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4 Fattoria Ladro 1731
Оглавление„Cecilie! Cecilie!“, rief der Conte, als sie durch das Tor kamen.
Eine kleine mollige Frau kam herbeigerannt: „Ja, Signor Conte.“
„Hier nehmt diesen stinkenden Ziegenburschen unter eure Fittiche. Steckt ihn vor allem erst einmal ins Wasser und schrubbt ihn ordentlich ab. Verbrennt dieses verdreckte Zeug, was er anhat. Die Contessa wird dann etwas Frisches zum Anziehen bringen lassen und euch erklären, was mit ihm weiter geschehen soll.“ Eilig ging der Conte ins Haus.
„Ich bin die Cecilie, wie du ja schon gehört hast. In der Küche und im Haushalt habe ich das Kommando. Verstanden! Und du, bist du der Kleine vom Ziegenhirten?“ Tommaso nickte. „Also, komm mit.“ Die Köchin drängte ihn in einen Nebenraum der Küche. Hier stand in einer Ecke ein großer Holzbottich.
„Zieh deine Sachen aus und steig da rein.“
Tommaso zögerte.
„Ich meine alles!“, befahl sie ihm und zog die Wanne in die Mitte des Raumes.
Unten am Bach spielten sie auch immer nackt und ihm machte es da überhaupt nichts aus, wenn jemand vorbeikam. Aber hier in einem Raum, vor ganz fremden Leuten? Scheu schaute er sich um, es war ihm schon etwas unangenehm. Aber zu widersprechen traute er sich nicht.
„Nun mach schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“, schnauzte Cecilie den Jungen an. „Maria, Anna, bringt Wasser, auch zwei Eimer Heißes!“, rief sie in die Küche.
Hurtig kamen die zwei Küchenmädchen und schütteten mehrere Eimer Wasser in die Wanne. Er stand nackt und zitternd darinnen und hielt seine Hände vor seinen kleinen Pimmel. Die Mädchen, nur ein wenig älter als er, kicherten albern, wenn sie einen weiteren Eimer eingossen. Tommaso badete das erste Mal in seinem Leben in einer Wanne mit warmen Wasser. Zu Hause wuschen sie sich jeden Tag einmal am Bach. Im Winter war der sehr kalt, da musste eine Katzenwäsche genügen. Im Laufe des Sommers wurde dann aus dem Bach ein schmutzig trübes Rinnsal und das Wasser reichte nicht mehr für eine richtige Wäsche.
Ihm war ganz unwohl, als die resolute Frau ihm mit einer harten Wurzelbürste und einem Stück weißem Stein zu Leibe rückte. Nachdem er ungläubig auf den Stein und dann auf den Schaum an seinem Körper schaute, fing sie an zu lachen:
„Was, du kennst keine Seife? Das hier ist nur ein billiges selbstgekochtes Stück Knochenseife. Da solltest du erst einmal die der Contessa Albertino sehen, die riecht sogar nach Rosen.“ Lachend schrubbte sie ihn weiter.
„Schau nur! Der Kerl wird ja richtig hell. Wie lange hast du dich schon nicht mehr gewaschen?“ Tommaso gab keine Antwort, schnaufend wusch Cecilie ihn weiter. Als sie auch vor seinem kleinen Penis nicht haltmachte, den sogar ergriff und die Vorhaut zurückschob, bekam er einen feuerroten Kopf, da sein kleiner Kerl sich selbstständig machte und aufstand.
„Na, na, willst du schon ein kleiner Mann werden?“, dabei grinste sie ihn schelmisch an und schob die Vorhaut noch mehrmals zurück. „Hier musst du dich besonders gut waschen, da setzen sich sonst viele Krankheiten ab.“
Sie und die beiden Küchenmädchen amüsierten sich köstlich. Tommaso wollte sich am liebsten verkriechen und war froh, als man ihm ein großes Tuch in die Hand drückte und befahl, er solle sich damit trocken rubbeln.
In der Zwischenzeit hatte die Contessa einige abgetragene Kleidungstücke herübergeschickt, die Cecilie ihm nun zum Anziehen gab.
„Die neuen Kleider ziehst du jedes Mal an, wenn du früh morgens kommst. Deine alten Sachen lasse ich dir waschen und draußen in die Ölmühle legen, die ziehst du abends an, wenn du gehst.“
Schnell schlüpfte er in die etwas zu großen Kleidungsstücke.
„Gut, so kannst du zur Contessa gehen“, meinte Cecilie, nachdem sie ihn nochmals von allen Seiten betrachtet hatte, „Vergiss nicht, verbeuge dich, wenn du rein kommst. Sprich die Patrona immer mit Signora Contessa an. Rede nur, wenn du gefragt wirst, und antworte nur mit: ja, Signora Contessa oder nein, Signora Contessa. – Kapiert!
„Sisi. Nur ja Signora Contessa oder nein Signora Contessa”, antwortete der frisch gewaschene Junge.
