Читать книгу Cowboys, Sheriffs, heiße Ladies: 10 Western - Thomas West - Страница 11
Teil 2
ОглавлениеIn einer belebten Straße suchte er nach einem belebten Saloon. Nach irgendeinem Laden, wo er in der Menge nicht auffiel. Schnell fand er einen – „Spirit of Vicksburg“ stand auf einem schwarzen Metallschild über dem Eingang.
Scotty drängte sich an Tischen und Menschen vorbei und lehnte gegen die Schmalseite der Theke, von wo aus er den gesamten Saloon und vor allem den Eingang überblicken konnte.
Gebratene Eier mit Speck und einen Kaffee bestellte er. Die Wirtin, eine dunkelhaarige Endfünfzigerin bedachte ihn mit freundlichen Blicken. Das tat gut.
Scotty gegenüber, fast am Ende der langen Thekenseite, hing ein Mann auf seinem Barhocker und schwang Reden in einer Lautstärke, die auf einen ziemlich hohen Alkoholpegel schließen ließ. Tatsächlich stand eine fast leere Whiskyflasche vor ihm. Er trug eine teure Wildlederjacke und ein schwarzes Hemd. Sein blonder Schnurrbart und die blonden Locken an den Schläfen waren leicht angegraut.
Von seiner Pferdezucht erzählte er. Die Yankees hätte er übers Ohr gehauen, viel zu viel hätten sie für vierundzwanzig Gäule auf den Tisch gelegt. Er klagte über die miese Baumwollernte in diesem Jahr, und über seine Nigger – so drückte er sich aus – die seit Kriegsende unerträglich aufmüpfig geworden seien, ständig bessere Unterkünfte und mehr Geld verlangten.
Vermutlich merkte er, dass Scotty mit halbem Ohr zuhörte, was sich gar nicht vermeiden ließ. Jedenfalls sprach er ihn plötzlich an. „Kennst du zufällig einen Mann, der was von Pferden versteht, Kamerad? Mein Pferdemeister hat gekündigt.“
Die Wirtin stellte Kaffee und Eier vor Scotty auf die Theke. Nur nicht auffallen, dachte er, und ließ sich auf ein Gespräch mit dem Angetrunkenen ein.
Ja, er kenne da einen, sich selbst nämlich, sein halbes Leben habe er mit Pferden zugebracht und so weiter. Der Mann rückte näher, orderte ein leeres Glas für Scotty, stellte sich vor: LaRoche hieß er, Alister LaRoche.
LaRoche schien zu den Männern zu gehören, die nicht lange um den heißen Brei herumquatschten. Fünfzig Dollar pro Woche bot er Scotty. Scotty sagte weder ja noch nein – am Mittag des nächstes Tages ging sein Dampfer, wie gesagt – er tat, als würde das Angebot ihn interessieren. LaRoche schwärmte von seiner Ranch, LaRoche fragte ihn aus.
Ein seltsames Gefühl hinter dem Brustbein war es, das Scotty nervös machte, ein leichtes Kribbeln, weiter nichts. Gar nichts Ungewöhnliches, wenn man nicht vier Jahre Krieg hinter sich und auf seinen Instinkt zu hören gelernt hatte. Scotty blickte auf: Ein Mann in schwarzer Lederweste und grauem Hemd wich seinem Blick aus. Er lehnte am anderen Ende der Theke. An seiner Weste hing ein sechszackiger Stern; der Stern eines Town-Marshals.
Scotty behielt ihn im Auge, während er weiter mit dem Pferdezüchter fachsimpelte. Nur ein paar Minuten, nachdem er den Marshal entdeckt hatte, leerte dieser sein Glas, zahlte und ging. An der Tür blickte er über die Schultern zu Scotty zurück.
Keine Frage, was in spätestens zehn Minuten geschehen würde: Der Marshal würde zurückkommen – mit Verstärkung, Gewehren und Handschellen.
Scotty legte die Gabel in den noch halbvollen Teller. „Tut mir echt Leid, Sir. Ich hab einen wichtigen Termin auf der Bank. Lassen Sie uns das Gespräch fortsetzen.“
„Morgen? Warum nicht heute Abend noch, Mister – wie ist Ihr Name?“ LaRoche deutete auf die inzwischen leere Whiskyflasche und gab der Wirtin einen Wink.
„Robbins“, sagte Scotty. „Hendrik Robbins.“
„Also Hendrik, hör zu...“ LaRoche schwankte und sprach mit schwerer Zunge. „Du gefällst mir. Wir machen einen Vertrag, heute noch. Komm nach Sonnenuntergang in mein Hotel.“ Er kramte Zettel und Stift aus seiner Jacke und kritzelte den Namen seines Hotels darauf.
„Einverstanden, Sir.“ Scotty steckte den Zettel ein. Sein Herz schlug ihm schon bis zum Hals. Er legte eine Münze neben den Teller.
„Lass mal, Hendrik“, lallte der Rancher. „Ich übernehme das.“
„Danke, Sir.“ Scotty tippte an seine Hutkrempe. Seine Handflächen wurden feucht. „Bis später, dann.“ Mit großen Schritten steuerte er den Eingang an.
„Bis später“, rief LaRoche ihm nach. „Ich verlass mich auf dich...“
Draußen auf dem Bürgersteig blickte Scotty nach rechts und nach links. Noch kein Marshal im Anmarsch. Er lief über die Straße. Seine Hand machte sich selbstständig und wanderte zu seinem Waffenholster. Die Revolvertrommel war gefüllt, aber an Ersatzmunition hatte Jane nicht gedacht.
Auf der anderen Straßenseite stieg er den Bürgersteig hinauf. Vor dem Schaufenster eines großen Ladens blieb er stehen. Ein vierschrötiger Kerl lehnte im Türrahmen, kaute auf Tabak herum, und musterte ihn misstrauisch. Scotty kümmerte sich nicht um ihn.
Er war entschlossen sein Leben und seine Freiheit so teuer wie möglich zu verkaufen. Doch dazu brauchte er Ersatzmunition.
Scotty tat, als würde er die Auslagen im Schaufenster betrachten – Flinten, Revolver, Mäntel, Stiefel, und so weiter – in Wirklichkeit linste er nach rechts und nach links. Da kamen sie.
Zu zwölft waren sie sogar – der Marshal lief an der Spitze, ein Gewehr klemmte unter seinem Arm. Zweihundert Schritte entfernt marschierten sie über die Straße, als wollten sie Vicksburg noch einmal gegen die Yankees verteidigen. Zwei Frauen waren auch dabei.
Zwei Frauen? Scotty sah genauer hin. Die Holzbohlen unter seinen Sohlen schienen sich in Gummi zu verwandeln – nicht irgendwelche Frauen begleiteten den Marshal und seine Männer, Scotty erkannte Jane und Lydia. Und der massige Kerl mit Schnauzer? Der Sheriff von Jackson...
„Shit!“ Scotty huschte in das Store. Der Kautabakschmatzer stierte ihm hinterher. Zielstrebig steuerte Scotty die Ladentheke an. Eine Frau stand dort – rothaarig und schlank. Für ihre Schönheit und ihr bleiches, trauriges Gesicht, hatte Scotty in diesem Moment keinen Blick. Nur für den Revolver, den sie in gespreizten Fingern hielt, wie einen toten Fisch. Ihre Hand zitterte.
Scotty stellte sich neben sie, und im gleichen Moment rutschte ihr die Waffe aus den Fingern und knallte auf den Ladentisch.
„Vorsicht, Ma’am.“ Scotty griff nach dem Remington und reichte ihn ihr. „So ein Ding sollte man sehr gut festhalten.“ Er deutete auf den silberbeschlagenen Kolben. „Am besten hier.“
Sie hob den Blick, und Scotty sah in ein paar ängstliche und unendlich traurige Augen; grüne Augen.
Eigentlich wusste er in dem Moment schon, dass er von diesen Augen träumen würde. Aber er hatte andere Dinge im Kopf. Er zog seinen eigenen Revolver. „Eine Schachtel Patronen für dieses Gerät, Sir“, wandte er sich an den Händler. Er hoffte, dass seine Stimme so gleichgültig und gelassen klang, wie er sich zu geben versuchte.
Die Frau beobachtete ihn noch immer von der Seite. Scotty sah sie zum zweiten Mal an und lächelte. Himmel, was für eine Schönheit! Jetzt sah er es endlich.
Ohne sein Lächeln zu erwidern wandte sie sich ab und lief zur Tür. Verdammt eilig hatte sie es auf einmal. An der Tür stand breitbeinig der Tabakkauer. „Was haben Sie da gekauft, Ma’am?“, knurrte er sie an.
„Einen Gürtel“, sagte sie und drückte sich an dem Mann vorbei aus dem Laden...
*
Jack Whitney, der Sheriff von Jackson, hatte innerlich schon beschlossen weiterzureiten – über den Mississippi wollte er, nach Monroe – als der Town-Marshal mit der guten Nachricht im Office eintraf: „Scotty Walker ist in der Stadt. Im Saloon „Spirit of Vicksburg“ hängt er an der Theke herum und plaudert mit Fremden.“
Vielleicht zehn Minuten später standen sie vor dem Eingang des Saloons. „Vielleicht warten die Ladies besser draußen“, sagte George Johnstone, der Town-Marshal, an die Adresse von Lydia und Jane. Der Sheriff hielt sich raus. Ihr bleibt besser hier, hatte er den Frauen im Office des Marshals gesagt. Die Antwort hätte er sich ausrechnen können: „Wir gehen mit.“
„Wir gehen mit rein“, sagte Lydia in einem Tonfall, der jede Möglichkeit auf Widerspruch ausschloss.
Der Marshal gab zwei seiner Assistenten ein Zeichen. Die Männer gingen voraus. Die Gewehre im Anschlag postierten Sie und die Hilfssheriffs aus Jackson sich links und rechts der Tür. Stimmengewirr und Gelächter im Saloon verebbten.
George Johnstone, der Town-Marshal stapfte schnurstracks zur Theke. Dort saß Alister LaRoche vor einer noch fast vollen Whiskyflasche. „Wo ist der Kerl?“, herrschte der Marshal ihn an. Johnstone war relativ neu in der Stadt und im Amt, er kannte LaRoche also noch nicht; und hatte keine Ahnung, dass er einen Mann vor sich hatte, den man besser freundlich anredete, zumal, wenn man etwas von ihm wollte.
„Mit wem sprichst du, Marshal?“, fragte LaRoche mit schwerer Zunge.
„Schiele ich?“
LaRoche wandte sich an die Wirtin. „Bring dem Marshal einen Spiegel, Caren, er hat vergessen wie er aussieht!“ Ein paar Männer an der Theke lachten.
Johnstone packte den Rancher am Arm. „Schluss mit den Witzen! Wir sind hinter einem Mörder her! Wo steckt der Kerl?!“
„Siehst du dort jemanden sitzen, Marshall?“ LaRoche schwankte, während er auf den leeren Barhocker deutete, auf dem vor wenigen Minuten noch sein neuer Pferdespezialist gesessen hatte.
„Nein“, sagte Johnstone.
„Nun, dann wird er wohl gegangen sein.“ LaRoche streifte die Hand des Marshals von seinem Arm.
„Wohin, zum Teufel!“, mischte Jack Whitney sich ein.
„Keine Ahnung“, sagte LaRoche.
„Ich glaube, er hatte einen Termin auf der Bank“, rief die Wirtin.
Whitney und Johnstone stürmten aus dem Saloon. Die Frauen und die Assistenten hinterher. „Um die Zeit haben die Banken bei euch noch auf?“, wunderte Lydia sich.
„Nein“, sagte Johnstone. Er winkte seine Assistenten an sich vorbei. „Schaut trotzdem nach!“ Vier Sternträger lösten sich aus der Gruppe und liefen quer über die Straße. Die Bank lag unweit des Mississippi-Ufers.
Flankiert von den Hilfssheriffs aus Jackson und gefolgt von Lydia und Jane liefen Johnstone und Whitney zum Office zurück. „Hat er dich gesehen, George?“, fragte der Sheriff. „Ich meine, so ein Stern fällt doch auf.“
„Glaub ich nicht.“
„Scotty sieht alles“, sagte Jane.
„Ich lasse Männer an den Ausfallstraßen postieren“, sagte der Marshal.
„Ihr teilt euch in zwei Gruppen“, wies der Sheriff seine Assistenten an. „Patrouilliert durch die Stadt, er kann ja nicht vom Erdboden verschluckt worden sein.“
„Ich wette, er versucht auf einen Dampfer zu kommen“, sagte Lydia.
