Читать книгу Der Unterhändler der Hanse - Thomas Prinz - Страница 10
KAPITEL 3
ОглавлениеDer Mann, der sich Albert Puster nannte, hatte die Nacht in einem Gasthaus an der Handelsstraße von Lüneburg nach Lübeck verbracht – etwa einen halben Tagesmarsch vor den Toren der Stadt an der Trave. Er ließ sich Zeit mit dem Frühstück, bestellte eine zweite Pfanne mit Eiern und Speck und genoss das Gefühl des schweren Geldbeutels, der in seiner Gürteltasche hing und der bald noch schwerer werden würde. Er war ein wohlhabender Mann, und er war ein freier Mann. Albert Puster sah einer strahlenden Zukunft entgegen. Sein Vater hatte ihn geschlagen, gequält, eingesperrt und schließlich aus dem Haus geprügelt. Er hatte in der Gosse gelebt, gehungert und sich vor hohen Herren verneigt. Erst mit dem Krieg gegen die Dänen hatte sich das geändert. In Rostock suchte man damals Armbrustschützen, um eine Kogge zu bemannen. Sie lachten ihn aus, als er sich bewarb, weil er zu klein und zu schwach sei. Darauf hatte er sich zum Beweis seiner Fähigkeiten eine Armbrust von dem Hauptmann erbeten und auf einen Weinkrug gedeutet, der gut 150 Meter weiter vor einem Gasthaus stand. Der Bolzen zerschmetterte den Weinkrug, und Albert Puster führte fortan das Leben eines gut bezahlten Söldners. 1362 hatten sie vor Kopenhagen die Dänen schon fast besiegt, als dieser Idiot von Bürgermeister, Johan Wittenborg, die Hälfte der Flotte nach Helsingborg abzog. Zwölf Koggen eroberten die Dänen damals, und Albert Puster fiel mit einer dieser Koggen in die Hände der Dänen. 1362 war kein gutes Jahr für ihn gewesen, und zu den zahlreichen Narben auf seinem Körper, die er dem Alten verdankte, waren neue hinzugekommen. Aber es war wieder die Armbrust gewesen, die ihn rettete.
»Auf 150 Meter den Weinkrug«, hatte er mit dem Kerkermeister gewettet – und gewonnen. Danach arbeitete er zwei Jahre für die Dänen. Eine schöne Zeit: Raubzüge auf Gotland, Überfälle auf Hansekoggen und Plünderungen, bis dieser Hauptmann gekommen war – Henning von Putbus –, weil er in Schonen eine Frau erschossen hatte. Eine Frau! Henning ließ ihn auspeitschen, bis das Fleisch in Fetzen von seinem Rücken hing. Das lag jetzt sechs Jahre zurück, und seitdem hatte er seine Armbrust eingesetzt, wo immer man ihn dafür bezahlte, und er erledigte seine Aufträge mit der Präzision eines unterschätzten, kleinen, gewissenhaften Mannes.
Er befestigte seinen Reisesack, in dem sich die Armbrust befand, am Pferdesattel und schwang sich geschmeidig auf die Stute. Der Wirt stand in der Tür, nickte ihm freundlich lächelnd zu, drehte sich um und ging in die Wirtsstube.
»Ist die Ratte endlich weg?«, flüsterte seine Frau.
»Ja, Richtung Lübeck.«
»Gott sei Dank!«
»Er hatte Geld.«
»Das hat er gestohlen. Hast du die kalten Augen gesehen, die Narben, dieses überhebliche Grinsen und wie er mich von oben herab behandelt hat, als sei er ein Herr?«
»Hier, nimm und scher dich nicht mehr drum.« Der Wirt warf ihr zwei Pfennige zu – das Doppelte dessen, was »die Ratte« eigentlich hätte bezahlen müssen.
Zwei Stunden vor Lübeck hatte Albert Puster eine Gruppe von Fuhrwerken eingeholt.
»Gott sei mit Euch, Kutscher. Salz nach Lübeck?«
»Gott mit Euch. So ist es, und Ihr?«
»Nach Lübeck. Geschäfte.«
Zehn Minuten später hatte Albert Puster sein Pferd an das Fuhrwerk gebunden und saß neben dem Kutscher, den sie Langheinrich nannten, auf dem Bock. Es war unauffälliger, die Lübecker Tore in Begleitung einer Lüneburger Salzlieferung zu passieren. Kein Mensch würde sich an ihn erinnern. Viel schwieriger dürfte es werden, die Stadt wieder zu verlassen, nachdem er den Bürgermeister getötet hatte.
Nachmittags um vier erreichten sie das äußere Mühlentor, das südliche der drei Lübecker Stadttore. Die Fuhrwerke holperten über die Travebrücke, passierten das innere Mühlentor und wurden von einem Wachmann gestoppt. Albert Puster war nervös. Wusste man von seinem Vorhaben?