Cecilie führte ihn durch einen langen Gang in ein leuchtend grün gestrichenes Zimmer, größer als alle Höhlen zusammen, in der die Casserinos wohnten. Die schweren Vorhänge waren wegen der drückenden Hitze zugezogen und nur eine kleine Öllampe erhellte den Raum. Es war angenehm kühl hier drinnen.
Beide verbeugten sich.
„Signora Contessa, ich bringe den Tommaso“, damit schob Cecilie den Jungen vor eine in einem großen Sessel sitzende junge Frau. So eine hübsche und elegant gekleidete Dame hatte Tommaso bisher nur einmal von Weitem gesehen.
Ihr hellblondes Haar war kunstvoll hochgesteckt. Sie strahlte die Anmut einer angeborenen Aristokratie aus, bewusst, dass sie durch ihr normannisches Blut zur Elite des Landes zählte.
„Komm näher, lass dich ansehen“, sagte die Patrona mit leiser Stimme, „zieh den Vorhang auf, damit ich dich besser sehe.“
„Si Signora Contessa“, hilflos sah sich Tommaso um und wusste nicht, was sie meinte.
„Nun mach schon, dort den grünen Stoff, zieh ihn einfach zur Seite!“
„Si Signora Contessa“, flink tat er, wie ihm befohlen wurde. Beim Blick aus dem Fenster erschrak er fürchterlich, ihm wurde schwindelig und er sprang zurück.
„Nur keine Angst“, lachte die Contessa mit ihren leuchtenden hellblauen Augen, „da ist ein Geländer dran, da kannst du nicht hinunterfallen.“
Ängstlich schielte der Junge hinaus, weit unter sich sah er das Tal mit dem kleinen Bach, irgendwo da war sein Zuhause.
„So, genug geschaut, komm jetzt her“, meinte die Herrin schmunzelnd mit weicher Stimme.
„Soso - du heißt also Tommaso.“
„Si Signora Contessa.“
„Gehst du schon zur Schule?“
„No Signora Contessa.“
„Warst du schon zur Erstkommunion?“
„No Signora Contessa.“
„Warst du schon einmal hier im Haus?“
„No Signora Contessa.“
„Dann soll dir der Hausdiener Michele alles zeigen und du wirst befolgen, was er dir sagt. Ist das klar?“
„Si Signora Contessa.“
„Kannst du auch noch etwas anderes sagen, als si oder no Signora Contessa?“
Was sollte er darauf sagen? Tommaso stockte.
„Si Signora Contessa.“
„Nun erzähle mir von deiner Familie“, befahl sie.
Er zögerte, was gab es da zu erzählen?
„Na los, mach schon!“
„Also“, stotterte er, „wir sind Vater, Mutter und elf Kinder und wir hüten und melken eure Ziegen, Signora Contessa.“
„Mamamia, der Kerl spricht ja noch sizilianisch. Kannst du denn kein richtiges Italienisch?“
„No Signora Contessa. Ich spreche immer so.”
„Emilio! Emilio!", sie zog an einem Seil, das von der Decke hing und sofort erschien ein kleines verhutzeltes Männchen, „Emilio, schau das ist Euer neuer Schüler, der Tommaso, Ihr werdet ihn ab morgen mit unterrichten. Vor allem bringt ihm zuerst einmal ein anständiges Italienisch bei.“
„Aber Signora …“
„Kein aber!“, unterbrach ihn die Herrin. „Keine Widerrede! Ihr könnt Euch entfernen und schickt mir den Michele herein!“
Der primo Domestico, der erste Hausdiener, kam in einer vornehmen Livree herein, verbeugte sich und fragte: „Ihr wünscht Signora Contessa?“
„Nehmt diesen Burschen, zeigt ihm den Palazzo und die Fattoria. Macht ihn mit den Gepflogenheiten hier im Hause bekannt und bringt ihn dann zu Emilio. Er heißt Tommaso, kommt jeden Morgen hier herauf und wird der Spielkamerad von Christiano. Außerdem wird er auch am Unterricht teilnehmen.“
„Sehr wohl Signora Contessa!“ Mit einem Wink entließ sie die Patronin.
„Tommaso? Der Kleine vom Ziegenhirten?“, fragte ihn der Diener. Der Junge nickte. „Also für dich gilt: Nichts anfassen, Mund halten und keine Fragen stellen. Die Zimmer nur betreten, wenn dich jemand hereinruft. - Kapiert!“
„Si, Michele.“
„Si, Signor Michele heißt das für dich. Sprich gefälligst italienisch und nicht sizilianisch!“, belehrte ihn der Hausdiener und verabreichte ihm eine Kopfnuss.
So begann für Tommaso eine neue Zeit in seinem Leben. Hoffentlich konnte er sich das alles merken. Michele zeigte ihm den kleinen Palazzo, einen Neubau. Nach dem verheerenden Erdbeben vor etwa 30 Jahren wurde er aus weißen Kalksteinen erbaut und verputzt. Ganz im neuzeitlich vornehmen Barockstil mit vielen Verzierungen. In den herrschaftlichen Räumen mit Stuckschmuck an den Decken und Wänden. Alles in kräftigen Farben gestrichen. Die Böden bestanden aus feinsten Mosaikfliesen. Diese wurden aus dem Bergstädtchen Caltagirone geliefert, einer berühmten Keramik- und Terrakottamanufaktur, etwa zwei Tagesreisen weiter ins Gebirge hinein.
