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Zu Beginn der Woche hatte Olavi Andersson das Haus nur verlassen, um etwas zu essen zu kaufen. Die Schlafprobleme und die Angst, jemandem zu begegnen, den er kannte, und die Angst vor all jenen, die er nicht kannte, hielten ihn drinnen fest. Einige Male hatte jemand an die Wohnungstür geklopft, und einmal war er im Zweifel gewesen, ob er es sich nur eingebildet hatte. Er hatte nicht geöffnet.

Aber als er am Freitagmorgen erwachte, fühlte er sich ausgeruht. Es war seit seinem großen Dämmerzustand die erste Nacht, die er durchgeschlafen hatte, und das ohne Alpträume. Er stand sofort auf, ging ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Danach nahm er eine Plastiktüte und steckte Bierdosen und Flaschen hinein. Essensreste und Kippen warf er in eine andere Tüte. Er wusch ab und saugte Staub. Dann tat er etwas, das früher nur seine Mutter getan hatte. Er putzte die Fenster.

Plötzlich begann er zu weinen. Die Erinnerung an seine Mutter, die vor drei Monaten gestorben war, überkam ihn.

Schließlich duschte er ein zweites Mal, rasierte sich und zog die sauberste Kleidung an, die er hatte. Die Wahl fiel ihm nicht schwer, da er nur zwei Hosen und drei Hemden besaß.

Er musterte sich im Flurspiegel.

»Ein Wunder, dass du noch lebst, Olavi«, sagte er laut zu seinem Spiegelbild.

Er setzte sich aufs Bett und biss in die Fingerknöchel seiner linken Hand.

Es ist wie üblich, dachte er. Aktivitätsparanoia. Ich bin nicht gesund, nur weil ich mich gut fühle. Aber diesmal soll es anders laufen. Ich bin den schweren Weg gegangen und habe es geschafft. Diesmal geht es um mehr als um mein eigenes jämmerliches Leben.

Er reckte sich nach seiner zweiten, ziemlich schmutzigen Hose und angelte seine Geldbörse aus der Gesäßtasche. Sie enthielt nur ein paar Zettel. Er grub in den anderen Taschen und fand zwei Ein-Kronen-Münzen.

Jetzt ist es Zeit hinauszugehen, dachte er.

Er band seine Schnürsenkel. Schon fünfzig Meter von der Haustür entfernt traf er den Ersten.

»Olli, wo hast du gesteckt? Mann, ich bin diese Woche mindestens zwei Mal bei dir oben gewesen. Komm, wir gehen einen trinken. Du hast doch was im Haus, ich hab grad nichts mehr.«

»Ich hab alles weggekippt«, erwiderte Olavi.

»Du machst wohl Witze, du Spaßvogel. Fast muss ich lachen. Na, komm schon.«

»Hast du nicht gehört, was ich gesagt hab? Ich hatte noch zwei Liter im Kanister vom Chemiker. Die hab ich weggekippt. Du musst schon durch den Abfluss schwimmen, wenn du sie haben willst, aber dann musst du dich beeilen.«

»War das Zeug nicht in Ordnung oder was?«

»Es war genauso sauber wie immer. Deswegen hab ich es weggekippt. Ich muss jetzt gehen. Komm nie wieder zu mir.«

Olavi Andersson wollte gehen, spürte aber sofort darauf eine Faust im Nacken.

»Glaub bloß nicht, dass du so leicht davonkommst, du Scheißkerl. Weißt du, was du mir schuldig bist?«

Er ging weiter, bekam jedoch einen weiteren Schlag, diesmal in den Rücken. Langsam drehte er sich um, machte einen Schritt nach vorn und sah seinem Gegner in die Augen.

»Okay. Dann klären wir das jetzt. Du kriegst einen Freistoß. Wenn ich dann noch aufrecht stehen kann, krieg ich einen Freistoß. Wenn du die Bedingungen ablehnst, wirst du dich für alle Zeit von mir fern halten.«

Der Mann starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.

»Du bist ja total durchgeknallt! Geh zum Teufel.«

Er machte mehrere Schritte rückwärts, bevor er sich umdrehte und endgültig verschwand. Olavi Andersson folgte ihm mit den Augen, um sicher zu sein, dass er nicht noch einen Schlag von hinten bekam. Schließlich setzte er sich in Richtung Stadt in Bewegung. Er erwog, den Bus zu nehmen, doch dann fiel ihm ein, dass er mit seinem Geld gerade mal eine Haltestelle weit fahren konnte.

Beim Sozialamt waren fünf Hilfsbedürftige vor ihm. Als er an die Reihe kam, wurde er in ein Zimmer im Erdgeschoss verwiesen, an eine Frau, die er auf vierzig schätzte.

