grünen getroffen und so würde man fortan getrennt marschieren, was beiden Seiten irgendwie recht war. Nach sieben gemeinsamen Jahren an der Regierung hatte man sich auseinandergelebt, es war im Grunde wie in einer Ehe das verflixte siebte Jahr, das höchstwahrscheinlich die Trennung bringen würde. Jetzt ging es nur noch darum, daß der eigene Spitzenkandidat, Ansgar Mischer, wieder in die Gänge kam, den Ballast der Visa-Affäre endgültig abwarf und 20 Kilo abnahm, denn er hatte in den letzten Jahren wieder stark zugelegt gehabt.

Ganz anders sah es bei der Union aus. Dort wurde bereits spekuliert, wer für welches Ministeramt in Frage kommen würde, weil das bekanntlich am allermeisten Spaß machte. Das Fell des Bären zu verteilen, noch bevor er erlegt worden war, gehörte zu den Dingen, denen man sich nur allzu gerne hingab. Bereits 2002 hatte man das praktiziert gehabt und wie die Sache am Ende ausging, ist hinlänglich bekannt. Wie auch immer, über all den Personalfragen schwebte der große Egmont Sträuber wie der Geist von Wildbad Kreuth, denn erst wenn man für den zukünftigen Superminister einen geeigneten Platz gefunden hatte, konnte man sich Gedanken darüber machen, wer noch alles einen Ministerposten abbekommen sollte. Doch der Zauderer aus der Münchner Staatskanzlei wollte sich am liebsten alles offen halten. Es hieß, man müsse erst das Wahlergebnis in Bayern abwarten, außerdem wollte er keine Diskussion über seine Nachfolge in Bayern, welche ansonsten alle anderen Fragen ständig überlagert hätte.

Fysi und Afroträne sprachen derweil über eine mögliche gemeinsame politische Zukunft. "Erst einmal Glückwunsch zum Austritt aus der SPD. Hat zwar lange gedauert, aber besser spät als nie", stellte Fysi fest. "Vielen Dank für die Blumen! Mir blieb ja gar nichts Anderes übrig, jetzt, nachdem die SPD mit der Agenda 2010 und Hartz IV in den Wahlkampf ziehen will", machte Afroträne deutlich. "Was aber auch seine guten Seiten hat. Für die PDS und die WASG wird das jede Menge Stimmen bringen. Deshalb sollten wir uns auch unbedingt zusammentun." "Das sehe ich ganz genauso. Die PDS ist im Westen zu schwach, die WASG hat im Osten keinerlei Erfolgsaussichten, von daher macht das wirklich Sinn. Und wenn wir es erst mal in den Bundestag geschafft haben, dann können wir auch über die Gründung einer gemeinsamen Partei nachdenken." "Absolut richtig. Es wird zwar nicht ganz einfach werden, das unseren alten PDS-Veteranen schonend beizubringen, aber irgendwie bekommen wir das schon hin." "Keine Sorge, die Vorbehalte bei den West-Linken sind auch nicht von Pappe. Aber langfristig brauchen wir eine gemeinsame Partei, daran führt überhaupt kein Weg vorbei." "Auf alle Fälle. Was aber ist unser eigentliches Wahlziel, außer natürlich in den Bundestag zu kommen?" "Ganz einfach: Wir wollen sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb verhindern." "Aber dann gibt es ja eine Große Koalition." "Ganz genau. Und dank der werden wir bei den darauffolgenden Wahlen noch mehr an Gewicht zulegen." "Oswald, Du bist wirklich ein schlauer Fuchs." "Ich weiß. Aber leider nicht immer, denn ansonsten hätte ich es nie zugelassen, daß der Schräder Kanzler wird." "Na ja, das schon, doch immerhin hast Du ihn ja jetzt zum Rücktritt aufgefordert." "Mag sein, aber jetzt ist das keine Kunst mehr, das hätte ich vor über sechs Jahren machen sollen, als ich noch Parteivorsitzender der SPD war."

Besagter Schräder dagegen schien völlig losgelöst von der Erde, er fühlte sich gut und strotzte nur so vor Selbstvertrauen. Nun würde es also wieder auf ihn ganz allein ankommen; eine Situation, die ihm mehr als vertraut war und die er mehr genoß als alle seine Genossen, weil er wußte, daß er sich auf sich selbst verlassen konnte. Der Bundeskanzler kannte natürlich die Umfragen, in denen die SPD 15 Prozent hinter der Union lag und dabei handelte es sich noch um die bereinigten Zahlen, bei der politischen Stimmung betrug der Abstand zwischen CDU/CSU und SPD sage und schreibe 25 Prozent. Gerkel hatte ihn auch bei der Frage, wen sich die Deutschen als Kanzler oder Kanzlerin wünschen, deutlich überholt, aber nichtsdestotrotz waren seine persönlichen Werte viel besser als die seiner Partei, so wie er das schon seit jeher kannte. Es würde also wieder mal auf ihn ankommen, er wurde im Wahlvolk immer noch gut bewertet, ganz so, als ob er mit der rot-grünen Bundesregierung nicht wirklich was zu tun gehabt hätte. Vielleicht imponierte den Wählern aber auch in erster Linie seine Durchsetzungskraft und sein Durchhaltevermögen. Egal, auf jeden Fall war die Schlacht noch lange nicht verloren, man war bereits ganz unten, von daher konnte es nur noch besser werden. Bernhard Schräder war ein Profi und ein begnadeter Wahlkämpfer, er würde sich ganz bestimmt nicht kampflos geschlagen geben und die Vorbehalte gegenüber den schwarz-gelben Oppositionsparteien waren in der Bevölkerung weitaus stärker ausgeprägt als es die Meinungsumfragen erkennen ließen. Die Schlacht konnte also beginnen, würde der alte Kämpfer sie wieder gewinnen?

Ende Juni/Anfang Juli 2005: Mit dem Vertrauen war und ist es ja immer so eine Sache. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", lautete einer der Sprüche in jenem Zusammenhang. Nun wiederum sollten sich die SPD-Abgeordneten nach den Vorstellungen ihres Fraktionschefs Mützewirsing bei der Vertrauensfrage, welche der Kanzler Anfang Juli im Parlament stellen wollte, vertrauensvoll enthalten. Das führte zu Irritationen und durchaus lustigen Wendungen. Plötzlich sprachen ausgerechnet die größten Agenda-Kritiker ihrem Kanzler das Vertrauen aus; eben jene Leute, denen Schräder mißtraute und wegen denen er die Neuwahlen ausrufen hatte lassen. Eine ziemlich groteske Situation. Andere Genossen befürchteten wiederum, sie hätten im anstehenden Wahlkampf ein Glaubwürdigkeitsproblem und könnten es ihren Wählern nicht vermitteln, daß sie Schräder, obwohl der das ja so wollte, das Mißtrauen aussprachen, aber andererseits mit ihm an der Spitze in den Wahlkampf zogen. Das Leben war manchmal wirklich nicht leicht.

Es war also alles ein kleines bißchen kompliziert und es wurde auch dadurch nicht besser, daß es immer mehr Stimmen gab, die das ganze Spektakel für äußerst bedenklich hielten und nicht glaubten, daß das Bundesverfassungsgericht den Weg für Neuwahlen frei machen würde.

Darüber redeten auch die unmittelbar davon Betroffenen: "Du, Bernd, was machen wir eigentlich, wenn das mit den Neuwahlen doch nicht funktioniert?" wollte Mützewirsing wissen. "Dann haben wir die Arschkarte gezogen und müssen bis September 2006 weiter regieren", antwortete Schräder. "Das wäre ja furchtbar! Also auf den Nöler können wir uns, glaube ich, verlassen, was die Neuwahlen angeht." "Wollen wir das Beste hoffen. Eigentlich kann der ja gar nicht anders als den Weg freimachen, weil er es sich sonst mit Gerkel, Sträuber, und Festerbelle ein für allemal verschissen hätte." "Ganz genau. Aber die Klappe kann der auch nicht halten, von Vertraulichkeit hat der Typ scheinbar noch nie etwas gehört." "Allerdings, der Kerl ist wahrlich ein Schwätzer. Na ja, wenigstens steht der auf unserer Seite, zumindest in dieser Frage. Aber daß jetzt meine größten Kritiker in der Vertrauensfrage für mich stimmen wollen, das finde ich schon sehr makaber." "Da geht es mir ganz genauso, so eine verlogene Bande." "Man merkt, daß Du Deinen Laden überhaupt nicht mehr im Griff hast, Mütze." "Das kann man wohl sagen. Egal, Augen zu und durch heißt es jetzt. Hoffentlich macht das blöde Verfassungsgericht mit. Dort sieht man es ja überhaupt nicht gerne, wenn ein Kanzler plötzlich Neuwahlen möchte, nur weil es mit dem Regieren nicht mehr so leicht geht." "Die sollen sich mal nicht so haben. Noch ein Jahr mit uns an der Regierung und Deutschland ist endgültig am Boden. Ich habe denen eine Steilvorlage geliefert, die müssen sie jetzt nur noch verwandeln." "Das sind Richter, keine Fußballer." "Leider." Daraufhin machten sich die Beiden vom Acker.

10.07.2005: Die Grünen gab es ja auch noch und die machten sich das Leben mal wieder selber schwer, eine Disziplin, in der sie richtig gut waren. Auf einmal wurde gefordert, man müsse neben Ansgar Mischer noch eine Spitzenkandidatin aufstellen, weil das mit der Doppelspitze bei den Grünen so üblich und quasi Vorschrift sei und um Frau Gerkel von der CDU eine Frau entgegenzusetzen. Gerade noch konnte der Zwergenaufstand der Basis von den Parteioberen niedergeschlagen werden, aber es waren mal wieder unschöne Bilder, die da ins Land gesendet wurden. Die Wähler bestraften Selbstbeschäftigung bei den Parteien meist mit Liebes- sowie Stimmentzug, von daher würde sich der alleinige Spitzenkandidat der Grünen, Bundesaußenminister Mischer, mächtig ins Zeug legen müssen. Schwarz-Gelb wollte man verhindern, aber auf Rot-Grün hatte man nach all den Jahren auch nicht mehr richtig Bock und wenn die Linken ins Parlament kamen, dann würde es ohnehin eine Große Koalition geben. Von daher präsentierte man ein ambitioniertes eigenes Programm, mit dem man sich beispielsweise von CDU/CSU distanzierte, welche eine Erhöhung der Mehrwertsteuer forderten.

Genau jene Forderung sorgte für Unruhe beim potentiellen Koalitionspartner. Die FDP sprach sich klar und deutlich gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus, ließ aber zugleich verlauten, an jener Frage werde eine Koalition mit der Union nicht scheitern. Man hoffte also auf enttäuschte potentielle CDU/CSU-Wähler, die man einzufangen gedachte. Na ja, in der Union selbst gab es Stimmen, die verlangten, man müsse den Leuten vor der Wahl sagen, was man nach der Wahl vorhabe, aber Andrea Gerkel hätte das lieber vermieden, um keine potentiellen Wähler/innen zu verschrecken. Noch hatte man einen ausreichenden Vorsprung in den Umfragen, aber Kanzler Schräder war alles zuzutrauen. Festerbelle riet seiner Duz-Freundin Andrea von einem Fernsehduell mit dem Medienkanzler ab, doch sie war nicht die Frau, die sich von einem Mann, noch dazu einem im Vergleich zu ihr politischen Leichtgewicht, gute Ratschläge geben ließ. Schließlich hatte sie schon genügend andere Männer im Laufe ihres politischen Lebens aus dem Weg geräumt oder links liegen gelassen. Ihre große Stärke bestand darin, daß sie oft sowie gerne unterschätzt wurde und deshalb blieb sie ruhig sowie gelassen, denn wenn sich die Union keine großen Fehler leistete, dann war ihr der Wahlsieg am 18.September 2005 nicht mehr zu nehmen. Nicht einmal das Bundesverfassungsgericht konnte und würde ihren Siegeszug stoppen, davon war die Frau felsenfest überzeugt.