Neben der Küche gab es noch drei Wirtschaftsräume. Dahinter das Zimmer der Contessa, das er ja schon kannte. Anschließend befanden sich ein großer und ein kleiner Salon, welche auch reich mit Stuckfries und Wandvertäfelung verziert waren. So feine und vornehme Räume hatte er noch nie gesehen. Vor allem, hier war alles blitzblank. Er traute sich fast nicht aufzutreten. Aber Gott sei Dank, seine Füße waren ja frisch gewaschen. Mutter kehrte auch ab und zu den Staub vom Lehmboden – aber das hier, kein Vergleich.
Über den großen Gang erreichten sie das Gartenzimmer. In einem Sessel saß der Conte und las in einem Buch. Tommaso staunte, der hatte Zeit, jetzt, mitten am Tage zu lesen. Bei ihnen zu Hause gab es nur ein Gebetbuch aus dem der Herr Monsignore ihnen manchmal abends, wenn er vorbeikam, etwas vorlas.
„Entschuldigung Signor Conte, ich will nicht stören. Ich soll im Auftrag der Signora Contessa dem Tommaso alles zeigen“, Michele verbeugte sich tief.
„Ist gut, mach Er weiter!“
An der Wand gab es ein Regal, auf dem viele bunte Bücher standen. Was machte man damit? Wer sollte das alles lesen? Naja, vielleicht der Conte, der brauchte ja nicht zu arbeiten. Oder? Was machte ein Conte überhaupt? Vielleicht wusste ja der Lehrer eine Antwort.
Michele führte ihn weiter auf die Terrasse. Mit weißen an Stangen aufgespannten luftigen Tüchern wurde die, mit hellblauen Keramikfliesen belegte Fläche, gegen die Sonne schattiert. Auf zwei Seiten wurde sie von den hohen Mauern des Palazzos begrenzt. Überall standen große Steintöpfe mit herrlich blühendem Oleander. Wieder etwas, was er nicht verstand. Warum pflanzte man Blumen in Töpfe, wenn im ganzen Tal doch große Büsche Oleander wuchsen?
Eine leichte Brise wehte von Westen. Zögernd trat der Junge an die Steinbrüstung. Weit unten am Bach konnte er seine Mutter sehen, wie sie die Milchkannen auswusch. Fantastisch, dachte er, wie klein die Menschen waren, wenn man sie von hier oben betrachtete. Sie traten von der angenehm kühlen Terrasse durch ein kleines schweres Holztor in den sonnendurchfluteten Innenhof und dort traf ihn die Hitze wie ein Schlag.
„Signorino Christiano darf ich Euch Euern neuen Spielkameraden vorstellen?“, der Diener deutete auf den Kleinen, „das ist Tommaso.“
„Meine Mutter hat mir schon Bescheid gesagt. Ich werde jetzt die Führung übernehmen. Ihr könnt Euch entfernen!“, damit gab der semmelblonde braun gebrannte Junge Michele einen Wink.
„Sehr wohl Signorino Christiano.“
Die hellblauen Augen des Principe sprühten vor Begeisterung. Christiano überragte Tommaso bestimmt um zwei Köpfe.
„Endlich jemand zum Spielen. Du darfst Chistiano zu mir sagen“, bot der schlaksige Junge ihm mit herablassender Miene gönnerhafter an, „wenn du alles tust, was ich sage, können wir vielleicht Freunde werden. Den Palazzo hast du ja schon gesehen. Ich zeige dir nun die Fattoria, das macht viel mehr Spaß.“ Schon flitzte er nach links durch eine große Tür. Tommaso sauste hinterher.
Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er einen Esel, der an einer Stange im Kreis lief. Mit der Stange wurde ein großer runder Stein bewegt, der über einen noch viel Größeren gedreht wurde. Eifrig schütteten Arbeiter in der Mitte Oliven auf die immer wieder frei werdende Steinfläche.
„Das ist unsere Ölmühle. Schau hier tropft das Olivenöl heraus.“ Der quirlige Junge deutete auf ein Rohr, aus dem das Öl in ein Fass lief.
Jetzt erst bemerkte Tommaso, dass der untere Stein mit Rillen versehen war, in denen sich der herausgequetschte Saft der Früchte sammelte und träge in eine Rinne floss.
Christiano nahm die Hand seines neuen Spielkameraden und hielt sie unter das Tropfrohr.
„Nun schleck schon ab! Das schmeckt gut!“, befahl er.
Sie leckten beide das Öl aus ihren Handflächen.
Dann rannten sie weiter, durch verschiedene Geräte- und Lagerräume, links und rechts vom Torturm. Ein Wächter hielt im Turmzimmer Tag und Nacht Wache, er überschaute von dort oben alle Zufahrtswege, sodass kein Unbefugter sich unbemerkt der Anlage nähern konnte.
