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2. Kapitel

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Ein lautes Klacken des Schlosses an der Zimmertür, die in diesem Moment von außen geöffnet wurde, riss Joe unbarmherzig dem Schlaf. Ein eiskalter Schreckensschauer fuhr ihm bis ins Mark und ließ seinen langen, hageren Körper in die Vertikale schnellen. Doch ein Schmerz, der sich wie ein Messerstich anfühlte, schoss Joe von den Schläfen bis in den Nacken und riss ihn sofort wieder zurück auf die Matratze.

„Wer ist da? Bist Du das, Richie?“, fragte Joe und hielt sich den Arm vor die Augen.

Aber es war nur ein Zimmermädchen des Hotels, das zögerlich und leise, fast wie auf Zehenspitzen eintrat. Dann stammelte sie mit fast unhörbarer Stimme gen Boden: „Hier ist nur der Zimmerservice, mein Herr. Mein Name ist Denise und Ihr Manager trug mir auf, Sie zu wecken und Ihnen auszurichten, dass er schon auf dem Weg zur Falkenstation sei, um das Equipment einzuschiffen.“

Joe versuchte, sich erneut aufzurichten, dieses Mal jedoch langsam und bedächtig. Denise nahm dies zum Anlass, ihre Fernbedienung zur Hand zu nehmen und die Rollläden der Fenster hochzufahren. Das gleißend blendende Tageslicht traf Joe wie der Punch eines Profiboxers und sandte ihn erneut mit technischen K.O. auf den Ringboden: „Mein Gott, können Sie nicht damit warten?“, rief Joe, während er sein Gesicht im Kissen vergrub: „Wie spät ist es überhaupt?“

„13.45 Uhr Ortszeit.“, antwortete Denise, die mit dem Ausleeren des Papierkorbs langsam zu ihren gewohnten Tätigkeiten überging: „Wenn Sie sich beeilen, erreichen Sie vielleicht noch den Transporter zur Falkenstation um 15.10 Uhr.“

Joe, der es inzwischen tatsächlich geschafft hatte, aufrecht im Bett zu sitzen, sah mit noch immer halb geschlossenen Augen im Zimmer umher: „Wo zum Teufel sind meine Klamotten?“ Joe wollte sich eigentlich Sorgen machen, aber er war viel zu müde dazu.

„Ihr Manager hat alles schon packen lassen, während Sie schliefen.“, antwortete Denise und öffnete die Schranktür. „Er hat Ihnen diesen Anzug und diese Plastiktüte dagelassen und er hat Sie bereits ausgecheckt. Bezahlt ist auch schon alles! Wie war eigentlich Ihre Show gestern Abend? Die Party danach muss jedenfalls klasse gewesen sein!“ Denise konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Joe stieg langsam aus dem Bett. Denise drehte sich schnell und verstohlen weg, obwohl ihre Augen trotzdem versuchten, einen kurzen Blick zu erhaschen, denn Joe fehlte jegliche Schlafgarderobe. Aber dies war wohl nicht das erste Mal, dass Denise in eine solche Situation geraten war, denn nur einen kurzen Moment später flog ein Handtuch, das sie scheinbar nur für diesen Fall bereitgehalten hatte, zu Joe herüber. Er fing es jedoch nicht auf: „Ach lassen Sie! Sie wissen doch wie Männer aussehen, oder?“

Joe trottete zum Schrank und warf einen Blick in die grünweiße Plastiktüte: „Oh Gott, das darf doch nicht wahr sein!“, kommentierte er angewidert und zog eine graue Unterhose hervor, die ihre besten Tage seit langem hinter sich hatte.

Denise zögerte zunächst, konnte ihre Neugier dann aber doch nicht im Zaum halten: „Was ist denn passiert? Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“

„Nun ja, falls sie eine Unterhose parat haben, die passt, nicht im Schritt scheuert und vielleicht sogar neu oder zumindest nicht fleckig ist, dann ja!“

Denise senkte ihren Blick gen Boden und zog es vor, ihrer Arbeit nachzugehen.