22.07.2005: "Bundespräsident löst das Parlament auf - Nöler gibt Weg für Neuwahl frei", lautete die Schlagzeile in der SZ. Es war also endlich vollbracht. Um 20.15 Uhr am 21.07.2005 erschien plötzlich der Thorsten auf den bundesdeutschen Bildschirmen und schwafelte was von Untergang und Chaos, wenn es nicht bald eine Neuwahl geben würde, weshalb er sich nach sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Interessen sowie Argumente und Anhörung aller Seiten eben doch für diesen Schritt entschieden hätte. Vorher hatte es ein genervtes Warten auf die Entscheidung des Bundespräsidenten gegeben, denn der ließ lange nichts von sich hören, um dann plötzlich doch aus der Versenkung heraus aufzutauchen und den Startschuß für den Wahlkampf, der bereits längst schon angelaufen war, zu geben. Nun ja, jeder hatte halt mal sein eigenes Tempo und daß er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hatte, das glaubte man dem Nöler Thorsten sofort. Doch damit ging der Zirkus erst so richtig los, denn nun machten sich zwei Abgeordnete aus dem Regierungslager (eine SPD-Frau und ein Grüner) auf den Weg zum Bundesverfassungsgericht, um dort gegen die Neuwahlentscheidung des BP zu klagen. Außerdem echauffierten sich etliche Kleinparteien darüber, daß sie innerhalb kürzester Zeit Tausende von Unterstützerunterschriften abzuliefern hatten, um für die Wahl zugelassen zu werden, was in der Kürze der verbleibenden Zeit aber überhaupt nicht machbar wäre. Auch sie begaben sich nach Karlsruhe um zu klagen.

Ganz anders sah die Stimmungslage selbstverständlich beim Bundeskanzler aus. Der war hochzufrieden, schließlich hatte der Bundespräsi seiner Einschätzung zugestimmt und so konnten die Dinge genau den Lauf nehmen, den er sich vorgestellt hatte. Manchmal klappte alles eben doch wie am Schnürchen.

Nicht alle freuten sich jedoch über jene Entscheidung, insbesondere Juristen und Verfassungsexperten sahen das Ganze sehr skeptisch und hofften nun darauf, daß das BVG dem unwürdigen Spuk ein Ende bereiten würde. Es blieb also weiterhin spannend und das war für die Medien natürlich eine feine Sache.

Ende Juli 2005: Marina Kohlfeier war vor dem Untersuchungausschuß aufgetreten, in dem es um die Wahlmanipulationen von Mitgliedern der Münchner CSU ging. Als Zeugin hatte man sie geladen und das aus ihrer Sicht völlig zurecht, denn sie wies alle Anschuldigungen gegenüber ihrer Person auf das Schärfste zurück und zeigte sich als die Unschuld vom Lande, die vielleicht etwas naiv und blauäugig in diesen Haufen von Übeltätern geraten war. An die entscheidenden Gespräche, Aussagen und Telefonate, die sie getätigt haben sollte, konnte sie sich erstaunlicherweise nicht mehr erinnern und ansonsten hatten die anderen Zeugen das Ganze, entweder absichtlich oder versehentlich, alles falsch dargestellt, auf jeden Fall hätte sie nie jemanden erpreßt und so weiter und so fort. Wem sollte man also glauben? Einem jungen Parteifreund, der wegen Urkundenunterdrückung verurteilt worden war oder einer mit allen Abwassern gewaschenen Frau, bei der die Lüge zum täglichen Brot zu gehören schien? Na ja, irgendwie auch egal, schließlich war sie ja zurückgetreten und da bei solchen Untersuchungsausschüssen meistens ohnehin nichts Interessantes herauskam, konnte man getrost den Aktendeckel schließen. Nur eine Nachricht ließ dann doch noch aufhorchen, denn die Mari gab an, in der Politik bleiben zu wollen. Plante da etwa jemand die Rückkehr auf die große politische Bühne, nachdem in wenigen Jahren Gras über die ganze Sache gewachsen war?

Mitte August 2005: Er hatte es mal wieder geschafft, Egmont Sträuber war in aller Munde und die Medien überschlugen sich mit Nachrichten und Hintergrundinformationen. Was war passiert? In einigen seiner Wahlkampfreden hatte Meister Ege darauf hingewiesen gehabt, daß man "leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern" habe und daß er es nicht akzeptiere, "daß der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Die Frustrierten dürfen nicht über Deutschlands Zukunft bestimmen." Damit hatte er sich in ganz Deutschland natürlich außerordentlich beliebt gemacht. Alle anderen Politiker widersprachen dem Sträubi, manche zeigten sich schockiert, andere empört, doch im Grunde waren sie dem "Frustrierten aus Bayern" allesamt unheimlich dankbar, denn er mobilisierte auf die Art und Weise seine politischen Gegner stärker als sie selbst das wahrscheinlich geschafft hätten. Die Linkspartei war begeistert, denn einen besseren Wahlhelfer als den Sträuber konnte man sich überhaupt nicht vorstellen. Schon verständlich, daß die Kanzlerkandidatin nicht eben erfreut war.

"Mensch, Egmont, hat das denn wirklich unbedingt sein müssen?" wollte Gerkel etwas angesäuert wissen. "Aber Andrea, ich habe doch nur darauf hinweisen wollen, daß der Fysi und der Afroträne frustrierte Versager sind, denen man dieses Land nicht anvertrauen darf", verteidigte sich Egmont. "Das ist mir schon klar, aber das Medienecho ist verheerend." "Dafür kann ich doch nichts. Im Endeffekt habe ich nur die bayerische und die baden-württembergische Bevölkerung gelobt und motivieren wollen, zur Wahl zu gehen." "Ja, aber in Wirklichkeit hast Du damit alle Ossis, die mich nicht mögen, motiviert zur Wahl zu gehen." "Äh, das wollte ich nicht. Aber Dein Brutto-Netto-Verwechseln und das, was der Bönschohm über die ostdeutsche Mentalität gesagt hat, haben uns auch nicht gerade weitergeholfen." "Genauso wenig wie Deine Forderung, die Union müsse mindestens 42 Prozent der Stimmen bei der Wahl bekommen." "Aber wir brauchen doch ein ambitioniertes Ziel, wir wollen schließlich diese Wahl gewinnen." "Selbstverständlich wollen wir das, Du Dusel, allerdings wird uns das nicht gelingen, wenn Du andauernd die Wähler im Land beschimpfst." "Aber was soll ich denn sonst machen?" "Du bist doch nur sauer, weil Du wegen den Ossis vor drei Jahren nicht Bundeskanzler geworden bist." "Das ist, äh, eine Unterstellung, die ich, äh, nicht auf mir sitzen lassen kann. Denn ich war in Nord- und Westdeutschland genauso unbeliebt wie im Osten." "Das stimmt wiederum. Wie dem auch sei, halte Dich in Zukunft bitte etwas zurück, sonst verlieren wir wegen Dir noch die Wahl." "Aber Andrea, das ist doch überhaupt nicht möglich. Diese Wahl kannst nicht einmal Du verlieren." "Na vielen Dank aber auch. Dank Dir wird diese blöde Linkspartei immer stärker und wenn es ganz dumm läuft, dann können wir nicht mal mit der FDP zusammen regieren, weil dafür unsere Stimmen nicht reichen." "Macht doch nichts, dann koalieren wir halt mit der Linkspartei." "Sehr witzig Egmont, wirklich sehr witzig. Ich habe eh schon den Verdacht, daß Du ein Agent von denen bist." "Also wirklich, äh, das ist doch die, äh, Höhe! Ich habe mit diesen Sozialisten nichts gemein." "Na ja, da wäre ich mir nicht so sicher, Du mit Deiner CSU, Deiner Christlich Sozialistischen Union." "So etwas muß ich mir nicht bieten lassen, Frau Ferkel, äh, Christensen, äh, Gerkel! Ich bin der größte und stärkste Gegner dieser Populisten und Volksverdummer." "Sehr gut, mein lieber Egmont, das höre ich gerne. Also, auf sie mit Gebrüll, aber keine Wähler mehr beleidigen, verstanden?" "Äh, also gut, äh." "Na also, es geht doch." "Aber es macht so viel Spaß, über die Frustrierten herzuziehen." "Das weiß ich doch, Egi, von mir aus kannst Du das auch weiterhin gerne machen. Aber nicht in der Öffentlichkeit, verstanden?" "Na gut." "Sehr schön. Gut, dann sind wir uns ja einig. Und schöne Grüße an Deine Muschi!" "Was haben Sie nur immer mit dieser dämlichen Katze?" "Ich meine doch Deine Frau, Du Dödel." "Ach so, natürlich. Vielen Dank und hoffentlich wird Ihr Jochen nicht sauer." "Der heißt nur so, aber in Wirklichkeit ist der ganz süß." "Also einmal Kanzlerinnengatte Süß-Sauer." Sie lachten Beide gequält und legten genervt auf.

"Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber", hatte der Über-Bayer den Ossis noch hinterhergeworfen gehabt. Entschuldigen wollte er sich für seine Äußerungen auch nicht und das aus gutem Grund. Nicht umsonst wurde darüber spekuliert, Sträuber betreibe die Ossi-Schelte lediglich, um in Bayern ein starkes Ergebnis zu erreichen, damit er nach der Wahl mit seiner CSU auf mehr Stimmen kam wie die FDP. Denn nur in jenem Fall hätte Sträuber die freie Auswahl eines Ministeriums gehabt. Erst einmal verzettelte er sich jedoch in seinem Kampf gegen die Linkspartei: Zunächst erklärte er sich zu einem Fernseh-Duell mit Oswald Afroträne bereit, doch wenig später ruderte er bereits wieder zurück und wollte nur ein Print-Duell haben. Schade, dabei wäre es höchst spannend gewesen zu erleben, was sich Egmont und Oswald so alles an den Kopf werfen; dabei hätten sie doch Beide genüßlich über den Mann, der jeden von ihnen einst besiegt hatte, Bundeskanzler Schräder, herziehen können und sich darob wahrscheinlich bestens verstanden. Im Osten wollte man Sträuber nach seinen Äußerungen nicht mehr sehen, was jenen nicht sonderlich gestört haben dürfte, schließlich hatte er selbst von den Ossis auch schon lange die Schnauze voll. Andrea Gerkel dagegen mußte natürlich schon in Ostdeutschland auftreten und wurde dort, vor allem dank Sträuber, mit lautstarken Pfiffen empfangen. Das würde sie ihm garantiert niemals vergessen.

Ende August 2005: Ganz anders sah es zwei Wochen später auf dem CDU-Jubelkonvent aus, wo alle Ministerpräsidenten die Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin in den höchsten Tönen lobten und sich selbst natürlich auch angemessen rühmten. Jede Menge Klatschvieh hatte man angekarrt gehabt, die Stimmung war bestens, man freute sich auf den Wahltag, da man einen haushohen Sieg der Union erwartete und so wurde auch Egmont Sträuber freundlich begrüßt und fleißig beklatscht. Man war ja schließlich nicht nachtragend und wollte es sich mit dem CSU-Parteivorsitzenden, der durchaus empfindlich sein konnte, nicht verscherzen, in der Hoffnung, er würde sich zukünftig ruhiger verhalten.

