Читать книгу Das weiße Schneckenhaus - Thomas Propp - Страница 3

1. Kapitel:
Emma findet etwas, das vorher noch nicht da war, auf ihrem Tisch.

Оглавление

Am Morgen eines Sommertages wachte Emma auf und hatte ganz ausgesprochen gute Laune. Sie wunderte sich selbst darüber. Denn oft wachte sie auf und hatte alles andere als gerade gute Laune. Ein trübes Licht fiel in die Vorhänge an ihrem Fenster. Hinter der Tür hörte sie schon die Eltern rumoren und wenn sie sich nicht rührte, würde bald einer von ihnen zu ihr hineinsehen und sagen, sie müsse sich jetzt ganz doll beeilen mit dem Anziehen, das Frühstück sei schon fertig.

Woher aber kam nur diese gute Laune, wieso war da auf einmal dieses lustige Kitzeln im Bauch? Hatten ihr gestern vielleicht Mama oder Papa vor dem Einschlafen etwas sehr Schönes versprochen?

Sie dachte nach, und sie dachte nach, aber nichts anderes wollte ihr einfallen, als dass sie heute wohl wieder in den Kindergarten gehen würde und danach vielleicht, wenn Papa oder Mama Zeit hätten, ein bisschen ins Schwimmbad. Das Wasser war dort immer so kalt, und sie wusste eigentlich gar nicht, warum sie unbedingt in dieser Kälte Schwimmen lernen sollte. Kein Grund jedenfalls, so ausgesprochen gute Laune zu haben.

"Mama, Papa!" schrie sie.

Ihr Vater steckte den Kopf zur Tür herein. "Mein Gott, was ist denn!?" sagte Papa. "Warum schreist du so? Es ist noch nicht einmal sieben Uhr!"

"Papa", sagte sie, "du sollst mir sagen, worauf ich mich freue!"

"Ja, das weiß ich doch nicht!" grummelte Papa. "Aber man sollte sich morgens immer auf irgendetwas freuen, dann fängt der Tag gut an. Ich zum Beispiel freue mich auf ein gutes Frühstück und danach eine Zigarette."

"Rauchen ist ungesund!" sagte Emma und verzog den Mund.

"Das weiß ich", erwiderte Papa mit schrägem Lächeln.

Emma sprang aus dem Bett, und zog ganz schnell ihr Lieblingskleid aus dem Schrank. Das blaue mit den weißen Rüschen am Saum. Lange musste sie suchen, bis sie das passende Höschen und das Hemd mit den blauen Bären gefunden hatte, die als einzige zu dem Kleid passten. Sie war froh, dass Mama nicht schon gestern Abend irgendeine lange Hose für sie zurechtgelegt hatte, die sie heute anziehen sollte. Sandalen oder Turnschuhe? Sie entschied sich für Sandalen und lief, nachdem sie sie eilig angezogen hatte, in die Küche, wo Papa stand und langsam, wie immer, Bananen, Äpfel und heute auch das Stück einer Ananas in kleine Stücke schnitt für das Müsli.

Wenn Papa Frühstück machte, musste es immer Müsli geben. Er sagte immer, er fühle sich den ganzen Vormittag glücklich, wenn er morgens ein gutes Müsli gegessen habe. Emma fand, damit ein Vormittag glücklich war, mussten noch andere Dinge dazukommen

"Wo ist Mama?" fragte sie.

Da spürte sie die Hand ihrer Mutter auf den Haaren. "Schnuckelchen", hörte sie ihre butterweiche Stimme, "heute ist es kühl draußen! Zieh Dir schnell die grüne Jeans an, die wir letzte Wochen zusammen gekauft haben, die gefallen dir doch auch gut. Und den dicken Pullover. Bitte!" An dem Tonfall, mit dem ihre Mutter das Wort Bitte aussprach, merkte Emma, dass es heute schon wieder noch vor dem Frühstück Streit geben würde.

