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3 Das Frühlingsfest

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Am Nachmittag habe ich ein wenig Freizeit, eigentlich ideal, um noch ein bisschen zu lesen. Aber meine Gedanken drehen sich fast nur um Pierre. Pierre! Es erscheint mir immer noch falsch, von ihm mit seinem Vornamen zu denken. Aber auf der anderen Seite ist es genau das, was ich mir gewünscht habe. Er scheint ja doch ein wenig Interesse an mir zu entwickeln.

Kurz kommt mir der Gedanke, ob dieses Interesse vielleicht eher an dem Vertrag liegt, den er uns gegeben hat. Großvater hat sich noch nicht dazu geäußert und wir wollten den Vertrag sowieso erst von unserem Anwalt prüfen lassen. Aber irgendwie kann ich nicht glauben, dass Pierres Interesse rein geschäftlicher Natur sein soll. Es fühlt sich einfach nicht danach an. Nein Pierre scheint an mir persönlich Interesse zu haben.

Hoffe ich.

Das Fest beginnt offiziell gegen 19 Uhr und ich fange schon einige Zeit vorher an, mich fertig zu machen. Ich will ja Eindruck schinden, also brauche ich Zeit. Wie mit Chloé und Inès besprochen, gehe ich diesmal nicht in Jeans. Ich ziehe den Rock an, den ich mir letzten Herbst gekauft habe. Das ist kein Minirock, wie das wohl einige meiner Klassenkameradinnen anziehen werden. Ich hasse es, die Blicke der Jungs auf mich zu ziehen, nur weil die hoffen, meine Unterhose sehen zu können. Der Rock geht bis zu den Knien und betont die Figur. Im Vergleich zu Inès habe ich immerhin Hüften, die ich betonen kann. Aber Inès ist ja sowieso zu dünn und Chloé hat sich von ihrem Schlankheitswahn anstecken lassen. Nun ja, bei Beauty Queen würde ich vermutlich als Fettwanst schon in der Vorrunde ausscheiden. Aber was interessiert mich diese Propagandasendung für Magermodels?

Es ist gegen halb sieben als Großvater bereits von unten fragt, wann ich denn fertig wäre. Ich lege gerade Farbe auf und so muss sich Großvater noch etwas gedulden. Er hat die südfranzösische Eigenart, die Dinge etwas gemächlicher angehen zu lassen, noch längst nicht verinnerlicht. Als ich nach unten gehe, hat er bereits einen etwas ungeduldigen Gesichtsausdruck, der sich aber aufhellt als er mich sieht.

«Du siehst gut aus, Trish.»

Großvater selbst ist recht rustikal angezogen. Nicht echte Tracht, aber in derselben Stilrichtung, wie es sich für einen alten Winzer gehört. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, wo er als Banker in San Diego gearbeitet hat, da ist er täglich im Anzug herumgelaufen. Aber seitdem wir hier nach Frankreich gekommen sind, hat er sich von dieser Bekleidung fern gehalten. Außer bei der Hochzeit von Tante Anna, aber das war ja etwas Besonderes.

Er sieht in dieser Kleidung aber noch sehr rüstig aus, außer dass seine Jacke schief gezogen ist, also zupfe ich sie gerade.

«Es kann losgehen, Großvater.»

Plötzlich ist sein Gesichtsausdruck so voller Schmerz, dass ich inne halte.

«Was ist los?»

Er lächelt mich traurig an.

«Ach nichts Trish. Nur früher hat Anita mir immer die Kleidung gerichtet.»

Jetzt erinnere ich mich auch. Mir stehen Szenen vor Augen, in denen meine Großeltern zu besonderen Anlässen ausgehen wollten. Dann hat sich Großmutter immer energisch um Großvater gekümmert. Er hat sich darauf verlassen, dass sie alle Fehler entdeckt, die er beim Anziehen so macht.

Stürmisch umarme ich Großvater.

