Читать книгу Cowboys, Sheriffs, heiße Ladies: 10 Western - Thomas West - Страница 8
Teil 2
ОглавлениеEr trat gegen die Zellenwände. Er warf sich gegen die Gitter, bis Arme und Hüften taub wurden. Er packte die Pritsche und schlug sie gegen die Eisenstäbe, bis sie in Stücke brach. Wut, Hass und Verzweiflung umklammerten sein Hirn, seinen ganzen Körper. Pat tobte wie ein Wahnsinniger.
"Ich will raus!", brüllte er ständig. "Raus! Raus! Lasst mich raus!"
Die Texaner in den Nachbarzellen hatten ihren Spaß. Sie höhnten und lachten. "Versuchs mal mit dem Schlüssel", "Wenn man zu dumm ist einen Marshal abzustechen, ohne sein Messer zu verlieren, hat man's nicht besser verdient", "Du kommst bald raus - der Weg führt durch eine hübsche Schlinge" - mit solchen und ähnlichen Sprüchen stachelten sie den Rasenden an.
"Ich war's nicht!", brüllte Pat. "Ich war's nicht! Ich war's nicht! Ich will raus! Ich will raus!" Noch bevor die Sonne aufging, hatten sich gut fünfzig Bürger von Dogde City vor dem Office versammelt und weideten sich an dem Spektakel.
Der Mord an Hank Davids hatte sich längst herumgesprochen. Die meisten wussten, dass der Town-Marshal und McIan auf die gleiche Frau scharf waren. Niemandem fiel es schwer, sich den jähzornigen McIan als Davids Mörder vorzustellen.
Am frühen Morgen rutschte Pat an der Zellenwand entlang auf den Boden. Er war vollkommen erschöpft. Das Karussell von Bildern und Gefühlen in seinem Schädel hatte aufgehört zu rotieren. Es drehte sich nur noch träge.
Eine Zeitlang brütete er vor sich hin. Er versuchte den vergangenen Abend zu rekapitulieren, dachte an das Besäufnis mit Woolster und den beiden anderen Soldaten, dachte an die vielen Männer die im >Eden< mit ihm anstoßen wollten, dachte an das kurze Pokerspiel.
Und immer wieder das Messer. Warum lag mein Messer vor dem Office, wie kommt das verdammte Ding dorthin... wie, wie...
Er erinnerte sich, wie er sternhagelvoll auf der Mainstreet gestanden hatte. Vor sich das Office, hinter sich Judes Haus. Irgendwann fragte er sich sogar, ob man im Suff einen Mann töten konnte, ohne sich hinterher daran zu erinnern.
Bis zum späten Vormittag hockte er apathisch in der Ecke seiner Zelle. Die spöttischen Sticheleien der Texaner hörte er schon gar nicht mehr. Lindsay und ein paar Männer kamen zweimal, um nach ihm zu sehen. Auch sie nahm er nicht wahr.
Irgendwann rutschte er seitlich an der Wand entlang auf den Boden und schlief ein...
*
Im 'Arkansas Billard Room' ein einziges Thema: Der Mord an Hank Davids und Patrick McIans Verhaftung.
Der Saloon war voll, es war Mittagszeit. Timmy und Sam saßen an der Theke. Kathy hatte alle Hände voll zu tun. Ständig tauchte sie mit beladenen Tabletts aus der Küche auf und trug Essen und Getränke an die Tische.
Trotzdem hatte sie jedesmal Zeit genug Sam anzulächeln. Die Blicke, die zwischen ihr und seinem Freund hin und her flogen, entgingen Timmy nicht. Sie benahm sich, als gäbe es nur einen einzigen Gast im Saloon - den Reverend.
"Ihr seid euch wohl näher gekommen." Timmy rührte seinen dampfenden Kaffee um.
"Ein bisschen." Sam lächelte verlegen.
"Ein bisschen?" Timmy schlürfte seinen Kaffee. "Versuch mir nichts vorzumachen, Reverend - ich kenn die Frauen - um ein derart verklärtes Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern, muss man ihnen schon sehr nahe kommen. Bis zum Anschlag gewissermaßen."
"Bitte, Timmy..." Sam zwirbelte an den Spitzen seines Schnurrbartes herum. "Du hörst die Flöhe husten." Er lächelte, während er das sagte. Und rutschte nervös auf seinem Barhocker herum.
"Man kann doch die rosa Wolke mit Händen greifen, die euch beide einlullt", grinste Timmy. "Und vom Rest der Welt abschottet." Er zog seinen Tabaksbeutel aus dem Hemd. "Erzähl mir nichts. Ich kenn mich aus..."