Auch Joe kommentierte das Ganze nicht weiter und begann damit, seine Unterhose anzuziehen. Das erste Bein konnte er erfolgreich an der richtigen Stelle platzieren. Dann drehte er sich noch einmal zu Denise um: „Ich weiß, dass es schon spät ist, aber bitte reinigen Sie das Zimmer erst, nachdem ich weg bin, OK? Ich ziehe mich nur schnell an und dann bin ich auch schon raus hier.“, und noch während Joe diese Worte aussprach, versuchte er seine Unterhose heraufzuziehen. Doch diese war unter seinem rechten Fuß eingeklemmt und so fiel er mit lautem Fluchen vorn über und schlug mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf.

Denise kam sofort herbeigeeilt: „Oh Gott, haben Sie sich verletzt?“

„Nein, alles klar! Bitte können Sie in einer halben Stunde nochmal wiederkommen? Dann bin ich schon weg und Sie können hier in aller Ruhe arbeiten.“

„Selbstverständlich mein Herr!“ sagte Denise leise. Dann ging sie schnell zur Zimmertür. Doch bevor sie den Raum verließ, drehte sie sich doch noch einmal um: „Herr Falk, ich hätte da noch eine kleine Bitte: Könnten Sie mir ein Autogramm geben? Meine Mutter ist ein großer Fan!“

Joe sah Denise zum ersten Mal richtig an. Da stand sie mit ihrer leicht untersetzen Figur, den wilden braunen Haaren, die durch einen Pferdeschwanz gebändigt wurden, ihrem rundlichen Gesicht und mit großen, so erwartungsvollen Augen, dass Joe gar nicht umher kam zuzustimmen: „Natürlich!“, sagte Joe ruhig, während er sich wieder aufrappelte. Dann sah er sich im Zimmer nach einem Stück Papier um, fand aber nichts Brauchbares: „Haben Sie einen Stift?“, fragte er in Richtung Denise, die auch sofort und voller Aufregung einen dicken Faserschreiber aus der Fronttasche Ihrer Schürze zog.

„Ja, der wird es tun!“, meinte Joe voller Zuversicht, ging zum Bett, zog seine Unterhose wieder aus, spannte sie mit zwei Fingern über dem Bett auf und unterschrieb auf ihr. Dann ging er zurück zur Tür und übergab Denise mit einem breiten Grinsen erst den Stift und dann das frische Unterhosen-Autogramm.

Denise stand mit offenem Mund da und suchte in Joes Gesicht nach irgendeinem Hinweis darauf, dass dies nur ein Scherz war, aber sie konnte einfach nichts finden.

Als Joe dann ein trockenes: „Auf Wiedersehen. Ihr Trinkgeld scanne ich unten!“, hinzufügte, zog sie es vor, schnell das Weite zu suchen.

Joe schloss die Tür, trottete ins Badezimmer und betrachtete sich selbst im großen Spiegel über dem Waschbecken. Seine langen, inzwischen etwas dünner gewordenen Haare hingen wie immer halb vor seinem Gesicht und die ersten Bartstoppeln waren auch schon wieder zu sehen. Als Joe das Licht über dem Spiegel einschaltete, zuckte er zusammen, denn seine tiefen dunklen Augenränder kamen zum Vorschein.

„Ach du Scheiße!“, sagte er laut zu sich selbst und dann verfiel er in eine seiner üblichen Grübelphasen. Er setzte sich auf die Toilette und begann, wie fast jeden Morgen, über sein Leben nachzudenken: Über die scheinbar endlose Tournee mit den fast täglichen Shows in halbleeren Hallen und den unzähligen Reisen von Stadt zu Stadt, von Planet zu Planet, die in all der Routine zur Bedeutungslosigkeit verkommen waren. Joe dachte an sein komplett durchorganisiertes Leben, in dem jeder seiner Schritte von Agenten und Managern bestimmt und überwacht wurde. Und wie jedes Mal begann sich Joe auszumalen, wie es wäre, ein „normales“ Leben zu führen: Eine Frau, vielleicht Kinder, eine eigene Wohnung oder sogar ein Haus, irgendwo auf einem der neuen Siedlungsplaneten weit draußen im Nebbulla-Sektor. Doch dann wurde sich Joe des Schreibtischjobs bewusst, den er dann vermutlich hätte und dies holte ihn sofort zurück in die Realität: „Egal, die Show muss weitergehen!“, sagte er laut, stand auf und betätigte die Toilettenspülung. Merklich erleichtert nahm er eine kurze Dusche, zog sich an und machte sich auf den Weg zum Transportterminal.

