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KAPITEL 4

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»Papa, du musst nicht traurig sein. Mama ist doch im Himmel. Stimmt doch, oder?« Geseke schaute erst ihren Vater an, dann Onkel Pietro, Bruder Benedikt und schließlich ihren Großvater.

Reinekin musste seinen Schmerz hinunterschlucken, und Tränen traten ihm in die Augen.

»Aber freilich ist deine Mama im Himmel. Sie ist bei Gott, den Heiligen und den Engeln, und sie schaut auf dich herab und freut sich über dich«, sagte der Franziskaner.

»Und sie freut sich noch mehr, wenn du endlich ins Bett gehst. Jan und Johanna schlafen schon längst«, ergänzte Balthasar Grevenrode.

»Ich bleibe bei Papa.« Die Siebenjährige kuschelte auf dem Schoß von Reinekin und schlang die Arme um seinen Nacken.

»Komm, ich bringe dich ins Bett.«

»Aber nur wenn ich bei dir schlafen darf.«

»Du kannst ausnahmsweise in Mamas Bett schlafen, aber ich muss noch mit Opa und Pater Benedikt reden. Komm, geh ins Bett.«

»Nur wenn du mich hochbringst.«

»Na gut.«

Einem Kuss für Balthasar Grevenrode und einem weiteren für Pietro folgte eine Verbeugung vor dem Prior von St. Katharinen, und dann ließ sich Geseke von ihrem Vater aus dem Zimmer tragen.

»Sie sieht aus wie ihre Mutter«, sagte der Franziskaner.

»Und sie feilscht wie ihre Mutter«, fügte der Bürgermeister stolz hinzu.

»Gibt es etwas Neues von den Wachen?«, wollte Pietro wissen.

»Nein, aber ich habe Boten geschickt nach Stralsund, um Wulflam zu warnen, und nach Bremen, Danzig und Wismar, weil ich wissen will, ob sie etwas über die Todesumstände unserer Freunde herausbekommen haben.«

»Und Eure eigene Sicherheit?«

»Keine Sorge, ich tue keinen Schritt mehr, ohne dass mich die Wache begleitet.«

»Wie viele Wachen habt Ihr?«

»Vier.«

»Das ist zu wenig. Wenn ein guter Schütze mit der Armbrust auf Euch lauert, dann ist das zu wenig. Nehmt sechs große Kerle und lasst sie dicht bei Euch.«

»Ich mache mir mehr Sorgen um Reinekin als um mich.«

»Es war ein schwerer Tag für ihn«, sagte der Pater. »Aber es wird wieder werden. Das Trauerjahr ist jetzt vorbei. Verzeiht, Balthasar, aber Euer Schwiegersohn sollte wieder heiraten.« Balthasar Grevenrode schwieg.

»Auch wegen der Kinder«, ergänzte der Mönch.

»Es schmerzt, aber ich werde ihm keine Steine in den Weg legen«, sagte der Bürgermeister leise.

»Wie steht es um seine Geschäfte?«, fragte der Pater.

»Es läuft mehr schlecht als recht. Den Wein kriegen wir dieses Jahr nur, weil Niccolò die Lieferung losgeschickt hat, obwohl keine Bestellung vorlag. Reinekin hatte es einfach vergessen«, sagte Pietro.

»Und das Haus ist ständig von Bittstellern umlagert. Ich habe gehört, dass er sogar Swartekop Geld gegeben hat«, ergänzte Balthasar Grevenrode.

»Verehrter Bürgermeister, Mildtätigkeit ist keine Sünde.«

»Fünfzig Mark für einen bankrotten Zimmermann«, empörte sich Balthasar Grevenrode.

»Swartekop ist kein einfacher Zimmermann. Er baut die besten Schiffe an der Ostsee. Gut, ich habe von Schiffen keine Ahnung, aber Reinekin ist überzeugt davon«, versuchte Pietro seinem Freund zur Hilfe zu kommen.