Er dachte an Jude Gabriel, während er sich eine Zigarette drehte. Eine Frau, für die selbst ein abgebrühter Kerl wie er es war, sich von einer rosa Wolke einlullen ließe. Schade, dass sie in diesen Hitzkopf verknallt ist. Wenn ich diese Frau haben könnte...
Hinter sich hörte er rasche Schritte. Er drehte sich um und sah sechs Männer. Die meisten trugen steife Hüte und Gehröcke. Der Bürgermeister führte sie an. "Hallo, Mr. Lindsay", grüßte Timmy. Sam lüftete seine Melone.
Der Bürgermeister blieb vor ihm stehen. Die Männer hinter ihm zogen ihre Hüte vom Kopf. Irgendwas stimmte nicht. Timmy wurde unruhig. Die offiziellen Mienen der Männer machten ihn misstrauisch.
"Gibts ein Problem?" Timmy steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und riss ein Schwefelholz an der Unterseite des Tresentisches an.
Der Geräuschpegel im Saloon senkte sich auf einmal. Timmy konnte den Grund dafür nicht verstehen. Das brennende Streichholz in der Hand blickte er von Tisch zu Tisch. Lauter neugierige Gesichter sahen zu ihm und dem Bürgermeister. Timmys Finger wurden heiß, hastig zündete er sich seine Zigarette an.
"Wir kommen gerade von einer Sondersitzung des Stadtrates und der Bürgerwehr." Lindsays Stimme klang irgendwie feierlich. Unwillkürlich rutschte Timmy von seinem Barhocker und nahm die Zigarette aus dem Mund.
"Der Stadtrat und die Bürgerwehr von Dogde City haben einstimmig beschlossen, Ihnen, Mr. Baxter, das Amt des Town-Marshals anzutragen."
Nun verstummte auch das letzte Gespräch im 'Arkansas Billard Room'. Man hätte eine Mücke gegen die Scheiben prallen hören können, so still war es.
Timmy schluckte. "Was sagen Sie da?", krächzte er.
Der Bürgermeister griff in die Tasche seines Fracks und zog den Marshalstern heraus. "Nehmen Sie die Berufung an, Mr. Baxter?" Er hielt ihm den Stern hin.
Timmy starrte das glänzende Silberding an. Sie hatten es frisch poliert. Er dachte an Oregon, daran dass er Sam dorthin begleiten wollte. Er dachte an die Komanchen, die ihm vor nicht ganz einem Jahr nach seinem Skalp trachteten. Und er dachte wieder an Sam - wie er plötzlich unter sie fuhr...
Ohne Sam würde ich jetzt nicht hier stehen... ohne ihn würden sie jetzt einem anderen diesen Stern anbieten...
Langsam drehte er sich um. Sam war ebenfalls von seinem Barhocker gerutscht. Steif und die Melone vor den Bauch gepresst stand er da. Als würde er eine Trauung durchführen. Oder eine Beerdigung.
Timmy sah ihn an. "Ich machs nicht..." flüsterte er. "Ich begleit dich nach Oregon..."
Sam schüttelte den Kopf. "Ich bleib sowieso noch ein Weilchen..." Wieder das verlegene Lächeln. "Greif zu." Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Stern in der Hand des Bürgermeisters. "Ich bin stolz auf dich."
Timmy atmete tief durch. Er blickte in das zerfurchte Gesicht des alten Jack Lindsays. Er blickte auf den Stern. "Ich nehme an", sagte er schließlich.
Heller Jubel brach im Saloon aus. Die Leute standen auf, riefen 'Hurra' und ähnliches, und klatschten in die Hände. Irgendjemand orderte eine Lokalrunde. Lindsay heftete Timmy den Stern auf die schwarze Lederweste...
*
Pat ging durch die Hölle. Nicht einmal im Bürgerkrieg war es dermaßen ans Eingemachte gegangen. Auch nicht während der Kriegsgefangenschaft. Jedenfalls konnte Pat sich nicht daran erinnern.
Manchmal zwar lag er ganz ruhig auf seiner neuen Pritsche. Zuversicht und Gelassenheit erfüllten ihn dann. Es ist alles eine riesige Eselei, dachte Pat in solchen Momenten, ein einziges Missverständnis... alles wird sich aufklären, alles wird gut...
Meistens aber zerrte ihn das Gefühlschaos in seiner Brust in die finstersten Löcher.
Da gab es Stunden, in denen stand er unter dem Zellenfenster und bohrte seine Stirn gegen die kalte Wand. Schuldgefühle überkamen ihn dann. Schuldgefühle gegenüber dem Gast im Eden, der vor ein paar Tagen sein Leben verloren hatte. Bei einer Schießerei, die er, Patrick McIan, angezettelt hatte.