Joe vermied es, durch die Lobby zu gehen und fuhr mit dem Fahrstuhl direkt zum unterirdischen Taxistand des Hotels. Unten angekommen ging er, ohne nach links oder rechts zu schauen, durch die schmucklose Rohbetonhalle direkt zum nächstbesten der rot-weiß gestreiften, hoteleigenen Taxis und während er einstieg, gab er dem Fahrer nur einen kurzes: „Irgendein Raumhafen, von dem aus ich zur Falkenstation komme und schnell bitte!“. Dann betätigte er den Schalter für die Trennwand zwischen Fahrer- und Fahrgastraum, legte sich quer auf die Rückbank und gab sich seiner Müdigkeit hin.

„Raumhafen zwei: Wir sind da!“ Die Stimme des Fahrers aus der Kommunikationsanlage riss Joe das zweite Mal an diesem Tag aus dem Schlaf.

„Oh, wow, schon da?“, sagte er und stemmte seinen Oberkörper mit beiden Armen mühevoll nach oben: „Kann ich direkt hier hinten bezahlen?“

„Ja sicher!“, antwortete der Fahrer und direkt vor Joe klappte ein Scanner aus der Fahrgasttür. Joe blickte hinein und musste sich anstrengen, seine Augen so weit zu öffnen, dass der Scanner seine Netzhaut erfassen konnte. Aber irgendwann hatte es Joe geschafft und der Quittierungston sagte ihm, dass er jetzt aussteigen und gehen konnte.

Kurz darauf trottete Joe in die Abflughalle, aber nachdem sich die großen Glastüren des Eingangs hinter ihm geschlossen hatten, blieb er erst einmal stehen und schaute in der Gegend herum. Alles schien sich im Kreis zu drehen und er selbst stand mitten im Zentrum. Egal wo er hinsah: Alles verschwand sofort wieder aus seinem Blickfeld und verlor sich im Durcheinander der Infomonitore, Werbetafeln, Leuchtreklamen und Warteschlangen. Aber Joe konzentrierte sich und versuchte, irgendetwas einzufangen, worauf er seine Gedanken lenken konnte.

Und dann schaffte er es: Sein Blick blieb am Werbeaufsteller eines Geschäftes für Herrenbekleidung hängen: „Was war da noch mit meinen Klamotten?“, dachte Joe und dann erinnerte er sich an das etwas außergewöhnliche Autogramm für Denise. Also atmete er tief durch und ging mit festem Schritt in den Laden.

„Was wünschen Sie, mein Herr?“ Eine Verkäuferin, kaum einen Meter sechzig groß, mit mäuseartiger Figur und spitzer Nase, kam direkt im Laufschritt auf ihn zu.

„Oh, ich brauche nur ein paar Unterhosen: Slips bitte! Ich hasse jegliche Form von Boxershorts, Sportshort oder was es da sonst noch so in dieser Richtung gibt.“

„Selbstverständlich! Größe L?“, fragte die Verkäuferin mit gut gelaunter Stimme.

„Ja, L ist gut!“ Joe trottete hinter der Verkäuferin her, die zu einem Regal im hinteren Teil des Ladens eilte.

„Welche Farbe? Ach, und soll es eine Großpackung sein, oder mögen Sie lieber ein Markenmodell? Ich habe auch Kombi-Packungen mit vielen verschiedenen Farben. Wie wäre es denn damit?“ Die Verkäuferin sah Joe mit erwartungsvollen Augen an, aber an Joes verkatertem Gesichtsausdruck, prallte ihr Blick wie an einem Betonpfeiler ab.

