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2 Tommaso 1730

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Hoch über dem Tal des Fiume Ladro thronte majestätisch auf einem senkrecht aufragenden Felsvorsprung der Landsitz des Conte Paolo Alessandro de Cardinali. Das Adelsgeschlecht der Cardinali reichte zurück bis weit vor Kaiser Friedrich, der seinen Hauptwohnsitz in Palermo hatte. In den zurückliegenden Jahrhunderten hatte es die Familie zu Ruhm und Reichtum gebracht. Der Vater des jetzigen Conte hatte allerdings fast alles verspielt, sodass die Familie zwar noch einige Palazzi, Fattorie und den Hauptwohnsitz auf der Piazza di Duomo in Siracusa hatte, politische Macht und Vermögen aber waren verschwunden.

Wenn die Hitze im Sommer in der großen Stadt unerträglich wurde, entflohen sie in die vor einigen Jahren neu errichtete Villa in der Campagna. Die angeschlossene Fattoria sorgte für den nötigen Unterhalt und machte das Landleben für die Herrschaften recht angenehm.

Obwohl er schon zehn Jahre alt war, hatte Tommaso noch nicht mal seine Erstkommunion erhalten. Aber der Monsignore Alfredo, der ab und zu einmal aus Palazzolo Acreide herüberkam, übersah ihn immer, weil er so zierlich und klein war - selbst für einen Sizilianer.

„Für dich hat es nicht mehr ganz gereicht“, meinte Mutter immer scherzhaft. Alle seine Geschwister waren für sizilianische Verhältnisse ziemlich groß. Er gab die Hoffnung nicht auf, dass auch er noch etwas wachsen würde. Sehnsüchtig schaut er nach oben zum Palazzo.

„Der ist bestimmt so hoch oben wie die Kirchturmspitze vom Dom in Palazzolo Acreide“, vermutete seine Mutter.

Er wusste nicht, wie hoch der war, denn er war noch nie aus dem kleinen Tal herausgekommen, allerhöchstens bis zu Giovanni, dem alten Schweinehirten vorne am Berg. Von dort konnte man weit in der Ferne die Stadt schimmern sehen, zu Fuß etwa eine Tagesreise hin und zurück.

„So möchte ich auch einmal wohnen oder wenigstens da oben arbeiten“, träumte Tommaso. Aber das hatte ja noch ein wenig Zeit. Er hoffte noch immer, die Schule besuchen zu dürfen. Das Wenige, das ihm bisher seine Mutter beigebracht hatte, reichte ihm nicht. Er wollte mehr wissen. Aber seine Eltern konnten es sich nicht leisten, den Jüngsten nun auch noch zur Schule zu schicken. Bei Zia Giovanna, einer Schwester seines Vaters, die in der kleinen Stadt am Ende des Tales wohnte, waren schon drei Kinder der Casserinos untergebracht. Und mehr passten in das Häuschen einfach nicht hinein. Sehnsüchtig wartete Tommaso darauf, dass am Samstagabend seine Geschwister heimkamen und ihm von der Schule berichteten.

“Bitte, bitte erzählt! Was hat der Lehrer euch erklärt?“, bettelte er.

Francesco, sein ältester Bruder, meinte genervt: „Jetzt sei endlich ruhig, ich bin froh, wenn ich nichts mehr von der Schule höre. Ich freue mich schon auf den Sonntagnachmittag, wenn ich wieder in der Stadt bin, dann muss ich mir nicht mehr deine ständige Fragerei anhören.“

Die Frauen der Landarbeiter, die auf ihrem Weg zu den Feldern oft bei ihnen vorbeikamen, wuschelten ihm immer durch seine tiefschwarzen Locken und küssten ihn auf beide Wangen. Dabei kreischten sie: „Ach was für ein süßer kleiner Kerl.“ Er zog seine Stirn in Falten und versuchte, mit seinen schwarzen Kulleraugen so finster wie möglich drein zu schauen. Dieses Getue konnte er überhaupt nicht ausstehen. Natürlich hatte das aber auch sein Gutes, die Frauen steckten ihm immer etwas Süßes zu. Wenn er sie jedoch rechtzeitig kommen sah, suchte er schleunigst das Weite.

Die Casserinos, das heißt seine Eltern und seine zehn älteren Geschwister, wohnten in den Grotten am Fuße des hohen Schlossfelsen. Dabei hatten sie es bei Weitem noch besser als die einfachen Landarbeiter. Als Ziegenhirte war sein Vater für eine vielhundertköpfige Herde verantwortlich, seine Mutter betreute die Imkerei.