Schuldgefühle gegenüber den vielen guten Männern, denen er im Krieg das Lebenslicht ausgeblasen hatte.
Schuldgefühle gegenüber Jude vor allem. Er bereute es dann, sie nicht längst geheiratet zu haben, er verfluchte sich, sie so oft allein und im Ungewissen über ihre gemeinsame Zukunft gelassen zu haben.
Dann wieder tigerte er in seiner kleinen Zelle umher und zermarterte sich das Hirn. Er grübelte über den Abend und die Nacht nach, in der er Hank Davids getötet haben sollte.
Jede Einzelheit versuchte er zu erinnern - wie lange hab ich mit Amy und den Kameraden gesoffen, was habe ich gemacht, als sie in ihre Zimmer hochgingen, wer hat danach mit mir angestoßen, wann genau bin ich mit Coleman und den anderen ins Spielzimmer...?
Und immer wieder kreisten seine Gedanken um das verdammte Messer - wann habe ich das Scheißding verloren? Wo hab ich es verloren? Oder hat es mir jemand geklaut?
Er fand keine Antwort. Immer häufiger kam er an den Punkt, an dem er es selbst nicht mehr ausschließen wollte in seinem Suff den Town-Marshal getötet zu haben.
Und dann die Angst vor dem Galgen. Wie eine Faust aus Eis schloss sie sich alle paar Stunden um sein Herz...
Häufig überfielen Pat seine sinnlosen Grübeleien mitten in der Nacht. Einige der Texaner wachten dann vom Lärm seiner Schritte und durch seine Selbstgespräche auf. Regelmäßig gab es Streit.
Zwei Tage, nachdem sie ihn eingekerkert hatten, wurden die meisten der Cowboys freigelassen. Pat schlug drei Kreuze. Nur zwei der Burschen sollten vor Gericht gestellt werden. Pat hatte keine Ahnung warum, und es interessierte ihn auch nicht.
Am Abend dieses Tages besuchte der alte Lindsay ihn. "Ich war's nicht, Jacky", beteuerte Pat. "Glaub mir - ich war's nicht..."
Hinter dem Bürgermeister stand dieser blonde Kerl mit den langen Loden. Pat kannte ihn nicht. Er wusste nur, dass er Baxter hieß. Ein Fremder. In der Nacht seiner Verhaftung hatte er sich als Superermittler aufgespielt. Und irgendwas war zwischen ihm und Jude. Pat mochte ihn nicht. An der Weste des Mannes hing ein Marshalstern.
"Es spielt keine Rolle, ob ich dir glaub, oder nicht", sagte der Bürgermeister. "Der Richter muss dir glauben. Er wird in ein paar Tagen in der Stadt sein. Ich sorg dafür, dass du einen fairen Prozess bekommst, Pat. Mehr kann ich nicht für dich tun..."
*
Jude fühlte sich ausgebrannt und leer. Zerklüftetes Gestein schien ihre Brust auszufüllen. Sie fand kaum noch Schlaf. An ihrem Küchentisch saß Timothy Baxter. Ein Marshal-Stern glänzte an seiner Bärenlederweste. Drei Tage waren vergangen, seit sie Pat verhaftet hatten.
"Sie besuchen ihn jeden Tag", sagte Timmy. Er rauchte.
Jude stellte einen Kaffee vor ihn auf den Tisch. "Dreimal", sagte sie leise. "Dreimal am Tag besuche ich ihn." Sie blickte zum Fenster hinaus. Das tat sie oft, seit Pat nicht mehr kam. Sie blickte hinüber zur Fassade des Marshal-Office, und versuchte sich Pat in seiner Zelle vorzustellen.
Timmy zog den Kaffeebecher heran. "Danke." Er löffelte Zucker in die dampfende Brühe und rührte um. "Was sagt er?"
"Dass er's nicht war." Jude ließ sich auf einen Stuhl sinken. Auf ihrem Arbeitstisch an der Stirnwand des großen Raumes häuften sich Kleider, Jacken, Hosen und Stoffe. Seit drei Tage hatte sie kaum eine Stunde gearbeitet. "Er sagt, er hätte im >Eden< gepokert. Brown, Leonard und zwei andere könnten das bezeugen."
"Wenn das so ist, wird das Gericht ihn freisprechen."
"Sie glauben ihm nicht?" Sie betrachtete den hageren Mann. Er hatte weiche, fast jungenhafte Gesichtszüge. Ob er viel älter war als sie selbst? Blonde Bartstoppel zogen sich über seine Wangen. Seit er Marshal war, trug er ein weißes Hemd unter der schwarzen Lederweste. Seine hellblauen Augen ruhten auf ihr.