„Das nächste Schiff nach Norden geht erst morgen Nachmittag.“ Der Marshal schloss sein Office auf. „Ich habe zwei Dutzend Männer unter Waffen. Notfalls schalte ich die Yankees ein. Er kann die Stadt nicht unbemerkt verlassen. Wir kriegen ihn.“
Die Frauen tranken Kaffee, die Männer Whisky. Eine halbe Stunde lang berieten Whitney und Johnstone ihre Jagdstrategie. „Ich bin müde“, gähnte Jane irgendwann.
„Und ich habe Hunger“, sagte Lydia.
„Es gibt da ein Hotel am Hafen.“ Der Marshal schenkte seinem Kollegen aus Jackson den vierten Whisky ein. „Das ‚Oak Cottage’. Es steht an der Zufahrtsstraße zur Anlegestelle. Von den Fenstern der Straßenseite aus kann man jeden sehen, der zu den Schiffen hinunter reitet.“
„Sehr gut“, sagte Whitney. „Dort mieten wir uns ein.“
*
„...einen Gürtel?“ Russfield stapfte links neben ihr her. Wie ein Truthahn spreizte er sich. „Ein Gürtel kostet keine hundertfünfundneunzig Dollar.“ Er drückte sie fast gegen die Hausfassade.
„Lass mich in Ruhe!“ Mary hängte die Tasche mit dem Revolver über die rechte Schulter. „Es geht niemanden etwas an, was ich mir kaufe...“ Das Bild des schwarzhaarigen Mannes brannte noch in ihrem Hirn. Es wollte und wollte nicht verblassen.
Russfields ausgestreckter Arm versperrte ihr den Weg, sie musste stehen bleiben. Er griff nach ihrer Tasche und riss sie ihr von der Schulter. „Verdammt schwer so ein Gürtel.“ Mit einem Griff zerrte er den nagelneuen Remington heraus. „Schönes Stück, wirklich wahr, aber viel zu gefährlich für dich.“
„Geben Sie mir den Revolver! Er gehört mir!“ In ihrer Verzweiflung packte sie sein Handgelenk, sogar laut wurde sie ganz gegen ihre Art. So kurz vor dem Ziel schon wieder unterliegen? Mary konnte es nicht akzeptieren. „Her damit, es ist mein Eigentum!“
„Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?“ Auf einmal stand er da, der schwarzhaarige Mann aus dem Waffenladen: Groß, stark und schön.
„Verpiss dich, Yankee!“, blaffte Russfield ihn an.
Bei der Kavallerie war Scotty, was den Umgangston betraf, nicht gerade verwöhnt worden. Strenggenommen war dort nur ein einziges Schimpfwort verpönt gewesen: Yankee. Verräter nannte man so, aber keinen Captain der Kavallerie.
Scotty sah rot. Und ehe Russfields Sinne seine Faust überhaupt wahrnahm, knallte er mit gebrochenem Nasenbein gegen die Hauswand.
Der Colt polterte auf den Bürgersteig. Blitzschnell bückte Mary sich danach, packte die Waffe und ihre Tasche und rannte los. In die nächstbeste Seitenstraße bog sie ein.
Scotty hatte nicht die geringste Ahnung, dass diese Frau sein Schicksal werden würde. Er kannte ja nicht einmal ihren Namen. Nur aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wohin sie flüchtete. Er musste sich ja auf den ungeschlachten Kerl mit der blutenden Nase kümmern, mit geballten Fäusten erwartete er seinen Gegenangriff. Und gleichzeitig verfluchte er sich – was musst du Idiot dich in Dinge einmischen, die dich nichts angehen! – dieses Theater hier, war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.
Der Kerl griff nicht an. Er stemmte sich vom Bürgersteig hoch, wischte sich das Blut von der Nase und spuckte Scotty seinen Kautabak vor die Stiefel. „Wir sprechen uns noch, Yankee“, knurrte er. Dann rannte er der Frau hinterher.
*
Mary lief so schnell ihre Füße sie trugen. Im Laufen steckte sie den Revolver zurück in ihre Tasche. Leute blieben stehen und gafften ihr hinterher.
An einer Abzweigung machte sie Halt und sah zurück. Russfield bog in die Seitenstraße ein. Den Arm vor die blutende Nase gedrückt verfolgte er sie. Ein Pferdegespann bog aus einem Hof und versperrte den Blick auf ihn.
Mary raffte ihr Kleid hoch und lief. Weiter, immer weiter. Es wurde allmählich dunkel. Männer pfiffen ihr nach, sie bog in Gassen und Straßen ein, wusste längst nicht mehr, wo sie sich befand.
Irgendwann konnte sie nicht mehr und blieb stehen. Schwer atmend lehnte sie gegen eine Hausfassade. Kaum Lichter hinter den Fenstern, keine Menschenseele mehr auf der Gasse zu sehen. Angst sprang ihr an die Kehle. Wenn Russfield sie in dieser abgelegenen Gegend erwischte...
Das Haus gegenüber war zur Hälfte eingefallen. Keine Tür im Gemäuer, keine Fenster in den Rahmen. Sie lauschte: Von fern näherten sich Schritte; rasche Schritte. Und bald hörte sie den keuchenden Atem eines Mannes: Russfield.
Sie rannte über die Straße, schlüpfte durch die Türöffnung in die Ruine. Ratten quiekten, Mary stolperte in einen Raum nahe des Eingangs, taumelte und fiel auf den Boden. Sie setzte sich auf. Mit zitternden Händen öffnete sie ihre Tasche, ihre Hand tastete nach dem Revolverkolben.
Schritte näherten sich. Sie zog den Remington aus der Tasche. Mit beiden Händen fasste sie ihn und steckte den Lauf in den Mund. Ihr rechter Daumen erwischte den Abzugsbügel. Die Schritte draußen vor der Ruine verstummten. Mary drückte ab.
Nichts.
Der Hahn, ich muss den Hahn spannen...
Sie nahm die Waffe aus dem Mund. Es klickte metallen, als sie den Hahn zurückzog. Mary erschrak. Stiefelsohlen scharrten über Geröll. Sie blickte auf. Ein Schatten schob sich aus dem Halbdunkel durch die Türöffnung: Russfield.
„Hab ich dich doch noch erwischt, du Miststück!“, zischte er...
*
Ein Schuss zerriss die Stille.
Scotty blieb stehen. Hinter ihm traten Männer aus Häusern, Fenster öffneten sich, Frauen und Kinder schauten heraus. „Habt ihr’s gehört? Ein Schuss!“, rief jemand. Und ein anderer: „Wo kam das her? Haben Sie’s auch gehört, Mister?“
„Klar.“ Scotty zwang sich ruhig zu atmen. Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. „Irgendwo da hinten.“ Die Männer rannten los. Scotty widerstand der Versuchung weiter zu rennen. Langsam ging er in die Gasse hinein, aus der er den Schuss gehört hatte.
Die Straße hatte aus dem Zentrum weg geführt. Einen Weg, den Scotty sowieso einschlagen wollte. Also war er dem Kerl gefolgt. Dass der ungehobelte Bursche die Frau nicht bekehren wollte, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Und jetzt der Schuss. Scotty rechnete mit dem Schlimmsten.
Mach, dass du hier wegkommst, sagte seine innere Stimme. Kümmere dich um deine Angelegenheiten, die sind heiß genug.
Er ignorierte sie und betrachtete die Hausfassaden. Es schien ihn an den Südostrand von Vicksburg verschlagen zu haben. Auch hier hatte Shermans Artillerie ihre Kerben ins Stadtbild geschnitzt. Vor einer Ruine blieb er stehen und lauschte.
Er hörte nichts, aber er spürte die Nähe eines Menschen. Man muss sich genügend oft vor Yankees versteckt haben, die einem ans Leben wollen, dann entwickelte man einen siebten Sinn für so etwas. Scotty zog seinen Revolver, drückte sich ans dunkle Gemäuer und schlich in die Ruine hinein.
Kaum konnte er Türöffnungen und Treppen von Gemäuer unterscheiden, so dunkel war es in dem zerstörten Haus. Draußen war die Sonne längst untergegangen. Fast lautlos pirschte er sich an einen Türrahmen ohne Türblatt heran. Dahinter atmete jemand. Scotty hob den Revolver an die Schulter, nahm den Hut ab und lugte um die Ecke.
Ein Mann lag über den Trümmern eines Stuhls. Er rührte sich nicht mehr. Und mitten im Raum hockte die Frau auf dem Boden; die rothaarige Lady aus dem Waffenladen. Mit beiden Händen hielt sie ihren neuen Revolver fest und starrte ihn an.
„Himmel, Ma’am!“ Scotty steckte die Waffe weg, setzte den Hut auf und ging zu ihr. „Ich dachte schon, er hätte Sie erschossen.“
Sie antwortete nicht, starrte nur auf ihren Remington. Scotty riss ein Schwefelholz an und beleuchtete den Mann. Seine Augen starrten blicklos durch ihn hindurch, ein Blutfleck vergrößerte sich auf seinem Hemd über der Brust.
Scotty löschte das Zündholz und legte den Arm um die Schulter der Frau. „Kommen Sie, Ma’am, ich bring Sie hier weg.“
Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Ich..., ich wollte..., ich wollte mich erschießen...“ Sie schlang die Arme um Scotty, die Tränen stürzten ihr aus den Augen.
Scotty nahm ihr vorsichtshalber den Remington ab. „Dann haben Sie verdammt schlecht gezielt, würde ich sagen...“
*
Die Morgensonne schien durch das Hotelfenster auf sein Gesicht. LaRoche riss die Augen auf. Sein Schädel brummte, ihm war speiübel. Er wusste nicht wo er war, und als es ihm endlich einfiel, wusste er nicht, wie er zurück ins Hotel gekommen war.
Fluchend richtete er sich auf, blinzelte in die Sonne, blinzelte auf seine Stiefelspitzen. In voller Montur lag er auf dem Bett. Er massierte sich den schmerzenden Nacken – blickte zur Seite, dorthin, wo seine Frau lag.
Wo sie hätte liegen müssen.
Das Kissen war noch glattgestrichen, die Decke zusammen gefaltet, und augenblicklich war LaRoche hellwach. „Mary!“, rief er. Er lief aus dem Zimmer, über den Gang zum Frauenwaschraum. Dort riss er die Tür auf. „Mary!“ Halbnackte Frauen stießen spitze Schreie aus, griffen nach Handtüchern und Kleidern, um ihre Blöße zu bedecken.
LaRoche stolperte die Treppe ins Foyer hinunter. „Mary! Curd!“ An der Rezeption stützte er sich auf den Tresen, als wollte er ihn umwerfen und fauchte den Portier an. „Wo ist meine Frau?!“
„Ich verstehe nicht, Sir..., ist sie denn nicht auf dem Zimmer?“
„Nein, zum Teufel!“
Alister LaRoche durchkämmte das ganze Hotel. Von seiner Frau und seinem Vorarbeiter keine Spur. Zorn und Eifersucht brannten in ihm. Für ihn war klar, dass Mary sich mit Russfield eingelassen hatte, etwas anderes konnte er sich gar nicht vorstellen. Sie hatte für ihn die Beine breit gemacht, na klar! Und er hatte sie aus der Stadt geschmuggelt...
Den halben Vormittag lief er von Saloon zu Saloon, von Geschäft zu Geschäft, fragte nach Mary, fragte nach Russfield. Man hatte sie gesehen, beim Schuhkauf, beim Kleiderkauf, und sogar in einem Waffenladen. Einen Remington für hundertfünfundneunzig Dollar hatte sie gekauft. LaRoche traute seinen Ohren nicht.
Und dann erzählte ihm jemand, dass eine Frau, auf die seine Beschreibung passte, mit einem Revolver in der Hand vor einem Mann geflüchtet sei. Er ließ sich den Mann beschreiben. Russfield, wer sonst. Er hätte aus der Nase geblutet, weil ein anderer Kerl ihm eine verpasst hätte. Und dieser andere Kerl sei ihm gefolgt.
LaRoche konnte sich keinen Reim auf die Geschichte machen.
Das änderte sich, als er den Town-Marshal in seinem Office aufsuchte. Johnstone, Whitney und ihre Jäger hatten natürlich Wind bekommen von der kleinen Schlägerei in der Nähe des Waffenstores, und der Marshal erklärte LaRoche, wer der Unbekannte war, den er für seine Pferdezucht anheuern wollte, und der Russfield und Mary gefolgt war...