Derweil ging es hinter den Kulissen voll zur Sache, denn die Steuerpläne von Raul Kirchdorf, dem designierten Finanzminister der CDU, sorgten für erhebliche Unruhe in den eigenen Reihen. Der "Professor aus Heidelberg" hatte ein radikales Steuerkonzept entwickelt gehabt, das extrem polarisierte, weshalb die Unions-Politiker versuchten, es hinter den eigenen Steuerplänen zu verstecken oder es als "wünschenswert, aber nicht machbar" zu bezeichnen. An den Wahlständen sorgte jedoch die Tatsache, daß die Union auf einmal zwei Steuerkonzepte vorliegen hatte, für jede Menge Konfusion. Nichtsdestotrotz stärkte Andrea Gerkel ihrem neuen Liebling demonstrativ den Rücken, was blieb ihr auch Anderes übrig?

Anfang September 2005: Sträuber dagegen hatte Schwierigkeiten, denn er fand in jenem Wahlkampf seine Rolle einfach nicht. Schräder hatte ihn mit seiner Neuwahl-Entscheidung am meisten von allen überrumpelt und so suchte der weise Mann aus Oberbayern verzweifelt seinen Platz im Wahlkampfteam der Union, ohne fündig zu werden. Am liebsten wäre er natürlich Bundeskanzler geworden und demzufolge als Kanzlerkandidat angetreten, doch das war mit der CDU dieses Mal definitiv nicht zu machen. Von daher mischte er zwar munter mit, hielt sich jedoch an keine Absprachen und wurde so immer mehr zur losen Kanone der Union, bei der man nie wußte, ob sie auf den politischen Gegner oder die eigenen Leute zielte und feuerte. Was für ein Drama! Aber im Grunde war es Sträuber ohnehin egal, wer unter ihm als Kanzlerin oder Kanzler regierte, schließlich hielt er nach wie vor sich selbst für den Allergrößten. Außerdem zweifelten viele in seiner Partei daran, daß er sich in ein Kabinett einfügen könnte, da er es ja seit zwölf Jahren gewohnt war, selber den Ton anzugeben und das Wort zu erteilen oder die ganze Zeit selbst zu reden.

Kaum zu glauben, aber wahr, Andrea kam auch nach Bavaria. So zum Beispiel zum Wahlparteitag der CSU in München, wo sie jener Partei verbal einige Freundlichkeiten zukommen ließ, weshalb sie nach ihrer Rede von dankbaren Bayern so heftig und ausdauernd beklatscht wurde, daß sich sogar König Egmont dazu genötigt sah, auf die Bühne zu steigen, um ihr zu gratulieren. Selbstverständlich war es für die Union unheimlich wichtig, in Bayern ein ausgezeichnetes Wahlergebnis zu erreichen, denn im Süden Deutschlands holten CDU und CSU bekanntlich immer die meisten Stimmen und da Sträuber 2002 über 58 % der Wählerstimmen hinter sich vereinigen hatte können, wollte man drei Jahre später nicht gar so brutal abfallen, auch wenn natürlich klar war, daß die CSU mit einer Kanzlerkandidatin Andrea Gerkel auf gar keinen Fall in solche Regionen vorstoßen würde können, das wußten alle, die ein wenig Ahnung hatten.

Weitaus interessanter für die meisten CSU-Delegierten war ohnehin die Frage, was ihr geliebter Sträuber nach der Wahl zu tun gedachte. Würde er Bayern verlassen, um in Berlin Deutschland auf Vordermann zu bringen? Oder würde er doch lieber ein starker bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender bleiben, welcher der Kanzlerin zukünftig von München aus viele gute Ratschläge zukommen ließ? Wenn man die CSU-Basis darauf ansprach und nachfragte, dann wurde sehr schnell deutlich, daß die Mehrheit der Leute sich dafür aussprach, daß Sträuber in München blieb und das war durchaus bemerkenswert. Er genoß also weiterhin allerhöchstes Ansehen im Freistaat und schien von seiner Strahlkraft viel weniger verloren zu haben als befürchtet. Oder glaubten die Befragten etwa, Sträuber würde die CSU in Berlin blamieren und rieten ihm deshalb von einem Wechsel in die Hauptstadt ab?

06.09.2005: Es hatte tatsächlich stattgefunden und nun gab es wieder genug zu schreiben über jenes Kanzler-Duell, das da zwei Tage vorher am Abend über die Bildschirme geflimmert war. Schräder hatte gesiegt, so sah es jedenfalls die Mehrheit der Fernsehzuschauer, wenngleich überall hinzugefügt wurde, daß sich Andrea Gerkel ganz tapfer geschlagen hätte. 90 Minuten lang hatten sich die beiden Kontrahenten "duelliert" und 20 Millionen Fernsehgeräte hatten das Spektakel in die deutschen Wohnzimmer übertragen gehabt. Inhaltlich Neues hatte man dabei nicht erwarten dürfen und dementsprechend auch nicht geliefert bekommen. Andrea Gerkel lächelte sich durch die Sendung, um sympathisch und weniger kalt zu wirken, so wie es drei Jahre zuvor bereits Egmont Sträuber himself praktiziert hatte. Schräder war so telegen und professionell wie immer, der Mann hatte einfach eine Affinität zu Fernsehkameras, da machte ihm niemand etwas vor. In den Umfragen, wen die Leute lieber als Kanzler hätten, lag Schräder schon lange wieder deutlich vor Gerkel, nur bei den Parteien haperte es aus seiner Sicht noch etwas. Schwarz-Gelb lag ganz knapp vor Rot-Grün und der Linken, aber da es noch viele unentschlossene Wähler gab, von denen Schräder durch seinen Fernsehauftritt etliche für sich und seine Partei gewonnen haben dürfte, bestand Anlaß zur Hoffnung. Es wurde viel geredet an jenem Abend und ein Mann stand dabei ganz besonders im Mittelpunkt. Raul Kirchdorf, der neue "Steuer-Mann" der CDU, für den Bundeskanzler Schräder der Union gar nicht genug danken konnte. Wen wunderte es da, daß einer der Moderatoren Andrea Gerkel einmal, wahrscheinlich versehentlich, als "Frau Kirchdorf" ansprach? Das war zweifellos das absolute Highlight der gesamten Veranstaltung gewesen, traurig aber wahr.

07.09.2005: Im Bundestag ging es noch einmal heftig zur Sache. Alle beschimpften sich so gut sie konnten, beleidigten einander so kreativ wie möglich und hielten ihre Wahlkampfreden eins zu eins im deutschen Parlament. Irgendwie durchaus verständlich, denn der Wahltag rückte unerbittlich näher, von daher galt es, die eigenen Reihen geschlossen hinter sich zu versammeln und den politischen Gegner noch einmal frontal anzugreifen, damit das doofe Volk vor den Bildschirmen endlich mal merkte was Sache war und deshalb endgültig die notwendigen Konsequenzen daraus zog. Festerbelle traf dabei eher zufällig und unbeabsichtigt auf Ansgar Mischer. Jener versuchte, so wie immer, den FDP-Mann zu ignorieren, doch der nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach den Außenminister an: "Hallo, Herr Mischer! Ich weiß gar nicht ob Sie’s wußten, aber ich werde schon bald Ihr Nachfolger", behauptete Guildo. "Sie, Gu-ildo, werden nicht mal Staatssekretär im Auswärtigen Amt", höhnte Ansgar. Damit hatte er Festerbelle schwer getroffen, doch der ließ nicht locker. "Sie werden schon sehen und sich dann bei mir entschuldigen. Außerdem haben Sie heute selbst "Kanzlerin" gesagt und die Frau Gerkel gemeint." "Mag sein, daß ich mich da versprochen habe, vielleicht war es ja auch ironisch gemeint, das weiß ich bei mir manchmal leider selber nicht so genau, aber Ihr Gelben werdet genauso wie wir nach der Wahl in der Opposition landen." "Nein, das werden wir nicht. Wir waren jetzt schon sieben Jahre lang in der Opposition und das tut einer Partei wie der FDP überhaupt nicht gut. Vielleicht werden wir sogar zweistellig." "Das wird Euch alles nichts nützen, weil es für Schwarz-Gelb garantiert nicht reicht. Da könnt Ihr Euch dann bei der Linkspartei dafür bedanken." "Pah, mit denen rede ich doch gar nicht, mit diesen Kommunisten und Salon-Bolschewisten!" "Genug jetzt. Noch bin ich hier der Außenminister und deshalb tue ich nun das, was mein Amt von mir verlangt und gehe nach draußen", ließ Mischer von sich hören und ging. "Arroganter Schnösel!" entfuhr es Festerbelle. "Ach, haben Sie gerade eben etwa wieder in den Spiegel geschaut, Gu-ildo?" "Dieses Schmierblatt nehme ich doch gar nicht freiwillig in die Hand." "Wenn Humor eine Krankheit wäre, dann wären Sie und Sträuber als Einzige dagegen immun."

08.09.2005: Die Neuwahl rückte immer näher, das Rennen wurde immer enger, die SPD holte merklich auf und dann geschah es. Die NPD in Dresden sabotierte auf einmal das ganze Spektakel, indem eine ihrer Direktkandidatinnen mit 43 Jahren plötzlich an einem Hirnschlag verstarb. Was das bedeutete war sonnenklar: Es würde in Dresden in einem Wahlbezirk eine Nachwahl geben müssen und zwar voraussichtlich zwei Wochen nach der Bundestagswahl, also Anfang Oktober. Das hatte den Wahlkämpfenden gerade noch gefehlt! Womöglich noch einmal zwei Wochen warten und bis dahin um jede der 230000 verbliebenen Stimmen kämpfen, denn es konnte ja durchaus sein, daß ausgerechnet in Dresden entschieden wurde, wer neuer Bundeskanzler wird. Da ein ganz knappes Rennen erwartet wurde, kam es vielleicht tatsächlich auf das Dresdner Ergebnis an und so stellten sich diverse Fragen. Zum Beispiel, ob man nicht mit der Veröffentlichung des Wahlergebnisses bis Anfang Oktober warten müßte, nachdem die Dresdner auch gewählt hatten. Schließlich wußten die ja sonst im Voraus schon wie es stand und ausschaute, weshalb sie möglicherweise gar nicht, anders oder sogar taktisch wählten. Schwierige Fragen gab es da also zu beantworten, es schien so, als stünde jene erzwungene Neuwahl unter keinem guten Stern. Für die NPD hatte das Ganze den Vorteil, daß sie auf jene Art und Weise auch mal bundesweit erwähnt wurde, so daß viele Leute mitbekamen, daß die Nationalen auch zur Wahl standen.

Guildo Festerbelle war derweil immer noch munter in ganz Deutschland unterwegs, er kannte dabei keinerlei Berührungsängste, ging auf die Leute zu und warb um Stimmen für seine Partei. Jene glaubte nach wie vor felsenfest daran, mit der Union alsbald die Regierung zu stellen und jene Überzeugung manifestierte sich in der Forderung nach drei Ministerien für die Liberalen. Na ja, jedenfalls kämpfte der gute Mann um jede Stimme und gab alles, genauso wie seine Kolleginnen und Kollegen von den anderen Parteien. Auffallend war, daß die FDP als solche im deutschen Volk gar nicht so unbeliebt zu sein schien; kein Wunder, schließlich hatte sie seit sieben Jahren nichts mehr zu melden und war deshalb für die aktuelle Lage auch nicht mitverantwortlich. Andererseits stieß der ehemalige Spaßpolitiker Guildo Festerbelle doch recht häufig auf Skepsis und Zurückhaltung, was wohl auch mit seinem oft dröhnenden Auftreten zu tun hatte. Man konnte manchmal wirklich meinen, der Mann wäre der Vorsitzende einer Volkspartei, so wie er das Maul aufriß, doch da sich dahinter womöglich nur Unsicherheit verbarg, welche es zu kaschieren galt, verzieh man ihm das Getöse, aber nur, wenn man mal hinter seine Fassaden schaute. Wie auch immer, er war guten Mutes und freute sich schon auf sein künftiges Ministeramt. Würde er reüssieren oder sein blaues Wunder erleben, so wie die Wählerinnen und Wähler in Dresden, die am "Blauen Wunder" wohnten und deshalb am 18.September noch gar nicht zur Wahl gehen durften?