Sie sah ihn täglich. Nicht nur, wenn sie Pat in seiner Zelle besuchte. Gegen Abend schaute Timothy Baxter immer bei ihr vorbei. Sie fand das nett von ihm. Sonst gab es niemanden in Dogde City, der mit ihr fühlte. Und der versuchte, sie zu trösten.
Natürlich spürte sie, dass dieser Mann mehr für sie empfand als nur Mitleid. Schon als sie ihm an jenem Morgen vor dem Office begegnete hatte sie das gespürt.
"Ich weiß nicht", sagte Timmy. "Ich weiß es wirklich nicht. Ich kenne ihren Freund zu wenig. Eigentlich kenne ich ihn überhaupt nicht."
"Er ist schnell mit den Fäusten", seufzte Jude. "Er ist schnell mit dem Revolver. Aber er ist kein Mörder."
Sie schwiegen eine Zeitlang. Timmy drückte seine Zigarette aus und schlürfte den Kaffee. "Man munkelt, Hank Davids hätte ein Auge auf sie geworfen, und Pat sei eifersüchtig gewesen."
"Hank wollte mich heiraten." Wieder blickte Jude hinüber zum Office. "Ob Pat eifersüchtig gewesen ist? Ich weiß es nicht..."
Timmy nahm seinen Hut und stand auf. "Es tut mir sehr leid für Sie, Jude. Wenn McIan unschuldig ist, wird er das auch beweisen können."
"Wann kommt der Richter?"
"Angeblich ist er gestern Abend in Kansas City in die Postkutsche gestiegen. Wenn nichts dazwischen kommt müsste er morgen im Laufe des Tages eintreffen."
"Dann wird die Gerichtsverhandlung also übermorgen stattfinden." Jude starrte zum Fenster hinaus. Als könnte sie die Fassade des Office durchdringen fixierte sie das Haus. Hinter diesen Wänden saß Pat in seiner Zelle. Der Mann, den sie liebte.
"Ja." Timmy nickte. "Übermorgen. Ich denke, darauf sollten wir uns einstellen..."
*
Pat war ganz ruhig, als der neue Marshal und drei Männer der Bürgerwehr ihn in den Schankraum des Hotels >Eden< führten. Ich hab ein Alibi, dachte er, ich bin unschuldig. Gott wird es nicht zulassen, dass ich verurteilt werde. Ich bin ja unschuldig... Er trug Handschellen und Fußketten.
Nach ein paar schlaflosen Nächten voller nutzloser Grübeleien hatte Pats Lebenswille und sein Optimismus wieder die Oberhand gewonnen. Ja - Pat war zuversichtlich, als sie ihn an den dicht besetzten Stuhlreihen vorbei an den Tisch für den Angeklagten führten. Er glaubte, alles würde gut werden. Wie ein kleiner Junge, sagte er sich das innerlich ständig vor. Baxter und ein Mann der Bürgerwehr setzten sich neben ihn.
Der Schankraum des >Eden< wurde seit Jahren für Gerichtsverhandlungen und Bürgerversammlungen benutzt. Pat blickte in die Gesichter der Männer und Frauen. Er kannte sie alle.
In der ersten Reihe hockten Jesse Coleman, Curd Axen, Will Leonard und Jeremy Brown. Sie würden aussagen. Er würden bezeugen, dass er mit ihnen gepokert hatte.
Auch Jude saß in der ersten Reihe. Sie lächelte müde, als sich ihre Blicke trafen.
Der Richter betrat den Raum. Alle erhoben sich. Der Richter war ein großer, kräftig gebauter Mann von ungefähr sechzig Jahren. Er trug einen kleinen Hut und einen langen schwarzen Mantel. Webster hieß er, Abraham Webster.
Pat hatte von ihm gehört. Richter Webster neigte nicht dazu vorschnelle Todesurteile zu fällen. Ein guter Richter, dachte er, er wird dich freisprechen... Abraham Webster legte seinen kleinen Hut auf den Richtertisch und eröffnete die Verhandlung.
Jude wurde als Zeugin aufgerufen. Sie musste von dem Streit zwischen dem Town-Marshal und Pat berichten. Sie tat es mit klarer Stimme. Erzählte auch, dass ihm die Sache mit der Schießerei im Eden hinterher Leid getan hatte. Und dass er den Rausschmiss als Hilfsmarshal akzeptiert hatte.
"Ich kenne ihn wie sonst keiner, Richter Webster - Pat ist kein Mörder, glauben Sie mir - er ist kein Mörder..."