*
„Scotty hat keine Chance.“ Lydia sah hinauf zu den Fenstern des „Oak Cottages“. Im ersten Obergeschoss lag das Zimmer des Sheriffs und zwei seiner Assistenten. Hinter dem linken Fenster erkannte sie die massige Gestalt Jack Whitneys, hinter dem rechten wusste sie Ringo und Jimmy mit ihren Flinten lauern. „Sie werden ihn abschießen wie einen tollwütigen Kojoten.“
Scheinbar gelassen, als hätten sie alle Zeit der Welt, spazierten Lydia und Jane auf der Straße zum Hafen entlang. Es war gegen halb zwölf. Wenige Stunden noch bis das Schiff nach Norden die Anker lichten und Fahrt aufnehmen würde. Sie konnten es schon unten auf dem Mississippi schaukeln sehen. Vor wenigen Minuten erst hatte es angelegt. Der Landungssteg wurde gerade befestigt. Schon sammelten sich die ersten Reisenden für die Fahrt Richtung Saint Louis davor.
„Es sind einfach zu viele hinter ihm her...“, sagte Jane mit weinerlicher Stimme.
Das Gros der Jäger patrouillierte noch immer durch die Stadt, bewachte die Ausfallsstraßen, suchte Ruinen und Hotels nach Scotty ab, und inzwischen auch nach LaRoches Frau und seinem Vorarbeiter.
Aus irgendeinem Grund aber war Lydia überzeugt davon, dass Scotty versuchen würde mit einem Dampfer zu fliehen. Sie glaubte allen Ernstes ihn hier, auf der Hafenstraße, abpassen und vor den fünf Jägern retten zu können.
„Gott...!“ Jane biss sich auf die Unterlippe. „Wahrlich kommt er nicht einmal bis hierher. Und wenn, was können wir schon tun? Selbst, wenn wir es schaffen, ihn vor den schießwütigen Kerlen dort oben zu warnen – am Anlegesteg warten der Town-Marshal und dieser LaRoche auf ihn...“
Es war nicht so, dass Jane und Lydia sich auf einmal unwiderstehlich sympathisch fanden. Im Gegenteil: Eine misstraute der anderen. Aber jetzt, da es um Scotty Walkers Leben ging, jetzt schweißte ein gemeinsames Ziel sie – wenigstens vorübergehend – zusammen: Scotty vor dem Galgen und den Kugeln der Gesetzeshüter retten.
Und danach? Nun, jede der beiden wollte ihn haben; für sich haben. Aber Lydia dachte: Das mollige Trampeltierchen werde ich locker ausstechen. Und Jane dachte: Sie ist nur eine Hure, nur ein kleiner Fehltritt von Scotty, eine lässliche Sünde des Fleisches, mich aber liebt er wirklich...
Lydia blieb stehen. „Nein, er hat keine Chance.“ Sie blickte vom Hafen zu den Hotelfenstern und von den Hotelfenstern zum Hafen. „So nicht. Wenn er an Jack und seinen Jagdhunden vorbei ist, empfangen ihn Johnstone und der Rancher unten am Hafen. Und wenn er sie entdeckt und zurück in die Stadt fliehen will, stehen die anderen zu dritt auf der Straße...“
„Oder erschießen ihn von den Fenstern aus...“ Entsetzt von dieser Vorstellung schlug Jane ihre kleinen, fleischigen Hände gegen die Wangen. „O Gott, was sollen wir nur tun...?“
Lydia versuchte den Town-Marshal und den Rancher unten an der Anlegestelle zu erkennen. LaRoche entdeckte sie auf seiner Kutsche. Mit etwa zwei Dutzend anderen stand sie unweit des Landungsstegs, über den jetzt die ersten Passagiere an Land gingen. Die meisten Gespanne warteten auf Reisende. LaRoche wartete auf den Mann, der ihm verraten sollte, wo seine Frau steckte.
Lydia kannte sich aus mit Männern: Dieser LaRoche gehörte zu der Sorte, die aus Eifersucht zum Tier wurden.
„Beide können wir Scotty nicht vom Hals schaffen.“ Lydia sah wieder zum Fenster hinauf. „Aber wenn wir wenigstens die da oben vorübergehend kampfunfähig machen...“ Sie nickte nachdenklich, und ihre Miene verzog sich zu einem Lächeln. „Wenn wir es schaffen, wenigstens die drei dort oben ein Weilchen auszuschalten, dann hat Scotty eine echte Chance...“
„Wie willst du das anstellen?“, fragte Jane mit weinerlicher Stimme.
„Komm.“ Lydia zog die Kleinere mit sich. Gemeinsam überquerten sie die Straße.
„Ich verstehe nicht...“ Jane hakte sich bei Lydia unter, ein Fuhrwerk hielt an und ließ sie vorbei, der Kutscher lüftete seinen Hut. „Wie willst du das anstellen ohne Waffen? Und gegen Männer, die sie besser zu bedienen wissen, als wir beide?“
„Mit den Waffen, die uns die Natur gegeben hat.“ Vor dem Hoteleingang blieb Lydia stehen. Lächelnd betrachtete sie Janes Gestalt – ihr blondes Haar, ihren großen Busen, ihr breites Becken. „Sie werden uns nicht widerstehen können...“ Sie zog Jane ins Hotel hinein.
„Du meinst...“ Allmählich begriff Jane. „Aber ich bin doch keine..., nein..., das kann ich nicht...“
„O doch. Für Scotty kannst du das tun, und für Scotty wirst du das tun. Du hast ihn schließlich in diese Scheißlage gebracht...“
*
„Vor einer Stunde haben sie Russfields Leiche gefunden.“ Ted Simmock ächzte und stöhnte, während er seinen unglaublich voluminösen Körper auf einem Mauerrest platzierte. „Überall Sternträger, am Stadtrand, am Hafen unten.“
Aus seinem Zimmer über dem Saloon war Scotty auf den Hof in die Ruinen umgezogen. Bis jetzt hatten sie Simmocks Pinte noch nicht nach ihm durchsucht. Aber Scotty rechnete stündlich damit. Ein halbwegs überdachter Raum diente ihm und Mary LaRoche als Versteck.
„Zu Pferd aus Vicksburg rauskommen?“ Simmock schüttelte seinen mächtigen Schädel, Hängebacken und Doppelkinn schwabbelten. „Und dann noch mit der Lady im Sattel? Schlag dir das aus dem Kopf, Captain.“
Captain – anders nannte er Scotty nicht. Nicht dem Menschen Scotty Walker galt im Grunde seine Hilfsbereitschaft, sondern dem ehemaligen Reiteroffizier. Außerdem kannte er LaRoche. Die meisten Leute in Vicksburg kannten ihn. Kaum einer, der ihn wirklich schätzte. Viele verachteten ihn mehr oder weniger heimlich. Und Ted Simmock hatte die Striemen auf Marys Rücken gesehen...
„Und der Hafen?“ Scottys Hoffnung hing an dem Dampfer nach Saint Louis.
„Das Schiff geht erst in drei Stunden, und sie beobachten die Straße zum Hafen und die Anlegestelle jetzt schon.“ Simmock wiegte den Kopf hin und her. „Schwierig, schwierig...“
„Also gut“, sagte Scotty. „Dann werde ich wohl tun müssen, was ich im Krieg hundert Mal getan habe: Die feindlichen Linien durchbrechen. Verkauf mir ein Gewehr, Ted.“
„Durchbrechen?“ Der fette Wirt zog eine kleine Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit aus der Jacke. „Mit der Frau hinter dir auf dem Pferderücken?“ Er setzte die Flasche an die Lippen und trank.
„Ich lasse sie hier. LaRoche will mich haben, jetzt, wo sie seinen Vorarbeiter gefunden haben sowieso. Ich bin seinen Augen der einzige, der weiß, wo Mary steckt. Also wird er das gleiche tun, wie der Marshal und der Sheriff – mich verfolgen.“
Scotty streckte den Arm aus, und Simmock drückte ihm die Flasche in die Hand. „Wenn ich meine Jäger aus Vicksburg herausgelockt habe, schaffe Mary auf einen Dampfer nach Saint Louis. Es wird dein Schaden nicht sein.“
„Und wenn sie dich abschießen, Captain?“ Wieder schüttelte der massige Mann den Schädel. „Nee, nee, Captain, so läuft das nicht. Ich hab eine bessere Idee. Ich schätze, ich weiß schon, wie ich euch zwei über den Fluss bringe.“
„Über den Mississippi? Hast du nicht selbst gesagt, dass zwei von ihnen an der Anlegestelle warten?“
„LaRoche, dieses Schwein und der Marshal, korrekt. Aber lass mich nur machen. Ich hab einen Bruder in Little Rock oben, zu dem schlagt ihr euch durch.“ Simmock kramte eine Zigarre aus seiner Jacke, steckte sie sich zwischen die Zähne und zündete sie an. Seine Stirn lag in wulstigen Falten. Scotty konnte fast sehen, wie es dahinter arbeitete. „Sie werden nur Augen für den Dampfer haben, für die Leute die an Bord gehen“, sagte der Wirt. „Und die meisten gehen schon ein oder zwei Stunden vor der Abfahrt an Bord. Das müssen wir ausnutzen, Captain. Und dann könnte die Sache folgendermaßen laufen...“
Laut spann er sich einen Plan zurecht, der Scotty überzeugte. Jedenfalls war er besser, als seine eigene mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Strategie.
Während der dicke Simmock eine halbe Stunde später zwei Gäule vor seinen Planwagen spannte und ihn mit leeren Fässern und einer Menge Gerümpel belud, ging Scotty zu Mary. Unter dem improvisierten Dach ihres Ruinenzimmers lag sie in Decken gewickelt auf einem der beiden Strohsäcke und schlief.
Die Mittagssonne schien durch Mauerlücken und Holzfugen, und ein Lichtstrahl lag auf Marys Haar. Wie Kupfer glänzte es in seinem Schein. Scotty betrachtete ihr Gesicht. Wie schön sie war!
Die halbe Nacht hatten sie geredet. Sie wusste, dass er aus dem Knast von Jackson geflohen und sie hinter ihm her waren. Und er wusste, dass eine Kugel ihr ein paar Tage lang der einzige Weg aus der Hölle zu sein schien.
Stundenlang hatte sie von ihrer Ehe erzählt. Von ihrem Vater, der sie aus finanziellen Gründen gezwungen hatte, den reichen Plantagenbesitzer und Pferdezüchter zu heiraten. Von ihrer unfreiwilligen Abtreibung und der folgenden Kinderlosigkeit. Und natürlich von LaRoche – von Prügel und Demütigung, von Verzweiflung und Angst.
Scotty war der erste Mensch, dem sie sich anvertraute. Er verabscheute LaRoche. Und während er die Schlafende betrachtete, machte er sich klar, dass er sie liebte.
Plötzlich schlug Mary die Augen auf und sah ihn an. „Was denkst du, Scotty?“
„Gestern um die Zeit kannte ich dich noch nicht“, sagte Scotty. „Und jetzt sitzen wir in einem Boot.“
„Ich bin froh darüber.“
„Ich auch.“
„Was ist los mit euch?“, tönte Simmock vom Hof her. „Das Schiff geht in zwei Stunden!“
Mary fuhr hoch. „Das Schiff?“
„Komm“, sagte Scotty. „Es ist Zeit zu gehen.“
„Ich habe Angst, Scotty. Werden wir es schaffen?“
„Ich weiß es nicht...“
*
Lydia und Jane betraten das Hotelzimmer der Männer ohne zu klopfen. Weder der Sheriff noch seine Assistenten Ringo und Jimmy scherten sich drum. Allerdings entspannten sich Jack Whitneys Züge etwas, als er die Whiskyflaschen in den Händen der Frauen sah. „Ihr wollt schon auf den Sieg anstoßen?“
„Auf das Ende der Jagd.“ Lydia drückte ihm eine Flasche in die Hand, während Jane Gläser an Ringo und Jimmy verteilte und ihnen einschenkte.
Jack Whitney, der Sheriff von Jackson, setzte die Flasche an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck. „Das Ende der Jagd?“ Er seufzte und wischte sich die Lippen mit dem Handrücken ab. „Hat der Town-Marschal den Mistkerl erwischt?