«Sie fehlt mir auch Großvater. Ich bin sicher, jetzt schaut sie zu und will, dass wir einen schönen Abend haben.»

Großvater drückt mich und als ich meine Umarmung löse, hat er sich wieder im Griff.

«Du hast Recht. Lass uns gehen.»


Großvater fährt uns mit seinem alten Citroën ins Dorf, mit dem Auto ist das nur eine kurze Strecke von ein paar Minuten.

«Wie kommst du nach Hause, Trish?»

Großvater hat nicht vor, beim Tanz noch dabei zu sein, der für den späteren Abend angesagt ist. Das bedeutet, er wird alleine nach Hause fahren. Aber andererseits will er auch nicht, dass ich mitten in der Nacht zu Fuß nach Hause laufe.

«Ich denke, Cloés Vater wird mich nach Hause bringen.»

Chloé wohnt auch etwas außerhalb und ihr Vater holt sie immer selber ab. Er hat sich wohl noch nicht daran gewöhnt, dass seine Tochter schon erwachsen ist und hat ein Auge darauf, dass sie sicher ins eigene Bett kommt. Zumal sie ja fest befreundet ist. Aber für mich ist das recht bequem, da ich so immer jemanden habe, der den kleinen Umweg zu unserem Haus nicht scheut. Und in einem Jahr will ich eh meinen eigenen Führerschein haben.

Großvater nickt, er hat wohl auch damit gerechnet. In diesem Augenblick sind wir auch schon im Dorf und Großvater stellt den Wagen auf einem Feld ab, das für diesen Zweck zu einem Parkplatz umgewandelt worden ist. Auf dem Festplatz dröhnt bereits die Musik, um diese Zeit noch von CD. Die Live-Band soll erst später in Aktion treten.

Als wir den Platz betreten, schaue ich mich um. Ich winke Inès zu, die mit ihren Eltern schon sehr früh vor Ort war, schließlich ist ihr Vater Bürgermeister. Chloé sehe ich noch nicht und auch Pierre scheint noch nicht aufgetaucht zu sein. Der Festplatz besteht aus mehreren Essensständen, einigen Fahrgeschäften und auch einigen Weinständen. Aber das sind vor allem Winzer von außerhalb, die eigentliche Präsentation der Weine dieser Gegend ist dem Weinfest vorbehalten. Aber es hat sich bei einem der Weinstände schon eine Traube mit Leuten aus dem Dorf gebildet und Großvater gesellt sich zu ihnen.

In den nächsten drei Stunden begleite ich Großvater, beteilige mich an den Gesprächen und versuche, mich mit unseren Bekannten zu unterhalten. Es sind nur sehr wenige junge Leute darunter, aber ich finde es wichtig, den Kontakt mit den lokalen Geschäftsleuten zu pflegen. Wenn ich tatsächlich unser Weingut irgendwann einmal übernehme, dann werden mir diese Kontakte sehr zugute kommen.

Zwischendurch sehe ich auch Pierres beeindruckende Gestalt in der Menge, aber er ist in einer Unterhaltung mit einem der lokalen Ladenbesitzer vertieft, so dass wir uns nicht treffen. Aber mit Chloé kann ich mich ein wenig austauschen und mit Inès sowieso, da ihr Vater es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit jedem auf dem Fest mal ein paar Worte zu wechseln.

Als die Live Band schließlich ihre Instrumente aufbaut und die Musik in die eigene Hand nimmt, verabschiede ich mich von Großvater, um mich zu der langsam wachsenden Menge von jungen Leuten zu gesellen. Noch traut sich niemand zu tanzen, wir müssen erst einmal warm werden. Ich sehe Mathéo und seine Kumpels, wie sie versuchen, ein paar Mädchen anzumachen, die ich nicht kenne. Vermutlich sind die aus den Nachbargemeinden hierhergekommen.