Der Richter nickte stumm und rief den nächsten Zeugen auf. Nacheinander traten fünf Bürger von Dogde City auf. Alles Leute, die Pat gut kannte. Sie erzählten von seinem aufbrausenden Wesen, von seinen Jähzornanfällen und davon, dass Hank Davids ein Auge auf Jude geworfen hatte.
Pat begann zu schwitzen. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Irgendetwas lief nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Seine Augen suchten Judes Gesicht. Sie war blass und saß wie erstarrt auf ihrem Stuhl.
Der neue Town-Marshal, Timothy Baxter, erhob sich. Er ging zum Tisch des Richters und legte ihm das Messer vor. Der Bürgermeister und drei andere Männer berichteten, wie sie den toten Davids im Gang des Zellentrakts gefunden hatten. Und danach das Messer unmittelbar vor dem Office auf der Straße.
"Ist das ihr Messer, Mr. McIan?", wollte der Richter wissen.
Pat stand auf. "Ja, Sir - ich muss es verloren haben. Oder jemand hat es mir gestohlen." Er wunderte sich selbst, wie ruhig er blieb, als er das sagte. "Aber ich war's nicht, ehrlich nicht, glauben Sie mir..."
Der Richter winkte ab und wollte wissen, wie er den Abend verbracht hatte, an dem Hank Davids getötet wurde. Pat berichtete jede Kleinigkeit. Die drei Kavalleristen waren längst aus der Stadt geritten. Aber die Männer, mit denen er auf seine Soldatenzukunft angestoßen hatte, bezeugten, dass er bis um halbneun an der Theke des >Eden< getrunken hätte. Danach sei er mit Jesse Coleman und drei anderen im Spielzimmer verschwunden.
Keaton Rowling wurde aufgerufen. Er bestätigte, dass er gegen acht noch mit dem Marshal gesprochen hätte. "Er ging in sein Office", sagte Rowling. "Und kurz darauf flammte Licht hinter dem Fenster auf."
Kathy Rowling, seine Tochter, wurde aufgerufen. Ihre Aussage: Kurz nach neun habe sie an die Tür des Office geklopft. Wegen einer Schlägerei im 'Arkansas Billard Room' wollte sie den Marshal holen. Niemand habe reagiert, und kein Licht habe im Office gebrannt.
Der Bürgermeister bestätigte schließlich noch einmal, dass man Davids Leiche gegen halbzehn gefunden hätte. Pat atmete auf. Bis kurz vor halbzehn hatte er mit Rowlings Leuten im Spielzimmer des >Eden< gepokert.
Der Richter rief Jesse Coleman auf. Wie lange er mit dem Angeklagten im Spielzimmer des Hotels gepokert habe. "Keine zehn Minuten", sagte Coleman. Pat zuckte zusammen. "Gleich das erste Spiel hat er verloren, und dann die Karten hingeschmissen und raus. Durch den Hintereingang. War ziemlich geladen..."
Pat sprang auf. "Gelogen!", brüllte er. Timmy Baxter zog ihn auf seinen Stuhl zurück.
Der Richter rief die anderen drei auf. Curd Axen, Will Leonard und Jeremy Brown. Nacheinander wiederholten sie im Wesentlichen Colemans Aussage. Geraune erhob sich im Schankraum. Pat glaubte zu spüren, wie der Fußboden zittert. Wieder kam er sich vor, wie in einem bösen Traum. Er glaubte nicht, was er sah, er glaubte nicht, was er hörte...
Der Richter zog sich zurück. Zusammen mit dem Bürgermeister und ein paar angesehenen Männern der Bürgerwehr. Eine halbe Stunde später betraten sie den Raum wieder. Alle erhoben sich. Die Männer links und rechts von Pat zerrten ihn von seinem Stuhl.
Pats Blick flog zu den Stuhlreihen mit den Zuschauern. Alle standen. Nur Jude nicht. Zusammengesunken und die Stirn in die Handfläche gestützt, hockte sie auf ihrem Stuhl. Schlagartig begriff Pat, was die Stunde geschlagen hatte.
"Patrick McIan wird schuldig gesprochen den Town-Marshal Hank Davids ermordet zu haben." Die tiefe Stimme des Richters dröhnte durch den Raum. "Das Urteil lautet: Tod durch den Strang. Es ist in drei Tagen zu vollziehen."
Etwas schlug dumpf auf dem Boden auf. Pat fuhr herum. Kathy lag auf dem Boden vor ihrem Stuhl. Zwei Frauen bemühten sich um sie. Drohend baute sich ein halbes Dutzend Männer um ihn herum auf. Doch er schrie nicht und tobte nicht.