„Blödsinn!“, sagte Lydia. „Niemand wird Scotty erwischen! Er hat Vicksburg längst verlassen! Die Jagd ist zu Ende, ihr verschwendet eure Zeit.“
„Werden wir ja sehen.“ Der Sheriff grunzte unfreundlich, nahm den nächsten Schluck und stierte weiter auf die Straße hinunter. Die Whisky-Flasche behielt er in der Hand.
Unten auf der Straße bewegten sich Fußgänger und Gespanne stadteinwärts. Etwa sechzig Reisende aus Memphis, Saint Louis und Kansas City waren unten im Hafen von Bord des Flussdampfers gegangen.
Doch die interessierten den Sheriff nicht. Er beobachtete nur die Leute, die Richtung Anlegestelle liefen, fuhren oder ritten. Der Dampfer würde erst am Nachmittag ablegen, aber die neuen Passagiere fanden sich gewöhnlich lange vorher schon am Hafen ein. Die meisten erfahrungsgemäß in der Stunde zwischen halbeins und halbzwei.
„Sie hat Recht, Jack“, sagte Ringo Carter, ein schwarzhaariger Lockenkopf mit schmalem Gesicht und Stoppelbart. Mit seinen knapp fünfundzwanzig Jahren war er der jüngste im Raum. „So blöd kann Walker gar nicht sein, dass er dieses Schiff nimmt.“
„Sogar du würdest dir ausrechnen, wer da auf dich wartet, was Ringo?“, grinste Jimmy.
Jimmy McEwen war ein langer dünner Kerl in schwarzem Frack und gestreiften Hosen. Er arbeitete bei der Bank von Jackson. Angegraut und kahl sah er noch ein paar Jahre älter als der Sheriff aus.
„Was willst du damit sagen, Jimmy.“ Ringo setzte dem anderen den Gewehrlauf auf die Brust.
„Gar nichts Bestimmtes, wirklich Ringo.“ Jimmy McEwen verschüttete vor Schreck seinen Whisky.
„Schluss jetzt!“, blaffte der Sheriff. „Guckt gefälligst auf die Straße!“
„Mach dir doch nichts vor, Jack.“ Lydia ging zu Jane und begann deren Kleid aufzuknöpfen. „Scotty ist über alle Berge. Da unten gibt’s nichts zu sehen. Schau lieber hierher.“ Sie streifte Jane den Stoff über die Schultern, schälte ihre Arme und ihren Oberkörper aus dem schwarzen Stück. Danach öffnete sie Haken um Haken ihres Mieders, bis Janes füllige Brüste herausfielen.
Ringo ließ Gewehr und Unterkiefer sinken, Jimmy schluckte und schluckte, und schließlich rutschte ihm das Whiskyglas aus den Fingern und knallte auf den Holzboden.
„Weiber...“ Jack Whitney, der Sheriff, stierte verbissen auf die Straße hinunter. „Gestern wolltest du noch wetten, dass Walker den Dampfer nach Saint Louis nimmt.“ Weder das Rascheln des Stoffs noch das Gepolter des Whiskyglases konnten ihn veranlassen, seinen Blick von den Passanten ein Stockwerk unter ihm zu wenden.
„Ich habe es mir halt noch einmal überlegt.“ Lydia stellte sich hinter Jane, fasste von hinten nach ihren Brüsten und hob sie und wog sie wie reife Melonen, die sie zum Kauf anbieten wollte. „Scotty ist Soldat. Er hat den Hafen ausspioniert und weiß, dass ihr ihn hier erwartet. Willst du mal was Schönes sehen, Jack?“
„Ich will Scotty Walker sehen, zum Teufel“, knurrte der Sheriff. „Ihn und sonst nichts.“
„Bist du ganz sicher, Jack?“ Ringos Stimme klang ziemlich belegt. „Dreh dich mal eben um, und dann denk noch einmal nach.“
„Wassis?“ Missmutig blinzelte der Sheriff über die Schulter hinter sich. Er sperrte Mund und Augen auf und starrte die wundervollen Brüste von Jane Robbins an. „Teufel auch...“ Jane versuchte zu lächeln, sie war ein bisschen verlegen, aber irgendwie reizte das Spielchen sie auch.
„Teufel auch...“ Jetzt fing auch Jack Whitney an zu schlucken. „Was soll das, Mrs. Robbins?“
„Sei nicht so verkrampft, Jacky“, sagte Lydia. „Es ist vorbei, Scotty ist weg – komm zu mir und hilf mir aus dem Kleid.“ Sie ließ Janes Brüste los, drehte sich um und löste den Knopf über ihrem Steiß, den untersten.
„Bist du übergeschnappt...?“ Der Sheriff wandte den Kopf hin und her, mal zur Straße, mal zu den beiden Frauen. „Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, Lydia...!“ Er klang nicht besonders entscheidungsfreudig. Der Flaschenhals wanderte zu seine Lippen, und er trank ohne sich dessen richtig bewusst zu sein.
„Ich helfe Ihnen gern, Miss Lydia!“ Ringo lehnte sein Gewehr an die Wand. Zwei lange Schritte, und er stand hinter Lydia. Sie wiegte ihr Becken hin und her. Jane dagegen hatte die Arme vor ihren Brüsten verschränkt. Ein bisschen wie eine verschämte Quäkersfrau, die beim Waschen überrascht wurde, wirkte sie. Und tatsächlich schämte sie sich, aber nicht sehr.
Ringos Finger flogen über die Knopfleiste, so schnell hatte Lydia noch keiner aus dem Kleid geholfen. Und Jimmy schien noch immer irgendetwas im Hals zu hängen, das er hinunter zu schlucken versuchte. Vergeblich offenbar, denn er öffnete den obersten Knopf seines Hemdkragens und schnappte nach Luft. Richtig blass war er plötzlich.
Lydia stieg aus ihrem Kleid. Der junge Lockenkopf ging vor ihr in die Knie, streichelte ihren Rücken und – erst zögernd, dann begehrlicher – ihr Gesäß und ihre Schenkel.“
„Pfoten weg!“ Der Sheriff drohte mit der Faust, machte einen Schritt vom Fenster weg in den Raum hinein. Doch sofort wandte er sich zum Fenster zurück, blickte nach unten, blickte zu der halbnackten Lydia und dem Mann zu ihren Füßen, und dann doch wieder zur Straße hinunter.
Ringo sprang auf, ging zu Jane, fasste ihre Arme und bog sie von den Brüsten weg. Jane ließ es geschehen, lächelte sogar ein wenig. Das Spiel gefiel ihr immer besser.
„Pfoten weg!“ Diesmal stürmte der Sheriff zu Ringo und stieß ihn zur Seite. Statt zum Fenster zurück zu kehren blieb er vor der kleinen Jane stehen. Ihr Busen fesselte seinen Blick, Lydia nahm ihm die Whiskyflasche ab. „Was nun, Jack?“, sagte sie. „Darf er mich nicht anfassen, oder sie?“
„Keine darf er anfassen“, flüsterte der Sheriff.
„Du musst dich schon entscheiden, Jacky.“ Lydia fasste Ringos Hand und führte ihn zum Bett. Jane schmiegte sich an den Sheriff und schnurrte wie eine Katze. Jack Whitney streichelte ihr Blondhaar, äugte aber ständig zu dem anderen Paar. Ringos Revolvergurt krachte auf die Holzdielen, er küsste Lydias Schultern und Arme, während sie seinen Hosengurt löste.
Der Sheriff schob Jane von sich, wollte zum Bett laufen, machte nach einem Schritt kehrt, rannte an Jane vorbei zum Fenster und nach einem kurzen Blick hinunter auf die Straße sofort wieder zu der kleinen, molligen Jane. Die stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre vollen Lippen auf seinen Mund.
Jimmy McEwen hatte sichtlich Mühe, das alles zu glauben. Augen und Mund weit aufgerissen drückte er sich gegen die Wand neben dem Fenster, stierte von einem Paar zum anderen, und kam sich vermutlich vor wie im feuchtesten seiner Tagträume.
Ringo stand inzwischen ohne Hosen da. Mit wippendem Schwanz lief er von einer Seite des Bettes auf die andere, immer hin und her, denn Lydia, nackt bis auf ihr Höschen, sprang mal von der linken, mal von der rechten Bettkante. „Fang mich doch“, kicherte sie, „los, fang mich...“. Als Ringo sie fast erwischte, warf sie sich auf das Bett, wickelte sich in die Bettdecke ein und hielt die Enden fest. Den Lockenkopf erregte das bis zum Anschlag: Er kniete auf dem Bett, zerrte an der Decke, versuchte sie zu küssen.
„Untersteh dich!“, rief der Sheriff, machte Anstalten sich aus Janes Umarmung zu lösen und auf Ringo loszugehen, doch Jane saugte sich an seinen Lippen fest, verschlang ihn schier, drückte gleichzeitig seine Hände gegen ihren Busen. Das Interesse des Sheriffs für das, was sich auf dem Bett abspielte, ließ sofort nach.
Jimmy McEwen stand stocksteif an der Wand. An den Hosennähten rieb er seine gespreizten Hände. Irgendwie war das alles zuviel für ihn. Als Jane den Sheriff schließlich nach hinten drückte und der schwere Mann unsanft auf dem Rücken aufschlug, zuckte er zusammen.
Die blonde Jane rutschte auf Whitneys Oberschenkel und öffnete ihm die Hose. Ihre Oberkörper war jetzt nackt, ihre dicken Brüste pendelten und wippten, dass es eine Freude war, das Oberteil ihres Kleides hing ihr über die Hüften.
Richtig in Fahrt geriet sie, das Spiel schien sie jetzt geradezu zu berauschen. Während Lydia auf dem Bett noch immer kichernd ihre Decke verteidigte, und Ringo nicht wusste wohin mit seiner Geilheit, griff die kleine, mollige Frau schon in des Sheriffs geheimste Kammern und holte einen Schlegel heraus, dessen Ausmaße es ihr offensichtlich antaten: Erst quiekte sie vor Entzücken, dann stöhnte sie vor Vorfreude. Sie begann das gute, pochende Stück nach allen Regeln der Kunst zu massieren.
Und Jimmy McEwen am Fenster bekreuzigte sich.
Der Sheriff vergaß das Hasch-mich-Spiel auf dem Bett vollständig – vorläufig jedenfalls. Alle Viere streckte er von sich. Jane bearbeitete seinen Schwanz mit ihren fleischigen Fingerchen, rutschte auf seinen Schenkeln hin und her, und verstand es dabei noch, sich endgültig von ihrem Kleid zu befreien.
Mit der Rechten griff sie sich in den Schritt, zog ihren Schlüpfer vom Schenkel weg, steckte Whitneys Schwanz in die Öffnung. Sie rieb ihn gegen ihre noch verschlossenen Schamlippen.
Das war selbst für den vom Whisky halb betäubten Sheriff zu aufregend. „Du..., du...“, stammelte er. Er fasste sie an den Armen und zog sie ganz auf sich. „Du..., du...“ Der Stoff ihres Höschens zerriss zwischen seinen gierigen Fingern. „Du..., du..., du Luder!“ Und schon steckte sein Schwanz dort, wo er schon am Abend zuvor gesteckt hätte, wenn er nicht so ein anständiger Mann gewesen wäre: Tief in Janes Möse.
McEwen verschloss sich den offenen Mund mit der Linken, seine Rechte steckte schon halb in seiner Hose. Sein Blick irrte – unentschlossen oder immer noch ungläubig? – von dem Paar auf dem Boden zu dem Paar auf dem Bett.
Dort hockte Ringo inzwischen mit gespreizten Schenkeln über der noch immer eingewickelten Lydia und versuchte ihr seinen Schwanz in den Mund zu stecken. Sie ließ es sich gefallen – aber nur zum Schein. Blitzartig schnappte sie zu – nicht fest, aber fest genug, um den armen Ringo aufheulen zu hören. Er warf sich zur Seite, rutschte aus dem Bett. Lydia warf die Decke über ihn, ließ sich auf ihn herunterfallen und versuchte nun ihn in die Decke einzuwickeln.
Jeden Stoß des Sheriffs quittierte die mollige Jane mit mädchenhaftem Quieken. Dabei massierte sie sich ihre dicken Brüste. Whitney hielt sie an den Schenkeln fest und konnte sich nicht satt stoßen.
McEwen, am Fenster, hatte sich nun entschieden, welcher Show er seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen wollte. Er zernagte sich die Unterlippe, nickte im selben Rhythmus, wie der Sheriff das nackte Weib stieß, und seine Rechte traute sich endlich tiefer in die Hose hinein.