In der Union ging währenddessen die Debatte um Raul Kirchdorf und sein Steuermodell munter weiter. Mittlerweile hatten sich alle Beteiligten auf die Sprachregelung geeinigt, daß erst einmal das Unionskonzept umgesetzt werden würde und dann könne man weiter sehen. So wollte man die verwirrte Basis und die irritierten potentiellen Wählerinnen und Wähler beruhigen. Der Professor aus Heidelberg ordnete sich zunächst ein, um des lieben Friedens Willen, doch wer ihn kannte, wußte genau, daß er, sobald er deutscher Finanzminister wäre, sofort loslegen würde, ohne Rücksicht auf Stimmungen und Verluste. Genau das fürchteten viele Leute bei CDU und CSU auch, deshalb blieb die Angelegenheit hochinteressant. In der FDP hatte der Professor mit seinem Steuermodell jedenfalls viele Freunde gefunden, vielleicht hätte er lieber für die Liberalen antreten sollen.

Aber es gab da ja auch noch den amtierenden Bundeskanzler, welcher so freundlich war, der SZ ein Interview zu gewähren. In dem sprach er von den notwendigen Reformen, lästerte ein wenig über die weltfremden Vorstellungen des Herrn Kirchdorf und zeigte sich fast so selbstbewußt wie der unvermeidliche Festerbelle. 38 Prozent der Wählerstimmen peilte er nun als neues Ziel für seine SPD an, in den Umfragen stand sie gerade bei 34, wohingegen die Union bei 42 % gehandelt wurde. Schräder glaubte daran, das noch verändern zu können, denn seiner Ansicht nach befand sich die SPD im Aufwind und da die Deutschen ohnehin ihn lieber als Bundeskanzler wollten, nahm er für sich in Anspruch, auch nach der Neuwahl weiter zu regieren, mit welchem Koalitionspartner auch immer. Daß es zusammen mit den Grünen wohl nicht reichen würde, wußte er genauso gut wie alle Anderen auch, doch so etwas sagte man natürlich nicht öffentlich, sondern hielt sich statt dessen lieber alle Optionen offen. Demzufolge war es für ihn das Wichtigste, daß seine Partei auch zukünftig die stärkste Fraktion im Bundestag stellte, denn dann würde man, also der Nöler Thorsten, der Bundespräsi, ob er wollte oder nicht, dem bliebe da gar nichts Anderes übrig, die SPD ein weiteres Mal mit der Regierungsbildung beauftragen. Schräder war guter Dinge und das war keineswegs nur gespielt, denn er kannte sich gut genug um zu wissen, daß er immer zu Wahlkampfzeiten zu absoluter Hochform auflief. Wie passend.

13.09.2005: Dialekt und Dialektik sind ja normalerweise zwei Paar Schuhe. In Kulmbach war das jedoch anders, denn dort wurde Bernhard Schräder von der örtlichen SPD-Abgeordneten als schöner Mann bezeichnet, was sich im fränkischen Dialekt natürlich ein wenig anders anhörte. Noch lustiger war dann allerdings, was Schräder daraus machte, denn der bedankte sich für das Kompliment, er wäre ein "scheener Mao". Damit hatte er die Lacher natürlich auf seiner Seite, doch ganz unpassend war das Wortspiel eigentlich nicht, denn selten war Schräder beim Regieren so sozialdemokratisch wie bei seinen Wahlkampfauftritten gewesen. Plötzlich hatte man da dann auf einmal das Gefühl, bei dem Mann könne es sich tatsächlich um einen waschechten Sozialdemokraten handeln; etwas, das man sich in den vorangegangenen Jahren nun beim besten Willen nicht vorstellen hatte können. Klar, in der Stunde der Not versammelten sich alle Beteiligten hinter dem Leitwolf, dem Alphatier und hofften, jenes würde das Ruder noch einmal herumreißen. An eine Fortsetzung von Rot-Grün dachte niemand mehr, denn es würde mit großer Wahrscheinlichkeit fünf Fraktionen im neuen deutschen Bundestag geben, von daher war das quasi unmöglich. Aber irgendwie hatte sich die Stimmung breitgemacht, es könne vielleicht doch noch etwas gehen.

Wie schon mal erwähnt, Oppositionen werden nicht gewählt, sondern Regierungen werden abgewählt und genau das bekam die Union immer deutlicher zu spüren. Je näher der Wahltermin rückte, desto knapper wurde der Vorsprung der Oppositionsparteien auf die Regierung. Von 45 oder 42 Prozent für CDU/CSU war schon längst keine Rede mehr, mittlerweile wäre man wohl bereits mit 40 oder gar den ominösen 38,5 % zufrieden gewesen, die Sträuber drei Jahre zuvor als Wahlergebnis eingefahren hatte. Schräder kämpfte, denn das beherrschte er, aber würde es reichen? Die Umfragen hatten sich beruhigt gehabt, Schwarz-Gelb lag hauchdünn vorne, aber das hatte noch nichts zu bedeuten, denn entscheidend waren nicht die Ergebnisse der Meinungsforscher, sondern das an der Wahlurne. Wer konnte schon mit Sicherheit ausschließen, daß Mao Schräder nicht doch wieder die Wahl gewinnen und als Bundeskanzler weitermachen würde können?

Mitte September 2005: "Auf die Unentschlossenen kommt es an", behauptete die SZ in ihrer letzten Ausgabe vor der Wahl und damit lag sie wohl richtig. Es wurde fleißig über mögliche Koalitionen spekuliert, doch wesentlich interessanter war eine andere Sache: Scheinbar gab es immer noch unheimlich viele Wählerinnen und Wähler, welche nicht wußten, daß die Zweitstimme die entscheidende war und das gab dann doch ziemlich zu denken. So kam es, daß Grünen-Wähler auch ihre Erststimmen dem Kandidaten der eigenen Partei gaben, welcher jedoch ohnehin keine Chance auf das Direktmandat hatte, anstatt den SPD-Kandidaten zu wählen, der mit den Stimmen der Grünen-Sympathisanten vielleicht seinen Konkurrenten von der Union überflügeln hätte können. Tja, dumm gelaufen.

In Berlin lag Spannung in der Luft, gemischt mit einer gespenstischen Ruhe. Sieben Jahre lang hatte Rot-Grün regiert gehabt, es würde wohl ziemlich lange dauern, bis so ein Bündnis wieder eine Mehrheit bekommen würde, wenn es je überhaupt noch einmal dazu kommen sollte. Alles war gesagt, nun konnte man nur noch warten, die erste Prognose würde zeigen, wohin das Pendel ausschlug. So eine Wahl war im Grunde nichts Anderes als Geschlechtsverkehr. Der Wahlkampf war das Vorspiel, die Wählerinnen und Wähler wurden angesprochen, heiß gemacht, zum Vorglühen gebracht, doch erst am Wahltag fand das Eindringen statt, nämlich dann, wenn die Stimmzettel in die Wahlurne geworfen wurden. Die Prognose stellte den ersten Höhepunkt des Wahlabends dar, manchmal reichte es da schon zum Orgasmus, ab und zu dauerte es aber auch bis zu den ersten Hochrechnungen. Welche Anhänger würden ihre Freude am 18.09.2005 am lautesten herausschreien, wer würde das deutsche Volk glücklich machen dürfen? CDU/CSU, oder die SPD, am Ende gar die FDP, vielleicht sogar die Grünen oder womöglich die unberechenbare Linke!

In Bayern gingen sowohl die Uhren als auch die Huren anders, deshalb kam es dort auf andere Gesichtspunkte an. Daß die CSU gewinnen würde, stand, wie immer, schon im Vornherein fest, es ging lediglich darum, wie hoch ihr Sieg dieses Mal ausfallen sollte. Die SPD hoffte darauf, nicht zu stark abgewatscht zu werden und die kleinen Parteien wünschten sich Ergebnisse von über fünf Prozent, auf denen die eigenen Bundesparteien dann als Fundament für das restliche Deutschland aufbauen konnten. Mittlerweile sah man es als strategischen Fehler an, daß sich Egmont Sträuber vor der Wahl nicht auf ein Ressort festlegen hatte wollen. Seine Taktik, quasi als Co-Kanzlerkandidat mitzumischen, war grandios gescheitert, doch nun kam es in erster Linie darauf an, viele Stimmen auf die Waagschale zu bringen und die FDP hinter sich zu lassen, denn sonst hatte man am möglichen zukünftigen Kabinettstisch nur wenig zu sagen. Der Wahltag konnte kommen und er stand auch schon vor der Tür. Würde die Union nach sieben Jahren in der Opposition wieder an die Regierung kommen oder sollte es Andrea Gerkel tatsächlich gelingen, einen sicher geglaubten Wahlsieg noch zu verspielen? Es hatte vor einigen Monaten Wahlumfragen gegeben, in denen der Union die absolute Mehrheit der Mandate zugetraut worden war. Bei 48 % der Wählerstimmen hatte sie seinerzeit gestanden, die SPD dagegen gerade mal bei 24 Prozent. Doch das war verdammt lange her.

18.09.2005: Und dann das! Und dann was? Eine Explosion, ein politisches Erdbeben, eine Katastrophe für die Einen, für die Anderen ein Abend im Glück. Was war passiert? Wozu gab es Meinungsumfragen, wenn sie rein gar nichts mit dem Wahlergebnis zu tun hatten? Die ersten und schlimmsten Verlierer des Wahlabends waren zweifellos die Demoskopen, dicht gefolgt von CDU/CSU. 35,2 Prozent der Stimmen, gerade mal 0,1 % besser als Hartmut Fohl bei seiner Abwahl 1998 und der hatte noch mehr Stimmen eingesackt gehabt, da es damals eine höhere Wahlbeteiligung gegeben hatte. Das war nicht nur ein Trauerspiel, sondern eine Blamage. Aber warum eigentlich? Die Union lag vor der SPD, die es auf 34,3 % gebracht hatte, war demnach stärkste Fraktion im Bundestag und konnte mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kanzler, beziehungsweise die Kanzlerin, stellen. Wo also war das Problem? Nun ja, zunächst einmal hatte man mit einem starken Stimmenzuwachs, zumindest prozentual, gerechnet gehabt, aber nicht mit Verlusten. Außerdem hätte es niemand bei CDU/CSU für möglich oder überhaupt denkbar gehalten, daß die SPD nicht einmal einen Prozentpunkt hinter den eigenen Parteien liegen würde. Daß man quasi nur an der Spitze stand, weil die Konkurrenz ein bißchen mehr verloren hatte als man selbst. Hinzu kam, daß es zusammen mit der FDP für eine schwarz-gelbe Koalition nicht reichen würde und das war ja auch eines der wichtigsten Wahlziele gewesen. Immerhin 9,8 Prozent der Wählerstimmen hatten die Liberalen erreicht gehabt, doch zusammen kam man nur auf 45 % und die drei anderen Parteien zusammen auf gut 51 Prozentpunkte, von daher war der Rückstand schon ziemlich deutlich. Klar, Schwarz-Gelb lag über zweieinhalb Punkte vor Rot-Grün, aber da die Linkspartei mit 8,7 Prozent der Wählerstimmen ebenfalls ins Parlament eingezogen war, spielte das alles keine Rolle mehr. Wie war so etwas Schreckliches nur möglich?

Nun ja, fest stand, daß etliche Unionsanhänger die FDP gewählt hatten, um eine Große Koalition zu verhindern und Schwarz-Gelb zu ermöglichen. Der Schuß war allerdings eindeutig nach hinten losgegangen. Zwar freuten sich die Freien Demokraten über ein tolles Ergebnis, doch das brachte ihnen nichts, denn da sie von einer Ampel (eine Koalition mit Rot-Grün) nichts wissen wollten und die Grünen wiederum mit der Schwampel (schwarze Ampel oder Jamaika-Koalition = CDU/CSU, FDP und Grüne) nichts anfangen konnten, lief alles auf eine Große Koalition von Union und SPD hinaus. Hatten die Wähler das gewollt?