Schließlich erscheinen die ersten Paare auf der Tanzfläche und Chloé zieht mit ihrem Freund ab, um ein wenig die Zweisamkeit zu genießen. Ich stehe mit Inès und zwei anderen Mädchen aus unserer Klasse am Rand, das Treiben auf dem Parkett beobachtend. Aber tatsächlich bin ich mit den Gedanken weder bei den Tänzern, noch bei dem Gespräch mit Inès. Ich muss an Pierre denken. Ob er wohl auch zum Tanz bleibt? Während des offiziellen Teils hatte ich gar keine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Er war da, so wie er versprochen hatte, aber irgendwie hatte ich mir unter einem „wir sehen uns“ etwas anderes vorgestellt.

Ich grüble immer noch über ihn nach, als eine wunderbare Stimme hinter mir fragt.

«Darf ich um diesen Tanz bitten?»

Ein Schaudern läuft mir den Rücken herunter und ich drehe mich schnell um. Es ist Pierre. Er hat seine Konzentration so eindeutig auf mich gerichtet, dass kein Zweifel daran besteht, wen er mit dieser Frage angesprochen hat. Mein Herz macht einen Satz.

«Aber selbstverständlich», antworte ich, wobei ich nicht verhindern kann, dass ich ein riesiges, vermutlich absolut irres Lächeln aufsetze.

Er ergreift meine Hand und führt mich Richtung Tanzfläche. Das Blut rauscht in meinen Ohren, mir ist schwindelig. Pierre führt mich zum Tanz! Ich werde ihn berühren, in seinen Armen liegen, ganz dicht bei ihm sein. Ich bin nicht sicher, ob ich das überstehe, ohne in Ohnmacht zu fallen. Aus den Augenwinkeln sehe ich die hochgezogenen Augenbrauen von Inès, aber das ist mir egal. Meine ganze Konzentration gilt Pierre und dem Tanz. In mir brodelt die Angst, ich könnte mich durch Ungeschick lächerlich machen.


Aber ich merke sehr schnell, dass alle meine Befürchtungen umsonst waren. Mit Pierre zu tanzen ist ein Traum. Er hat eine Körperbeherrschung und Eleganz, die für sich schon atemberaubend ist. Aber gleichzeitig führt er mit einer Energie und Willenskraft, die es für mich sehr einfach macht. Ich muss mich lediglich seiner Führung hingeben und schon bewege ich mich wie von selbst über die Tanzfläche. Meine Schritte verschwimmen mit der Musik, die ich gar nicht mehr bewusst wahrnehme.

Alles was ich sehe ist Pierres lächelndes Gesicht

Ich versinke in seinen grünen Augen, die mich anstrahlen, als würde er etwas Wunderbares sehen. Nebenbei bemerke ich seine weich aussehenden Lippen, bei denen ich immer wieder den Drang verspüre, sie zu berühren, zu fühlen, ob es stimmt, was ich zu sehen meine. Ich bewundere die Ebenmäßigkeit seiner Haut, keine Spur von Unreinheit oder großen Poren. Er ist vielleicht ein wenig bleich, aber bei ihm trägt das zu dem Eindruck bei, gar keinen Menschen, sondern einen griechischen Gott vor sich zu haben. Und ich, ich darf mit ihm tanzen, nur Zentimeter von diesem so wunderbaren Gesicht entfernt.

Als das Lied zu Ende ist, bleiben wir einfach stehen und warten auf den Beginn des nächsten. Und des nächsten. Und des nächsten. Langsam gerate ich außer Atem, aber Pierre bleibt kühl und beherrscht, so gar nicht, wie die Jungs, die ich sonst immer beim Tanzen beobachte. Er zeigt auch keine Anzeichen dafür, dass er auf die Bewegungen oder seine Füße achten müsste, er konzentriert sich voll auf mich und führt mich durch die Rhythmen, dass ich meine zu schweben.

Einfach traumhaft.