Es gab drei Höhlen hier unten, eine große für die neu geborenen und kranken Ziegen. Außerdem zwei Kleinere für die Familie des Hirten - eine Schlaf- und eine Wohnhöhle. Die Kinder jedoch schliefen, sobald sie alt genug waren und nicht mehr bei der Mutter sein mussten, meist unterm überhängenden Felsfuß im Freien. In der hinteren Schlafhöhle sollte es einen geheimen Abgang aus der Villa hoch oben geben. Aber Tommaso wusste nicht wo – der war ja schließlich geheim.

Schwer lastete die Hitze über dem Tal, besonders jetzt im außergewöhnlich heißen Sommer 1731. Kein Lüftchen wehte über die kahlen, spärlich mit vertrocknetem Gras und Flechten bedeckte Hügel und Berge aus Kalkgestein. Es war wieder einer der drückend heißen Tage im Landesinnern Siziliens. Keine Bäume, nur hin und wieder ein paar Sträucher die etwas Schatten spendeten. Tief eingeschnittene und steil abfallende Täler durchzogen die Landschaft. Des Öfteren waren die Flächen von sauber aus Bruchsteinen aufgeschichteten Mauern in Parzellen geteilt. Selbst jetzt noch am späten Nachmittag flimmerte das Sonnenlicht über den blanken, weißen Felsen. Ab und zu huschte eine Eidechse über einen Stein.

Nur unten in der tief eingegrabenen Talsohle herrschte selbst im Hochsommer eine angenehme Kühle. Einige Eukalyptusbäume, Weiden, Ulmen, etwas Ginster und sogar ein paar Feigenbäume säumten den kleinen Fluss, der sich mühsam seinen Weg über den steinigen Grund suchte.

Zur Aufgabe des aufgeweckten Jungen gehörte es, am Tag auf die Herde der Jung- und Muttertiere aufzupassen und abends die Ziegen ins Melkgatter zu treiben. Seine Mutter und seine älteren Geschwister molken dann die Tiere. Er musste hierbei aufpassen, dass nicht aus Versehen die Jungböcke mit ins Gatter gerieten. Das war ihm schon zweimal passiert und bedeutete dann jedes Mal kein Abendessen für ihn.

Aber jetzt am Tag war für ihn die schönste Zeit: Irgendwo im Schatten liegen und auf die Ziegen aufpassen. Er träumte dann immer mit offenen Augen vor sich hin. Manchmal kam seine Mutter Franca vorbei und brachte etwas Melone und einen kleinen Krug verdünnte Ziegenmilch. Wenn sie gut gelaunt war, erzählte sie ihm Geschichten.

Am häufigsten, wie sie Tommasos Vater kennengelernt hatte:

Es war damals, vor über zwanzig Jahren auf dem Markt in Palazollo Acreide“, begann Franca ihre Geschichte. „Dein Großvater und ich, wir waren bereits vor dem Morgengrauen von unserem Zuhause, einer kleinen Hütte unterhalb der Bergspitze des Monte Cortessa, einem der höchsten Berge hier in der Gegend, heruntergekommen, um auf dem größten Markt des Jahres unseren Honig anzubieten. Das Fest des San Sebastiano war eine große Prozession und das schönste Ereignis des Jahres. Gerne hätte dein Großvater auch einmal die schwere Statue des Heiligen mit um die Piazza getragen, aber er durfte nicht. Das war nur den Meistern und Gesellen aus der Stadt erlaubt, die zu den Zünften gehörten. Man feierte damals mehrere Tage. Zum Abschluss gab es den großen Markttag, bei dem die Bauern der Umgebung und manchmal von weiterher angereiste Händler ihre Waren anboten.

Wir waren bereits mehrere Stunden unterwegs, als wir an der Hängebrücke ankamen, die in schwindelerregender Höhe über dem Fiume Anapo führte. Ich hatte jedes Mal Angst, über das schwankende Holz zu laufen. Immer wieder konnte man durch den Bretterbelag tief nach unten in den reißenden Fluss sehen. Vorsichtig auftreten, sich gut am Geländerseil festhalten und aufpassen, dass kein morsches Brett dabei ist, hatte mir mein Vater eingeschärft. Ich blickte auch immer nach allen Seiten, ob nicht gerade ein Carretto, ein zweirädriger Eselskarren, die schaukelnde Konstruktion passieren wollte. Hierbei schwankte die Brücke nämlich immer besonders heftig. Je näher wir der Stadt kamen, desto mehr drückte der Korb mit den Waren auf meinen Rücken. Die trutzige Ansammlung von stattlichen Häusern, die alle nach dem großen Erdbeben vor etwa 30 Jahren neu errichtet worden waren, ragten hoch über dem steilen Felsen auf.