„Ich will nur ganz normale Slips. Die Farbe ist mir vollkommen schnurz.“, sagte Joe: „Geben Sie mir die da!“ Joe griff nach einer Großpackung mit schwarzen Unterhosen und gab sie der Verkäuferin.

„Sagen Sie, ich kenne Sie irgendwo her? Sind Sie prominent?“, fragte die Verkäuferin und begann, Joes Gesicht genaustens und aus nur zwanzig Zentimetern Entfernung auf Ähnlichkeiten mit den ihr bekannten Prominenten zu untersuchen.

„Na so was ähnliches.“, sagte Joe und trat einen Schritt zurück.

„Na gut, Herr Sowasähnlicheswieeinprominenter, das macht fünfzehn Unidollars!“, sagte die Verkäuferin in leicht distanziertem Ton und hielt Joe einen Scanner hin. Joe verlor jedoch kein weiteres Wort. Er bezahlte und verabschiedete sich aus dem Laden.

Joes Weg führte ihn geradewegs zur nächsten Toilette. Dort würde er in Ruhe seine gerade erstandene Unterwäsche anziehen können, aber als er die Eingangstür öffnen wollte, wurde diese von innen mit einem starken Schwung aufgestoßen und schlug dumpf und hart direkt gegen seinen Kopf. Es klang, als ob jemand einen schweren Holzklotz aus großer Höhe auf einen Betonboden fallen lassen würde. Joe verlor zwischen all den Sternen, die er sah, endgültig die Orientierung, taumelte rückwärts und fiel, einer Filmszene gleich, auf sein Hinterteil.

Aus der Toilette trat Lora, die vor Schreck zusammenzuckte: „Oh Entschuldigung, tut mir leid!“, rief sie, während sie sofort zu Joe eilte: „Sind Sie OK?“

„Ja, alles klar, ist schon gut!“, sagte Joe noch leicht benommen: „Mein Tag läuft eh schon nicht besonders, da kommt es auf eine Beule am Kopf auch nicht mehr an.“ Und während er Lora ein kleines Lächeln zuwarf, wurde er auf eine kleine Ungereimtheit aufmerksam und konnte nicht umher nachzufragen: „Ach sagen Sie: Warum waren Sie eigentlich auf der Herrentoilette?“

„Das ist eine Toilette nur für Männer?“

„Ja klar, was dachten Sie denn, was dieses Zeichen hier auf der Tür bedeutet?“

„Na ja, für zweibeinige Spezies. Und die andere Tür da ist für einbeinige.“ Loras Tonfall verriet jedoch, dass sie selbst nicht glaubte, was sie sagte.

Joe lachte laut auf, während er sich wieder aufrappelte, und fragte weiter: „Na und die ganzen Pissbecken an der Wand? Was haben Sie gedacht wofür die Dinger sind?“

Lora begann sich über sich selbst zu amüsieren. „Na ja, für mich haben die Dinger immer genau die richtige Höhe.“

„Und bisher hat Ihnen nie jemand was dazu gesagt oder sich beschwert?“

„Nein, bisher nicht!“, und nun musste auch Lora laut lachen: „Ich bin erst seit zwei Wochen auf einem Menschenplaneten und war meistens im Bad des Hotelzimmers, um ... na ja, Sie wissen schon!“

„Weiß ich!“, sagte Joe, noch immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Also für die Zukunft: Frauen werden hier nur mit einem Bein dargestellt. Warum auch immer?! Jetzt muss ich aber auch mal dringend ... Sie wissen schon! Also viel Erfolg noch!“

„Danke! Ihnen auch viel Erfolg! Und nochmals Entschuldigung für die Beule.“, sagte Lora und sah Joe hinterher, wie er langsam und vorsichtig die Toilettentür öffnete und hindurchging.