Ich hätte gar nichts dagegen gehabt, wenn dieser Tanz ewig angehalten hätte, aber irgendwann verkündet die Band eine Pause und Pierre führt mich zu einem der Stehtische.

«Willst du etwas zu trinken?» fragt er mich.

Ich brauche jetzt etwas Frisches, ich bin stark erhitzt, obwohl ich nicht sicher bin, woher die Hitze eigentlich kommt. Alleine die Nähe zu Pierre hat meinen Kreislauf ordentlich angeheizt.

«Ich hätte gerne einen Weißwein», antworte ich daher.

Pierre nickt und verschwindet in die Richtung der Weinstände. Kaum ist er weg, tauchen Chloé und Inès auf. Sie wirken sehr aufgeregt.

«Wow Trish. Der ist ja eine Marke. Ich glaube, der fährt auf dich ab», platzt Chloé sofort heraus.

«Keine Ahnung», meine ich, «aber er ist charmant und ein wunderbarer Tänzer.»

«Und?»

Ich schaue Chloé verständnislos an. «Was und?»

Chloé verdreht die Augen. «Willst du mit dem anbandeln?»

Klar will ich. Aber ich weiß nicht, ob ich das meinen Freundinnen gegenüber zugeben kann. Ich kann es mir selber gegenüber kaum zugeben.

«Ich weiß nur eines. Wenn er zurückkommt und eine Bande kichernder Mädchen vorfindet, wird das mit dem Anbandeln ziemlich schwierig.»

Chloé wirft mir einen Blick zu, als wäre sie nicht sicher, wie ich das meine. Aber sie nimmt es sportlich.

«Na gut, dann überlassen wir dich der Jagd. Aber nur, wenn du uns morgen alles haarklein erzählst. Weidmanns Heil.»

Kichernd machen sich die beiden davon. Ich bin erleichtert. Wenn Pierre den Eindruck gewinnt, ich würde hier ein Spiel spielen, wäre das ein denkbar schlechter Start. Aber für mich ist das kein Spiel.

Es ist etwas Größeres. Nur was, da bin ich mir immer noch nicht sicher.


Als Pierre zurückkommt, hat er zwei Gläser Weißwein in der Hand. Wir stoßen an und ich nippe an dem Wein. Ein sehr guter Silvaner, den ich kenne. Pierre hat zielsicher einen der besten Weine im Angebot herausgesucht. Aber nun gut, er ist schließlich Weinhändler. Da sollte man sich schon etwas auskennen. Ich lächle ihm zu.

«Eine sehr gute Wahl.»

Er lacht.

«Na da bin ich ja froh, dass du zufrieden bist. Für dein Alter kennst du dich sehr gut aus mit Weinen.»

«Ich helfe Großvater seit wir hierher gezogen sind. Da ist wohl die eine oder andere Kleinigkeit hängen geblieben.»

«Ich glaube, das ist mehr als eine Kleinigkeit. Die meisten Jugendlichen heutzutage haben kein Interesse an den Traditionen oder den alten Gewerben. Dass du da so ganz anders bist, finde ich toll.»

Die meisten Jugendlichen heutzutage? Das ist etwas merkwürdig für jemand, der höchstens ein paar Jahre älter ist als ich. Aber wie alt ist Pierre eigentlich?

«Wie alt bist du eigentlich?»

Pierre lacht wieder.

«Für wie alt schätzt du mich denn?»

«Na, meine Freundin hat dich auf mindestens dreißig geschätzt.»

«Und du?»

«Ich würde sagen höchstens 25, aber irgendwie bist du sehr schwer einzuschätzen.»

«Gar nicht so schlecht geschätzt. Ich bin 24. Aber das mit dem schwer einzuschätzen gilt auch für dich. Ich hätte dich spontan auf über zwanzig geschätzt, aber du gehst noch zur Schule und machst nicht den Eindruck, als hättest du so viele Schwierigkeiten mit dem Lernen, dass du öfter Schuljahre wiederholt hättest.»