Über die Tenne kamen sie dann in die Käserei.
„He Sebastiano! Wir wollen Panna Dolce“, forderte Christiano von dem an einem großen Trog mit einem Holzlöffel rührenden Käser.
„Ja gleich Signorino, sofort!“ Geschwind verschwand er hinter einem Bottich und kam mit zwei Bechern wieder. Die beiden Jungen tranken genussvoll die süße Sahne bis auf den letzten Tropfen aus und sprangen wieder davon zur hinteren Tür hinaus in den Garten.
Tommaso kannte ja den Garten seiner Familie und auch den von ein paar Landarbeitern, aber so etwas hatte er noch nicht gesehen. Schnurgerade Wege, mit frischem Kies, ohne ein Hälmchen Unkraut dazwischen. Alle Beete eingefasst von geschnittenen kleinen Büschen. Auf den Beeten Blumen, viele verschiedene Blüten so weit das Auge reichte. Wozu waren denn die gut? Die konnte man doch nicht essen!
„Aber Christiano, wo ist das Gemüse?“, fragte er seinen Begleiter.
„Wieso Gemüse? Das kommt doch von den Feldern außerhalb der Fattoria. Wir wollen hier doch nur spazieren gehen. Aber weiter hinten, da gibt es ein paar süße Früchte.“ Und schon wieder preschte er davon, zu einem Mann, der hinten im Garten beschäftigt war.
„Giovanni hast du etwas Gutes für uns?“
„Ja Signorino Christiano, die Erdbeeren sind reif.“ Der Mann, der Gärtner, wie Tommaso später erfuhr, bückte sich und zupfte einige leuchtend rote Beeren ab.
„Hier lasst sie Euch schmecken, dieses Jahr werden sie besonders süß.“
„Oh, ja, Erdbeeren wie herrlich“ sofort schob sich Christiano ein paar davon in den Mund. Tommaso zögerte.
„Nun iss schon, die schmecken gut“, stupste ihn der Principe an.
So viel neue Eindrücke, so viele Sachen, die er nicht kannte. Tommaso wurde es ganz schwindelig. Wo war er da hingeraten, sah so das Paradies aus, gab es das wirklich?
„Nun hab ich dir genug gezeigt, ich habe Hunger. Komm beeil dich, wir gehen zu Cecilie und lassen uns was zu essen geben.“
Tommaso hatte Mühe mitzuhalten, gewöhnlich war er denn halben Tag lang irgendwo im Schatten bei den Ziegen gelegen. Aber Christiano schien nicht normal laufen zu können, immer musste er rennen.
In der Mitte der Küche stand ein runder gemauerter Herd mit acht einzelnen Feuerstellen. Auf allen konnte gleichzeitig gekocht werden. Der Rauch zog über ein von der Decke hängendes Rohr nach außen ab. In der hinteren Küchenecke war ein Brunnen mit einer Winde, hier konnte das frische Wasser direkt von weit unten hochgezogen werden.
Mehrere Bedienstete bereiteten gerade das Mittagsessen vor.
„Cecilie, liebste Cecilie, wir haben Hunger“, säuselte Christiano der Köchin ins Ohr.
„Aber Signorino Christiano, Ihr wisst doch, Eure Mutter hat mich angewiesen, Euch nichts außerhalb der Mahlzeiten zu geben.“
„Bitte, bitte nur eine Kleinigkeit“, bettelte Christiano mit treuherzigen Augen - die Frau konnte nicht widerstehen.
„Also gut, aber nichts der Contessa verraten. Jeder eine kleine Arancine, mehr gibt es nicht.“
Auf einem Holzteller brachte sie jedem ein kleines, noch sehr heißes Reisbällchen.
„Wenn Ihr das gegessen habt, geht Ihr bitte auf Euer Zimmer Signorino und macht Euch zum Essen fertig. Du, Tommaso, bleibst so lange hier, bis es Zeit für den Unterricht ist.“
Der Junge half in der Küche mit. Cecilie erklärte ihm, was er tun sollte. Nachdem die Diener bei der Herrschaft abgeräumt hatten, konnte das Küchenpersonal endlich selbst essen.
„Uns geht es sehr gut hier, wir dürfen uns auch die Reste nehmen. Unser Conte ist sehr großzügig. Manch anderer der Grundbesitzer lässt nicht zu, dass die Dienerschaft die Reste bekommt“, klärte Michele Tommaso auf.
Alle setzten sich an den großen Tisch im hinteren Küchenbereich und die Küchenmädchen trugen das Mahl auf. Heute gab es eine große dampfende Schüssel Pasta al Olio, Nudeln mit gewürztem Olivenöl, mit geriebenem Käse darüber und danach noch ein paar der übriggebliebenen Arancini. Die Männer bekamen dazu ein paar Fleischreste, klein geschnitten und nochmals angebraten mit Brot. Alle langten kräftig zu, nur Tommaso wollte es nicht so recht schmecken, er kannte solche Speisen nicht. Zu sehr waren ihm auch die Naschereien und die vielen neuen Eindrücke auf den Magen geschlagen. Zum Abschluss gab es dann noch Cannoli, mit süßer Creme aus Ricotta di Pecorino gefüllte Röllchen, die von der Tafel der Herrschaften fast unberührt zurückgekommen waren.