"Ich will die grünen Jeans nicht anziehen. Ich will das Kleid anziehen. Mir ist nicht kalt!" Mama war selber schuld, wenn sie beim Einkaufen überredete, die Hose zu kaufen die ihr, Mama, am besten gefiel. Die grüne Jeans war viel zu grün für ihren Geschmack, und außerdem sah sie darin aus wie ein Junge, und ein Junge war sie nicht, und wollte sie auch nicht sein.

Jungen waren doof, außer Emil. Emil war eine Ausnahme. Aber auch Emil würde die grüne Jeans sicher nicht anziehen. Er war doch kein Grasfrosch.

Emma fürchtete, dass Mama jetzt mit scharfer Stimme sagen würde: "Du ziehst die grüne Jeans an, und zwar sofort!" Dann würde es schwer werden mit diesem Morgen. Aber sie sagte nur: "Wenn du nach draußen gehst ziehst, du wenigstens Strumpfhosen an. Achte bitte darauf, Thomas!" sagte sie zu Papa.

"Ja", sagte Thomas-Papa, und Emma wusste, dass sie für heute gewonnen hatte.

Mit dem blauen Kleid fing der Tag in jedem Fall gut an. Emma fühlte schon wieder dieses Kribbeln im Bauch, mit dem sie aufgewacht war. "Ich möchte heute etwas sehr Schönes machen!" sagte sie.

"Was möchtest du denn gerne machen?" fragte Mama, die gerade dabei war, den Geschirrspüler einzuräumen.

"Ich will ...", sagte Emma, aber dann fiel ihr nichts ein, was so richtig zu dem Kribbeln passte.

"Ich will Süßigkeiten haben!" sagte sie dann versuchsweise, aber sie wusste sowieso, dass sie jetzt, nach dem Frühstück, keine bekommen würde und auch, dass es eigentlich nicht das war, was sie wollte.

"Hol’ mal deine Jacke!" sagte Papa. "Ich bring’ dich in den Kindergarten."

Die Zeit im Kindergarten verging wie immer. sie spielte ein bisschen mit Jessica, stritt sich mit Oliver um das einzige freie Fahrrad, und sie freute sich, als Papa sie endlich abholte.

"Gehen wir baden?" empfing sie ihn.

"Liebe Emma", hörte sie, und da wusste sie schon, dass sie heute nicht baden gehen würden, "es wäre ganz toll, wenn du heute mal ein bisschen alleine in deinem Zimmer spielen würdest, ich habe nämlich noch ganz viel am Schreibtisch zu arbeiten."

"Du musst aber mit mir baden gehen!" maulte Emma.

"Du sollst nicht immer sagen, 'du musst!'", sagte Papa. "Da will keiner gerne etwas für dich tun. Aber heute können wir leider überhaupt nicht baden gehen, auch wenn du sagst, 'gehst du bitte mit mir schwimmen?' Tut mir leid."

Da saß sie nun in ihrem Zimmer. Das Fenster war weit auf, die Sonne schien herein, und Papa hatte ihr etwas weißes Papier hingelegt, auf dem sie ihm ein Bild malen sollte.

Emma hatte keine Lust, schon wieder ein Bild für Papa zu malen. Mama sagte immer, es gebe Kinder, denen müsste man nur fünf Bauklötze hinlegen, und dann könnten sie stundenlang damit spielen. Wenn es solche Kinder gab, dann konnte Emma sie jedenfalls nicht verstehen. Sie langweilte sich, wenn niemand mit ihr spielte und konnte grenzenlos traurig werden, wenn sie allein war. Das große Puppenhaus guckte sie nur blöde aus seinen leeren Zimmern an. Alle Bilderbücher waren nur ein Haufen bunter Kleckse auf Pappe und Papier, und selbst von den Kuscheltieren konnte ihr dann auch das weichste und süßeste nicht helfen. Manchmal spielte sie, ihre Puppe Lisa wäre ihre kleine Schwester, und dann fütterte sie sie und zog sie warm an. Aber Lisa war eben doch nur eine Puppe, und ein richtiges Geschwisterkind wollten Mama und Papa nicht mehr bekommen. "Du machst uns gerade genug Arbeit", hatte Papa eben gestern noch gesagt.