Davon ist schwer auszugehen. Rot-Grün wollten die Menschen nicht länger als Regierung haben, Schwarz-Gelb auch, beziehungsweise noch nicht. Von daher blieb nur die Große Koalition übrig, so einfach war das manchmal im Leben.

Die SPD freute sich ohne Ende, denn sie war auferstanden aus Meinungsumfragenruinen und hätte beinahe noch die Union überholt, man hatte wirklich alles rausgeholt, was überhaupt möglich gewesen war. Die Grünen waren ebenfalls zufrieden, mit 8,1 Prozent der Stimmen hatten sie sich wacker geschlagen und die Linken waren mit 8,7 % souverän in den Bundestag eingezogen, hatten sowohl Schwarz-Gelb als auch Rot-Grün verhindert und konnten davon ausgehen, bei den nächsten Wahlen weiter zuzulegen, sofern es im Bund zu einer Koalition aus Union und SPD kam, was als ziemlich wahrscheinlich galt.

Nur in Bayern war mal wieder eine Welt zusammengebrochen. Die CSU hatte ihr Wahlziel 50 plus X nicht erreicht, es waren gerade mal 49,3 % geworden und das sorgte schon für Fassungslosigkeit sowie Kopfschütteln in den eigenen Reihen. Sträuber bekam eine Mitschuld aufgebürdet, doch davon wollte Meister Ege selbstverständlich überhaupt nichts wissen. Er verwies auf die schwachen CDU-Wahlergebnisse in den ganzen anderen Bundesländern und hob hervor, daß die CSU zehn Prozent vor der zweitplatzierten CDU aus Baden-Württemberg und fast 30 Prozent vor der Brandenburger CDU, welche unionsintern auf dem letzten Platz gelandet war, lag. Leihstimmen an die FDP hätten den Ausschlag für das eigene bescheidene Wahlergebnis gegeben, hieß die offizielle Sprachregelung, diese unverschämten taktischen Wähler hatten der großen Bayernpartei mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn man ganz ehrlich war, dann mußte man durchaus zugeben, daß jene Erklärung ziemlich schlüssig daherkam. Eine Gerkel konnte halt als Kanzlerkandidatin nicht so mobilisieren wie ein Sträuber, das hatte man ohnehin schon vorher gewußt gehabt und war nun eindrucksvoll bestätigt worden. Aber bitter war es für die CSU-Granden schon, daß die eigene Partei mit 7,4 % der Stimmen bundesweit auf dem letzten Platz aller im Parlament vertretenen Parteien gelandet war. Nichtsdestotrotz tat Sträuber so, als wolle er dennoch als Minister nach Berlin gehen und es gab viele Leute in der CSU, die ihn so schnell wie möglich aus Bayern draußen haben wollten und wenn er als "Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium" landen würde, Hauptsache er verzog sich endlich.

Schräder hatte in der "Elefantenrunde" am Wahlabend einen großen Auftritt hingelegt gehabt, er hatte die Medien und die Demoskopen kritisiert und klargemacht, daß er deutscher Bundeskanzler bleiben wolle und werde. Andrea Gerkel sah aus wie eine Frau, die gerade noch dem Tod von der Schippe gesprungen war und Guildo Festerbelle hatte dieses zufrieden dämliche Grinsen im Gesicht, das so viele Aggressionen in der Bevölkerung hervorrief. Schräder rüpelte und bluffte, er glaubte wirklich noch an seine Chance, die anderen Teilnehmer der Runde hielten sich eher zurück und so hatten die Leute in Deutschland am nächsten Tag so einiges, worüber sie ausführlich diskutieren konnten, wenn sie denn wollten. Ungläubiges Staunen, made in Germany.

Bernd und sein Außenminister trafen ein letztes Mal im Kanzleramt aufeinander. "Hallo Ansgar, alte Mischerhaut, na, das Wahlergebnis gut überstanden?" erkundigte sich Schräder gönnerhaft. "Ich glaube schon. Erst einmal Glückwunsch zu Deiner furiosen Aufholjagd, schade, daß es nicht ganz gereicht hat, aber jetzt kommt es wenigstens nicht mehr auf diese Nachwahl in Dresden an, weshalb ich endlich Urlaub machen kann. Ich wollte mich nur noch von Dir verabschieden, weil ich mich jetzt aus der Politik zurückziehen werde", erklärte der Grüne. "Ach, tatsächlich, na ja, irgendwie kann ich das schon nachvollziehen, wieder in die Opposition gehen macht ja auch keinen Sinn, wenn man sieben Jahre lang Minister gewesen ist." "Absolut. Und was wird aus Dir?" "Keine Ahnung. Meine Sozialdemokraten sind ja so was von stolz auf mich und dermaßen begeistert von unserem Wahlergebnis, daß die mich auf der Stelle zu ihrem König krönen würden, wenn sie nur könnten." "Das freut mich, aber perspektivisch betrachtet wird es ja wohl doch eine Große Koalition werden." "Das wissen wir doch alle, aber wir werden für die SPD so viel rausholen, wie nur irgend möglich." "Das kann ich mir gut vorstellen. Na dann, viel Erfolg und alles Gute." "Dir auch, alter Freund."

Weniger freundschaftlich ging es im Hause Sträuber zu. Egmont wütete und giftete in einer Tour, er lief die ganze Zeit unruhig im Haus herum, bis er einmal fast versehentlich mit seiner Frau zusammengestoßen wäre, weshalb ihn jene fragte: "Was ist los mit Dir?" "Ach, die blöde Gerkel hat alles vermasselt. Da verliert die genau die gut drei Prozent, die ich vor drei Jahren dazu gewonnen hatte und dann wird die für so ein miserables Wahlergebnis wahrscheinlich auch noch mit der Kanzlerinnenschaft belohnt. Das Leben ist einfach nicht fair." "Aber freu Dich doch, daß Deine Union endlich wieder an der Regierung ist." "Na toll, zusammen mit den Sozen, etwas Schlimmeres gibt es eigentlich gar nicht, außer natürlich mit den Linken. Und was soll ich jetzt machen?" "Wie wäre es denn mit den Tisch decken?" "Sehr witzig, Kathrin, wirklich sehr witzig. Nachdem die CSU nicht mal 50 Prozent in Bayern erreicht hat, kann ich in den Koalitionsverhandlungen auch nicht auftrumpfen. Diese blöden Diebe von der FDP! Haben überhaupt keine Inhalte und Konzepte, aber fleißig Stimmen klauen, das können sie, diese neoliberalen Schleimscheißer!" "Und ich dachte immer, die von der FDP wären Eure Freunde." "Das hatte ich bislang auch geglaubt gehabt, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Was mache ich nur? Was mache ich nur?" "Du machst noch Löcher in den Teppich, wenn Du hier dauernd so herumläufst wie ein Huhn, dem sie den Kopf abgeschlagen haben." "Genau so fühle ich mich aber auch. Geh, Kathrin, laß mich allein, ich muß nachdenken." "Sagst Du heute denn gar nicht "Muschi" zu mir?" "Nein danke, mir ist heute nicht nach Gerkeleien, äh, Ferkeleien. Ein andermal wieder." Sie ging ihrer Wege und er grübelte stundenlang weiter im Kreis herum.

21./22./23.09.2005: Die beiden großen Volksparteien hatten nicht lange gezögert, sondern sogleich vollendete Tatsachen geschaffen. Sowohl Gerkel als als auch Mützewirsing wurden jeweils als Fraktionsvorsitzende in ihren Ämtern bestätigt, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wer Herr, beziehungsweise Frau, im eigenen Hause war. Das war durchaus bemerkenswert, schließlich stand ja noch die Nachwahl in Dresden an. Natürlich war die Stimmung bei der SPD wesentlich besser als bei der Union, doch unabhängig davon war jene die stärkste Partei geworden. Genau das aber zweifelten die Sozialdemokraten auf einmal an, indem sie darauf verwiesen, daß es sich bei CDU und CSU um zwei verschiedene Parteien handele, die sich zwar im Bundestag zu einer Fraktion zusammenschlössen, was ihnen ein Gesetz aus dem Jahre 1969 ermöglichte, aber demzufolge würde die SPD die stärkste Fraktion im Bundestag stellen. Jenes Manöver war natürlich leicht durchschaubar, zielte es doch in allererster Linie darauf, sowohl den Posten des Bundeskanzlers als auch den des Bundestagspräsidenten für sich beanspruchen zu können. Auf den Trick fiel verständlicherweise niemand herein und so ruderten die SPDler, die sich kurzzeitig als schlechte Verlierer sowie "Asozialdemokraten" präsentiert hatten, schnell wieder zurück. Es hatte sich bei der ganzen Geschichte noch einmal um jene Art von Muskelspielen gehandelt gehabt, mit denen Bundeskanzler Schräder bereits am Wahlabend unangenehm aufgefallen war. Jedoch gab es auch in der SPD Stimmen der Vernunft, wie etwa die des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Lowereit, der sich eine Große Koalition, ohne Schräder und unter Gerkel, durchaus vorstellen konnte. Schließlich ging aus dem Wahlergebnis zweifelsfrei hervor, daß CDU/CSU mehr Stimmen bekommen hatten als die SPD und schön langsam hielt jene Realität auch in den Köpfen der Beteiligten Einzug, auch wenn es vielen nicht recht paßte.

Die FDP befand sich in einer denkwürdigen, ziemlich beschissenen Lage. Man hatte zwar ein tolles Ergebnis erzielt gehabt, doch dafür konnte man sich auch nichts kaufen, weil es für Schwarz-Gelb bekanntlich nicht reichte. Bei etlichen Liberalen reichte es wenigstens noch für Schwarzgeld, das war zwar nur ein schwacher Trost, aber immerhin. Guildo Festerbelle erwies sich einmal mehr als der unsympathische Autist, der sich die Welt so bastelte, wie sie ihm gefiel. Das Wahlergebnis ebenso ignorierend wie etliche Sozialdemokraten, wollte er eine Art Koalitionspapier von FDP und Union vorlegen, in der Hoffnung, die Grünen würden dem zustimmen und daraufhin das Dreier- (beziehungsweise Vierer-) Bündnis (kam ganz darauf an, ob man die CSU als eigenständige Partei betrachtete oder nicht) mit der Union und den neoliberalen Wirtschaftsarschkriechern wagen. Außerdem griff Guildo nach dem Fraktionsvorsitz, den bislang noch Wilfried Leerhardt innehatte. Das war so eine Sache, denn jener sollte dem FDP-Parteichef erst zufallen, wenn der Wilfried Außenminister geworden wäre, also ein Tauschgeschäft sozusagen, das ja nach jenem Wahlergebnis nicht zustande kommen konnte. Leerhardt wollte sich nicht "wie ein Hund vom Hof jagen lassen" und betonte, das Wahlergebnis hätte "die FDP nicht allein Festerbelle zu verdanken". Das war unstrittig, doch der machtbewußte Dauerdrängler kannte kein Pardon und pochte weiter auf die Abmachung vor der Wahl, obwohl er seinen Teil von jener überhaupt nicht einhalten konnte. Immer schön autistisch bleiben.