Es war, als hätte das Urteil die Verbindung zwischen seinen Gefühlen und seinem Bewusstsein gekappt. Ein Loch gähnte dort, wo vor der Verhandlung noch sein Herz geschlagen hatte. Er fühlte nichts. Nichts...
*
Am Abend des selben Tages besuchte Timmy Jude Gabriel in ihrem Haus. "Geht es Ihnen besser?"
"Ja, es geht schon wieder." Sie saß an ihrem Arbeitstisch und nähte den Saum eines Kleides um.
Timmy stand hinter ihr. Ihre Gelassenheit überraschte ihn. Sie wirkte gefasster, als er erwartet hatte. "Sie arbeiten wieder?"
"Ja, das ist das Vernünftigste, was man in meiner Situation tun kann."
"Es muss sehr schwer für Sie sein." Diesmal antwortete sie nicht. "Wann werden Sie ihn besuchen."
"Ich weiß nicht, ob ich ihn noch einmal besuchen werde." Timmy verstand nicht. Sie ließ Kleid und Nadel sinken und drehte sich zu ihm um. "Ich muss mich damit abfinden, dass ich einen Mörder geliebt habe. Seine Schuld ist zweifelsfrei bewiesen. Ich glaube, es ist besser für ihn und für mich, wenn wir uns nicht mehr in die Augen sehen müssen."
Timmy schwankte zwischen Bewunderung und Verblüffung hin und her. "Vielleicht haben Sie Recht..."
Sie stand auf und legte ihre Hand auf seinen Arm. "Wissen Sie, dass Sie der einzige sind, der in diesen schweren Tagen nach mir gefragt hat?" Sie stieß ein bitteres Lachen aus. "Alle haben mich gemieden, als hätte ich die Blattern. Aber Sie haben mich jeden Tag besucht. Das rechne ich Ihnen hoch an, Timmy."
Er nickte stumm und griff nach seinem Hut. Sie sah ihm nach. Als er schon die Türklinke in der Hand hatte, sagte sie: "Ich würde mich freuen, wenn Sie bald wiederkommen, Timmy..."
*
Seit der Verhandlung hatte er kein Auge zugemacht. Einen Tag und eine Nacht lang nicht. Pat lag auf der neuen Pritsche, die man ihm in die Zelle gestellt hatte und starrte die Decke an. Er fühlte sich unendlich allein.
Er dachte an Jude. Jeden Tag war sie vorbeigekommen. Zwei oder dreimal. Seit der Verhandlung kein Lebenszeichen mehr. Sie hat dich aufgegeben... einen Mörder liebt man nicht... Die Enttäuschung trieb ihm die Tränen in die Kehle. Aber er konnte nicht weinen.
Den ganzen Tag lag er so da. Er reagierte nicht auf die Sprüche der letzten beiden Texaner, die man noch gefangen hielt. Er beachtete nicht das Essen, das Timothy Baxter ihm in die Zelle stellte.
Er grübelte ununterbrochen. Dachte an die sechsunddreißig Jahre seines Lebens und an die Menschen, die seinen Weg gekreuzt hatten - an seine Eltern, an seine Geschwister, an alte Freunde, an die Kriegskameraden. Und an Jude. Niemand war geblieben. Nur noch einer würde seinen Weg kreuzen - der Tod.
In zwei Tagen würde er ihm begegnen. Draußen auf der Mainstreet. Auf dem Galgenpodest vor dem Office.
Pat stieß ein bitteres Lachen aus, als er sich klar machte, dass Jude seinen Abgang von ihrem Fenster aus beobachten konnte. Wenn sie wollte.
Es wurde Abend. Die Dämmerung fiel auf die Stadt. Die Sonne ging unter. Nur noch zwei Nächte und einen Tag.
Pat schwang sich von der Pritsche. "Hey!", rief einer der Texaner aus den Nachbarzellen. "Von den Toten auferstanden?"
"Vorläufig", lachte der andere.
Pat antwortete nicht. Er nahm die Schüssel mit dem Essen vom Boden auf. Es war inzwischen kalt geworden. Trotzdem aß er es. Langsam und ohne Hast. Auch das Wasser trank er. Den ganzen Krug.
Danach stand er vor dem Fenster, streckte sich und atmete tief durch. Er wirkte plötzlich wie einer, der eine große Aufgabe zu bewältigen, oder eine lange Reise anzutreten hatte. Und sich konzentriert darauf vorbereitete.
"Baxter?!" Er trat an das Zellengitter und rief nach dem Marshal. "Baxter?!" Der blonde Schopf des Town-Marshals erschien in der Tür zum Office. "Gibts hier 'nen Pfaffen, oder sowas? Ich hab ein Recht mit einem Geistlichen zu sprechen..."