Emma machte einen dicken schwarzen Strich auf das weiße Papier. Das Papier konnte nichts dafür, dass sie sich langweilte. Das wusste sie. Emma merkte, dass ihr Daumen wieder den Weg in ihren Mund gefunden hatte, und ihre beiden Augen füllten sich langsam mit Tränen. Warum musste sie eigentlich immer so allein sein. Warum spielte Papa nicht mit ihr! Das war nun der Tag, an dem etwas ganz besonders Schönes passierten sollte? Sie dachte gerade, dass sie ein wenig lauter schluchzen sollte, damit Papa es hören musste, da fiel ihr Blick auf ein kleines Päckchen, das neben dem Papier auf dem Tisch lag. Es war eine Schnur darum, und die Schnur hielt ein graues Papier zusammen, in das alles eingewickelt war.

Ob sie das auspacken durfte?

Sie wollte erst Papa fragen, der im Nebenzimmer an seinem Schreibtisch arbeitete. Aber dann dachte sie, dass sie am besten gleich mal nachsehen wollte, was da drin war. Papa wollte ja nicht gestört werden, und sie wollte nicht, dass er ihr vielleicht verbieten würde, das Päckchen auszupacken.

Die Schnur ließ sich nicht einfach herunterziehen, sie musste erst eine Schere holen, um sie durchzuschneiden. Wenn es nun ein Geschenk war, das Papa gerade für jemanden eingepackt hatte, dann wäre er jetzt sicher böse. Aber nun war die Schnur sowieso kaputt, da konnte sie auch ruhig vorsichtig mal nachsehen, was darin war.

Das Papier ließ sich leicht öffnen, und heraus kam ein kleines Kästchen aus Holz. Das Holz war dunkel und sicher schon sehr alt. Ein paar Linien und Zeichen waren darauf, aber von den Buchstaben, die sie schon kannte, war keiner dabei. Das heißt, es war mit Sicherheit kein E, kein M und kein A darauf geschrieben.

Das Kästchen war auch nicht schwer, und wenn man es drehte, fiel etwas darin hin und her. Der Deckel wurde gehalten von einem kleinen silbernen Verschluss. Emmas Fingernagel brach daran ab, und sie musste wieder die Schere holen. Weil es so schwer ging, musste sie leider einen dicken Kratzer in das Holz machen.

Dann aber sprang der Deckel auf. Sie erschrak etwas, denn innen war alles mit einem ganz schwarzen Stoff ausgeschlagen, so dass sie zuerst gar nichts darin erkennen konnte. Das Schwarz war so schwarz, wie sie noch nie ein Schwarz gesehen hatte.

Emma schaute verwundert hinein, und da sah sie auch, was da so geklappert hatte: Da lag ja so etwas wie eine dunkle, braune, längliche Muschel.




Beide Hälften hafteten fest zusammen, kurze braune Fäden und ein paar Sandkörner hingen daran und hier und da ein weißes Pulver.

Emma nahm die Muschel heraus und betrachtete sie von allen Seiten. Sie wollte nichts kaputtmachen und versuchte nur ganz vorsichtig, die beiden Hälften zu öffnen. Sie waren aber sehr fest verschlossen.

Sie überlegte, ob sie nicht wieder die Schere zu Hilfe nehmen sollte. Sie könnte ja ganz vorsichtig...

Da öffnete sich die Muschel. Ganz langsam zuerst, dann immer schneller gingen die Hälften auseinander. Emma schrie auf und warf die Muschel auf den Tisch.

"Ist was?" rief Papa von nebenan.

"Nein", antwortete Emma laut, denn sie fürchtete sich zwar etwas vor dem, was sie da sah, aber sie wollte nicht, dass Papa kam und ihr das merkwürdige Ding wegnahm, das sie da gefunden hatte.

Das weiße Schneckenhaus

Подняться наверх