Jetzt muss ich lächeln. Tante Anna hat mir schon einige Male gesagt, ich wäre reif für mein Alter.

«In etwas über einem Monat werde ich neunzehn.»

Pierre schaut mich intensiv an, so dass mir wieder ein Schauder über den Rücken läuft. Diese grünen Augen sind wie eine Falle. Ich versinke immer wieder in ihnen und vergesse alles um mich herum. Diesmal haben sie einen etwas abwesenden Ausdruck. Worüber denkt er jetzt nach?

«Woran denkst du gerade?»

Er konzentriert sich wieder auf mich.

«Da steht doch hoffentlich eine Feier an. Bin ich eingeladen?»


Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht das ist, worüber er gerade nachgedacht hat. Pierre wirkt immer geheimnisvoller. Hinter seiner Schönheit, hinter seinen Fähigkeiten steckt mehr als ich vermutet hätte. Aber das macht ihn nur noch interessanter. Ich würde nur zu gerne hinter seine Geheimnisse kommen.

«Ich habe noch keine Einladungen verschickt.»

«Was muss ich machen, um in die engere Wahl zu kommen.»

Ich bemühe mich, ihn ernst und fordernd anzuschauen.

«Tja, mal überlegen. Dafür sorgen, dass der Abend heute ein schöner Abend wird, wäre ein guter Start.»

Pierre schaut ebenfalls ernst, aber in seinen Mundwinkeln zuckt es.

«Mhh, das ist schwer. So eine echte Dame ist natürlich kaum zufrieden zu stellen. Aber wäre tanzen eine Option?»

Die Band hat wieder angefangen zu spielen und mein Atem hat sich wieder beruhigt. Also nicke ich und Pierre führt mich zur Tanzfläche. Die Zeit vergeht wie im Rausch. Ich lasse mich von Pierre durch die Musik führen und in den Pausen, in denen die Band nicht spielt, versorgt er mich mit Getränken und flirtet mit mir. Ich fühle mich im Mittelpunkt seines Interesses sehr wohl und genieße die Aufmerksamkeiten. Manchmal durchzuckt mich die Frage, wohin das wohl führen wird, aber ich dränge sie einfach beiseite. Heute Abend gibt es nur das Jetzt, alles andere wird sich schon finden.

Als die Band wieder einmal eine Pause macht, steht plötzlich Chloé neben mir.

«Hey Trish. Mein Vater will jetzt fahren. Kommst du mit?»

Verwirrt schaue ich auf meine Freundin. Das Fest hat doch gerade erst angefangen. Aber meine Uhr sagt, dass Chloé Recht hat, es ist knapp Mitternacht vorbei. Enttäuschung quillt in mir hoch. Sollte dieser wunderbare Abend schon zu Ende sein? Traurig schaue ich auf Pierre.

«Oh, das ist mein Taxi nach Hause. Ich fürchte, dass ich jetzt gehen muss.»

Pierre runzelt die Stirn.

«Jetzt, wo es gerade gemütlich wird? Mein Auto steht nicht weit von hier, ich bringe dich nach Hause. Bitte bleib noch eine Weile»

In meiner Magengegend entsteht ein seltsames Gefühl. Wenn ich zusage, wäre ich allein mit einem Mann, den ich kaum kenne in seinem Auto, das ich nicht kenne und das alles zu nachtschlafender Zeit.

Aber es ist ein schöner Mann. Und ein interessanter. Und außerdem fühle ich mich verwegen und beschwingt. Und vor allem möchte ich noch gar nicht gehen, ich will weiter bei diesem Mann sein. Ich will mit ihm tanzen, in seinen Armen liegen und danach. Ich weiß nicht, was danach sein wird, aber ich will es herausfinden.

«Danke, Chloé. Aber ich lasse mich von Pierre nach Hause bringen. Sag deinem Vater schöne Grüße.»