Deutlich aufgemuntert, mit frischer Unterwäsche und inzwischen auch vollkommen wach spazierte Joe ein paar Minuten später durch die Abflughalle. Er wollte sich vor der Abreise noch etwas umsehen und so versuchte sein Blick, einen Weg durch das Dickicht der Massen zu finden, die sich vor den Check-in-Schaltern drängten. Nach einer kleinen Weile schaffte er es und erspähte eine kleine Snack-Bar, die sich zwischen einen Laden für Unterhaltungselektronik und „Aresalritas Schmuckparadies“ quetschte. Joe steuerte geradewegs darauf zu und genehmigte sich in Ruhe einen extrastarken Espresso und ein Croissant. Der Geruch des frischen Kaffes und des ofenwarmen Gebäcks lies all den Lärm um ihn herum verstummen, als ob es keine Lautsprecherdurchsagen, kein Quittierungspiepsen der Check-In-Computer und keinen permanent andauernden Gesprächsbrei der Leute im Terminal geben würde. Übrig blieben nur Duft und Geschmack und der Blick auf eine Frau mit langen rosafarbenen Haaren, wie Lora sie trug. Sie stand in der Warteschlange an einem der Gates mit ihrer Bordkarte in der Hand und trippelte brav mit den anderen Passagieren Schritt für Schritt vorwärts zur Kontrolle am Einstieg.

„Ist sie es?“, fragte sich Joe, doch dann erkannte er am Infodisplay des Gates, dass es sein Flug war, in den die Leute bereits einstiegen. Also stürzte er seinen Espresso hinunter, ließ den Rest seines Croissants auf dem Teller liegen und sprintete hinüber zum Ticket-Verkauf.

An einem der Schalter wartete nur ein einzelner, älterer Mann, also fackelte Joe nicht lange und drängelte sich vor: „Entschuldigen Sie, ich muss dringend einen Flug erwischen“ sagte er mehr in den Raum hinein, als den Mann wirklich anzusehen, der nur noch schnell zur Seite springen konnte und sprachlos mit offenem Mund stehenblieb.

„Stellen Sie sich bitte hinten an, mein Herr!“, sagte die Verkäuferin in bestimmten Ton.

„Ich muss den Flug da vorn noch erwischen, schnell!“

Die Verkäuferin verzog das Gesicht: „Na schön, haben Sie Gepäck dabei?“

„Nein, nun machen Sie schon!“

„OK, hier ist ihr Ticket. Ich checke Sie direkt von hier aus ohne Gepäck ein, dann brauchen Sie sich nicht in die Warteschlange stellen.“

Joe bezahlte am Scanner, ohne dass er den Preis für den Flug überhaupt kannte, riss der Verkäuferin die Bordkarte aus der Hand und rannte zum Gate.

„Nichts zu danken!“, rief ihm die Verkäuferin hinterher, aber Joe ging bereits durch die Tür hinaus zum Schiff.

Als er dann auf der Suche nach einem ruhigen Sitzplatz durch den Mittelgang nach vorn ging, sah er die Frau mit den langen rosafarbenen Haaren am Fenster in einer der mittleren Reihen sitzen und jetzt erkannte er mit Freude, dass es tatsächlich Lora war: „Na dann wird es ja ein lustiger Überflug!“, dachte er und da der Platz neben ihr noch frei war, ergriff er die Gelegenheit und setzte sich zu ihr.

„Ach Sie, na welch eine Überraschung!“, begrüßte ihn Lora herzlich.

„Ich bin gerade an der Bordtoilette vorbeigekommen und hier ist es tatsächlich nur eine einzige: für Frauen, für Männer, für einbeinige und zweibeinige Spezies!“, sagte Joe und erwiderte ihr Lächeln.

„Na, da bin ich ja beruhigt.“, sagte Lora: „Dann kann ja nichts mehr schief gehen.“

„Bitte anschnallen, wir starten!“, schallte es aus den Lautsprechern und unterbrach das Gespräch der Beiden, die jetzt erst einmal damit beschäftigt waren, ihre Gurte zu finden, aber noch bevor sie damit fertig wurden, hob der Transporter ab und beschleunigte gen Himmel.