»Wir hatten wohl noch nicht miteinander zu tun«, sagte sie. »Ich heiße Karin Nilsson und bin neu im Büro.«

»Olavi Andersson. Ich brauche Ihre Hilfe.«

»Sonst wären Sie wohl nicht gekommen. Geht es um Geld für Essen?«

»Mehr als das«, sagte Olavi Andersson. »Aber es stimmt, im Augenblick brauche ich auch Geld für Essen.«

Karin Nilsson setzte sich hinter den Schreibtisch und schob die Papiere beiseite, die darauf lagen.

»Mehr als das«, sagte sie. »Mehr Geld oder was meinen Sie damit?«

»Haben Sie ein wenig Zeit?«

»Ich habe zehn Minuten für jeden Klienten. Aber nach Ihnen habe ich Pause und ich bin hungrig. Sie müssen mir also etwas Wichtiges mitzuteilen haben, wenn Sie mich zum Bleiben bewegen wollen.«

»Ich bin Alkoholiker.«

»Das sehe ich.«

»Aber ich habe aufgehört zu trinken.«

»Wann?«

»Vor einer Woche.«

»Alle Alkoholiker, die so lange gelebt haben wie Sie, hören zweimal im Jahr auf zu trinken. Sonst überleben sie es nicht. Aber dann fangen sie wieder von vorn an.«

»Das hat bisher auch für mich gegolten. Ich hab genauso viele Male wieder angefangen, wie ich aufgehört habe. Aber diesmal ist es anders.«

»Das sagen alle, denen ich begegne. Eine Woche trocken sein ist nicht viel. Warum also, sollte ich Ihnen glauben?«

»Ich brauche Geld, damit ich mir die Haare schneiden lassen und neue Kleidung kaufen kann. Sonst geht es nicht.«

Karin Nilsson sah ihn an. Er wich ihrem Blick nicht aus. Mehr als zwei Minuten saßen sie schweigend da.

»Gut«, sagte sie schließlich. »Sie bekommen etwas fürs Essen, Haareschneiden und für neue Kleidung. Dann kommen Sie morgen Punkt zwölf wieder und zeigen mir, wie Sie aussehen.«

»Das werde ich tun.«

Er bekam mehr, als er erwartet hatte. Es würde für eine anständige Hose, zwei Hemden, eine Herbstjacke und ein Paar Schuhe reichen. Er überlegte, ob Karin Nilsson wirklich berechtigt war, ihm so viel zu geben.

Im ersten Frisiersalon weigerte man sich, ihn einzulassen und erst recht, ihm die Haare zu schneiden.

»Mein Geld ist genauso gut wie Ihres«, sagte Olavi Andersson ruhig und drängte sich hinein. »Ich setze mich jetzt auf den Stuhl da und bleibe sitzen, bis Sie fertig sind.«

Bei Hennes & Mauritz wollte man ihn daran hindern, die Hose anzuprobieren.

»Das macht nichts«, sagte Olavi Andersson. »Nehmen Sie Maß, dann kauf ich sie, ohne sie anzuprobieren. Aber wenn ich bezahlt habe, will ich mich in einer Kabine umziehen. Dann können Sie an der Kabine ein Schild mit der Aufschrift ›Hier kehrte Olavi Andersson aus der Hölle zurück‹ anbringen.«

Es war fast drei Uhr, als er mit allem fertig war. Er ging wieder zum Sozialamt.

»Ich heiße Olavi Andersson«, sagte er. »Bitten Sie Karin Nilsson herzukommen und mich anzuschauen. Sie wird wissen, um was es geht.«

Eine Minute später war Karin Nilsson da. Sie musterte ihn, sagte aber nichts.

»Morgen kann ich nicht kommen«, sagte er. »Ich hab was Dringendes zu erledigen.«

»Brauchen Sie in der nächsten Zeit Unterstützung von unserer Suchthilfestelle?«

»Danke, aber ich komme allein zurecht.«

»Viel Glück. Sie wissen, wo Sie mich finden«, sagte Karin Nilsson und kehrte in ihr Zimmer zurück.

Wieder in seiner Wohnung angekommen, aß er etwas und trank viel Wasser dazu. Als er fertig war, wusch er sofort ab. Danach zog er einen Karton unterm Bett hervor. Er stellte ihn auf den Tisch und begann darin zu wühlen. Ein Silberlöffel, zwei kupferne Kerzenhalter, ein hübsch gehäkeltes Deckchen. Sachen, die seine Mutter einen Monat vor ihrem Tod für ihn zurückgelegt hatte.

Er hielt den Silberlöffel in der Hand, in den sein Name und sein Geburtsdatum eingraviert waren. Er legte den Löffel zurück und zog ein Bündel Kuverts hervor, das in dem Deckchen steckte. Er drehte es um und betrachtete das unterste Kuvert, zog den Brief jedoch nicht heraus. Das war nicht nötig, er hatte ihn schon viele Male gelesen.

Dann schlug er das Bündel wieder in das Deckchen ein und schob den Karton zurück unters Bett.

Sing wie ein Vogel - Ein Schweden-Krimi

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