Bei den Grünen ging es auch drunter und drüber, es galt die Fraktionsvorsitzenden zu bestimmen und da Mischer abgedankt hatte, fühlten sich auf einmal alle möglichen Leute dazu berufen, die Partei im Parlament anzuführen. Dazu gehörten selbstverständlich auch die beiden bisherigen Bundesminister Knast und Frittin, doch es gab da auch noch andere Bewerberinnen sowie Bewerber. Bei den Gleichberechtigungsfanatikern von den Grünen ging es selbstverständlich nicht nur darum, daß sowohl eine Frau als auch ein Mann an der Spitze der Fraktion standen, sondern es mußte auch deren politische Ausrichtung stimmen. Das sollte heißen, daß es nur einen Realo und eine Fundi, oder eine Reala und einen Fundi als Gespann geben konnte, alles Andere wäre für die Parteimitglieder unzumutbar gewesen, denn Ausgewogenheit war das A und O, sonst konnte man den Laden gleich zusperren und das hatte man mit acht Prozent Wählerstimmen nun wirklich nicht nötig, ganz im Gegenteil, kraftvolle Oppositionsarbeit war zu erwarten.

"Konfusion in der CSU", hieß es in der SZ und das selbstverständlich nicht ohne Grund. Die CSU-Landesgruppe war von 58 auf 46 Abgeordnete geschrumpft und würde fortan als kleinste Partei im Parlament fungieren. Das bedeutete immerhin, daß die CSU-Abgeordneten ihre kraftmeierische Arroganz, insbesondere gegenüber den CDU-Abgeordneten, ablegen würden, aber wohl fühlten sich die Bajuwaren nicht wirklich. Die Aussicht auf eine bevorstehende Große Koalition mit der SPD machte ihnen durchaus zu schaffen, denn in jener Konstellation würde die CSU nicht wirklich gebraucht werden und konnte sich deshalb auch nicht so viel erlauben. Dazu kam die immer gleiche, nervende und langweilende Frage nach der Zukunft von Parteichef Sträuber. Geht er? Bleibt er? Manche CSUler hätten ihren Egmont wohl am liebsten auf den Mond geschossen, im festen Glauben, von dort würde er bestimmt nicht mehr zurückkehren, aber das war dann irgendwie doch nicht möglich. Nun ja, so harrte man also gedrückter Stimmung der Dinge, die da noch kommen würden und hoffte insgeheim auf bessere Zeiten.

Ach ja und da war dann natürlich auch noch die Schuldfrage. Immer schön brav mit dem Stinkefinger auf die Anderen zeigen, so gehörte sich das. Sträuber machte deutlich, daß einzig und allein Kanzlerkandidatin Gerkel und ihr Generalsekretär Frauder für den Wahlkampf der Union verantwortlich gewesen waren und deshalb selbstverständlich die Hauptschuld an dem Desaster trugen. Zwar hatten auch Zuber und Öder von der CSU, die das Wahlprogramm geschrieben hatten, ihren Anteil an der Misere, doch das posaunte man lieber nicht so laut heraus. Die "kalte und herzlose Sprache" der Ost-Schnepfe hatte also die Wählerinnen und Wähler vergrault, so lautete die These des großen Egmontus. Aber so leicht ließ man ihn nicht davonkommen. Es gab Ärger wegen des Sträuber-Flirts mit den Grünen, da fast alle CSU-Politiker nicht mit denen koalieren wollten. Deswegen mußte er öffentlich Abbitte leisten und wieder zurückrudern. Intern verkaufte man das Ganze natürlich so, daß man so tun hätte müssen als ob man Schwarz-Gelb-Grün erwägen würde, damit die Liberalen nicht mit SPD und Grünen gemeinsame Sache machten. Es sah also alles immer mehr nach einer Großen Koalition aus, was die Menschen in Deutschland durchaus zu schätzen wußten.

Bei den Grünen wunderte man sich dagegen darüber, daß die Schwarzen und die Gelben plötzlich so nett und freundlich zu ihnen waren. Noch im Wahlkampf waren sie von jenen übelst beschimpft und auf das Heftigste angegriffen worden, doch auf einmal hörte man kein schlechtes Wort mehr über die "Müslifresser", über die insbesondere FDP-Chef Festerbelle nur allzu gerne gelästert hatte. Was war davon zu halten? Nun ja, man nahm es bei den Grünen zur Kenntnis, wollte es aber auch nicht überbewerten, denn politisch paßten die drei Lager einfach nicht zusammen und selbst wenn man eine Koalition miteinander versucht hätte, dann wäre die Basis der Grünen dagegen aufgestanden und hätte jene verhindert. Aus diesem Grund beschäftigte man sich lieber weiter mit sich selbst, in den kommenden Jahren der Opposition würde man dafür schließlich auch noch ausreichend Zeit dafür haben, deshalb auf sich selbst mit Gebrüll!

Der Streit um die Kanzlerschaft war zwar immer noch nicht gelöst, trotzdem sondierten Union und SPD miteinander. Die Aufspaltung der Unions-Fraktion war plötzlich kein Thema mehr und so traf man sich zu vertraulichen Gesprächen hinter verschlossenen Türen, um mal zu hören, was denn miteinander möglich wäre. Man merkte schon, daß es auf eine Große Koalition hinauslaufen würde, denn insbesondere in der CSU waren die Vorbehalte gegen ein Bündnis mit den Grünen viel zu stark, was vermutlich auch auf Gegenseitigkeit beruhte.

Sträuber hingegen hatte mächtig Ärger mit seinen Leuten. Die geigten ihm nämlich mal gehörig ihre Meinung und machten ihm klar, daß die Zeiten der selbstherrlichen Alleingänge seinerseits nun endgültig und ein für allemal vorbei waren. Nun mußte auch der große Sträuber erfahren, wie es war, wenn das eigene Stimmvieh aufbegehrte und sich wie ein störrischer Esel weigerte, brav in die Richtung zu marschieren, die man selbst vorgegeben hatte. Zwergenaufstand im Bayernland? Nein, ganz so einfach und so weit war es auch wieder nicht, aber die CSU-Abgeordneten bekamen in ihren Wahlkreisen selbstverständlich auch den Unmut der Wählerinnen und Wähler zu spüren, welchen sie dann ungefiltert an die Parteispitze weitergaben. Schließlich standen 2008 Kommunalwahlen an, die man siegreich bestehen wollte, von der Landtagswahl im September 2008 ganz zu schweigen. Egmont spürte, daß er aufpassen mußte, um nicht unterzugehen.

Was aber hatten die Meinungsmacher zu der ganzen Chose zu sagen? Ein Redakteur der Schild-Zeitung traf in einem Nobelrestaurant zufällig auf einen Kollegen von der FZA. "Hallo Frank. Na, freust Du Dich auch schon auf die Große Kotzbrockenkoalition?" forschte der Mann von der Boulevardpresse. "Aber selbstverständlich. Natürlich gibt es da noch einen kleinen Teil in mir, der die Hoffnung auf eine Jamaika-Koalition noch nicht aufgegeben hat, aber mit den bayerischen Bierdimpfeln ist so etwas wohl leider nicht zu machen", glaubte der Mann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Ja, die Bayern mal wieder, die versauen einfach alles. Die SPDler haben es ja momentan ganz schön auf uns Medien abgesehen, von daher habe ich eigentlich keine Lust darauf, denen ihre Nasen in Ministerämtern betrachten zu müssen." "Und wenn schon? Schlimmer als unter Rot-Grün kann es auch nicht werden. Gibt es eigentlich inzwischen eine Erklärung dafür, daß die Demoskopen dermaßen versagt haben?" "Na ja, die reden sich heraus, wenige Tage vor der Wahl hätte es schon fast so ausgesehen wie am Wahltag, aber da sie die letzte Umfrage neun Tage vor der Wahl veröffentlicht hatten, wäre das nicht mehr bekannt geworden." "Ach, immer diese Ausreden. Entscheidend ist doch etwas ganz Anderes: Zu keiner Zeit war in den Umfragen die Rede davon, daß das linke Lager auf 51 und das bürgerliche lediglich auf 45 Prozent der Stimmen kommen würde. In den ganzen letzten Wochen vor der Wahl war von einem Kopf-an-Kopf-Rennen die Rede gewesen, doch davon war am Wahlabend überhaupt nichts zu sehen." "Ja, die Meinungsforscher haben sich jedenfalls gewaltig blamiert. Genauso wie wir und unsere Kollegen übrigens auch, die wir Schwarz-Gelb quasi schon in die Regierung geschrieben hatten." "Selbstkritik bei der Bild, na das ist ja mal was ganz Neues. Wir haben doch auch nur mit den Zahlen gearbeitet, welche wir von den Umfrageinstituten bekommen hatten und denen zufolge lag die SPD die ganze Zeit über deutlich hinter der Union." "Das stimmt natürlich und ich bin fest davon überzeugt, daß genau jene Umfragen dafür gesorgt haben, daß viele Unionswähler zur FDP gewandert sind, um sicherzustellen, daß es für Schwarz-Gelb reicht." "D’accord. Aber das erklärt immer noch nicht, wohin die drei Prozent verschwunden sind, die zum Unentschieden fehlen. Das wäre doch mal eine Aufgabe für Euch investigative Bild-Journalisten." "Ach, ich weiß nicht so recht. Lieber sitze ich doch hier mit Dir in diesem Nobelschuppen und jammere auf höchstem Niveau. Schwarz-Gelb liegt so deutlich hinter Rot-Rot-Grün, daß nur eines feststeht: Die Leute wollten die Gerkel nicht als Kanzlerin haben." "Und genau aus dem Grund werden sie sie trotzdem bekommen." "Prost!" "Auf unser Wohl!" Daraufhin genossen sie den Wein und das Ambiente.

24.09.2005: Für die Genossen wurde es derweil langsam ernst. Aus einem Bündnis zwischen Union, FDP und Grünen schien nichts zu werden, man hatte sich zwar miteinander getroffen, höchstwahrscheinlich wenig bis nichts zusammen gesoffen und war mit der Feststellung auseinandergegangen, daß nicht zusammenwachsen sollte, was schlicht und einfach nicht zusammen gehörte. Deswegen blieb eigentlich nur noch die Große Koalition als Option, denn auf Neuwahlen hatte prinzipiell niemand so recht Lust. Das bedeutete, daß sich CDU/CSU und SPD alsbald wieder zusammensetzen würden, um über Inhalte zu sprechen und sich einander anzunähern. Zwar hatte man sich im Wahlkampf noch lautstark gegenseitig beschimpft, aber das gehörte nun mal zur Show dazu. Schließlich handelte es sich bei den Beteiligten ja um Profis, die schon wußten, welche Beleidigungen sie ernst nehmen mußten und wenn nicht, dann hatte man halt ein zwischenmenschliches Problem, es gab wahrlich wichtigere sowie schlimmere Dinge im Leben.

Zum Beispiel den Frauenaufstand in der Fraktion von "Die Linke". Dort hatten sich die älteren und jüngeren Herren gegenseitig die Posten zugeschanzt und hätten die holde Weiblichkeit am liebsten außen vor gelassen. Daß Afroträne und Fysi als Fraktionsvorsitzende gesetzt waren, war von Anfang an klar gewesen, doch auch der Platz des Bundestagsvizepräsidenten und der des Parlamentarischen Geschäftsführers sollte an die Schwanzträger gehen und das war aus der Sicht vieler Frauen in der Fraktion eine pimmelschreiende Ungerechtigkeit. Für die Drecksarbeit waren sie scheinbar gut genug, so wie die beiden Trümmerfrauen Pfau und Mötzsch, welche die Fahne der PDS in den vorangegangenen drei Jahren hochgehalten hatten, nachdem jene den Einzug in den Bundestag seinerzeit verpaßt gehabt hatte. Das Problem bestand in allererster Linie darin, daß es in der Fraktion nur so vor Alphatieren wimmelte, von denen jedes eine gewisse Vorzugsbehandlung erwartete. Die creme de la creme der deutschen Linken war ins Parlament eingezogen und wollte dementsprechend gewürdigt werden. Alles nicht so einfach, vor allem da es in einer Oppositionsfraktion nicht allzu viele tolle Posten zu verteilen gab. Da war guter Rat ganz schön teuer.