Ich trug die Hauptlast, mein alter Vater hatte nicht mehr so viel Kraft, seine Beine wollten nicht mehr so wie früher. Er war ein sizilianischer Bergbauer mit wettergegerbtem Gesicht und von kleiner, schmächtiger Statur. Sommer wie Winter in der gleichen Filzjacke. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben. Und seit Zia Chiara, die Schwester meines Vaters, die mich wie ihr eigenes Kind aufgezogen hatte, bei einem Unwetter vom Blitz erschlagen worden war, lebte ich mit deinem Großvater alleine auf dem Berg.

Der wilde Ginster tauchte den Berg im Juli in ein gelbes Blütenmeer. Der Duft war im wahrsten Sinn des Wortes berauschend“, Franca schnaufte durch und versuchte sich daran zu erinnern. Nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: „Es war die schönste Zeit im Jahr. Die Natur hatte uns unsere wichtigste Einnahmequelle geschenkt. Die von deinem Großvater gehegten und gepflegten Bienenvölker waren ausgeschwärmt und hatten reiche Ernte in die Stöcke gebracht. Dann im Herbst schleuderten wir den Honig und vermischten ihn mit verschiedenen getrockneten Blüten. Die zäh fließende Masse wurde in irdene Amphoren abgefüllt und dann mit Korken und Bienenwachs versiegelt. In diesen Krügen hielt sich der Bienenhonig frisch. Einen Teil verarbeiteten wir auch zu Wein, Likör und vor allem zu Süßigkeiten. Die Dolce de Miele erfreute sich auf jedem Markt größter Beliebtheit. So konnten wir davon recht gut leben. Gemüse und Obst bauten wir auf weiter unten am Berg liegenden Feldern an.

Hier gab es noch aus der Zeit von Kaiser Friedrich sogenannte Freiflächen, auf denen die armen Leute ihren Bedarf anbauen durften. Gegen die wilden Ziegen - und eventuell neidischen Nachbarn - war jede Parzelle mit einer mannshohen Bruchsteinmauer umwehrt. Manchmal gab es damals auch ein wildes Kaninchen als Sonntagsbraten, das sich in einer der von deinem Großvater aufgestellten Fallen verirrt hatte.

Unsere Hütte hatte schon der Großvater meines Vaters errichtet. Sie war aus aufgeschichteten Felssteinen erbaut und unter einem Felsvorsprung angelehnt, der im Sommer Schatten spendete und im Winter vor starken Regen, manchmal auch Schnee, schützte. Jeder von uns besaß ein einfaches Kleidungsstück und eine warme Wolldecke. Viel mehr hatten wir nicht - aber brauchte man mehr? Richtige Schuhe hatte ich in meinen vierzehn Jahren noch nie besessen. Heute aber, hatte Vater mir am Abend versprochen, sollte ich ein paar Schuhe aus Leder und ein neues Kleid bekommen.

Nach dem Passieren der Hängebrücke erreichten wir zügig die alte Provinzstadt und einstige Sommerresidenz des Siracuser Adels, Palazzolo Acreide. Gleich nach dem Südtor bogen wir auf die Piazza ein und da sah ich ihn. Wir schauten uns in die Augen und ich starrte ihn an, den gut aussehenden, braungebrannten Hirten, erkennbar an seiner Tracht, mit der Mütze und dem Stab. Erst als ich stolperte, erwachte ich aus meiner Erstarrung und senkte den Blick. „Komm weiter, sonst sind die besten Standplätze weg“, ermahnte mich mein Vater.

Plötzlich entstand kurz vor uns ein Tumult und Geschrei. Ein wildgewordener tonnenschwerer Stier hatte sich losgerissen und war brüllend durch die auseinanderrennende Menschenmenge die fünfundzwanzig Stufen zur neuen Chiesa di San Sebastiano hinauf gestürmt. Hier versuchten einige Männer, ihn zurückzutreiben und einzufangen. Vergebens, mit voller Kraft und Gebrüll raste er nun die Piazza hinunter, geradewegs auf uns zu. Die Menschen schrien und flüchtesten in Panik. Ich war wie gelähmt, in letzter Minute wurde ich zur Seite gerissen, als das Tier angestürmt kam. Mein Vater hatte nicht so viel Glück. Der Stier hatte ihn überrannt und mehrmals mit seinen scharfen Hufen getroffen.“

Franca wischte sich ein paar Tränen aus den Augen.