*
Kathy streichelte Sam zärtlich über die Wange. "Es ist sicher schwer", sagte sie.
Sie standen in der Küche des 'Arkansas Billard Rooms'. "Für ihn ist es schwerer", sagte Sam." Er muss sterben, nicht ich." Er trank seinen Tee aus, stülpte sich die Melone auf den Kopf und klemmte sich die Bibel unter den Arm.
"Aber was kann man einem Menschen, der sterben muss, schon Tröstliches sagen?" Kathy machte ein kummervolles Gesicht. "Das ist doch schwer, oder?" Sam nickte. "Was wirst du ihm sagen?"
"Ich werde ihm aus dem Wort Gottes vorlesen. Ich werde ihm den Trost der Vergebung zusagen, wenn er sie hören will. Wenn er versöhnt mit dem HERRN auf den Galgen steigen kann, wird er leichter sterben."
Er küsste sie zum Abschied. Draußen im Schankraum wartete Timmy. Gemeinsam verließen sie den Saloon. Sie überquerten die Mainstreet und gingen ins Office.
Sam legte seinen Colt auf den Schreibtisch. Timmy schloss ihm Pats Zelle auf und ließ ihn hinein. "Ich habe einen Geistlichen gefunden." Timmy wies auf Sam. "Reverend Samuel Cocker. Er ist bereit, mit dir zu sprechen." Hinter Sam schloss er wieder ab und ging zurück ins Office.
Sam betrachtete den großen, schwarzhaarigen Mann. Er saß auf seiner Pritsche. Aus müden, melancholischen Augen sah er Pat an. "Sie haben einen schweren Gang vor sich, McIan. Einen Weg, den jeder von uns irgendwann gehen muss. Und jeder von uns muss ihn allein gehen." Er schlug seine Bibel auf. "Nur einen gibt es, der uns auf diesem Weg begleiten kann - Gott der HERR."
Pat erhob sich, senkte den Kopf und faltete die Hände vor dem Bauch. Sam blätterte in den Psalmen. Aus den Augenwinkeln sah er, dass auch die beiden Texaner in den Nachbarzellen sich erhoben hatten. Auch sie falteten die Hände. Einer bekreuzigte sich zuvor. Ein Katholik, schätzte Sam.
Endlich fand er den Psalm, nach dem er gesucht hatte. Er begann zu lesen. "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat..."
Für Sekundenbruchteile zuckte ein Schatten auf ihn zu. Der Fausthieb traf ihn mit solcher Wucht, dass er gegen die Zellenwand geschleudert wurde und halbbetäubt am Boden liegen blieb. Von weit weg drang das Gebrüll der Texaner in sein schwindendes Bewusstsein...
*
Coleman machte sich an den Waffen zu schaffen, und Brown hockte auf einem Schaukelstuhl vor dem Office. Dort beobachtete er Passanten und Reiter auf der abendlichen Straße.
Timmy hatte die beiden als Assistenten engagiert. Vorläufig. Bis nach der Hinrichtung fürs erste.
Er selbst drehte sich eine Zigarette und fragte sich, was er an Sams Stelle dem todgeweihten McIan zu sagen hätte. Ihm fiel nichts ein.
Und plötzlich erhob sich das Geschrei im Zellentrakt.
Timmy ließ den Tabak fallen. Er stürzte in das Halbdunkel des Zellentrakts. Im Laufen riss er seinen Remington heraus und spannte den Hahn. Coleman und Brown stolperten hinter ihm her.
Vor McIans Zelle blieb er stehen. Was er hinter den Gitterstäben sehen musste, brachte sein Blut zum Sieden: McIan zog Sams Hosengurt um dessen Hals zusammen. Eng an die Rückwand der Zelle gepresst hielt er den schlaffen Körper des Reverends als Kugelfang vor sich fest.
"Du Sauhund!", brüllte Timmy. "Du verfluchter Sauhund...!"
"Bleib cool, Baxter", keuchte Pat. Er war außer Atem. "Ob du's glaubst oder nicht - ich will leben. Und jetzt schließ auf."
"Ich krieg dich!", brüllte Timmy. "Ob du zum Pazifik reitest oder hoch in die kanadischen Wälder - ich krieg dich!"
Pat zog den Gurt um Sams Hals noch enger zusammen. Sam fuchtelte nur schwach mit den Armen. Sonst keine Gegenwehr. Sein Gesicht lief blau an. Timmy sah es trotz der einbrechenden Dunkelheit. Sam blutete aus Nase und Mund. "Steck deine Waffe ins Holster, schließ auf und werf deinen Patronengurt zu mir."