Schön an der neuen Partei war nicht nur, daß ehemalige inoffizielle Mitarbeiter der Stasi endlich mal wieder einen gut dotierten neuen Arbeitsplatz gefunden hatten, sondern auch, daß es erstmals in der bundesdeutschen Geschichte eine tatsächliche Langzeitarbeitslose in den Bundestag geschafft hatte. Es gab sie also doch noch, die kleinen Wunder und schönen Märchen der Demokratie.

Anderswo herrschte eher die Empörung. Raul Kirchdorf zum Beispiel erregte sich über den dreisten Bernhard Schräder, seinen politischen Erzfeind, welcher nicht von seinem Amt lassen wollte und letzten Endes mit verhindert hatte, daß der Professor aus Heidelberg höchstselbst als Finanzminister reüssieren hatte können. In der SPD hatten sich die Begeisterungsstürme mittlerweile etwas gelegt, der Rausch war einer gewissen Nüchternheit gewichen und schön langsam machte sich unter den Genossen doch die Erkenntnis breit, daß man als schwächere der beiden großen Parteien nun vielleicht doch nicht den Kanzler stellen würde können. Das politische Berlin als solches hatte sich inzwischen langsam beruhigt, hin und wieder meldeten sich noch ein paar schlaue Köpfe zu Wort, doch insgeheim hatte sich die Republik bereits mit der bevorstehenden Großen Koalition abgefunden, welche sie ja im Grunde auch herbei gewählt hatte, von daher war alles prima.

26.09.2005: Doch wer geglaubt hatte, die SPD würde das Schlachtfeld kampflos verlassen, sah sich wenig später ein weiteres Mal getäuscht, denn plötzlich kursierte ein neuer Vorschlag der Sozialdemokraten. Schräder und Gerkel sollten sich das Kanzleramt teilen; erst würde Schräder noch 18 Monate lang regieren, danach könnte Gerkel dann für den Rest der Legislaturperiode übernehmen, lautete die vergiftete Botschaft. Man merkte, daß die Sozen spürten, daß ihnen der Wind immer schärfer ins Gesicht blies, weshalb sie von ihrer ehemaligen Maximalforderung schon ein gutes Stück abgerückt waren. Eine besondere Ironie enthielt die Idee ohnehin: Hätte Schräder nicht höchstpersönlich Neuwahlen ausgerufen, dann wäre er ja bis September 2006 ohnehin deutscher Bundeskanzler geblieben, von daher wollte man im Grunde nur noch sechs Monate zusätzlich zu der Zeit, die er sowieso hätte haben können. Ja, irgendwie waren die Auflösungserscheinungen schon deutlich sichtbar geworden und da die Granden in der Union wußten, daß es sich bei der ganzen Sache um einen vielleicht letzten verzweifelten Versuch der SPD handelte, vom Kanzlerkuchen womöglich doch noch ein Stück abzubekommen, lehnte man sogleich dankend ab und verwies jene "Hirngespinste" schnell wieder dorthin, wo sie hergekommen waren.

Klar, als relativ neutraler und objektiver Beobachter konnte man durchaus nachvollziehen, daß die SPD nach sieben Jahren mit einem Bundeskanzler aus den eigenen Reihen nicht so einfach und schnell darauf verzichten konnte und wollte, aber irgendwie merkte man immer mehr, daß es sich dabei mittlerweile lediglich um ein taktisches Spielchen handelte, mit dessen Hilfe man bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen so viel wie möglich für die SPD herausholen wollte. Das hatte den unerwünschten Nebeneffekt zur Folge, daß sich die gesamte Union mit Andrea Gerkel solidarisierte, was ihre Kanzlerschaft umso wahrscheinlicher machte, denn die Kronprinzen mußten nun hinter ihr stehen und sie unterstützen, ganz gleich ob denen das in den Kram paßte oder nicht.

Ende September 2005: Es wäre mal wieder an der Zeit, einen Blick nach Bayern zu werfen. Inzwischen hatte sich in der CSU die Meinung durch- sowie festgesetzt, daß im Falle einer Großen Koalition Egmont Sträuber als Minister in ein Kabinett Gerkel eintreten sollte und würde. Damit waren alle Beteiligten einverstanden, so daß es fortan noch intensiver um die Frage ging, wer dem lieben Egi denn in Bayern als Ministerpräsident nachfolgen werde. Das Duell zwischen Zuber und Blackschein schien der Franke für sich entschieden zu haben, da er sowohl in der CSU-Fraktion als auch in der bayerischen Bevölkerung wesentlich besser ankam als der Reformator Zuber, der einfach nur Sträubers Befehle befolgt und sich damit den Unmut der Abgeordneten sowie der Massen zugezogen hatte. Ja, manchmal war es eben doch nicht so klug, wenn man sich zu nah an den Regenten hielt, denn sobald der weg war, stand man plötzlich fast ganz alleine da. Interessant bei der ganzen Geschichte war außerdem, daß sowohl der damalige Innenminister Sträuber als auch der aktuelle Blackschein es geschafft hatten, innerhalb der CSU-Fraktion integrierend zu wirken und sich beliebt zu machen, obwohl sie nach außen hin den "harten Hund", den "Law und Order-Politiker" gegeben hatten. Durchaus bemerkenswert, man brauchte also scheinbar doch irgendwie zwei Gesichter im politischen Leben.

Wenn man sich nicht einigen kann, dann ist es meistens am klügsten, daß man den Streitpunkt zunächst ausklammert und sich erst mit den Feldern beschäftigt, auf denen eine gemeinsame Lösung eher zu finden ist. So handhabten es auch die Union und die SPD, weshalb man bei den Sondierungsgesprächen gut vorankam und sich eine Große Koalition immer deutlicher am politischen Horizont abzeichnete. Hinzu kamen die Signale von der SPD-Spitze, die keinen Zweifel daran ließen, daß es letzten Endes um die Partei und nicht um Bernhard Schräder gehen würde, was der Betroffene so selbst auch bereits verlauten hatte lassen. Fest stand also, daß sich die Genossen in der letzten Konsequenz nicht quer stellen und entgegen aller anders lautenden Verlautbarungen Andrea Gerkel doch zur Bundeskanzlerin wählen würden, wenn es denn unbedingt sein mußte.

Derweil freute sich Egmont Sträuber schon auf die Zusammenarbeit mit Dan Mützewirsing im neuen Bundeskabinett, denn er hatte bereits ein Jahr zuvor in der Föderalismus-Kommission, in der sie Beide hervorragend zusammengearbeitet hatten, gute Erfahrungen mit dem Sauerländer gemacht gehabt. Gerkel und Schräder hatten jene Arbeit so gut es gegangen war ignoriert, wahrscheinlich hatte es ihnen auch irgendwie nicht in den Kram gepaßt gehabt, daß sich der SPD- und der CSU-Chef persönlich so gut verstanden hatten.

Fernab von all diesen Personalien sprach Friedbert Nerz von der CDU mit Lothar Schilli von der SPD bei einem gemeinsamen Frühstück im Café Einstein über die wirklich wichtigen Dinge, welche die Welt da draußen viel mehr bewegten.

"Mmh, das Croissant schmeckt aber wirklich lecker. Sie haben es gut, Herr Schilli, Ihre Rente ist wenigstens sicher", fand Nerz. "Da wäre ich mir nicht so sicher, jetzt kommt bestimmt bald die Rente mit 67", wandte jener ein. "Und wenn schon, Sie wird das alles nicht mehr betreffen. So Jungspunde wie ich haben es da schon schwerer." "Ach was, mein lieber Friedbert, Ihr von der Union findet doch immer einen Job in der Wirtschaft." "Ich glaube, Sie verwechseln uns da mit der FDP." "Eben gerade nicht. Die FDP-Politiker würden bloß jede Menge Unruhe in die Firmen bringen, die würden gegen die Gewerkschaften kämpfen und sich damit bei der Belegschaft unbeliebt machen. Ihr dagegen polarisiert nicht so und seid bei den Managern hoch angesehen." "Mal abwarten, ob das auch so bleibt. Die Gerkel wird in der Großen Koalition bestimmt keine einzige der Reformen beginnen, die sie damals in Leipzig versprochen hat." "Davon ist auszugehen, die will schließlich in vier Jahren wiedergewählt werden." "Aber Deutschland braucht unbedingt Reformen. Das, was der Schräder da fabriziert hat, das war ja ganz nett und natürlich besser als nichts, doch das darf und kann nur der Anfang sein." "Na ja, ich habe eher das Gefühl, den Leuten würde es schon wieder reichen." "Genau das ist das Problem. Dieses faule deutsche Volk ist fett und müde geworden. Die Leute sitzen träge vor dem Fernseher und schimpfen auf die Politik. Dabei sollten sie sich mal bewegen, flexibler werden und nicht meinen, der Staat würde schon alles für sie richten und erledigen." "Tja, die sind halt an den guten alten Sozialstaat gewöhnt und die im Osten noch mehr." "Das ist ja das Schlimme an der ganzen Sache. Eigenverantwortung klingt für die meisten Menschen im Land wie eine Drohung." "Na ja, wir reden uns leicht, wir sind ja abgesichert und fallen nicht tief. Stellen Sie sich doch zum Beispiel mal vor, wie die Kollegen von der FDP aufheulen würden, wenn ihre Partei eines Tages nicht mehr in den Bundestag käme. Da wäre das Geschrei groß." "Lieber Lothar, das ist eine hypothetische Frage, die Sie da aufwerfen, denn wir wissen Beide, daß die FDP immer ins Parlament gewählt werden wird." "Man wird ja wohl noch mal träumen dürfen", murmelte der Innenminister leicht verstimmt. "Und überhaupt, wann wechseln Sie denn endlich zu uns? Von Ihrer Politik her gehören Sie ja ohnehin schon längst zu unserer Partei." "Ach, wissen Sie, in meinem Alter reitet man weiter auf dem jahrelang gewohnten Pferd in den Sonnenuntergang." "Ein schönes Bild. Oh, was sehe ich da, ein Bierdeckel. Dürfte ich Ihnen darauf ganz kurz mein Konzept für eine Steuerreform vorstellen?" "Nein danke, dafür habe ich jetzt leider keine Zeit. Hat Euch das Debakel mit dem Kirchdorf denn noch nicht gereicht?" "Ganz im Gegenteil, jetzt bin ich nämlich mehr denn je von meiner Steuerreform überzeugt, nach der die Steuerpflichtigen ihre Einkommensteuererklärung zukünftig auf einem Bierdeckel machen werden können." "Du meine Güte, hört das denn niemals auf?" "Die Rechnung kommt zuletzt." "In unserem Fall zum Glück nicht, hier ist sie nämlich schon. Ich muß weg." "Typisch Sozi! Erst die Kosten verursachen und dann nicht dafür blechen wollen."

10.10.2005: Ganz Deutschland war von Anhängern der Großen Koalition besetzt. Ganz Deutschland? Nein, ein kleiner Bezirk in Bayern kämpfte tapfer gegen die schwarz-roten Eindringlinge und wehrte sich entschlossen gegen die Krönung ihrer Anführerin Andrea Gerkel. Lustig daran war allerdings, daß es sich dabei um Störfeuer aus den bayerischen Wäldern handelte, nämlich um den Bezirk Oberpfalz, dessen SPD-Delegierte es sich weder vorstellen konnten noch wollten, mit ihren Stimmen jene Frau Gerkel zur Kanzlerin zu wählen. "Ausgerechnet die Bayern-SPD", werden sich Schräder und Mützewirsing in jenem Moment gedacht haben, als sie das Fax aus Regensauf in den Händen hielten. "Mit der hat man doch nur Ärger." Seit Jahrzehnten im Landtag in der Opposition, deshalb verständlicherweise weit weg von der Realität und bereits bei der Agenda 2010 mit lauten Protesten und einer Unterschriftensammlung in den eigenen Reihen unrühmlich aufgefallen. "Was wollen die Deppen da unten nur von uns?" hat Bernd vielleicht den Dan gefragt und der hat wahrscheinlich nur mit den Schultern gezuckt. Ja, was wollten die denn eigentlich, diese Unzufriedenen aus dem tiefsten Bayern?