Nachmittags nach der Siesta kam Emilio, der Hauslehrer, und holte Tommaso ab. Er nahm ihn mit ins Studierzimmer. Hinter einer Bank saß bereits Christiano auf einem Hocker. Tommaso nahm daneben Platz.
„So, nun pass mal auf, du Ragazzo stupido, hier wird gemacht, was ich sage. Wenn du nicht folgst, gibt es was mit dem Stock“, er schwang eine armlange Gerte pfeifend durch die Luft, „Zuerst werden wir dir ein richtiges Italienisch beibringen. Für Euch Signorino Christiano ist es eine schöne Wiederholung.“
Damit begann für den jungen Ziegenhirten eine ungewöhnliche Ausbildung. Normalerweise, wenn er Glück gehabt hätte, wäre er vielleicht für zwei oder drei Klassen nach Palazzolo gekommen. Das hätte bedeutet, jeden Montagmorgen sehr früh aufzustehen, erst die Ziegen mit hinauszutreiben und dann hurtig den etwa zweistündigen Weg zur Schule zulaufen. Aber nun eröffneten sich für ihn ganz andere Möglichkeiten, die er im Moment noch nicht überblicken konnte. Endlich durfte er lernen, bekam vielleicht Antworten auf die vielen Fragen, die er hatte. Wenn er später daran zurückdachte, war ihm bewusst, wie dankbar er dem Conte für diese Chance sein musste.
Nach etwas mehr als einer Woche meinte die Köchin zum Conte, es wäre besser, den Jungen hier oben im Schloss zu behalten, denn morgens, wenn er von unten heraufkam, stank er wie ein alter Ziegenbock. So ergab es sich, dass Tommaso bei den beiden Küchenmädchen gleich hinter der Speisekammer einquartiert wurde. Hier stand ein riesiges altes Familienbett mit frischem Stroh, welches sie sich teilen mussten. Zu Hause hatten sie nur altes Stroh auf dem Boden der Schlafhöhle ausgebreitet und jeder suchte sich ein Eck zum Schlafen.
Zu seiner Aufgabe gehörte es nun aufzupassen, dass niemand sich unbefugt in die Vorratskammer schlich, auch keine Ratten oder sonstiges Getier.
Anfangs hatte er Probleme, wenn die beiden Küchenmädchen, Maria und Anna, sich spät abends nackt zu ihm legten und ihn am ganzen Körper streichelten. Zum Glück konnten sie in der Dunkelheit ja nicht sehen, wie seine Männlichkeit wuchs und sein Gesicht feuerrot erglühte. Ein paar Jahre später dann genoss er es, wenn die beiden sich darum stritten, welche er zuerst beglücken durfte. Das bescherte ihm so manche schlaflose Nacht, sodass er im Unterricht einnickte. Doch Emilio weckte ihn dann mit ein paar gezielten Rutenschlägen.
Nicht nur vom Hauslehrer, auch vom Käser, vom Gärtner und sogar von der Köchin lernte er viel. In der Küche wollte er anfangs nicht so recht mithelfen, doch Cecilie ließ nicht locker. Sie bestand darauf, dass es auch als Mann nichts schade, wenn man kochen könne. Nach und nach führte sie ihn sorgfältig in die Feinheiten der sizilianischen Küche ein. Ob eine einfache Mahlzeit, wie bei den Bauern oder ein mehrere Gänge Menü für die Herrschaften, immer servierte sie ein vorzügliches Essen. Sie war eine begnadete Köchin, die Tommaso dazu brachte, später selbst mit Freude zu kochen und oft etwas Neues auszuprobieren.
„Du wirst noch einmal ein großer Koch, der für einen Duce oder Conte kochen darf“, meinte sie oft scherzhaft.
Er genoss den täglichen Unterricht beim Lehrer Emilio - ganz gleich, ob sie endlos die verschiedenen Formen der Verben aufsagen mussten oder das Einmaleins rauf und runter auswendig lernten. Immer war Tommaso mit Begeisterung dabei. Dem Signorino machte diese ganze Lernerei nicht so viel Spaß. Der Hauslehrer äußerte, er solle sich ein Beispiel an Tommaso nehmen. Christiano reagierte darauf sauer und ließ ihn seine Wut beim Spielen im Hof spüren.
Sein ausgesprochenes Lieblingsfach war Geschichte. Sehr anschaulich erzählte Lehrer Emilio den beiden Buben aus der Vergangenheit. Tommaso konnte stundenlang zuhören und sich so richtig in die vergangenen Zeiten hineinversetzen. Dabei hörte er das erste Mal, dass Sizilien eine große Insel ist. Er kannte nur die kleine Insel im Flussbett, auf der er sich manchmal in den drei Büschen, die dort wuchsen, versteckt hatte, wenn seine Brüder in gesucht hatten.