Der junge Mann, den ich so angestarrt hatte, war zu meinem Retter geworden. Er kümmerte sich um uns und gemeinsam bemühten wir uns um deinen Großvater, der zusammengekrümmt und blutüberströmt im Staub des Platzes lag. Als der hinzukommende Conte de Cardinale sah, was eines seiner Tiere angerichtet hatte, befahl er seinem Hirten Francesco, er solle sich weiter um uns kümmern und wenn nötig den Dottore holen. Aber wirklich nur, wenn es unbedingt nötig sei, dieser solle ihm die Rechnung dann zusenden.

Francesco – dein Vater - folgte damals gerne dem Befehl seines Patrone. Leider konnten wir meinem Vater nicht mehr helfen. Er starb noch auf der Piazza in meinen Armen, inmitten einer gaffenden Menschenmenge. Drei Tage später haben wir ihn beerdigt“, der Blick von Tommasos Mutter schweifte in die Ferne, sie dachte an die damaligen Ereignisse. „Der Conte erteilte Francesco sein Einverständnis, mich mit auf die Fattoria Ladro zu bringen.

Ein letztes Mal bin ich auf den Berg gestiegen. Gemeinsam mit dem jungen Ziegenhirten. Wir haben meine paar Habseligkeiten zusammengepackt und dazu vier Kisten mit Bienenvölkern mitgenommen. Diese sind dann der Grundstock für die erfolgreiche Imkerei auf der Fattoria geworden. Wir habenen alles den Berg hinuntergeschleppt und auf den Carretto geladen, auf dem Francesco vorher einige Ziegen zum Markt gefahren hatte. Ja – so war das damals.

Kurze Zeit später erhielten wir vom Patrone die Erlaubnis zu heiraten. Jetzt sind wir schon zwanzig Jahre verheiratet und haben euch elf Kinder.“

Tommaso hörte seiner Mutter gerne zu, wenn sie von früher erzählte, auch wenn er die Geschichten schon alle kannte.

„Tommaso! Tommaso, wo steckst du denn wieder.“

Der Junge schreckte hoch, war er doch ein bisschen eingedöst, als sein Bruder Joseph nach ihm rief.

„Hier, was ist denn“, hastig stand er auf.

„Es ist spät, wir müssen die Ziegen eintreiben!“

Spät abends nach dem Melken kam Sebastiano fröhlich vor sich hin pfeifend von der Käserei. Seinen Karren zog ein Esel, dessen rechtes Ohr kerzengerade stand und dessen anderes schlaff herunterhing - lustig anzusehen.

Der Käser holte die Milch ab. Schon zwei Mal durfte Tommaso mit zurück in die Käserei fahren. Der Weg war nicht weit, aber sehr steil und führte in einem großen Bogen um den Felsen herum den Berg hinauf. Durch ein großes Tor kam man links in die Fattoria, im hintersten Eck lag die kleine Käserei des Conte. Aus der Milch der Ziegen, Schafe und Kühe, die zu dem großen Gut gehörten, wurden die verschiedensten Käsesorten hergestellt.

Bei den Städtern war der geräucherte Ricotta, ein Käse aus Ziegen- oder Schafsmilch, gewürzt mit wilden Kräutern, am Beliebtesten. Die Erzeugnisse der Fattoria wurden zweimal die Woche auf dem Markt in Siracusa feilgeboten. Die beiden Wagen fuhren bereits abends los, um rechtzeitig am Morgen an ihrem Marktstand zu sein. Dabei kutschierten die Fuhrknechte und die Begleiter, von denen einige oft mit Lampen vorauslaufen mussten, äußerst vorsichtig. Erst in Stadtnähe wurden die Wege besser.

Tommaso bekam jedes Mal große Augen, am liebsten wäre er überall herumgesprungen und hätte sich alles angeschaut. Aber Sebastiano schärfte dem Jungen eindringlich ein, bei ihm zu bleiben und nicht in der Hofanlage herumzulaufen, auf keinen Fall in die Nähe des Herrenhauses, sonst bekomme er, der Käser, Schwierigkeiten.