Der Sheriff war nicht mehr der Jüngste. Noch nicht einmal den halben Weg zum Gipfel hatte er zurückgelegt, als Jane sich laut stöhnend über aufbäumte. „O Gott, o Gott“, seufzte sie. „O Gott, o Gott...“ Außerdem wurde es ihm langsam zu unbequem auf dem Boden. Er richtete sich auf, umarmte die kleine Jane und hob sie hoch. „Was tust du, mein großer, starker Sheriff?“, hauchte sie. „Was hast du vor?“
Hosen und Waffengurt zwischen Knöcheln mit sich schleifend trug er sie zum Bett. „Noch mehr...?“, staunte Jane. Sie sah das gewaltige Ding ihres unverhofften Liebhabers seinen dicken, roten Kopf zur Decke strecken. „O ja“, hauchte sie. „O ja, noch mehr...“
Jimmy McEwen hatte sein rhythmisches Kopfnicken unterbrochen. Genau wie Jane harrte er der Dinge, die da kommen würden. Seine Rechte in seiner Hose hatte sich zur Faust geballt.
Und neben dem Bett klemmte Lydia mit Armen und Schenkeln die Decke um Ringo fest.
Jack Whitney strampelte Hosen und Waffengurt von den Füßen und stieg aus seinen Stiefeln. Jane lag mit gespreizten Schenkeln auf dem Bett, die Arme nach ihm ausgestreckt. Whitney war kein Freund von Experimenten und zudem nicht mehr der Gelenkigste. Er nahm sie, wie sie sich ihm anbot: Legte seine zweihundert Pfund auf ihr ab, schob seine Hand unter ihr köstliches, weiches Gesäß und steckte ihn wieder dort hinein, wo er hingehörte. Und dann scheuerte er auf ihr hin und her.
So viel Mann auf einmal hatte Jane noch nie gehabt, weder in sich noch auf sich. Sie quittierte es mit einem Lustgeschrei, dass man bei offenem Fenster bis zum Hafen hinunter gehört hätte. Doch die Fenster waren geschlossen, und so blieben nur einige Passanten auf der Straße stehen und sahen halb empört, halb erfreut zu den Fenstern des „Oak Cottages“ hinauf.
Der einzige, der es hätte sehen können, wusste längst nicht mehr, warum er eigentlich am Fenster stand. McEwan nickte wieder, und zwar im Rhythmus von Whitneys Körperbewegungen. Und die Hand in seiner Hose, noch immer zur Faust geballt, fiel von ganz allein in denselben Rhythmus.
Der Sheriff arbeitete wie ein Ackergaul. Er stöhnte, er schwitzte, seine Hände griffen nach jedem Quadratzentimeter Haut, den er von Janes Körper erwischen konnte: Schenkel, Hintern, Brüste, Hüften – als wüsste er nicht, wo er sie festhalten sollte. Sie kam schon wieder, und plötzlich schien der Sheriff zu erstarren – er riss den Mund auf und bog den Schädel in den Nacken. Sekundenlang verharrte er so, ohne sich zu rühren, ohne zu atmen.
Jane sah ihn erschrocken an. Neben dem Bett befreite Ringo sich endlich von der Decke. „Mein Sheriff? Mein starker Sheriff!“ Janes Stimme klang jetzt ein wenig ängstlich. „Was ist mit dir?“ Und endlich seufzte Jack Whitney tief und röchelnd. „Oooh...!“ Er erschlaffte und sackte über Jane zusammen.
Auch McEwan stand nun vollkommen reglos. Seine Miene aber wirkte ganz und gar nicht ekstatisch, wie die des Sheriffs, eher enttäuscht sah er aus.
Als der Sheriff die Augen aufschlug, spürte er Janes sich windenden Körper unter sich, und direkt vor sich entdeckte er Lydias grinsendes Gesicht. Ringo hatte es geschafft, sie bäuchlings aufs Bett zu werfen. Nun kniete er hinter ihr und versuchte in sie einzudringen.
Das war gar nicht so einfach, denn Lydia wackelte dermaßen mit dem Hintern, das an vernünftiges Zielen überhaupt nicht zu denken war. Ringo versuchte es dennoch, natürlich, versuchte es wieder und wieder – der tanzende Hintern vor seinen Augen machte ihn rasend. So konzentriert war er bei der Sache, dass ihm der finstere Blick des Sheriffs vollkommen entging.
„Pfoten weg!“, brüllte Jack Whitney plötzlich. Schweißgebadet war er und erschöpft. Dennoch sprang er auf, packte Ringo, riss ihn über Lydias Rücken hinweg zu sich und warf ihn vom Bett.
„Spielverderber“, jammerte Lydia. „Tu ihm bloß nicht weh!“
Whitney Gelenke knackten, als er vom Bett stieg. Breitbeinig und nackt von Hintern bis Zehenspitzen stelzte er zu Ringo. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst die Pfoten von ihr lassen?!“
„Bitte, Jack, nicht...!“ Eine Zornesfalte grub sich zwischen Lydias Brauen. Sie wollte aufstehen und Ringo zur Hilfe eilen, doch plötzlich hielt sie den Atem an und riss ihren schönen Mund auf: Etwas sehr Hartes und sehr Heißes war in ihren Schoß gerutscht. Es bewegte sich hin und her, stieß sie, rieb sie von innen, so kräftig und herrlich, dass sich ihr Becken unwillkürlich den Bewegungen anpasste.
Sie spürte einen festen Griff an ihrer Taille. Vergessen Ringo und Jack, vergessen die Flüche des Sheriffs, das Geräusch von Fausthieben und das Jammern von Ringo. Lydia überließ sich unerwarteter Wolllust.
Sie hob den Kopf, sah über die Schultern hinter sich. Und wer stand dort? Wer hielt sie fest und stieß ihr den Schwanz in den Schoß? McEwan mit heruntergelassenen Hosen, geschlossenen Augen und ekstatisch verklärtem Gesichtsausdruck...
*
Menschen stiegen von den Kutschen, fielen irgendjemandem aus der Menge der von Bord Gegangenen um den Hals, oder schüttelten Hände, die sich ihnen entgegenstreckten, oder packten wortlos einen Koffer, eine Tasche, einen Rucksack, den ein Reisender ihnen reichte, und verstauten das Gepäck im Wagen. Ein Gespann nach dem anderen rollte die Straße hinauf stadteinwärts.
Als die letzten Passagiere den Flussdampfer verlassen hatten, stand LaRoches Gespann allein neben der Anlegestelle. Zwischen den Proviantkisten am Kai sah er den Town-Marshal winken. LaRoche verstand das Zeichen: Er sollte sich einen anderen Standort suchen.
Klar, so allein in einer einzelnen Kutsche – Mary würde ihn erkennen, noch bevor sie die Deckung der letzten Häuser verlassen hatte. Und dieser Mistkerl auch; falls er wirklich bei ihr war.
LaRoche konnte sich nicht recht vorstellen, dass seine Frau innerhalb weniger Stunden einen Mann kennen gelernt haben sollte. Ein Fremder, der ihr bei der Flucht aus ihrer Ehe half? Nein, LaRoche fiel es schwer, das zu glauben.
Andererseits: Sie hatten Curd Russfield gefunden. Tot. Mary erschießt Russfield? Mary erschießt irgendjemanden? Ausgeschlossen! Der Fremde hatte seinen Vorarbeiter auf dem Gewissen, der Mistkerl, mit dem er sich im Hotel verabredet hatte.
„Hü!“ LaRoche ließ die Zügelriemen über die Rücken der Pferde peitschen, die Tiere zogen die Kutsche an. Der Rancher steuerte sie durch die Menschenmenge vor dem Anlegesteg. Er wollte das Gespann ein Stück hinter dem Proviantstapel bei einer Lagerhalle abstellen und sich dann zu Johnstone, dem Town-Marshal gesellen.
Ein alter Planwagen kam ihm entgegen – die Plane hundertfach geflickt, die Zügelleinen mit Knoten zusammen gehalten, das Holz grau und abgewetzt, und die beiden Gäule sahen aus, als hätte ihr Besitzer sie von der Notschlachtung freigekauft.
Der Kutschbock bog sich unter dem Gewicht des fetten Wagenlenkers, ein Einäugiger. LaRoche erinnerte sich plötzlich seines Namens: Simmock, Ted Simmock.
Vor Ausbruch es Bürgerkrieges war er manchmal in seinem Saloon im Süden von Vicksburg abgestiegen. Ein versoffener Bursche, der die Gäste mit schlechtem Essen, kleinen Betrügereien und Jähzornanfällen in die Flucht geschlagen hatte. Seit seine Frau ihm weggelaufen war, ging es nur noch bergab, wie LaRoche gehört hatte. Nun, nur ein Dummkopf ließ seine Frau ziehen.
Der fette Simmock schien ihn nicht wieder zu erkennen. Starr geradeaus stierte sein verbliebenes Augen, als sein Planwagen LaRoches Karosse passierte. Wahrscheinlich begann der Whisky schon, sein Gedächtnis zu zerfressen.
Der Wagen rollte vorbei, LaRoche blickte zurück. Die Plane vor der hinteren Öffnung des Wagens schaukelte hin und her. LaRoche sah Fässer, Decken und Felle auf der Ladefläche. Wahrscheinlich brachte der fette Simmock Ware zum Flussdampfer. Oder er holte eine Lieferung Bier und Whisky ab.
LaRoche lenkte sein Gespann am Proviantstapel vorbei. Mitten in den Ballen und Kisten hockte der Town-Marshal und spähte nach den Passagieren vor dem Anlegesteg. Er nickte LaRoche zu.
Der stellte seine Kutsche vor der Lagerhalle ab und band die Pferde an einem Holzgeländer fest. Ein paar Minuten später lehnte er neben Johnstone gegen einen Kistenstapel. „Und?“
„Nichts“, sagte der Marshal.
LaRoche knirschte mit den Zähnen. „Vielleicht haben sie die Stadt längst verlassen.“
„Möglich.“ Der Marshal zuckte mit den Schultern. „Ich schätze eher, dass Walker sich einen Trick einfallen lässt. Der Kerl ist mit allen Wassern gewaschen.“
Wut brodelte tief in LaRoches Brust. Bilder, die sie anfachten, blitzten ihm durchs Hirn: Mary lachend und zu Pferd neben diesem Verführer; Mary nackt mit ihm im Bett. Er ballte die Fäuste und fantasierte sich Bilder zurecht, die seine Wut ein wenig dämpften: Mary auf seinem Bett mit nacktem Rücken, und er mit dem Gürtel über ihr...
Plötzlich fiel ihm auf, dass er den Planwagen nirgends mehr sah. Wenn er Ware abliefern oder abholen wollte, musste Simmock doch irgendwo in der Nähe des Flussdampfers stehen? Tat er aber nicht.
„Wo ist Ted Simmock hingefahren?“
Der Town-Marshal runzelte die Stirn. „Simmock?“
„Der alte Planwagen. Simmock saß auf dem Kutschbock...!“ LaRoches Wut verflog. Stattdessen nahm einen Idee in seinem Hirn Gestalt an. Vage zunächst, aber sie elektrisierte ihn.
„Am Schiff vorbei und flussaufwärts“, sagte Johnstone.
Flussaufwärts gab es meilenweit nur Baumwollplantagen am Ufer, das wusste LaRoche, denn ein Teil seiner eigenen Plantagen lag dort.
„Er hat dort ein Bootshaus, soviel ich weiß...“ Der Marshal sah LaRoche an, seine Lider verengten sich.
Der Kerl ist mit allen Wassern gewaschen..., er lässt sich einen Trick einfallen...
Auf einmal fiel der Groschen, und zwar bei beiden Männern gleichzeitig. Sie sprangen auf und rannte aus ihrer Deckung. „Wir nehmen meine Kutsche!“, rief LaRoche.
*
„Brr!“, hörte Scotty den fetten Simmock rufen. Das Geschaukel und Geknarre hörte auf. Dann das Ächzen und Stöhnen des Wirts, als er vom Kutschbock kletterte. „Die Luft ist rein!“, knurrte er. „Runter vom Wagen mit euch!“
Scotty und Mary hatten sich zwischen leeren Fässern und Kisten unter einem alten Bärenfell dicht aneinander gekuschelt. Eine glückliche halbe Stunde lag hinter ihnen. Mary genoss zum ersten Mal die starken Arme eines Mannes, der ihr nicht wehtun, der sie einfach nur festhalten und beschützen wollte. Und Scotty spürte die Wärme ihres Körpers auf seiner Haut. Einer Frau nah zu sein, die er liebte und begehrte – wie lange hatte er das nicht mehr erlebt?