Sie hatten Angst vor einer Austrittswelle ihrer Mitglieder und das konnte man durchaus nachvollziehen, denn nachdem schon viele Genossen wegen der Agenda 2010 aus der Partei ausgetreten waren, konnte es leicht sein, daß etliche wegen der Großen Koalition folgen würden. Und wenn man ohnehin schon so einen schweren Stand bei den bayerischen Wählern hatte, dann würde einem ein solcher Aderlaß natürlich noch mehr schaden. Deshalb also das ganze Theater, doch würde es wirklich etwas nützen? Na ja, das blieb abzuwarten, vermutlich eher nicht. Hauptsache, man hatte laut aufgeschrien und damit allen Menschen im Land, insbesondere den eigenen Parteimitgliedern, gezeigt, daß man auf jene Große Koalition unter der Führung von Kanzlerin Gerkel nur zu gerne verzichten würde, wenn man denn nur könnte. Aber war das alles mehr als ein symbolischer Protest?

Mitte Oktober 2005: Jedoch hatte die Andrea noch ganz andere Probleme, die aus ihrer Sicht weitaus schwerwiegender waren. Sie hatte mal wieder Ärger mit Egmont Sträuber, nicht zum ersten und ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Der wollte neben sich selbst unbedingt Torsten Feehoffer als CSU-Minister durchdrücken, ausgerechnet den, den sie überhaupt nicht leiden konnte, weil er aus ihrer Sicht mindestens ein halber Sozialdemokrat war und da er ihre Kopfpauschale nicht so toll fand wie sie. Um den Torsten zu verhindern, hatte sie dem Micki Glas den Posten des Verteidigungsministers angeboten gehabt und angeblich hatte der auch zugesagt. Aber nicht mit Meister Ege! Da konnte der ganz fuchtig werden, wenn ihm jemand in seinem Personaltableau herumfuhrwerkte und dann noch dazu jene Frau, der er wenige Tage zuvor öffentlich die Richtlinienkompetenz abgesprochen hatte, welche die Verfassung dem Kanzler eigentlich garantierte. Sträuber stellte sich stur und setzte Feehoffer als Minister durch, auch gegen den Widerstand aus der CSU-Landesgruppe, in der Torsten aufgrund seiner Alleingänge nicht sonderlich beliebt war. Schön langsam fühlte sich Andrea Gerkel von Feinden und Gegnern umzingelt. Da waren einmal die acht sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister, denen sie nicht über den Weg trauen konnte und wollte, und dann gab es da auch noch die drei Ex-Gegner; Sträuber, Schäufele und Feehoffer, die ebenfalls nicht gerade zu ihrem Fanclub gehörten. Na, das konnte ja was werden!

24.10.2005: Immer wieder Sträuber, der Mann bestimmte nun in einer Tour die Schlagzeilen. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union wurde er von frechen Jungchristdemokraten angegriffen und kritisiert, weshalb er sich so provoziert fühlte, daß er gnadenlos zurückschlug und ihnen im Grunde die selbe soziale Kälte vorwarf wie Gerkel, Frauder und Konsorten. Egmont stellte klar, wer den Wahlkampf verbockt hatte und das war aus seiner Sicht ganz bestimmt nicht er selbst. Mächtig teilte er aus, ganz zur Freude von seinen bayerischen Landsleuten im Saal, welche ihn stürmisch feierten und bejubelten, doch der Rest beharrte darauf, daß er mit seinen Äußerungen über die ostdeutschen Wähler und seinem sich nicht festlegen wollen vor der Wahl der Union gewaltig geschadet hätte. Klar, wenn er vor der Wahl gesagt hätte, welches Ministerium er denn gerne haben würde, dann wäre wohl alles anders gekommen. Inzwischen war es zwar raus, doch nun mußte er um jede zusätzliche Abteilung und Kompetenz kämpfen, die er seinem zukünftigen Wirtschaftsministerium noch angliedern wollte. Selbst mit der CSU-Landtagsfraktion hatte er Schwierigkeiten, weil die auf eine Entscheidung im Nachfolgestreit drängte, er aber wollte damit noch warten. An allen Ecken und Enden brannte es, zwar freute sich Egmonto bereits auf seinen neuen Job in Berlin, doch die andauernden Kämpfe und Widerstände zermürbten ihn zusehends.

Ein Gespräch, das es in sich hatte, fand zwischen Afroträne und Fysi statt. "Was ist das denn hier für ein ungeordneter Hühnerhaufen? Lauter Individualisten und dann auch noch diese schrecklichen Emanzen! Sag mal, bin ich hier etwa versehentlich bei den Grünen gelandet?" ärgerte sich Oswald. "Ach, das wird sich mit der Zeit schon finden, hoffe ick jedenfalls. Unsere Weiber sind ja nur so krawallig, weil sie halt zu den Grünen rüber schauen und sehen, welche Rechte und Posten die Frauen dort haben", erklärte Igor. "Mag sein, trotzdem nervt mich das Gegacker. Es ist schwer genug, zwei so unterschiedliche Parteien wie die WASG und die PDS unter einen Hut zu bringen, da brauchen wir nicht auch noch solche Störgeräusche aus den eigenen Reihen." "Alles halb so wild. Und wenn sie Dich irgendwann zu sehr nerven, dann heirate einfach eine von ihnen, so habe ich das damals auch gemacht und schon war Ruhe im Verein." "Tatsächlich? Na wenn das so ist, dann werde ich mir das mal merken. Momentan kommt das zwar noch nicht in Frage, aber schön langsam beginnt mich die Christine auch zu nerven. Egal, was machen wir jetzt hier eigentlich?" "Das wollte ich an sich Dich fragen." "Ach so. Hmh, schwierige Sache, das alles. Ich meine, ich war ja schon mal Partei- und Fraktionschef von der SPD, das ist wirklich ein komisches Gefühl, diese Leute zu sehen und zu treffen, früher machten die was ich sage und heute schauen sie fast alle an mir vorbei und grüßen mich überhaupt nicht mehr." "Na ja, daran gewöhnt man sich, wir von der PDS kennen das gar nicht anders. Früher waren wir schon froh darüber, wenn man uns nur ignoriert und nicht beschimpft oder bespuckt hat." "Du meine Güte, da tun sich ja Abgründe auf!" "Ach was, alles halb so wild. Wir Zwei werden den Bundestag schon rocken." "Davon kannst Du ausgehen. Aber wozu eigentlich?"

Anfang November 2005: Das Unglaubliche hatte stattgefunden! Die SPD hatte "versehentlich" ihren Parteivorsitzenden Mützewirsing aus dem Amt "geputscht" oder vielleicht doch eher gemobbt. Wie hatte das nur passieren können? Es war um die Wahl des neuen Generalsekretärs der SPD gegangen. Zwei Kandidaten hatten sich vorgestellt, wobei Mütze eindringlich darauf hingewiesen und darum gebeten hatte, für seinen Kandidaten Halo Nasserhövel zu stimmen. Doch darauf hatten die Abstimmenden keine Lust und so war Angelika Zahles zur neuen Generalsekretärin der SPD gewählt worden. Daraufhin hatte Mützewirsing seinen Rücktritt als Parteivorsitzender bekanntgegeben. Tja, so schnell konnte es also gehen in der Politik. In der SPD war man schockiert, erstaunt und überrascht gewesen, aber es half ja alles nichts, man brauchte nun einen neuen Parteivorsitzenden. Die Suche dauerte nur kurz, man bat Tobias Glatzeck darum, das tolle Amt anzunehmen und der sagte zu. Irgendwie schon spannend, was in der Politik alles möglich ist. Auf jeden Fall freuten sich viele Leute in der Partei darüber, daß die Zeit der "Basta-Politik" und die von Befehl und Gehorsam endlich vorbei zu sein schien. Es würde wieder mehr miteinander als übereinander geredet werden, hatte man sich vorgenommen und gute Vorsätze waren ja das Schönste und Wichtigste überhaupt.

Doch damit nicht genug, denn es gab in München einen Trittbrettfahrer, der die Gunst der Stunde nutzte und dem Dan aus dem Sauerland folgte. Egmont Sträuber hatte keinen Bock mehr auf die Gerkel und ihre CDU-Pygmäen in Berlin, weshalb er den Rücktritt Mützewirsings vom Parteivorsitz der SPD als Ausrede hernahm, um selbst nicht nach Berlin gehen zu müssen. Daraufhin brach in Bayern das große Chaos aus, denn Blackschein hatte sich schon so auf seinen neuen Job als Ministerpräsident von Bayern gefreut gehabt und die CSU-Abgeordneten waren überhaupt nicht begeistert von der Aussicht, wieder von Sträuber geschurigelt zu werden. Es ging also mal wieder, wie so oft, drunter und drüber im Freistaat.

18.11.2005: Und jedem Anfang wohnt ein Frauder inne. In jenem Fall waren es sogar derer zwei, doch nur einer von ihnen hatte als neuer Fraktionschef der Union wirklich was zu melden. Endlich wurde der Koalitionsvertrag der Großen Koalition unterzeichnet, die noch wenige Wochen zuvor für große Konfusion gesorgt hatte. Doch nun hatte sich alles beruhigt und man konnte miteinander auf vier gute Jahre anstoßen, auch wenn es gleich zu Beginn Streit gab, da Gesundheitsministerin Ursula Schnidt anscheinend vom Koalitionskurs abzuweichen gedachte. Nichtsdestotrotz freute man sich darüber, eine Einigung erzielt zu haben, Andrea Gerkel fieberte ihrer Wahl zur ersten deutschen Bundeskanzlerin entgegen und die Menschen in Deutschland waren froh darüber, daß bald endlich wieder regiert werden würde.

In Bayern herrschte das Chaos. Sträuber wollte sein Kabinett umbilden, die Freien Wähler träumten vom Einzug in den Bayerischen Landtag und hofften auf einen Sieg gegen die angeschlagene CSU, um dann gemeinsam mit SPD und Grünen regieren zu können. In den Umfragen erreichte die CSU gerade mal noch 45 Prozent der Wählerstimmen und das sorgte für Verärgerung bei den CSU-Granden. Von Sträuber wollten auch die Wähler nicht mehr viel wissen, er hatte jede Menge wiedergutzumachen, aber ob er das Vertrauen, das er verloren hatte, wiedergewinnen würde, war eine ganz andere Frage. Was für eine Tragödie!

Ende 2005: Ein turbulentes Jahr ging zu Ende, es war viel passiert. Schräder war nach sieben Jahren an der Spitze der Bundesregierung nicht mehr Kanzler, Andrea Gerkel führte eine Große Koalition an, Tobias Glatzeck war neuer SPD-Chef und damit der Aufsteiger des Jahres, der große Verlierer hieß Egmont Sträuber, welcher als Superminister nach Berlin hatte gehen wollen und als Suppenkasper nach Bayern zurückgekehrt war. Rot-Grün regierte in keinem einzigen Bundesland mehr, ein Bayer war Papst geworden und bei dem hatte sich Sträuber ausgeheult und über die Gerkel beschwert, was für ein Jahr! Es gab mit der Linken eine neue Partei im Bundestag, die FDP war trotz 9,8 % der Wählerstimmen der große Verlierer der Bundestagswahl und die Deutschen lehnten sich zurück, atmeten tief durch und hofften darauf, daß es fortan wieder ruhiger sowie gemütlicher zugehen würde.

Mythos, Pathos und Ethos

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