Читать книгу Das weiße Schneckenhaus - Thomas Propp - Страница 4

2. Kapitel:
Ein Zwerg bittet Emma, das Weiße Schneckenhaus zu finden.

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Emma traute ihren Augen kaum. Da stand in der Muschel, die nun ganz offen war, doch wirklich ein winziger kleiner Zwerg und sah sie mit noch viel winzigeren kleinen Augen an.

Er trug eine gelbe Hose und ein weites rotes Hemd. Auf dem Kopf hatte er einen winzig, winzig kleinen Hut, der ihm trotzdem einiges zu groß war. Und schwarze Stiefel hatte er an, und in der einen Hand hielt er einen goldenen Stab, kleiner als ein halbes Streichholz.

Er hatte - soweit sie das erkennen konnte - ein hübsches und recht freundliches Gesicht. Die Nase war, wie es sich für Zwerge gehört, etwas groß geraten. Seine Haut schien runzlig zu sein, soweit sie das bei seiner Kleinheit überhaupt erkennen konnte. Jetzt fing er an, mit der freien Hand zu winken. Es sah so aus, als wollte er, dass sie näher kam.

Vorsichtig beugte Emma ihren Kopf hinunter. Die beiden Muschelhälften glänzten und schimmerten innen wunderschön in einer violetten Farbe. Auch lag da noch eine Tasche aus braunem Leder neben dem Zwerg.

Dann hörte sie ein Piepsen. Etwa so, wie wenn ein kleiner Vogel schilpt. Und dann hörte Emma in dem feinen Piepsen wirkliche Worte, und sie hörte genau zu.

"Guten Tag, Emma!" sagte das Piepsen. "Schön, dass du mich endlich gefunden hast!"

"Woher weißt Du denn, dass ich Emma heiße?" fragte Emma erstaunt.

"Ist was?" rief Papa von nebenan.

"Nein", sagte Emma laut, "ich lese aus einem Buch vor." Sie wollte auf keinen Fall, dass Papa jetzt dazukam. Denn immer, wenn man gerade das schönste Spiel entdeckt hatte, fanden die Erwachsenen einen Grund, warum man es nicht weiterspielen sollte.

"Ich weiß alles", piepste der Zwerg, "darum weiß ich auch, dass du Emma heißt. Aber leider kann ich nicht alles, und darum musst du mir helfen!"

"Was soll ich dir helfen?" fragte Emma vorsichtig.

"Du musst für mich das Weiße Schneckenhaus finden", hörte Emma den Zwerg leise sprechen.

"Du sollst nicht 'du musst' sagen!" bemerkte Emma, "dann tut nämlich keiner gerne etwas für dich."

"Das hat dein Papa gesagt", fiepste der Zwerg, "ich weiß, aber bei uns beiden ist es etwas anderes."

"Warum?" wollte Emma wissen.

"Frag’ nicht so viel!" sprach der Zwerg jetzt ziemlich unfreundlich. "Du musst einfach, weil du musst. Wir warten nämlich schon seit über tausend Jahren auf dich, damit du endlich das Weiße Schneckenhaus wiederfindest, das damals verloren ging, weil der Schwarze Rabe es aus diesem Kästchen gestohlen und ins tiefste Meer, in den Ozean, geworfen hat."

"Oh!" machte Emma, und irgendwie fand sie, dass sie nicht so richtig verstand, was der Zwerg eigentlich von ihr wollte.

"Du verstehst nicht so richtig, was ich eigentlich von dir will, stimmt’s?" fragte der Zwerg.

"Ja", meinte Emma.

"Ich will es dir erklären!" sagte der Zwerg.

"Warte mal", bremste ihn Emma, und sie setzte sich erst einmal etwas bequemer auf ihren Stuhl, schlug die Beine übereinander und legte den Kopf auf die Arme, ganz nahe an die geöffnete Muschel heran, damit sie den Zwerg besser verstehen konnte.

"Nie mehr Langeweile!" begann der Zwerg. "Kannst du dir das vorstellen? Immer neue Spiele und Geschichten? Die schönsten Lieder überall zu hören? Vor über tausend Jahren", fuhr er fort, "war die Welt noch in Ordnung. Alle Menschen waren viel glücklicher. Damals lag nämlich noch das Weiße Auge des Weißen Fisches im Weißen Schneckenhaus, und deshalb war alles ganz anders."

"Das verstehe ich nicht", sagte Emma.

"Ich weiß", sagte der Zwerg. "Probier’ es einfach aus. Finde für uns das Weiße Schneckenhaus! Für uns, für mich, für dich! Möchtest du immer neue Spiele gezeigt bekommen, Märchen und spannende Geschichten, wann immer du willst, immer neue Lieder hören, einfach nie mehr Langeweile haben?"

"Ja", sagte Emma leise.

"Dann hilfst du uns?" Der Zwerg hatte sich auf seine Zehenspitzen gestellt und schaute mit großen hoffnungsvoll geweiteten Augen aus seiner Muschel zu Emma hinauf.

"Willst du etwas essen?" hörte sie ihren Papa wieder von nebenan, und seine Schritte, die immer näher kamen. Emma erschrak und stellte schnell einen großen Pappkarton über die Muschel mit dem Zwerg. Schon stand Papa neben ihr.

"Was machst du hier eigentlich?" Sein Blick fiel auf den kleinen Holzkasten. "Von wem hast du das denn? Das ist ja wunderhübsch!"

"Das darfst du nicht aufmachen", sagte Emma. "Es gehört mir, und ich habe es gefunden."

"Was ist denn da drin?" wollte Papa wissen. "Wenn es Mama gehört, musst du es ihr wiedergeben!"

"Es gehört mir", rief Emma und: "Du kannst wieder zu deinem Schreibtisch gehen." Sie hielt eine Hand fest auf den Pappkarton gedrückt.

"Du hast ja fast nichts gemalt", bemerkte Papa, als er auf das Malpapier sah. "Zeig’ mir doch mal, was da unter dem Karton ist, bitte!"

"Nein", sagte Emma.

"Na gut", gab sich Papa geschlagen, "aber bitte, schneide nicht wieder irgendwelche Sachen kaputt und mach’ keinen Unsinn, ja?"

"Nein", sagte Emma.

Als er draußen war, machte Emma erst einmal schnell die Tür zu. Dann ging sie zu dem Pappkarton zurück. Sie fürchtete, dass der Zwerg inzwischen nicht mehr da wäre. Aber er war noch da und winkte schon wieder mit seiner kleinen Hand, damit sie sich zu ihm herunterbeugte.

"Also", sprach er, "findest du für uns das Weiße Schneckenhaus?"

"Aber", flüsterte Emma, "der schwarze Vogel hat doch das Weiße Schneckenhaus ins Meer geworfen. Wie soll ich es denn da herausholen?"

"Ganz einfach", erwiderte der Zwerg. "Wir steigen zusammen in das Schiff mit den Tausend Augen, und es bringt uns hin. Und keine Angst!" fuhr er fort, "unten, im tiefsten Ozean, ist es hell, und es gibt gute Luft zum Atmen. Man muss nur tief genug hinunterfahren, jedenfalls hat mir das Ninifee erzählt. Die wirst du sicher auch noch kennen lernen."

Hier gab es eine Pause. "Ich will nicht!" brachte Emma dann heraus.

"Mach mal das Kästchen auf!" hörte sie die feine Stimme des Zwerges.

"Da ist nichts mehr drin", meinte Emma.

Der Zwerg zeigte mit dem winzigen Finger auf das Kästchen: "Mach es auf!"

Das weiße Schneckenhaus

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