»Swartekop war einmal ein guter Zimmermann, bevor er angefangen hat zu saufen. Und dann hat er Reinekin den Floh mit diesem riesigen Frachtschiff ins Ohr gesetzt. Dabei weiß jeder, dass es natürliche Grenzen für ein Schiff gibt. Das Schiff, das Reinekin mit Swartekop bauen will, ist jedenfalls viel zu groß und zu instabil für unser Meer, und deshalb wird es im ersten Sturm untergehen. Es geht nichts über unsere Koggen.«

»Ich verstehe davon nichts. Mir ist schon zum Kotzen, wenn ich ein Schiff nur sehe, aber im Mittelmeer haben wir diese großen Schiffe auch. Die Kraweelen haben drei Masten, sind schneller als Koggen, und ihr Laderaum ist mehr als doppelt so groß. Reinekin sagt, Swartekops Idee ähnele den Kraweelen und sei genial.«

»Herausgeworfenes Geld ist das. Und Schlechtriemen hat er die Parte eines Schiffes erstattet, das vor Gotland gekapert wurde.«

»Das stimmt so nicht.« Jetzt schaltete sich der Pater ein. »Wir haben lange darüber gesprochen. Schlechtriemen erhält Geld aus einer, äh, wie nennt Reinekin es?«

»Versicherung«, warf Pietro ein.

»Versicherung, genau. Man zahlt einen regelmäßigen kleinen Betrag ein, und wenn etwas passiert, erstattet Reinekin das Geld für den gesamten Schaden.«

»So einen Unsinn habe ich noch nie gehört.«

»Wir haben es im Kloster durchgerechnet. Wenn zwanzig Kaufleute mitmachen, kann jedes Jahr der Verlust einer Parte ersetzt werden.«

»Und wer macht bei solch einem Mist mit?«

»Bislang nur Schlechtriemen, aber vielleicht wird die Idee sich ausbreiten«, sagte Pietro, obwohl er selbst nicht daran glaubte.

»Hätte er Renten gekauft, Parten oder Grund, dann …«

»Na, zerreißt Ihr Euch das Maul über die Versicherung?« Reinekin setzte sich zu seinen Gästen. »Heute haben Möhlmann und Sackse gezeichnet.«

»Und wenn die eine Parte verlieren, musst du sie auch bezahlen?« Balthasar schaute seinen Schwiegersohn skeptisch an.

»Genau das werde ich tun. Und spätestens dann werden alle, die noch Zweifel haben, mitmachen und einzahlen.«

»Ein Kaufmann muss sein Risiko selbst tragen«, sagte der Bürgermeister mit Überzeugung.

»Du kannst das, Balthasar, und ich und vielleicht noch zehn andere in Lübeck. Aber was ist mit Leuten wie Schlechtriemen, die nur zwei Parten besitzen? In zwei, drei Jahren wird in Lübeck niemand mehr in ein Armenhaus gehen müssen, weil Piraten oder ein Sturm sein Schiff genommen haben.«

Der Nachtwächter rief bereits die elfte Stunde aus, als Reinekins Gäste sich verabschiedeten. Balthasar Grevenrode ging, umringt von seiner Wache, vom Kohlmarkt durch die Breite Straße zum Koberg, wo sich gegenüber dem Heilig-Geist-Hospital eine Reihe mit prächtigen Giebelhäusern befand. Wer hier wohnte, gehörte zu den alten Kaufmannsgeschlechtern Lübecks. Es war ein schwerer Tag für Balthasar Grevenrode gewesen: der Kirchgang zum Gedenken an seine Tochter Johanna, die heute vor einem Jahr bei der Geburt ihres dritten Kindes gestorben war, der zerstörte Reinekin, die weinenden Enkelkinder, die Verantwortung für die Familie und die Stadt, und bei all dem blieb kaum Zeit für die eigenen Gefühle. Es war gut, dass es begonnen hatte zu regnen, denn so konnte die Wache die Tränen des alten Mannes nicht sehen.

Der Unterhändler der Hanse

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