Er schlug das Fell zur Seite. Sie standen auf und kletterten über Fässer und Gerümpel auf den Kutschbock und dann auf den Uferweg. Der Strom gurgelte an Bootshäusern auf Pfählen und an Anlegestellen vorbei. Ruderboote lagen am Ufer.
Eine feuchtwarme Brise wehte von Süden her. Schilf bog sich am Ufer im Wind, im Norden, hinter Weiden, Eichen und Birken das weiße Meer von Baumwollfeldern. Scotty blickte an andere Ufer hinüber. Fast eine Meile breit war der Mississippi an dieser Stelle.
Ted Simmock half ihnen ihre Sachen auf seinem Ruderboot zu verstauen: Zwei Kleiderbündel, ein bisschen Proviant, und das war es auch schon. „Ich mach, dass ich hier wegkomme. Und das Gleiche rate ich euch auch.“ Er blickte sich um. „Am Besten verstecke ich mich mit dem Wagen eine Zeitlang in den Plantagen.“
Mary und Scotty drückten ihm die Hand. „Danke“, sagte Scotty. „Irgendwann revanchiere ich mich.“
Der Wirt winkte ab. „Hast mir doch dein Pferd überlassen.“ Er deutete über den Strom nach Südwesten. Die Ranch eines Neffen von ihm lag dort. „Ihr werdet lange genug zu kämpfen haben, bis ihr das andere Ufer erreicht habt. „Tonys Ranch liegt nur eine halbe Stunde entfernt Richtung Monroe. Vielleicht verkauft er euch zwei Pferde. Und dann ab nach Little Rock. Bei meinem Bruder könnt ihr sicher eine Zeitlang untertauchen, Herbie ist ein feiner Kerl. Nicht so ein Saufkopf wie ich...“
Er zog ein zusammengefaltetes Kuvert aus der Hose. „Zeig ihnen den Brief von mir, dann werden sie euch helfen.“ Er kletterte auf den Kutschbock zurück und lenkte den Wagen vom Ufer weg über einen holprigen Weg nach Nordwesten.
Scotty schob das Boot ins Wasser, setzte sich auf die Ruderbank und griff nach den Ruderstangen. Er steuerte den Kahn schräg gegen die Strömung um nicht von ihr bis zur Höhe der Anlegestelle zurück getrieben zu werden. Mächtig ins Zeug legte er sich, und es blieb ihm auch gar nichts anderes übrig.
Mary kniete am Heck des Ruderboots und blickte ans Ufer zurück. Einerseits war sie froh Vicksburg hinter sich zu lassen, und mit der Stadt den Mann, der sie über so viele Jahre geknechtet und gequält hatte. Andererseits rückte nun der Ort ihres Unglücks wieder näher: Vom anderen Ufer aus waren es nur knapp vierzig Meilen bis zur LaRoche-Ranch.
Noch vor Scotty sah sie die Kutsche. Ihr Rücken versteifte sich, sie schlug die Hände vor den Mund. „Dein Mann?“ Mary nickte ohne sich umzudrehen.
Sie hatten inzwischen die Mitte des Stroms erreicht. Eine halbe Meile fast trennten sie von der Kutsche und den Bootshäusern. Trotzdem konnte Scotty sehen, dass zwei Männer auf dem Kutschbock saßen. Vielleicht irgendein Hilfssheriff, oder einer von LaRoches Arbeitern. Mit aller Kraft ruderte Scotty nun.
Scottys Blick fiel auf die Satteltaschen. Der Kolben eines Sattelkarabiners ragte aus ihr, eine .44er Winchester. Ein sehr gutes Gewehr, er hatte es Ted Simmock abgekauft.
Eine halbe Meile, überlegte er, für einen sehr guten Schützen mit einem sehr guten Gewehr war selbst auf diese Distanz noch ein Treffer möglich; wenn auch nur mit ein bisschen Glück. „Leg dich flach auf die Planken“, keuchte er...
*
„Sie ist es! Sie ist es!“ LaRoche stampfte in den weichen Uferboden, ballte die Fäuste und schrie. „Miststück, verdammtes! Dafür wirst du bezahlen, bluten wirst du, bluten und schreien...!“
So außer sich war er, dass er den befremdeten Blick des Town-Marshals nicht bemerkte. „Zur Hölle mit euch!“, brüllte LaRoche. Er zog seinen Revolver und schoss hinter dem Ruderboot her.
Johnstone legte ihm die Hand auf die Schulter. „Lass das, LaRoche. Auf diese Entfernung triffst du mit dem Revolver selbst ein Pferd nur durch Zufall.“
Mit Mühe konnte man jetzt nur noch die Umrisse eines Menschen im Ruderboot erkennen. „Schlampe! Miststück!“ LaRoche konnte sich nicht beruhigen. Sogar ins Wasser stieg er, und schoss, bis die Trommel leer war.
Bald verschwamm das kleine Boot mit den grünbraunen Fluten des Mississippis. LaRoche stapfte aus dem Wasser. Als wäre der Marshal Luft, lief er an ihm vorbei und kletterte auf den Kutschbock. „Los, Johnstone! Komm schon! Wir trommeln deine und meine Leute zusammen, und dann zur Fähre und nichts wie hinterher.“
Der Marshal von Vickburg hatte es nicht eilig. Er musterte LaRoche, wie man ein Pferd auf dem Markt musterte, wenn man den Eindruck hat, das sein Preis zu hoch ist. „Da drüben, LaRoche, liegt Louisiana. Was geht mich Louisiana an? Ich werde nach Monroe telegraphieren. Sollen die sich um Scotty Walker kümmern.“
„Und meine Frau?!“ LaRoche stand vom Kutschbock auf. Mit seiner Selbstbeherrschung war er längst am Ende. Er schrie den Marshal an. „Was ist mit meiner Frau, he?!“
„Dein Problem...“
*
Am späten Nachmittag erreichten sie die kleine Ranch: Eine Ansammlung von flachen Steinbauten und Pferdekoppeln inmitten von Weideland. Unter dem Tor blieben sie stehen und blickten zum hölzernen Bogen hinauf. Anthony Simmock stand dort. „Hoffentlich verkauft er uns zwei Pferde“, sagte Mary.
„Lassen wir uns überraschen.“ Scotty schulterte Satteltaschen und Kleiderbündel. Seite an Seite betraten sie den Ranchhof. Männer in Lederchaps und weiten, roten Flanellhemden traten aus Stallungen und Werkzeugschuppen und sahen ihnen neugierig entgegen. Die Tür zum Haupthaus öffnete sich, ein beleibter Mann trat auf die Veranda, hinter ihm steckten eine Frau und zwei kleine Kinder die Köpfe zur Tür hinaus.
„Anthony Simmock?“, rief Scotty ihm entgegen. Die Neigung zum Übergewicht schien in der Familie zu liegen. Der Mann nickte. Scotty ließ das Gepäck auf den Boden sinken und stieg die drei Stufen zu ihm hinauf. „Ihr Onkel schickt uns, wir brauchen zwei Pferde.“ Er reichte dem Neffen von Ted Simmock den Brief.
Der riss ihn auf und las. Dabei nickte er wie zustimmend, und einmal lächelte er sogar. „Captain Walker?“ Er streckte Scotty die Hand entgegen. „Nenn mich Tony. Ted droht mir, mich zu enterben, wenn ich dir keine Pferde verkaufe.“ Der junge Simmock grinste. „Du glaubst gar nicht wie scharf ich auf seinen Trümmerhaufen bin.“ Er winkte Mary. „Kommen Sie, Ma’am! Stärken Sie sich erst einmal!“
Es gab Kaffee und Bohnensuppe mit geräuchertem Rindfleisch. Scotty brannte der Stuhl unter dem Hintern, aber er wollte nicht unhöflich sein; und auch keinen Verdacht erregen. Vermutlich hatte Ted Simmock nichts davon geschrieben, dass der Sheriff von Jackson und der Town-Marshal von Vicksburg hinter ihm her waren.
Nach dem Essen ging Tony Simmocks mit ihm auf die Koppel. „Such dir zwei aus, Captain.“ Er deutete auf eine kleine Pferdeherde. „Kennst dich ja aus mit Gäulen.“
Scotty liebäugelte zunächst mit einem feingliedrigen Rappen und einem jungen Schimmel. Doch dann machte er sich klar, dass Little Rock gut zweihundertfünfzig Meilen entfernt war. Ganz zu schweigen von den Tausenden von Meilen, die ihn noch von Oregon trennten. Die Pferde, die er brauchte, mussten keine Rennen gewinnen, sie mussten zäh sein und einen langen Atem haben. Also entschied er sich für zwei schwere Apfelschimmel.
Mary bezahlte die Tiere. Am frühen Morgen hatte sie den versoffenen Wirt mit einen Scheck über sechshundert Dollar zur Bank geschickt. Das Geld war ohne Beanstandung ausgezahlt worden. Mary fand, dass es ihr zustand.
Der junge Simmock verkaufte ihnen ein paar Decken und Munition. Er und seine Familie standen auf der Veranda, als Scotty und Mary gegen Abend aufbrachen. Die Kinder und die Frau winkten. Das Paar ritt nach Nordwesten, in den Sonnenuntergang hinein. In drei Tagen hoffte Scotty den Lauf des Arkansas zu erreichen. Von dort aus war es nicht mehr weit bis nach Little Rock.
*
Im Office des Town-Marshalls hockten sie auf Bänken, dem Schreibtisch und den wenigen Stühlen: Sheriff Whitney und seine Assistenten, die beiden Frauen und Marshal Johnstone. Seine Hilfssheriffs hatte Johnstone nach Hause geschickt. Alister LaRoche tigerte im Raum hin und her. Vor den Fenstern wurde es dunkel.
„Er hat Curd Russfield erschossen! Und ihr lasst ihn einfach laufen!“ LaRoche glühte vor Zorn. „Ich werde mich beim Richter von Mississippi über dich beschweren, Johnstone! Du bist deinen Job los...!“
„Ich hab nach Monroe telefoniert. Walker ist Sache der Behörden von Louisiana.“ Der Town-Marshal blieb äußerlich ganz ruhig. „Und was Russfield betrifft – hast du ihn nicht als Wachhund für deine Frau abgestellt? Wer sagt dir denn, dass nicht sie ihn erschossen hat. Oder wozu musste sie sich einen fabrikneuen Remington kaufen?“
LaRoches Gesicht verwandelte sich in eine Maske, hart und undurchdringlich sah es auf einmal aus. Er unterbrach seine unruhige Wanderung durch das Office, lief mit zwei großen Schritten zum Schreibtisch des Marshalls und beugte sich über ihn. „Was fällt dir ein, Johnstone?“ Gefährlich leise sprach er. „Wie redest du mit mir? Weißt du nicht, wen du vor dir hast?“
Johnstone musterte ihn eine Zeitlang schweigend. Dann sagte er seelenruhig: „Unten am Fluss, als ich dich fluchen hörte, ahnte ich, wen ich vor mir habe. Seit ich mit Dr. Collins gesprochen habe, weiß ich es.“ LaRoche zuckte zurück. „Aber ich hätte mit jedem X-beliebigen sprechen können, der dich auch nur ein bisschen kennt, LaRoche. Bildest du dir ein, hier in Vicksburg wüsste man nicht, dass jeder alte Gaul auf deiner Ranch es besser hat, als deine Frau?“
Bleierne Stille plötzlich im Office. Alle Augen hingen an LaRoche. Nervös blickte er von einem zum anderen. Endlich fuhr er auf Absätzen herum, marschierte zur Tür und verschwand in der Dunkelheit.
„Mistkerl“, murmelte Johnstone. Und dann an Jack Whitney gewandt: „Wir haben Walker nicht gekriegt, Jack. Finden wir uns damit ab, und hoffen wir, dass die in Louisiana mehr Glück haben als wir.“
„Scheißdreck...“, knurrte der Sheriff von Jackson.
Jane – sie saß neben ihm auf der Bank – fing an zu schluchzen. „Armer Scotty..., hoffentlich kriegen sie ihn nicht. Er hat doch gar nicht zuerst geschossen, ich hab doch gelogen...“
Des Marshals fragende Blicke wanderten zwischen Whitney und der Blonden hin und her. „Aber er ist aus dem Gefängnis geflohen“, sagte Whitney. „Und er hat dabei einen meiner Hilfssheriffs erschossen...“
„Wenn ich nicht gelogen hätte, hättest du ihn niemals einsperren können...“ Jane warf sich an die Brust des Sheriffs, der streichelte ihren Rücken. Etwas linkisch stellte er sich an, denn er fühlte sich von Johnstone beobachtet.