Chloé runzelt die Stirn, nickt aber und verabschiedet sich mit einem neugierigen Blick auf Pierre. Ich sehe ihr an, dass sie gerne noch etwas gefragt hätte, aber ich winke ihr einfach zu und konzentriere mich wieder auf Pierre. Chloé ist fast sofort aus meinen Gedanken verschwunden. Die nächsten Tänze verschwimmen vor meinen Augen, ich kann mich nicht erinnern, worüber Pierre und ich plaudern. Aber ich fühle mich wunderbar. Pierres starke Arme umfangen mich und der Rhythmus der Musik nimmt mich gefangen. Ich lasse mich einfach treiben.

Dann hört die Band auf zu spielen und verkündet den letzten Tanz des Abends. Das letzte Lied ist ein altes Liebeslied, ein sanfter Blues. Pierre führt mich auch in diesen Tanz, aber wie schon den ganzen Abend behält er einen kleinen Abstand. Will er mir nicht noch näher kommen? Bisher habe ich darauf gewartet, dass er die Initiative ergreift, aber er hat die kleine, aber merkbare Distanz aufrechterhalten. Am Anfang fand ich das gut, es ist nicht Recht, wenn sich ein Mann direkt an eine Frau heranmacht, als würden sie sich schon ewig kennen. Aber nach diesem Abend? Ich habe das Gefühl, als wäre der Zeitpunkt gekommen, den nächsten Schritt zu tun.

Ich will den Abend nicht beenden, ohne von mir aus ein Zeichen zu setzen. Entschlossen löse ich seinen sanften Griff um meine Schulter und überbrücke die Lücke zwischen unseren Körpern. Meine Arme umfassen seinen Nacken, mein Kopf schmiegt sich an seine Schulter, wir berühren uns. Pierre sagt nichts, aber seine Hände wandern zu meinen Hüften, sie ziehen mich zu sich heran, der Kontakt erzeugt einen Feuersturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Eigentlich habe ich mich im Laufe des Abends an seine beeindruckende Gegenwart gewöhnt, aber als meine Brustwarzen seine Brust berühren durchzuckt mich eine Hitze, dass ich die Augen schließen muss. Wenn ich gedacht hätte, die Intensität des Abends würde sich nicht steigern lassen, werde ich in diesem Augenblick eines Besseren belehrt.

Ohne Worte führt mich Pierre auch in diesem Tanz. Wir sind eng umschlungen als wären wir ein Liebespaar. Ich habe aufgehört zu denken, das was ich empfinde ist so neu, so klar, so schön. Was immer das ist, ich will, dass es nie aufhört, dass die Zeit stehen bleibt und wir auf ewig zusammen sind. Seine Brust ist wie für mich gemacht, hier fühle ich mich geborgen, beschützt, begehrt. Ich kenne Pierre erst seit einem Tag, aber in diesem Augenblick ich davon überzeugt, dass wir füreinander bestimmt sind. Es kann gar nicht anders sein, es darf gar nicht anders sein.


Als die Musik verklingt, sickert langsam die Realität wieder in mein Gehirn. Wir stehen einfach weiter da, eng umschlungen, regungslos. Müssten wir uns nicht jetzt bewegen? Müsste Pierre nicht irgendetwas sagen? Aber nichts geschieht, wir stehen einfach da. Irgendwann gebe ich mir einen Stoß, um mich zu lösen.

Pierres Augen sind auf mich gerichtet, ein seltsames Funkeln liegt darin. Aber er sagt nichts und auch ich beschließe, nichts zu meiner Aktion zu sagen. Worte würden diese Atmosphäre nur zerstören. Wir nippen noch an unseren Getränken, aber als sich um uns herum eine zunehmende Hektik des Aufbruchs breit macht, schaut mich Pierre fragend an. Ich nicke.

«Bring mich bitte nach Hause.»