Der Lehrer führte sie Tausende Jahre zurück zur ersten Besiedelung durch die Sikaner oder Sikeler. Er berichtete davon, wie die Griechen das Land später kolonisiert und unter anderem die große Stadt Siracusa sowie im Gebirge die kleine Stadt Acrei, das spätere Palazollo Acreide, gegründet hatten. In Siracusa soll man sogar noch Überreste aus dieser Zeit sehen können.
Die beiden erfuhren, dass später die Griechen von den Römern vertrieben wurden. Seitdem sprechen die Menschen hier auch eine Art von Latein, das sich zum Italienischen veränderte. „Das sizilianische Bauernvolk spricht noch immer ein Kauderwelsch, eine Mischung aus lateinisch, italienisch und griechisch, ebenso wie Tommaso, als er hier angekommen ist“, scherzte Emilio.
Aber auch die Römer wurden besiegt. Immer wieder kamen fremde Soldaten und Siedler. Byzantiner, Ostgoten, Mauren, Normannen, bis dann, etwa vor 600 Jahren der letzte Normannenkönig Wilhelm kinderlos starb und die Herrschaft über die Insel an den Staufer Heinrich, dem Sohn und Erben von Kaiser Friedrich Barbarossa, ging. In diese Zeit reichten auch die Wurzeln der Familie di Cardinali zurück. Das interessierte nun sogar Christiano.
Am Hofe des Königs Konrad von Sizilien, der ein Enkelsohn von Kaiser Heinrich war, diente als Ritter ein Roger von Portoballo. Er wurde für seine Verdienste zum Barone ernannt, sein Sohn erhielt dann später unter König Manfred den Titel eines Conte und wurde mit umfangreichen Ländereien im Inland von der Ostküste Siziliens belehnt. Die Familie der Conte di Cardinali hatte es verstanden, sich selbst in schweren Zeiten immer auf die richtige Seite zu stellen. So wurde ihr Einfluss und ihre Macht immer größer. Nur einmal wäre das alles fast schief gelaufen. Der Conte von Anjou Karl, ein Bruder des französischen Königs, beutete die Menschen aus, seine Unterdrückungsherrschaft wurde unerträglich. Ausgehend von den Bürgern Palermos erhoben sich die Sizilianer und vertrieben den ungeliebten Grafen. Den Aufstand nannte man später die Sizilianische Vesper. Hierbei wurde auch ein junger Mann, Barthelomeus aus der Linie der Cardinali, als Spion enthauptet. Angeblich zu Unrecht, wie man in der alten Familienchronik nachlesen konnte. Christiano entrüstete sich, horchte aber weiter gespannt zu.
Der sizilianische Adel hatte sich zu Peter, König von Aragon, geflüchtet. Dieser war mit der Tochter von König Manfred verheiratet. Nach der Vertreibung des Anjou kam nun die Macht für über 150 Jahre an die Spanier. Sizilien wurde Vizekönigreich Aragoniens. Peter ernannte sich später zum König von Sizilien und auch zum König von Neapel. Vor nun etwa 18 Jahren fiel das Land aufgrund des Spanischen Erbfolgekrieges an Savoyen.
„Vor zehn Jahren etwa um die Zeit, als du, Tommaso, geboren wurdest, tauschten die es dann mit den Österreichern. Und im Moment wird in der großen weiten Welt wieder um Sizilien gekämpft.“ Der Lehrer wusste so viel, Tommaso hing bei den Erzählungen aus der Geschichte gespannt an den Lippen des betagten Mannes.
Allerdings spielten sich die Politik und die große weite Welt nicht hier im unzugänglichen Innern der Insel ab. Alle wichtigen Städte lagen an den Küsten. Man konnte von Glück sagen, wenn sie hier erfuhren, wer gerade über Sizilien herrschte.
„Was geht uns das alles an, das ist alles schon so lange her und die Politik, die versteht sowieso keiner“, machte Christiano seinem Unmut Luft.
Er konnte sich mit dem ganzen Geschichtsgefasel nicht anfreunden. Hauptsache, er würde einmal der nächste Conte de Cardinali.
Neidisch blickte Tommaso zu seinem Freund auf: Der weiß wenigstens, was später einmal aus ihm wird – und aus mir?
Tommaso war etwa zwölf Jahre alt, als noch ein zusätzliches Pult in die Studierstube gestellt wurde. Die inzwischen neunjährige Principessa Alessandra sollte nun mit den beiden Jungen gemeinsam unterrichtet werden. Christiano fand das eine Verschwendung, wozu brauchten Mädchen eine Bildung, die sollten doch nur gut verheiratet werden. Es reichte, wenn sie einem Haushalt vorstehen konnten. Hochmütig verbesserte er seine Schwester und lachte sie demütigend aus, wenn sie etwas nachfragte. Darum wandte sich das Mädchen an Tommaso und der erklärte ihr gerne geduldig so manches, was sie nicht gleich verstanden hatte. Die hübsche Alessandra war im Gegensatz zu ihrem Bruder klein und schwarzhaarig wie ihr Vater. Oft bat sie Tommaso um Hilfe, wenn mal wieder eine Puppe oder Ähnliches kaputt gegangen war. Sie himmelte ihn an, er war für sie wie ein großer Bruder, der sie beschützte und dem sie auch ihren Kummer anvertrauen konnte.