Während Joe gar nicht darauf achtete, stoppte Lora ihre Suchaktion und sah aus dem Fenster hinunter auf die Stadt, die langsam immer grauer und undeutlicher wurde. Loras Herz schlug immer schneller und ihr Mund begann zu lächeln, während sie tief ein- und ausatmete. Doch mit zunehmender Höhe, verblasste ihr zufriedener Gesichtsausdruck und Lora konnte es nicht vermeiden, dass eine Träne hinab über ihre Wange lief. Lora wischte sie sich jedoch schnell aus dem Gesicht.

Kurze Zeit später verließ der Transporter die Atmosphäre und die Fenster wurden dunkel. Lora sah hinüber zu Joe, doch dieser war, trotz des Kaffees wieder Opfer seiner Müdigkeit geworden und schlief tief und fest in seinem Sitz. Da der Flug ja noch ein wenig dauern würde, beschloss Lora, das Gleiche zu tun. Sie setzte sich in eine bequeme Position und schloss die Augen, doch es war vergebens: Viel zu viele Gedanken über die vergangen zwei Wochen auf Gesius und über die Zukunft, die vor Ihr lag, schwirrten kreuz und quer in ihrem Kopf umher und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Als ein paar Minuten später ein Mann in der Sitzreihe direkt vor ihr eine laute Unterhaltung mit seinem Nachbarn begann, bei der es sich offensichtlich nur um das Wetter drehte, blieb Lora keine andere Wahl als wach zu bleiben. Sie sah wieder hinüber zu Joe, der immer noch schlief.

„Seltsamer Vogel!“, dachte sie: „Wo der wohl herkommt? Von diesem Planeten jedenfalls nicht, denn mit der Frisur hätte er hier nie einen Job bekommen. Womit verdient der wohl sein Geld? Warum hat er eigentlich noch nichts darüber gesagt, dass ich Iriduanerin bin? Es muss ihm doch wohl aufgefallen sein, dass meine Spezies sehr selten in dieser Gegend anzutreffen ist.“

Lora lehnte sich schnell und unauffällig wieder zurück in ihren Sitz, denn Joe war wieder aufgewacht. Nach einem Hustenanfall seines anderen Sitznachbarn, einem weinenden Baby und einem Geruchsangriff von der anderen Gangseite her, gab nun auch Joe das Schlafen auf. Er starrte mit halboffenen Augen auf die Rückenlehne seines Vordersitzes und dachte: „Was macht nur eine Iriduanerin hier in dieser Gegend? Wo sie wohl hin will?“ Er sah zu Lora hinüber und ihre Blicke trafen sich direkt, denn Lora drehte sich im gleichen Moment auch zu ihm um.

„Wohin geht denn die Reise?“, fragte Joe und brach damit als Erster das Schweigen.

„Oh, nach Hause, nach Iridua. Ich habe hier nur gearbeitet.“

„Aber sagten Sie nicht, dass Sie erst seit zwei Wochen hier seien? War wohl ein schlechter Job!?“, fragte Joe weiter.

„Datenverwaltung in einer der berüchtigten Menschenfirmen. Ich hätte wissen sollen, dass das nicht gut gehen kann.“

„Ja, wir Menschen sind schon eine eigenartige Spezies, nicht wahr? Wir wollen alles perfekt machen und produzieren im Endeffekt doch nur Chaos! Ich bin übrigens Musiker und habe nichts mit Menschenfirmen zu tun!“

„Musiker? Dann sind Sie so etwas wie ein Prominenter, was?! Welche Musik spielen Sie denn?“

„Ich bin Jazz-Sänger.“, sagte Joe, der sich nicht anmerken ließ, dass ihm die Fragen nach seinem Prominentenstatus langsam auf die Nerven gingen. Doch die Freude über Loras offensichtliche Neugier überwog und spülte den Ärger schnell davon.

„Jazz? Ist das nicht eine dieser alten, ausgestorbenen Musikstile von der Erde?“

Joes Freude verschwand schlagartig aus seinem Gesicht: „Ausgestorben wohl nicht. Sonst wäre ich ja kein Jazz-Musiker. Ich bin gerade auf Tournee und fliege zum nächsten Konzert.“, erklärte Joe mit ein wenig Stolz in der Stimme.