»Kutscher, hier herüber zum Wiegen«, rief der Wachmann.
»Ja, ja, Soldat, ich kenne mich aus, komme jedes Jahr fünfmal nach Lübeck, und das schon seit einer Zeit, in der du noch in die Hosen geschissen hast.« Die Fuhrleute lachten über Langheinrichs Scherz, und der junge Wachmann verschwand mit rotem Kopf in der Wachstube.
Als der letzte Wagen das Tor passiert hatte, erschien eine Gruppe von vier Wachmännern unter dem Kommando eines blonden Hauptmanns, der sich bei seinen Kollegen in der Wachstube meldete, die ihn fragend anschauten.
»Die Ablösung kommt zwei Stunden früher als erwartet, Kameraden«, witzelte einer der Männer, die sich mit Würfeln die Zeit vertrieben.
»Die Wachen werden verdoppelt. Anordnung des Bürgermeisters. Jeder, der die Stadt betritt, soll durchsucht und befragt werden. Jeden Verdächtigen sollen wir festhalten und dem Hauptmann vorführen.«
»Scheiße.«
»Verdammte Scheiße.«
»Und warum?«
»Sie befürchten einen Mordanschlag auf den Bürgermeister.«
»Wonach suchen wir denn?«
»Nach einer Nadel im Heuhaufen.«
Einer der Spieler schob den Würfelbecher beiseite. »Na dann ans Werk. In einer guten Stunde schließen wir das Tor, und bis dahin bringt ihr mir diesen Satan bei.«
Die Männer lachten und zogen ihre Mäntel an.
»Alsdann, habt Dank für den gemütlichen Ritt und macht Euch einen schönen Abend.« Albert Puster legte eine Münze auf den Kutschbock. Der Kutscher setzte ein strahlendes Lächeln auf, als er das Geldstück sah. Die Lüneburger hatten vor dem Zollhaus gehalten. Albert Puster nahm sein Pferd an die Zügel und ging in Richtung Hafen davon.
»Wer war das?«, wollte einer der Zöllner von Langheinrich wissen.
»Er arbeitet für einen Nürnberger Kaufmann und will Hering kaufen, und er hat mir ein Loch in den Bauch gefragt, wollte alles über Lübeck wissen und über Euren Bürgermeister. Dabei hat er hier eine Schwester, die mit einem Paternostermacher verheiratet ist.«
»Die Paternostermacher wohnen aber da drüben.« Der Knecht deutete in die entgegengesetzte Richtung, in die Albert Puster verschwunden war.
»Genug geschwätzt. Bringen wir das Salz auf den Hof, und danach gehen wir einen saufen.«
Albert Puster führte unterdessen sein Pferd an der Stadtmauer entlang zum Hafenviertel. Hier hatte er vor acht Jahren schon einmal übernachtet, bevor es gegen die Dänen ging. Heute besaß er genügend Geld, um sich in jedem Wirtshaus einzuquartieren, selbst in der »Ratsschenke«, aber das wäre zu auffällig gewesen. Die Stute gab er in einem Mietstall ab und bat den Pferdeknecht, nach einem geeigneten Käufer für das Tier Ausschau zu halten. Dann machte er sich auf die Suche nach dem Haus der jungen Hure, bei der er vor sechs Jahren gewohnt hatte.
Nur wenige Gassen des Hafenviertels waren gepflastert. Die meisten waren schlammige Wege, auf denen die Menschen ständig auf der Suche nach einem Pfad zwischen den zahlreichen Pfützen und dem Kot von Pferden, Ochsen, Schweinen und anderem Viehzeug waren. Die Häuser, die sich hier aneinander reihten, waren kaum mehr als Bretterbuden. Es stank nach Urin und Fisch und nach nahezu allen anderen Gerüchen, die von Verrottung und Verwesung ausgehen. Zwei Schweine trotteten langsam über die Straße. Albert Puster klopfte an die Tür einer windschiefen Holzhütte. Eine Frau mittleren Alters mit einem Kleinkind auf dem Arm öffnete. Fast hätte er sie nicht wieder erkannt. Ihre Reaktion zeigte ihm aber, dass sie es sein musste. Die Frau erschrak, als sie den Mann mit den Narben sah, und wollte die Tür sofort wieder schließen. Albert Puster hatte inzwischen eine Silbermünze aus seiner Tasche gezogen, die er mit dem Geschick eines Spielers über die Fingerrücken laufen ließ. Die Frau hielt inne, ein Grinsen offenbarte die Tatsache, dass sie schon die Hälfte ihrer Zähne eingebüßt hatte. Sie öffnete die Tür, und Albert Puster betrat einen niedrigen dunklen Raum, in dem es nach dem Rauch eines Herdfeuers roch.