Man schrieb das Jahr 1735, die Zeit war wie im Flug vergangen, Sizilien war nun wieder einmal spanisch. König Ferdinand vereinigte wie im Mittelalter, Unteritalien mit Sizilien, Residenzstadt war diesmal allerdings Neapel.
Vier Jahre lernten die beiden Knaben nun schon gemeinsam, Christiano quälte sich so durch, Tommaso war mit Begeisterung dabei. Ihm fiel das Lernen leicht, einmal gehört, behielt er das Gesagte in seinem Gedächtnis.
Nur seine Körpergröße bereitete ihm Probleme. Seit Jahren wuchs er nur geringfügig. Der gleichaltrige Christiano dagegen war ein schlaksiger Jugendlicher geworden, dem er gerade bis zur Brust reichte.
Eines Tages rief der Conte den Jungen zu sich ins Arbeitszimmer.
„Tommaso, der Lehrer ist voll des Lobes über deine Leistungen. Es war gut, dass ich mich damals deiner angenommen habe. Du hast die gleiche Ausbildung wie Christiano genossen, das heißt die Erziehung eines Conte. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen. - Ja, ja, ist schon gut“, winkte er Tommaso ab, als der etwas erwidern wollte. „Mein Sohn hat dir bestimmt erzählt, dass er nach dem Sommer auf die Militärakademie nach Palermo gehen wird.“
„Ja, Signor Conte.“
„Für dich ist dann die Zeit hier auch zu Ende. Ich werde dich zum Kaufmann Matteo Francoforte nach Siracusa schicken. Du wirst dort die Geschäfte eines Kaufmanns erlernen und kannst mir später bei meinen Handelsgeschäften dienlich sein. Lerne fleißig und vergiss nicht, wo du ohne meine Unterstützung wärst. Das Lehrgeld lege ich für dich aus und du zahlst es mir später zurück.“
Soviel hatte der Conte noch nie in einem Stück mit ihm gesprochen. Freudig erregt bedankte sich Tommaso für die große Gunst, die ihm der Patrone weiterhin erwies.
Nur einmal war er mit Christiano in Siracusa gewesen. Damals, als der Conte nach dem Sommer beschlossen hatte, dass die beiden Knaben in der Fattoria gemeinsam unterrichtet werden sollten. Hier auf dem Land gebe es wenig Ablenkung, meinte die Contessa damals. Und so fuhr die Familie in die große Stadt. Tommaso durfte mit, um einen Teil der Sachen von Christiano zu holen.
Eine riesengroße Stadt, Tausende von Menschen wohnten da, behauptete Christiano. Sie fuhren gerade die Via Eurialo in der kleinen Ortschaft Beleverdere entlang, als der Kutscher Mario plötzlich die Pferde zügelte.
„Steigt doch einmal aus und geht mit mir dort hinauf.“
Er zeigte auf die gewaltigen Ruinen einer Befestigungsanlage.
„Das sind Reste vom Castello Eurialo, welches die Griechen zum Schutz der Stadt errichtet hatten.“
Gemeinsam kletterten sie hinauf.
„Von hier oben hat man einen herrlichen Blick über die ganze Stadt Siracusa, rechts weit hinten seht ihr den Hafen vor der Insel Ortigia. Und wenn ihr nun hier links nach Norden schaut, dann seht ihr über dem Golf von Augusta den Ätna. Als die Römer wieder einmal Siracusa belagerten, haben selbst die besten Kriegsmaschinen des Maestro Archimedes – ein berühmter Erfinder und Mathematiker in Siracusa - nichts mehr geholfen. Die Feinde schafften es, unaufhaltsam in die Stadt vorzudringen. Archimedes soll einer Legende nach mit einem von ihm konstruierten großen Brennspiegel von hier oben die Segel der römischen Flotte, die weit unten in der Bucht von Augusta lag, in Brand gesetzt haben. Daraufhin traten die Römer eilig den Rückzug an. Später kamen sie aber mit großer Verstärkung wieder und besetzten die Küste Siziliens.“ Fasziniert lauschten die beiden Jungen den Erklärungen Marios.
„Ganz da hinten rechts seht Ihr die Festung auf der kleinen Insel Ortigia, davor den Hafen. Schaut, dort ist der Dom, das ist die große Kirche, die wie ein Tempel aussieht, unterhalb davon, das ist der Palazzo der Cardinali.“
Mit ausgestrecktem Arm deutete Mario in die Richtung.