Pierres Auto stellt sich als ein rassiger Ferrari heraus, natürlich in rot. Kein aktuelles Modell, eher ein alter Sportwagen, so genau kenne ich mich nicht aus. Dass Pierre einiges an Vermögen besitzt, war mir ja schon vorher klar gewesen, aber bisher hat er seinen Reichtum nie herausgestellt. Dieses Auto stellt einen merkwürdigen Kontrast dar. Aber vermutlich ist das nur eines von diesen Spielzeugen, mit denen reiche Jungs gerne spielen.

«Oh la la, ein netter Wagen», bemerke ich.

Pierre strahlt mich an.

«Nicht wahr? Ein echtes Original aus Italien. Aus der Zeit, in der Ferrari noch wirkliche Sportwagen hergestellt hat.»

Ich muss lachen.

«Ferrari wird sicher nicht gerne hören, dass sie heute keine echten Sportwagen mehr herstellen. Ein Hobby von dir?»

«Nein eigentlich nicht. Aber manchmal fahre ich gerne ein wenig schneller und da kommt ein solches Auto ganz recht. Außerdem benutze ich es, um auf Dorffesten Eindruck zu schinden.»

«Na so eindrucksvoll kann das nun doch nicht sein. Irgendwie fehlen deine Bewunderer und Bewunderinnen.»

Pierre hat die Beifahrertür aufgemacht und macht Anstalten, mir beim Einsteigen zu helfen. Doch plötzlich streicheln seine Finger über mein Gesicht, er sieht mich an.

«Mir genügt es, wenn ich eine Bewunderin habe.»

Seine grünen Augen nehmen mich wieder gefangen, mein Atem stockt, mein Puls rast. Ob ihm etwas an mir liegt? Meint er das ernst? Ich weiß nicht, was ich denken soll, ich möchte mich von meinen Hoffnungen mitreißen lassen. Aber was, wenn er nur mit mir spielt? Ich muss vorsichtig sein, ich merke, wie ich dabei bin, mich zu verlieren. Aber Pierres Charme ist einfach unwiderstehlich und er flirtet mit mir, wie noch nie jemand mit mir geflirtet hat.

Da ich nichts sagen kann, nicke ich nur. Pierre lächelt mir zu, während er mir die Hand reicht. Das durchbricht meine Starre und ich schaffe es einzusteigen. Ich komme gar nicht dazu, diesen Sportwagen zu bewundern, so sehr bin ich mit mir und meinen Gefühlen beschäftigt. Pierre sagt auch nichts, als er den Wagen startet und so fahren wir die Strecke zu uns nach Hause schweigend. Jeder von uns beiden hängt seinen Gedanken nach.

Eher als mir lieb ist, nähern wir uns unserem Weingut. Ein wunderbarer Abend geht zu Ende, die Sterne funkeln und ich bedaure, die Zeit nicht anhalten zu können. Pierre hält auf dem Platz vor dem Eingang, das Haus ist vollkommen dunkel, alle anderen sind schon zu Bett gegangen. Langsam löse ich meinen Gurt. Kaum habe ich die Tür geöffnet, steht Pierre bereit, mir herauszuhelfen. Ich nehme seine Hilfe auch gerne in Anspruch, denn es nicht nur ein wenig schwer, aus den tiefliegenden Sitz zu kommen, es gibt mir auch Gelegenheit, Pierre noch einmal zu berühren.

Schwungvoll zieht er mich aus meinem Sitz, aber anstatt mich danach loszulassen, übt er einen leichten Zug in seine Richtung aus. Nicht viel, gerade genug, um mir ein Zeichen zu geben. Ich weiß sofort, was er will, es ist genau dasselbe, was ich auch will. Mein Kopf wird leer, die gesamte Welt verschwindet, nur noch Pierres Gesicht existiert: Es geht etwas in mir vor, aber ich beachte es nicht. Allein eine Sache ist jetzt noch von Bedeutung. Ich folge seinem Zug, liege in seinen Armen, seine Hand umfasst mich und sein Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt.

