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3. Typologien des Kriminalromans

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Einen vielversprechenden Schritt, den Begriff des Kriminalromans zu umreißen, stellen Typologien dar, die verschiedene Formen des Kriminalromans voneinander unterscheiden und vielleicht auch den Kriminalroman von anderen Formen des Romans abgrenzen können.

Nachteile und Nutzen von Typologien

Frühe Typologien und Einteilungen des Kriminalromans haben immer darunter gelitten, dass sie auf einer zu begrenzten Materialbasis aufgebaut waren. Es war deshalb immer relativ leicht, solche Einteilungsversuche zu kritisieren: man brauchte bloß darauf hinzuweisen, dass die real vorliegende Mannigfaltigkeit der Kriminalromane von der jeweiligen Typologie nicht angemessen erfasst wird und dass Typologien dem historischen Wandel der Gattung bzw. ihrer immer rascher fortlaufenden Entwicklung nicht gerecht werden. Außerdem verwenden solche Typologien oft ganz verschiedene Einteilungskriterien. Das galt schon für die Zeit, als die Ausdifferenzierung der Gattung noch überschaubar war. Es gilt umso mehr heute, da diese Ausdifferenzierung noch extremer geworden ist und zusätzlich die Gattung immer mehr Mischformen hervorbringt. Trotzdem sind solche Versuche der Kategorisierung nützlich, denn sie bringen eine gewisse Ordnung ins scheinbare Chaos, sie schlagen formale und inhaltliche Einteilungskriterien vor und schaffen so eine erste Orientierung und Übersicht. Die durchaus berechtigte Kritik an ihnen weist allerdings darauf hin, dass man sie nicht verabsolutieren darf, will man nicht der Gefahr erliegen, die Dynamik der Entwicklung der Gattung aus dem Blick zu verlieren.

Analytisches Erzählen vs. chronologisches Erzählen

Bei der Typisierung von Kriminalromanen gibt es Kategorisierungen, die von zwei unterschiedlichen Varianten ausgehen und solche, die drei oder mehr Grundtypen annehmen. Zu den erstgenannten, meist von Forschern aus dem deutschen Sprachraum vertretenen Unterscheidungen gehört Richard Alewyns einflussreiche Kontrastierung: „Der Kriminalroman [in der hier verwendeten Terminologie: der Thriller] erzählt die Geschichte eines Verbrechens, der Detektivroman die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens.“ (1998 [1968], 53). Alewyn nennt den Detektivroman eine Form des Erzählens, die „invertiert oder rückläufig“ vorgeht, da sie – analog zur |13|rhetorischen Figur des Hysteron-Proteron – das Spätere (das Auffinden der Leiche) zuerst und das Frühere (der Mord und wer ihn begangen hat) zuletzt erzählt. Der Kriminalroman [Thriller] dagegen folge der normalen oder „progressiv[en]“ zeitlichen Abfolge. Alewyn will seine Unterscheidung ausdrücklich als eine Frage der Form und nicht als eine des Stoffes oder des Inhalts verstanden wissen. Bereits Ernst Bloch hatte darauf hingewiesen, dass zum Detektivroman das „Aufdeckende“ gehöre und dass dieses „auf Vorgänge, die aus ihrem Unerzählten, Vor-Geschichtehaften erst herauszubringen sind“ gerichtet sei. Es sei charakteristisch für den Detektivroman und mache ihn „unverwechselbar“, sogar ohne dass ein Detektiv vorkommen müsse, dass „eine Untat, meist eine mörderische, […] vor dem Anfang [stehe]“ (1998 [1965], 41). In Anlehnung an das analytische Drama, bei dem, wie in Sophokles‘ Oedipus Rex, das vor dem Einsetzen der Handlung bereits Geschehene (die Tatsache, dass Oedipus unwissentlich seinen Vater Laios getötet hat) erst zuletzt ans Tageslicht kommt, hat man diese Form des Erzählens „analytisches Erzählen“ genannt (Weber 1975). Alwyn trifft also eine formale oder strukturelle Unterscheidung: Der Detektivroman ist analytisch erzählt, der Kriminalroman [Thriller] nicht. Auf die Inversion, die Umkehrung der Chronologie im Detektivroman („roman policier“), hatte Roger Caillois bereits früher hingewiesen (1998 [1941], 158). Eine weitere Differenzierung in vier „Bauformen“ „achronischen“ Erzählens findet sich bei Marsch (2007, 170–171). Ähnliche Unterscheidungen in zwei idealtypische Modelle wie bei Alewyn werden auch bei Nusser (2009) und Hühn (2008) postuliert.

Drei Grundtypen

Im angelsächsischen Sprachraum hat man sich im Wesentlichen auf drei Grundtypen des Kriminalromans geeinigt, weil man neben dem Detektivroman und dem Thriller die Romane der hard-boiled Schule als dritte Spielart ansieht. Interessanterweise sieht das auch Alewyn schon so, allerdings nennt er die „hardboiled oder action novel“ abschätzig eine „Bastardform“ (1998 [1968], 68). Im Anschluss an die Unterteilung von Priestman in die drei Grundtypen „(detective) whodunnit“ – „detective thriller“ – „thriller“ (1998, 1–2) unterscheidet auch Nünning den Rätselkrimi (Detektivroman) von der „hard-boiled fiction“ und dem „Thriller“ (2008, 5–11). Auch Scaggs übernimmt dieses Einteilungsschema, nennt seine Typen „mystery (detective) fiction“ – „the hard-boiled mode“ – „the crime thriller“ und fügt ihnen noch die Kategorien „Police Procedural“ und „Historical Crime Fiction“ hinzu (2005).

Zusammenfassung der bisherigen Argumentation

Der Kriminalroman ist eine neben anderen gleichwertige Untergattung des Romans. Die Unterscheidung zwischen Thriller und Detektivroman ist primär formaler Art. Die jeweiligen Unterarten des Thrillers basieren hauptsächlich auf thematischen bzw. inhaltlichen Kriterien. Um den Kriminalroman vom Verbrechensroman abzugrenzen, muss man neben den Kategorien Inhalt und Form auch auf Fragen der literarischen Wertung, der Vermarktung und der Rezeptionshaltung und -erwartung zurückgreifen. Die Frage, ob der Kriminalroman zur (wertmäßig: „hohen“;philosophisch: „tiefen“) „Literatur“ gehöre, ist ein Scheinproblem, das nur unter den Bedingungen eines elitären Literaturbegriffs diskutierbar war. Als fiktionale Texte gehören Kriminalromane per definitionem zur Literatur.

Einführung in den Kriminalroman

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