„Und weiter links, da vorne bei den großen Pinien, das sind die Reste vom Teatro Greco. Hier in der Stadt gibt es noch viele Überreste der alten Griechen und Römer zu sehen. Blickt mal weiter nach hinten, dort seht Ihr die Ruinen der Chiesa San Giovanni de Evangelista.“
Voll Begeisterung wies der Mann auf diese besonderen Bauwerke seiner Heimatstadt.
„Sagt, woher weiß Er das alles. Er ist doch nur ein einfacher Kutscher“, fragte ihn der Contrino.
„Ich war einmal ein bekannter Gelehrter in der Stadt. Allerdings äußerte ich einiges, was den Stadtoberen nicht gefiel, und so wurde mir meine Lehrtätigkeit verboten. Nun als Kutscher bin ich ein freier Mensch und kann sagen, was ich will, denn angeblich bin ich ja zu dumm und verstehe sowieso nichts“, lachte er.
Alle drei sputeten sich, um wieder in den Wagen zu kommen. Bald hatten sie die anderen schwer beladenen Gespanne eingeholt und gemeinsam zogen sie durch das untere Hafentor in die Stadt. Vorbei am Dom holperten die Wagen über das Pflaster. Die Kirche war eine riesige Baustelle. Die Fassade war bei dem großen Erdbeben von 1693 stark beschädigt worden und wurde jetzt mit einer Barockfassade neu aufgebaut. Endlich, gleich rechts vor einem großen Tor, kam der ganze Tross zum Stehen. Nachdem sich der Conte lautstark bemerkbar gemacht hatte, indem er brüllend Einlass forderte, sodass Tommaso meinte, ganz Siracusa würde zusammenlaufen, öffnete ein verschlafener Diener das Tor. Offensichtlich hatte die Dienerschaft noch nicht mit der Ankunft der Herrschaften gerechnet.
Die Rückreise war für die kommende Woche geplant, Zeit genug für eine ausgedehnte Besichtigungstour. Mit Erlaubnis des Conte durchstreiften die beiden Buben gemeinsam mit ihrem gebildeten Kutscher die alte Stadt. Er zeigte ihnen nun die beeindruckenden Bauwerke der Antike. Vor allem das von den Griechen vor fast zweitausend Jahren errichtete Theater, in dem mehr als 10.000 Besucher Platz gefunden haben sollen, imponierte den Jungen. Die Sitzplätze waren alle aus dem Tuffstein herausgemeißelt worden. Weiter hinten dann - bei den Zitronenhainen - das sogenannte Ohr des Dyonisos, hier soll der despotische Herrscher seine Gefangenen eingesperrt und abgehört haben. Daneben viele Steinbrüche, aus denen das Material für die Stadt gebrochen wurde. Besonders faszinierend fand Tommaso beim weiteren Stadtrundgang die Katakomben unter der Chiesa San Giovanni di Evangelista mit den vielen Gräbern. Als die Kerzen flackerten, gruselte es ihm, sodass es ihm eiskalt über den Rücken lief. In einer Nische waren frische Blumen dekoriert, hier hatte der Apostel Paulus gepredigt, nachdem er auf seiner Romreise an der Küste Siziliens gestrandet war.
Er wünschte sich damals, dass er einmal in dieser Stadt leben dürfte und nun, einige Jahre später, sollte sein Traum in Erfüllung gehen. Ende der Woche gab es dann zum Abschied im Palazzo ein Festessen, zu dem auch Tommaso eingeladen war. Neue Kleider hatte er bekommen, abgelegte Sachen, aus denen Christiano schon vor Jahren herausgewachsen war.
„Du siehst richtig vornehm aus“, meinte Cecilie zu ihm, „wie ein richtiger Mafioso.“
Fragend schaute er sie an.
„Na du weißt schon, ein Mann, der die Fliege nicht auf seiner Nase herumtanzen lässt und jederzeit bereit ist, seine Ehre zu verteidigen.“
Leider war er viel zu nervös und konnte das ausgezeichnete Festessen nicht so richtig genießen. Denn die Tischmanieren, die von ihm erwartet wurden, bereiteten ihm immer noch Probleme. Trotzdem blieb ihm der Nachtisch Granita con Fragole lange in Erinnerung. Im Unterricht hatte er zwar gehört, dass auf dem höchsten Berg der Insel, dem Ätna, auch im Sommer noch Reste von Schnee und Eis lagen, konnte sich das aber nicht vorstellen. Die Köstlichkeiten, die aus diesem Eis hergestellt wurden, schmolzen erfrischend auf der Zunge dahin. Nie wieder würde er diesen wunderbaren Geschmack und den heimlichen Abschiedskuss von Alessandra vergessen.
Nun begann ein neues Kapitel im Leben Tommasos. Auf der einen Seite hatte er Angst vor der neuen Herausforderung, andererseits freute er sich auf das Leben in der großen Stadt, die ihm von seinem Besuch vor einigen Jahren schon ein wenig vertraut vorkam. Am nächsten Morgen war es nun soweit, Zeit zum Abschiednehmen. Tommaso verabschiedete sich von seinen Eltern und Geschwistern, wenn alles gut ging, so kam er vielleicht zu Weihnachten nach Hause.