Einen Augenblick scheint die Welt still zu stehen. Pierre und ich sehen uns an, in seinen Augen lese ich eine Frage, die ich schon längst beantwortet habe. Ich schließe die Augen, dann trifft sein Mund auf meinen. Pierres Lippen sind weicher als alles, was ich bis dahin erlebt habe. Von der Berührung geht eine Welle des Feuers aus, die meinen Körper durchrast und mich in Brand setzt. Ich schmelze wie Wachs im Hochofen. Ich gebe mich hin mit allem, was ich bin. Ich dachte, ich wüsste, was küssen ist, aber ich habe mich geirrt. Ich habe nie wirklich geküsst, dieser Kuss mit Pierre ist der erste echte, richtige Kuss meines Lebens. Ich vergesse zu atmen, gierig trinke ich jeden Moment und jede Empfindung. Ich will, dass es ewig andauert.


Doch irgendwann ist auch dieser magische Moment vorbei. Ich bin völlig hilflos und erstarrt, als Pierre sich langsam von meinen Lippen löst. Ich blicke in seine grünen Augen, in der Nacht scheint es, als hätten sie ihre Farbe gewechselt, als würden sie jetzt gelb leuchten. Aber sicher ist das nur eine Täuschung meiner verwirrten Sinne. Zart streichelt seine Hand über mein Gesicht.

«Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend, Trish», flüstert er.

Ich will ihm antworten, ihm sagen, dass ich noch mehr Küsse brauche, ihm sagen, dass ich danken muss, ihm sagen, dass ich mehr will als nur einen Abend. Aber ich bekomme keinen Ton heraus. Ich kann nur nicken und ihn mit großen Augen anschauen. Fast ruckartig löst sich Pierre aus meinen Armen und wendet sich zu seinem Auto. Habe ich ihn beleidigt? Habe ich etwas falsch gemacht? Aber bevor er in sein Auto steigt, dreht er sich noch einmal zu mir, lächelt und wirft mir eine Kusshand zu. Dann steigt er ein und fährt davon.

Noch nachdem sein Auto nicht mehr zu sehen ist, stehe ich da, ihm regungslos hinterherstarrend. Langsam hebe ich meinen Arm, berühre meine Lippen, da, wo er mich geküsst hat. Eines steht mal ganz sicher fest. Gesicht waschen ist die nächste Zeit abgesagt.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich so dagestanden bin. Aber irgendwann kommt mir die Idee, dass es höchste Zeit ist, ins Bett zu gehen. Fast mechanisch gehe ich in das stille und dunkle Haus, steige die Treppe hoch in mein Zimmer und sinke auf die Kante meines Bettes. Meine Gedanken sind immer noch bei diesem Moment als ich in Pierres Armen lag und er mir immer näher kam. Ein Kribbeln durchzieht mich, eine Spannung liegt in mir, eine Spannung, die sich lösen möchte. Was ist nur geschehen? Vorsichtig berühre ich mit meinen Fingern die Lippen. Dann plötzlich kommt mir die Erkenntnis.

Er hat mich geküsst.

Etwas löst sich in mir, ich erwache aus der Erstarrung. Ein Lächeln legt sich über mein Gesicht. Plötzlich ist mir als müsste ich lachen oder einen Freudentanz aufführen. Es ist geschehen, es ist so gekommen, wie ich es erträumt habe er hat es getan. Er hat mich geküsst. Im letzten Augenblick kann ich noch verhindern, dass ich anfange, vor Glück zu schreien. Um diese Zeit würde das vermutlich keinen so positiven Eindruck machen. Aber ich schaffe es immerhin, mich auszuziehen und ins Bett zu legen. Und die ganze Zeit ist mir nach Singen zumute, als wäre es an der Zeit, ein Lied anzustimmen, ein Lied der Liebe.

Blutgefährtin 1

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