Letzte Woche durfte er wieder einmal mit. Sie waren gerade durchs Tor gefahren und hielten vor der Käserei, um die Milch abzuladen, als eine große, geschlossene Kutsche und mehrere hoch beladene Pferdewagen in den Hof rumpelten. Sofort eilten einige Bedienstete herbei und alle, die sich im Hof befanden, verbeugten sich vor dem Herrn, der aus der Kutsche stieg.

Bevor er sich versah, hatte Sebastiano Tommasos Kopf nach unten gedrückt: „Verbeug dich gefälligst vor dem Patrone“, zischte er ihm zu.

„Aha, Sebastiano, hast deinen Jüngsten nicht richtig erzogen“, meinte der Conte, ein stattlicher mittelgroßer Mann mit leichtem Bauchansatz, leutselig zu ihm.

„Nein Euer Gnaden, das ist Tommaso, der Sohn des Ziegenhirten, er hilft mir nur die Milch abzuladen“, antwortete Sebastiano untertänigst mit einer noch tieferen Verbeugung, wobei er den Jungen wiederrum mit nach unten zog.

„Soso“, mit seinen blitzenden dunklen Augen betrachtete der Conte den Jungen näher, dann entfernte er sich mit wehenden Rockschößen in den Palazzo.

Am nächsten Morgen, Tommasos Mutter wusch gerade die Milchtöpfe am Bach aus, kam ein Reiter den Weg heruntergaloppiert. Als er vor den Höhlen sein Pferd zügelte, rannte sie herbei und verbeugte sich vor ihrem Patrone mit einem missglückten Knicks.

„Nur keine Verrenkungen. Frau? Frau …?“

War dies das hübsche Mädchen, das er sich immer wieder hatte kommen lassen? Früher war es Brauch gewesen, dass dem Patrone die Brautnacht gehörte. Sein Vater hatte ihm damals dieses Recht abgetreten, damit er seine Erfahrung sammeln konnte, wie er lachend meinte. Damit hatte er seinen Sohn zu der jungen hübschen Braut ins Bett geschoben. Anfangs hatten sie Probleme gehabt, denn für beide war es das erste Mal gewesen. Aber als sie dann gegenseitig ihre Körper erkundeten, fanden sie aneinander Gefallen. Immer wieder befahl er sie später in sein Bett. Er war sich sicher, dass zumindest die älteste Tochter und der jüngste Sohn von ihm waren, da diese beiden völlig anders ausschauten als die anderen Kinder. Aber das war schon lange her, über zehn Jahre. Seit er seine junge Frau heimgeführt hatte, eine Adelige aus dem Hause einer reichen Familie aus Catania mit normannischen Wurzeln, waren die Zeiten der Bettgespielinnen vorbei. Und nun war diese einstige Schönheit alt und verbraucht von der Last des Alltages und den vielen Kindern.

„Casserino - Patrone“, half ihm Franca verlegen weiter.

„Hm, Euer Sohn war gestern mit dem Käser im Hof …“, fing der Mann an.

„Ich werde ihn gleich zur Rechenschaft …“, setzte Tommasos Mutter zur Erwiderung an.

„Nein, nein. Er hat nichts angestellt. Die Contessa und ich haben überlegt, dass Euer Sohn in etwa das gleiche Alter wie unser Jüngster haben dürfte. Der Junge, wie heißt er nochmal?“

„Tommaso, Patrone!“

„Tommaso, ach ja - unser Christiano braucht jemanden zum Spielen und zur Unterhaltung, wenn wir hier sind. Schickt uns den Tommaso jeden Morgen hinauf ins Schloss. Und jetzt soll er gleich mitkommen“, befahl der Conte.

„Tommaso!“, rief Frau Casserino nach hinten in die Höhlen.

Sofort erschien der Junge.

„Hast schon wieder einmal gelauscht“, mit einer Kopfnuss trieb ihn die Mutter vorwärts, „dann hast du ja gehört, was der Patrone gesagt hat. - Verbeug dich gefälligst!“ Schon wieder hagelte es Kopfnüsse.

„Ja!“, stotterte Tommaso ängstlich und verbeugte sich.

Der Herr ritt los und der Junge lief hinterher. Zum Glück ging es steil nach oben und der felsige Untergrund des Weges war so glatt, sodass das Pferd immer wieder ausrutschte und der Reiter es zügeln musste.

Wildgänse

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