„Was geht’s mich an“, sagte der und stand auf. „Hab hier in Vicksburg genug Mist vor der Tür liegen.“ Und genau die öffnete er jetzt. „Einen schönen Abend noch, Ladies und Gentlemen.“
Nacheinander standen sie auf und gingen an ihm vorbei auf den Bürgersteig. Lydia hakte sich bei Jimmy McEwen unter. Seit er sie gevögelt hatte, sah sie denn dünnen, etwas schüchternen Mann mit anderen Augen. Und seit sie gehört hatte, dass er verwitwet und Teilhaber der Bank von Jackson war, sowieso.
„Ich fahr mit dem nächsten Schiff nach Saint Louis hinauf“, schluchzte Jane draußen auf der Straße. „Führt die Eisenbahn denn schon bis zur Ostküste?“
„Was um alles in der Welt willst du an der Ostküste, Schätzchen?“ Der Sheriff schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
„Nach New York will ich“, sagte Jane. „Jawohl, ich werde nach New York fahren...“
*
Seltsam ruhig war es in seinem Saloon, als Ted Simmock mit dem Planwagen an der Vorderfront seines Hauses vorbeifuhr. Immerhin war es schon Abend, und um diese Zeit fand sich normalerweise allerhand loses Volk an seiner Theke ein. Drei Pferde standen vor der Veranda.
Eine Nacht und einen Tag hatte er sich in den Baumwollplantagen versteckt. Er hoffte, Scottys Jäger hatten Vicksburg inzwischen verlassen. Für den Town-Marshal hatte er sich eine Geschichte zurecht gelegt. Simmock lenkte sein Gespann in den Hof, stieg vom Bock und ging durch die Hintertür in den Saloon hinein.
„Wash?!“, rief er. „Wo steckst du Wash?!“ Wash war ein Schwarzer, ein freigelassener Sklave von irgendeiner Baumwollplantage im Süden von Vicksburg. Manchmal half er dem Wirt im Haus, und manchmal, wenn Simmock unterwegs oder heillos berauscht war, bediente er auch die Gäste.
Nur zwei Öllampen brannten über zwei Tischen. Drei Männer lehnten im Halbdunkeln an der Theke. „Wir haben deinen Nigger nach Hause geschickt, Simmock“, sagte eine Männerstimme, die nichts Gutes verhieß. „Und deine Gäste auch.“
Der schnurrbärtige Mann stieß sich von der Theke ab und schlenderte auf ihn zu. Er trug eine helle Wildlederjacke, ein schwarzes Hemd und einen grauen Stetson über angegrauten, blonden Locken. Es war Alister LaRoche. „Ich wollte mich nämlich in Ruhe mit dir unterhalten.“
Ach du Scheiße, dachte Simmock. Er hoffte, Wash würde geistesgegenwärtig genug sein, den Marshal zu alarmieren. „Was gibt’s, LaRoche?“, knurrte er.
LaRoche blieb vor ihm stehen, fixierte ihn feindselig, und ehe Simmock überhaupt reagieren konnte, rammte er ihm die Faust gegen die Kinnspitze. Der Wirt spürte kaum, wie er auf dem Boden aufschlug. Als er die Augen aufriss und versuchte Männer von Barhockern zu unterscheiden, stand LaRoche über ihm. Er zielte mit einem Revolver auf seinen Kopf. „Sir“, sagte er. „Für dich immer noch Sir! Und jetzt sagst du mir, wo Walker meine Frau hingebracht hat.“
„Walker...?“ Simmock stöhnte. In seinem Unterkiefer pochte ein fürchterlicher Schmerz. „Wer zum Teufel ist Walker...?“
LaRoche trat zu. Seine Stiefelspitze bohrte sich in Simmocks Nieren. Er schrie vor Schmerzen, rang nach Luft und wandt sich wie ein Wels auf dem Trockenen. Doch nicht lange, denn auf einmal knieten zwei junge Kerle auf ihm, einer steckte ihm ein Küchentuch in den Mund, der andere traktierte seinen Magen mit Fausthieben.
So ging das eine Zeitlang, und Ted Simmock vergaß, wie er hieß und wo er geboren wurde.
Hin und wieder ließ der Mistkerl von ihm ab. „Ist dir jetzt eingefallen, wer Walker ist?“, fragte LaRoche ihn dann jedes Mal. Dabei lächelte er böse. Und wenn Simmock nicht gleich antwortete, gab es die nächste Prügel.
Irgendwann stiegen die Burschen von ihm ab, zerrten ihn zur Theke und banden ihn zwischen zwei Barhockern fest. Simmock hatte sie schon mit LaRoche in der Stadt gesehen, sogar ihre Namen kannte er: Leslie und Eric.
Eric zog ein Messer aus dem Stiefel und reichte es LaRoche. Der nahm den Glaszylinder von einer der Öllampen und hielt die Klinge über den brennenden Docht. „Du bist gut gepolstert, Simmock. Aber gegen heißes Stahl wird dir auch dein Fett nichts nützen. Bis die Klinge soweit ist, hast du noch Zeit. Überlege dir also gut, wie du antwortest: Wo hat Walker meine Frau hingebracht...?“
*
Kurz vor Einbruch der Abenddämmerung erreichten sie am dritten Tag in der Gegend nördlich von Pine Bluff den Lauf des Arkansas. Ihre Pferde rissen die Ähren des hohen Grases ab, während sie still in den Sätteln saßen und vom oberen Rand der Böschung aus auf den Fluss hinunter schauten.
„Schau ihn dir an“, sagte Scotty. „Ein Bote der Freiheit; er kommt aus den Ouachita Mountains. Wenn wir die hinter uns haben, beginnt ein neues Leben.“
Mary nickte stumm. Sie konnte sich kaum noch im Sattel halten vor Müdigkeit. Fünfzehn Stunden am Tag auf einem Pferd zu sitzen – das war sie einfach nicht gewohnt. Scotty wusste das. Lichtverhältnisse und Landschaft hätten einen Ritt von noch mindestens zwei Stunden erlaubt, aber er wollte die Frau nicht überfordern. Sie hatte genug hinter sich.
Am Rand eines kleinen Eichenwaldes fand eine Anhöhe. Dort banden sie die Pferde an eine alte Eiche, rollten Decken und Felle aus, und machten ein Feuer, um ein paar Kartoffeln und ein bisschen Fleisch zu braten.
Später, als es dunkel war, lagen sie eng aneinander gedrängt unter derselben Decke. Von hinten hielt Scotty sie fest, und Mary drückte Rücken und Gesäß gegen ihn, und manchmal berührte seine Hand ihre Brust. Dann konnte er ihren Herzschlag fühlen.
Arglos wie ein Kind kuschelte sie sich bei ihm ein, jedes Mal, wenn sie in seinen Armen einschlief, staunte er über ihr Vertrauen. Vier Nächte hatten sie jetzt schon in einem Bett, unter einer Decke verbracht – die Nacht in Ted Simmocks Ruine mitgerechnet – und keinen einziges Mal hatte Scotty auch nur den Versuch unternommen, sie zu verführen. Nicht einmal geküsst hatte er sie. Wie ein Vertrauensbruch wäre es ihm vorgekommen.
Er spürte, wie er Körper sich an seinem entspannte. Gleich würde sie einschlafen. „Wohin willst du gehen, wenn wir Little Rock hinter uns haben?“ Er wollte nicht, dass sie schon einschlief. „Kennst du denn jemanden an der Westküste?“
„Nein“, sagte sie. „Ich kenne nur meine Sehnsucht.“ Sie sprach schon sehr leise, halb im Traum. „Ich will frei sein, und ich will leben. Im Westen könnte man frei sein, sagt man. Im Westen könnte das Leben noch einmal beginnen. Ist es nicht so...?“
„O ja“, flüsterte Scotty. „So erzählt man sich...“ Er überlegte, ob er ihr sagen sollten, dass auch Oregon im Westen lag, streng genommen jedenfalls; und er fragte sich, was sie wohl antworten würde, wenn er sie fragte, ob sie ihn nicht dorthin begleiten wollte. Aber er verkniff sich die Frage. Doch von Oregon musste er erzählen.
„Vier Briefe hat meine Familie mir aus Oregon geschrieben“, begann er. „Zwei meine Schwestern und zwei meine Mutter. Mein Vater kann nicht schreiben. Viel fettes Land gäbe es dort, liebliche Hügel und Obstbäume in Hülle und Fülle...“
Scotty erzählte und erzählte, und irgendwann hörte er sie schnarchen. Es machte ihm nichts aus, irgendwie war er glücklich. Vielleicht würde sie ja von Oregon träumen...
Am Vormittag des übernächsten Tages ritten sie nach Little Rock hinein. In einem Saloon aßen sie und erkundigten sich beim Wirt nach der Ranch von Herbert Simmock. Er beschrieb ihnen den Weg. „Noch drei Stunden im Sattel“, sagte er, „dann habt ihr es geschafft.“
Sie brauchten fast sechs Stunden, denn der Weg führte teilweise steil in die Osthänge der Ouachita Mountains hinein, und Mary, die sich kaum noch im Sattel halten konnte, brauchte jede Stunde eine Pause.
Der Arkansas verwandelte sich in dieser rauen Gegend zunehmend in einen reißenden Gebirgsfluss, dem selbst Scotty lieber nicht zu nahe kommen wollte. Nadelbäume und Felsbrocken säumten die Reitpfade, und wurde deutlich kühler, als in den Tagen zuvor.
Ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht, dachte er. Mary, das war ihm sonnenklar, brauchte mindestens vier Tage Rast, sonst würde sie den Gewaltritt über das Gebirge nicht schaffen.
Der jüngere Bruder Ted Simmocks lebte von Schafzucht, Holzhandel und von der Jagd. Seine Farm lag auf einer Rodung am Berghang zwischen dem Lake Maumelle und dem Lauf des wilden Arkansas’. Mit vier Kindern, zwei Frauen, siebundsechzig Schafen, drei Rindern, einem Dutzend Pferden und zahlreichen Hühnern lebte er in einer Ansammlung von Blockhütten, die er mit einer Holzpalisade eingezäunte hatte.
Herbert Simmock war nicht halb so dick wie sein älterer Bruder, aber genau so hilfsbereit. Er las den Brief aus Vicksburg und winkte sie in sein Haupthütte. „Schlachte ein Huhn, Kathleen, wir haben Gäste!“, rief er seiner Frau zu. Mit einer Kopfbewegung wies er auf den Tisch und die Stühle davor. Mary zog es vor zu stehen, sie hatte sich den Hinter am Sattel wundgescheuert.
Herbert Simmocks packte vier Gläser und eine Whiskyflasche auf den Tisch. Seine Frau setzte sich dazu, ein drahtiges Weib mit kantigen Gesichtszügen und lodernden Augen. Neugierig musterte sie ihre Gäste. Herbie schenkte ein, sie stießen an und tranken, Mary im Stehen. „Wer ist hinter euch her, Captain?“ Der Hausherr knallte sein Glas auf den Tisch.
Die Frage erwischte Scotty auf dem linken Fuß. „Deutet dein Bruder so was an?“ Etwas Schlaueres fiel ihm nicht ein.
„Nein. Aber ich bin nicht blöd. Wer?“
„Jemand, der mich töten und sie quälen will“, sagte Scotty. Zu pathetisch, Simmock runzelte die Stirn.
„Mein Mann“, sagte Mary. Und mit einem Seitenblick zu Scotty korrigierte sie sich. „Mein ehemaliger Mann.“ Sie drehte sich um, knöpfte ihre Bluse ein Stück auf, und streifte den Stoff von der rechten Schulter, so dass sie die Striemen und die blauen Flecken sehen konnten.
Kathleen Simmock stieß einen derben Fluch aus, und ihre Mann blinzelte betreten in sein Whiskyglas. Kathleen bekam ein kleines Zimmer an der Waldseite des Hauses. Scotty musste in einer Kammer im Pferdestall schlafen. Die Simmocks in Arkansas hatten ihre Prinzipien.
Zwei Tage lang konnte Scotty kaum einschlafen vor Sehnsucht nach Mary...