„Wow!“, sagte Lora und wurde am weiteren Sprechen durch eine Durchsage des Computers gehindert: „Eine Transmission für Herrn Joe Falk. Bitte kommen sie zum Telekommunikationsraum!“

„Entschuldigen Sie, ich muss da leider rangehen! Das ist wahrscheinlich mein Manager.“, sagte Joe, stand auf und ging nach vorn zur Telekommunikationskabine.

„Kein Problem!“, rief Lora hinter ihm her und als er in der Kabine verschwand, senkte Lora ihre Stimme und murmelte vor sich hin: „Ich warte dann einfach hier. Zu dumm, wenn man in der Vergangenheit lebt, ausgestorbene Musik singt und jegliche moderne Technik, wie einen eigenen, interstellaren Kommunikator prinzipiell ablehnt!“

Nach etwa zehn Minuten kam Joe mit hängenden Schultern zurück und setzte sich stumm wieder auf seinen Platz.

„Haben Sie keinen eigenen Kommunikator?“, fragte Lora neugierig, aber Joe reagierte gar nicht darauf. Stattdessen starrte er mit leerem Blick ins Nichts hinein.

„Was ist denn los? Ist Alles OK mit Ihnen? Ich hoffe, es ist keine Nachwirkung der Toilettentür.“

Joes Gesichtsfarbe sah inzwischen ungesund blass aus.

„Ist Ihnen schlecht? Soll ich den Notknopf drücken?“

Als Joe immer noch nicht antwortete, drehte sich Lora zur Wand und versuchte, das Notsignal zu betätigen, doch Joe hielt Loras Hand fest und brach sein Schweigen: „Ist nicht nötig, mir geht es gut. Meine restliche Tour ist nur gerade abgesagt worden, meine Plattenfirma hat mir gekündigt und das alles hat mir soeben mein Manager mitgeteilt, der nun auch nicht mehr mit mir arbeiten will.“

Lora sah Joe entgeistert an: „Nein, nicht wirklich, oder?“

„Doch!“, sagte Joe und sein Tonfall schlug in Sarkasmus um: „Und ich habe vergessen zu erwähnen, dass mein Manager noch zehntausend Unidollars Honorar von mir fordert.“ Joe ließ Loras Hand los und ließ sich zurück in seinen Sessel fallen.

Obwohl Lora Joe kaum kannte, fühlte sie, wie sich ihr Brustkorb zusammenzog und ihr das Atmen schwerfiel. Sie blickte hilflos auf die Rücklehne des Sitzes vor ihr und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, um jetzt das Richtige zu tun oder zu sagen. Doch der Transporter dockte in diesem Moment an die Station an und unterbrach Loras Denkprozess.

Joe stand schnell auf und drehte sich zu Lora um: „Ich war leider noch nie auf Iridua, aber ich habe gehört, dass es dort traumhaft schön sein soll. Ich weiß, dass man nie ein Visum für Iridua bekommt, aber wer weiß, vielleicht schaffe ich es doch mal, Ihren Heimatplaneten zu sehen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Glück der Welt.“ Joe wartete nicht ab, ob Lora noch etwas sagen wollte. Er drehte sich einfach um und ging hinaus.

Lora hingegen blieb stumm auf ihrem Platz sitzen. Sie wollte ihm eigentlich noch etwas hinterherrufen, doch sie brachte kein Wort heraus.

Sie verstand es selbst nicht: Er war nur ein Musiker, dem der Erfolg ausgeblieben war. Solche Geschichten passierten jeden Tag und doch war es hier etwas anderes. Irgendwie hatte Lora wieder eines dieser unerklärlichen Gefühle, dass ihre Aufgabe in diesem Sternensystem noch nicht beendet war und dass sie Joe mit Sicherheit wieder treffen würde. Es fesselte Lora förmlich an ihren Sitz und erst als die Reinigungskolonne den Transporter betrat, stand sie auf und ging, immer noch in Gedanken versunken, hinaus in die Station.

Die Sternenschnüffler

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