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Zweite Geburt

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Die Chemotherapie hatte begonnen. Vier Tage sollte ich am Tropf hängen. Und das würde sich noch sechsmal wiederholen. Leichte Zweifel begannen sich zu melden. Im Prinzip aber begann ich erst ansatzweise zu verstehen, was das zu bedeuten hatte. Meine Eltern kamen natürlich regelmäßig, auch meine Schwester, und ich sah, wie auch sie fassungslos litten. Aber was sollte ich machen – sie hinausschicken?

Zwei, drei Freunde kamen zu Besuch. Manch einer ging sofort wieder. Einer aber brachte mir eine erstaunliche Mitteilung: Eine Bekannte sei eine Heilerin und sie wolle mich besuchen. Warum nicht, dachte ich ...

Elisabeth hatte ein liebenswürdiges, bescheidenes Wesen. Später erzählte sie mir, wie ungern sie ins Krankenhaus gegangen war, aber sie hatte einfach den Wunsch verspürt, mir zu helfen. Und so legte sie mir die Hände auf den Bauch. Tiefe, tröstende Wärme machte sich in meinem Körper breit und schenkte ihm Energie und Kraft.

Dann war ich wieder allein.

Langsam dämmerte mir, dass es mit Wegschauen und damit, sich einfach dem zu ergeben, was war, nicht mehr weiterging. Schließlich hatte ich ein ganzes Leben lang weggesehen, wenn es schwierig wurde.

Nun war ich gefordert. Es ging um Leben und Tod. Ich wusste, dass es gefährlich war, diese fatalistische Resignation weiter zuzulassen. Ich hatte nie gelernt zu kämpfen, wusste nicht, was es heißt, sich dem Unbekannten, Bedrohlichen zu stellen – nun war es unvermeidbar geworden. Alles Wegschauen, alles Weiterspielen, alles Auf-ein-Wunder-Warten hatte zu nichts geführt als zu Frust, Traurigkeit und quälender Unbewusstheit.

Früher hatte ich manchmal bei Freunden ein großes Potenzial gespürt und mich überkam eine Traurigkeit, wenn sie dies selbst nicht wahrnehmen und leben konnten. Nun wurde mir klar, dass all das letztlich ein Spiegel meiner Selbst gewesen war. Gab es in mir eine unerfüllte Energie? War es jetzt zu spät, diese lebendig werden zu lassen?

Der Alltag war angefüllt mit dem Aushalten von Schmerzen und den Klagen der Bettnachbarn im Krankenzimmer, mit dem Überleben mit Urinflasche, Trinkbechern, Visiten und Elternbesuchen. Immer wieder hatte ich das Gefühl, meine Eltern trösten zu müssen, die mir noch trauriger vorkamen, als ich es war. Doch dazu fehlte mir die Kraft und ich blieb einfach bei dem, was war. Ich, der Schmerz, die inneren Fragen.

Eines Nachmittags schließlich kulminierte alles in mir. Ich hielt das ganze grauenhafte Dahinleiden nicht mehr aus. Schmerz, immer nur Schmerz und quälende Fragen, ein Aushalten – wofür eigentlich? Als ein Arzt sagte, so sei es nun mal, ich würde es schon durchstehen können, wurde es mir endgültig zu viel.

Ich begann zu weinen und wurde gleichzeitig richtig wütend. Dass ich bis dahin Wut und starke Gefühle als nicht hilfreich bewertet hatte, war mir nun egal. Ich schrie und brüllte den Schmerz hinaus:

»Warum ich? Warum jetzt?

Was soll das alles bedeuten?

Verdammt noch mal, kann das nicht aufhören?«

Die Stille in mir

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