*
Leslie ritt voraus. Er stammte aus der Gegend und kannte sich an den Hängen der Ouachita Mountains gut aus. Eine Woche war vergangen, seit LaRoche Vicksburg verlassen hatte.
Little Rock hatten sie links liegen lassen. LaRoche wollte nicht gesehen werden. Was wusste denn er, wie viele Tote zurückbleiben würden, wenn er die Farm von Simmocks Bruder wieder verließ? Nein, bloß keine Zeugen. Auch Ted Simmock hatte er erschossen. Nachdem der ihm eine genaue Wegbeschreibung zur Farm geliefert hatte. Und der Schwarze lebte auch nicht mehr.
Am späten Nachmittag ließen sie den Lake Maumelle hinter sich, und in der Abenddämmerung erreichten sie die Rodung, auf der Simmocks Bruder seine Farm errichtet hatte.
Vom Waldrand aus spähten sie den Hof aus. Kinder spielten vor den Stallungen. Zwei Männer machten sich am Zaun einer Schafkoppel zu schaffen, und vor einer offenen Stalltür hockte eine Frau und rupfte ein Huhn.
„Eine günstige Zeit, was meint ihr?“ LaRoche blickte durch die Baumwipfel zum Himmel hinauf. Die Sonne war untergegangen, keine halbe Stunde mehr, dann war es stockdunkel hier. „Ihr reitet in den Hof. Plaudert mit den Leuten, bittet um ein Nachtlager und so weiter. Lenkt sie ab so gut es geht, ich schleich mich von hinten ins Haus. Wenn ich meine Frau finde, werdet ihr Schüsse hören. Dann entwaffnet sie.
Leslie und Eric nickten. Alle drei füllten sie ihre Revolvertrommeln und luden ihre Gewehre. Danach trennten sie sich. LaRoche schlich in einem Bogen durch den Wald um die kleine Farm herum...
*
Scotty stand vor ihrer Tür und lauschte. Drinnen hörte er sie eine Melodie summen, Wasser plätscherte. Er klopfte. „Darf ich herein kommen?“
„Ja.“
Scotty öffnete die Tür – und wollte sie sofort wieder zuziehen: Im Mieder stand Mary vor der Waschschüssel und wusch sich. „O, entschuldige...“
„Komm rein und mach die Tür zu.“ Sie drehte sich um und lachte ihn an. „Wir schlafen tagelang unter der gleichen Decke und ich sollte mich vor dir genieren?“
Mit dem Rücken drückte Scotty die Tür zu. Er blieb stehen, wo er stand und betrachtete sie. Sie drehte sich wieder um und wusch sich weiter. Ihre Beine – sie steckten in grauen Strümpfen – waren lang und schlank, ihr Taille schmal und ihre Schulterblätter tanzten über den Rüschen ihres Hemdsaums. Ihr Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Du bist schön“, sagte Scotty heiser.
Sie drehte sich um. Langsam kam sie ihm drei Schritte entgegen. Aus den Körbchen ihres Mieders wölbten sich ihre festen, weißen Brüste. „Das hast du mit bisher nur mit deinen Blicken gesagt.“ Sie trocknete sich Gesicht und Arme ab. Eine Zeitlang sahen sie sich nur schweigend an, aber die Luft zwischen ihnen knisterte; wie schon so oft in den letzten Tagen.
„Ich bin nie einem Mann wie dir begegnet.“ Jetzt sprach auch sie leise, fast scheu. „Dir würde ich jederzeit mein Leben anvertrauen. Und ich glaube, mit dir würde ich bis ans Ende der Welt gehen.“
Scottys Herz machte einen Sprung. Er ging zu ihr, nahm sie in den Arm und streichelte ihre Wangen, zart und behutsam tat er das, als würde er fürchten ihr weh zu tun. „Ganz so weit muss nicht sein, Mary“, lächelte er. „Ich wäre schon glücklich, wenn du mit mir nach Oregon gingst.“
Sie fasste seinen Kopf, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Scotty glaubte, ein Erdbeben würde die Berglandschaft erschüttern, als ihre Zunge in seinen Mund eindrang. Sie küssten sich lange und leidenschaftlich. Er spürte, wie ihr Becken sich an ihn drängte, und seine Hände machten sich selbstständig: Ihr weiche Haut, ihre Schulterblätter, ihren Rücken, ihr Gesäß, ihre herrlichen Schenkel – alles wollte er berühren, alles wollte er in Besitz nehmen.
Atemlos ließen sie voneinander und sahen sich an, als könnten sie nicht glauben, was sie doch erlebten und sahen: Dass der Andere tatsächlich da war, dass es ihn wirklich gab.
„Gehst du mit mir?“, flüsterte Scotty.
„Kurz bevor ich dir begegnete, war ich so gut wie tot“, sagte Mary. Ihre grünen Augen hielten seinen Blick fest. „Und jetzt bin ich wie neu geboren. So lange ich es haben werde, mein neues Leben, so lange werde ich dorthin gehen, wo du hingehst.“
Wieder küsste er sie. Mary knöpfte ihm das Hemd auf, streichelte seine Brust, seinen Bauch, seinen Rücken. Immer stürmischer erwiderte sie seine Küsse. Schließlich zog sie ihm das Hemd über die Schulter und zog ihn zum Bett. „Komm“, flüsterte sie. „Komm zu mir.“
Irgendwo, nicht weit weg, klickte es metallen, und plötzlich sprang die Tür auf...
*
Die Männer gefielen Kathleen nicht. Von Anfang an nicht. Die steife Art ihrer Bewegungen, das unechte Grinsen auf ihren Mienen, das Fahrige in ihren Blicken – nein, sie gefielen ihr nicht.
In stoischer Ruhe hockte sie vor dem Stall und rupfte das Tote Huhn. Neben der Kiste, der sie saß, lag ihr Gewehr. Nur in Ausnahmefällen verließ Kathleen Simmock das Haus ohne Waffe.
Jetzt standen die Männer vor Schafskoppel und plauderten mit Herbie und dem Knecht. Irgendwelche Abenteurer auf dem Weg nach Westen, schätzte Kathleen. Vielleicht hatten sie auch Dreck am Stecken und irgend ein Sternträger war hinter ihnen her. Konnte man’s wissen?
Junge Burschen waren es. Kathleens Kinder – zwei Jungens und ein Mädchen zwischen sechs und neun – standen neben ihnen am Zaun und sahen neugierig zu ihnen hoch. Mit einer Kopfbewegung winkte Kathleen sie zu sich. Alle drei liefen sie zu ihr. „Geht hinter das Haus in den Garten, macht schon“, sagte Kathleen in ihrer unnachahmlich barschen Art. Die Kids liefen um die Veranda herum und verschwanden hinter der Hausecke.
Keine Sekunde zu früh, denn als plötzlich im Inneren des Hauses der Schuss fiel, sah Kathleen, wie die Burschen zu den Kolben ihrer Revolver griffen. Sie ließ das Huhn fallen und langte nach ihrem Gewehr. Ihre Kugel schlug zwischen ihnen im Gras ein. Sie sprangen vor Schreck zur Seite. „Pfoten hoch!“, schrie Kathleen und zielte auf sie.
Im Hausinneren brüllte eine Männerstimme, irgendjemand polterte gegen eine Tür. Herbie und der Knecht scheuchten die Schafe weg von sich oder stiegen einfach über sie. Von hinten entwaffneten sie die beiden. Danach liefen sie aus der Koppel ins Haus hinein. Kathleen hielt die Fremden in Schach.
Als Sekunden später zwei Schüsse im Haus fielen, sprang Kathleen auf. „Wenn mein Herbie sich eine Kugel gefangen hat, knalle ich euch alle beide ab...!“
*
...als hätte das zweite Gesicht sie berührt, so schnell reagierte Mary: Sie stieß Scotty zur Seite und warf sich auf ihn. Noch bevor sie ihren Mann sah, wusste sie, wer im Türrahmen stand.
Ein Schuss explodierte, ein Kugel schlug im Holz neben dem Bett ein. Scotty trat die Tür zu, schob Mary von sich und riss seinen Revolver aus dem Halfter. Er wollte sich vor die Tür legen, um sie zu blockieren, doch er kam einen Moment zu spät: LaRoche stieß die Tür erneut auf. „Verfluchtes Miststück!“, brüllte er und zielte auf Scotty, der vor ihm auf dem Boden kniete.
Mary griff die Waschschüssel und schleuderte sie ihm ins Gesicht, er prallte gegen den Türpfosten. Scotty sprang auf, entriss ihm die Waffe und hieb ihm die Faust in den Magen. LaRoche riss das Knie hoch, er traf Scotty dort, wo es besonders weh tat. Die Waffe polterte auf den Boden. Die Wut verlieh LaRoche schier übermenschliche Kräfte. Er rammte dem zusammengekrümmten Scotty den Ellenbogen ins Gesicht, so kräftig, dass Scotty hintenüber kippte.
„Ich bring euch um!“ LaRoche hechtete ins Zimmer hinein, landete neben dem Bett, wo sein Revolver lag. „Ich schieß euch ab...!“ Er warf sich auf den Rücken, aus seinen Fäusten ragten Trommel und Lauf seines Revolvers. Er richtete ihn auf Scotty. Ein Schuss fiel, und gleich darauf ein zweiter.
LaRoche zuckte zweimal zusammen. Seine Arme sanken auf den Boden, er hob den Kopf. Ungläubig starrte er seine Frau an. Mary stand vor dem offenen Schrank, ihre Arme und Hände zitterten, Pulverdampf senkte sich neben sie auf die Holzdielen, ihr Finger verkrampften sich um den Kolben ihre neuen Remington.
Der Revolver entglitt LaRoches Händen. Er polterten auf den Boden, und LaRoche hinterher.
Herbie kam ins Zimmer, auch ihn umgab Pulverdampf. Vor dem reglosen LaRoche ging er in die Hocke. „Zwei Kugeln, zwei Treffer“, sagte er. „Eine hat ihm das Lebenslicht ausgeblasen.“ Er wandte sich nach Scotty um. Der lehnte zusammen gekrümmt und mit blutigem Mund gegen die Wand. „Schätze, es war nicht schade um ihn, oder?“, sagte Herbie Simmock.
„Nein“, antwortete Mary.
*
Drei Monate später erreichten sie Fort Laramie und mit der Stadt den Oregon Trail. Der Spätsommer zog sich hin, und Scotty rechnete sich gute Chancen aus, Oregon noch vor Wintereinbruch zu erreichen.
In einem kleinen Hotel außerhalb des Forts mieteten sie ein Zimmer. Scotty wollte jede Begegnung mit den Yankees vermeiden. Vielleicht gab es unter ihnen eine Einheit, die aus dem Südosten kam und wusste, dass man in Mississippi nach einem gewissen Scotty Walker fahndete. Er konnte nur hoffen, dass der Arm des Gesetzes noch nicht bis nach Oregon reichte. Notfalls würden sie eben über die Grenze nach Kanada fliehen.
„Wie lange bleiben wir hier?“ Mary zog sich aus. Die vielen Wochen im Sattel hatten sie abgehärtet. Ihre Haut war braun von der Sonne.
„Drei Tage“, sagte Scotty. „Dann geht es über die Rockys. Das schwierigste Stück liegt noch vor uns.“
„Lass uns länger bleiben.“ Nackt stand sie vor dem Bett, ein Schleier zog durch ihre grünen Augen, ihr Lächeln war eine Einladung ins Paradies.
„Warum?“
„Ich habe einen katholischen Priester im Ort gesehen“, sagte Mary. „Sie breitete die Arme aus.
Scotty zog ihren warmen Körper an sich. „Na und?“
„Ich bin katholisch, meine Vorfahren sind aus Irland eingewandert.“ Ihre Lippen streichelten seinen Hals während sie sprach. „Und natürlich möchte ich katholisch heiraten?“
Scotty traute seinen Ohren nicht. „Du willst was?“
„Ich will als ordentlich verheiratetes Paar bei deiner Familie ankommen. Was ist daran so erstaunlich?“ Sie zog ihn aufs Bett und begann ihn zu entkleiden. „Der Priester kann uns trauen, wo ist das Problem?“
„Keine Ahnung“, flüsterte Scotty. Er glitt über ihren warmen Körper, spürte ihre Hitze, spürte ihre Lippen auf seiner Brust. „Ich glaube, es gibt kein Problem.“ Nicht einmal der Weg über die Rockys erschien ihm plötzlich noch schwierig zu sein.
„Na siehst du“, hauchte Mary.
ENDE