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Was ist hier mit Seele gemeint?

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Der Begriff der Seele hat in seiner Bedeutung Wandlungen erfahren. Überwiegend wurde in der Seele der nichtkörperliche Teil menschlicher Existenz verstanden, wie Gefühle, Denken, Impulse, Charakter und Persönlichkeit.

Der Begriff der Seele war auch stets religiös besetzt und drückt sich in Formulierungen wie „die Unsterblichkeit der Seele“ oder „Seelenwanderung“ aus. Hiernach gilt die Seele als nichtmaterielle Existenz, die jeweils von Geburt bis Tod mit einem Menschen verknüpft ist und über dessen Tod hinaus weiter existiert.

In dem vorliegenden Buch ist die religiöse Dimension der Seele ausdrücklich nicht gemeint.

Für Seele im hier gemeinten Sinne könnte überwiegend auch der Begriff Psyche oder Geist verwendet werden. Es geht um die menschlichen Eigenschaften des Denkens, Fühlens, Wollens, Handelns, Bewertens, die nicht unmittelbar körperlichen Ursachen zuzuordnen sind. Sie sind zwar auf die Existenz des Gehirns als körperliches Organ angewiesen. Aber wir gehen hier davon aus, dass sie nicht allein auf Vorgänge des Gehirns zurückzuführen sind, sondern das Gehirn und die übrigen Körpervorgänge eine Art Unterstützungsfunktion für die Seele haben. Die Seele ist hier also im Sinne eines primären menschlichen Phänomens mit umfassenden Prägungen durch und Verknüpfungen in die Umwelt und Gesellschaft zu verstehen, die, um wirksam sein zu können und Handlungen initiieren zu können, auf den Körper mit dem Steuerorgan Gehirn angewiesen ist. Vom Gehirn ausgehend werden Sprechwerkzeuge zur Kommunikation, aber auch Muskeln und Gelenke zur Handlung und Fortbewegung angeregt.

Allerdings fasse ich hier den Körper nicht als seelenlosen Apparat oder Automat auf, der nur von einer immateriellen, nicht lokalisierbaren Seele gesteuert wird. Sondern Körper, Umwelt und Seele bilden eine Einheit. Die Seele ist sozusagen in jeder Zelle des Körpers verankert. Die Seele existiert so nicht ohne Körper und der Körper nicht ohne Seele. Danach haben auch als schwer geistesgestört geltende Menschen oder sogenannte Wachkomapatienten eine Seele, die Einfluss auf Handlungen, Denken und Fühlen nimmt, nur anders und vielleicht elementarer. Die Seele ist also im hier gemeinten Sinne eine eigene Kategorie, eine eigene Instanz und der Körper ein Erfolgs-, Ausführungs- und Handlungsorgan mit Rückkopplungen auf die Seele. Zudem wirkt die Seele ebenso auf die unmittelbare Umwelt und diese auf sie zurück. Denn das, was wir in der Umwelt wahrnehmen, bleibt nicht ohne Folgen auf die Seele. Die Seele beeinflusst wiederum die Umwelt, zum Beispiel durch Geschriebenes oder Gesprochenes, durch Bauwerke und Interaktionen von Menschen.

Deshalb verwende ich hier nicht die Begriffe Psyche oder Geist. Denn die seelische Dimension geht darüber hinaus und hat auch Bedeutung für Fragen nach dem Sinn, den Werten, unserer Art der Wahrnehmung und nach dem, was wir glauben. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele oder der Seelenwanderung soll hierbei völlig außer Acht bleiben. Aber bei Fragen wie Sinn des Lebens, Werte, Liebe, Glauben, also Phänomene, die nicht mit wissenschaftlichen Kategorien zu erfassen sind und zudem in der allgemeinen Wahrnehmung nicht als automatische Verschaltungsvorgänge des Gehirns aufgefasst werden, handelt es sich um seelische Vorgänge, die auch eine gewisse Nähe zu religiösen Fragen haben können, und zwar in dem Sinne, dass Religionen sich mit dem Sinn des Lebens, Glauben und Liebe sowie Gut und Böse auseinandersetzen.

Gerade bei Krankheit spielen diese seelischen Phänomene eine ganz wichtige Rolle und können die Krankheit wesentlich beeinflussen.

Der Begriff „seelische Erkrankungen“, der noch immer für psychiatrische Erkrankungen gilt, meint hier allerdings vorrangig psychische Erkrankungen, die nach biomedizinischen Krankheitsverständnis eine körperliche Ursache, und zwar im Gehirn, haben, die sich aber ganz vorrangig in psychischen Auffälligkeiten äußern und auch einer bestimmten Lokalisation im Gehirn nicht hinreichend zuordenbar sind. Demnach gelten hier seelische Erkrankungen als Erkrankungen körperlicher Ursache, deren weitere Erforschung zu dem Ergebnis kommen wird, dass eines Tages ihre Ursachenzusammenhänge bestimmten und nachweisbaren gestörten Vorgängen im Gehirn zugeordnet werden können.

Diese Auffassung wird hier ausdrücklich nicht geteilt. In diesem Buch gelten seelische Erkrankungen als Beeinträchtigung seelischer Vorgänge im individuellen seelischen Bereich des ganzen Menschen und in der Interaktion mit seiner Umwelt.

Nicht nur die seelischen Erkrankungen möchte ich hier in diesem Sinne interpretieren. Auch alle denkbaren Krankheiten haben immer auch eine seelische Dimension. Es handelt sich in der Konsequenz dabei auch um seelische Erkrankungen im hier genannten Sinne. Psychische und körperliche Erkrankungen unterscheiden sich insofern nicht grundsätzlich voneinander, da bei beiden die seelischen Dimensionen von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie gründen damit aber auch beide nicht vorrangig auf körperliche Ursachen.

Die seelische Dimension von Krankheiten

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