Timmy biss die Zähne zusammen. Er schaukelte hin und her wie ein Mann vor dem Sprung über eine tiefe Schlucht. Wut, Pflichtgefühl und Angst um Sam zerrten an ihm. Die Texaner starrten ihn durch die Gitter an, Coleman und Brown starrten ihn an. Sam röchelte und strampelte mit den Beinen.
"Dafür leg ich dich um", zischte Timmy. Er steckte den Revolver ins Holster, fummelte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Seine Hände zitterten, als er seinen Waffengurt löste. Er schleuderte ihn Pat vor die Stiefelspitzen. Der lockerte den Gurt um Sams Hals. Pfeifend schnappte Sam nach Luft.
Blitzschnell bückte Pat sich nach dem Revolver. "Weg mit den Schießeisen." Er richtete die Waffe auf Coleman und Brown. Sie gehorchten. "Und jetzt ans Ende des Gangs." Pat winkte sie an der Zelle vorbei. Alle drei zogen sich bis an die Wand zwischen den letzten beiden Zellen zurück.
Die Waffe auf den Marshal und seine Assistenten gerichtet, schob Pat den keuchenden Reverend vor sich her aus der Zelle. "Rein mit euch!" Nacheinander schlichen sie in die Zelle. Zuerst Timmy, dann Coleman, dann Brown. Pat stand hinter der offenen Gittertür und beobachtete sie aus lauernden Augen.
Noch auf der Schwelle fuhr Jeremy Brown plötzlich herum. Er warf sich gegen die Zellentür. Die rammte Sam und Pat. Beide stürzten auf den Steinboden.
Timmy und Coleman stürmten aus der Zelle. Brown bückte sich nach seiner Waffe. Und dann ging alles sehr schnell: Schüsse fielen, Männer brüllten durcheinander, Fäuste flogen und Körper wälzten sich aneinander gekrallt auf dem schmalen Gang.
Pat hatte keine Chance. Zu zweit schlugen sie ihn nieder. Timmy und Coleman zerrten den Bewusstlosen zurück in die Zelle. Die anderen beiden blieben am Boden liegen. Brown war tot. Sam krümmte sich und hielt sich den Bauch fest...
*
Der Doc packte seine Tasche zusammen. Er machte eine finstere Miene. Kathy saß auf Sams Bett. Mit einem feuchten Tuch wischte sie ihm den kalten Schweiß von der Stirn. Sie weinte leise vor sich hin.
Timmy folgte dem Doc zur Tür. Dort blieb er stehen und sah sich um. Sams Gesicht hatte die Farbe geschmolzenen Kerzenwachses. Die Nase kam Timmy merkwürdig spitz vor. Er atmete schnell. Das schwarze Haar klebte ihm nass in der Stirn.
Der Arzt winkte ihn aus dem Zimmer. Timmy schloss die Tür hinter sich. "Bauchschuss", brummte der Doc. "Sieht nicht gut aus. Ich gehe jetzt nach Hause und hol meine Instrumente. Ich werd versuchen die verdammte Kugel aus ihm heraus zu schneiden."
Hinter ihm her wankte Timmy die Treppe hinunter. Der Arzt eilte zum Saloon hinaus. Timmy ging an die Theke. Carl Rowling schenkte ihm einen Doppelten ein. "Bauchschuss." Timmy merkte, dass seine Stimme zitterte. Deswegen hielt er lieber den Mund. In ihm tobten Wut und Trauer.
Er leerte das Glas. Dann ging er hinaus in die Dunkelheit. Hinüber in sein Office...
*
Jude hörte die Nachricht von einer Frau, die ihr Kleid bei ihr abholte. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie wieder allein war. Pat, du Tier, warum musstest du das tun...?
Eine unsinnige Frage. Jude konnte sich die Antwort selbst geben: Er wollte nicht sterben, so einfach war das. Sie setzte sich an den Küchentisch und schenkte sich einen Whisky ein. Durch das geschlossene Fenster starrte sie hinüber zum Office. Du willst leben, Pat, und ich will auch, dass du lebst...
Sie sah die hagere Gestalt eines Mannes auf der anderen Straßenseite. Es war zu dunkel, um sein Gesicht zu sehen. Jude erkannte ihn an seinem Gang - Timothy Baxter. Er lief über den Bürgersteig und verschwand im Office.
Sie wusste, dass er sie an diesem Abend nicht besuchen würde. Aber morgen - falls sein Freund dann noch leben würde...
*
Timmys Linke schloss sich um den Gitterstab. In der Rechten hielt er eine Fackel. Ihr flackernder Lichtkegel fiel auf die zusammengekauerte Gestalt auf der Zellenpritsche. Die Schatten der Gitterstäbe zitterten auf einem blutverkrusteten Gesicht. Aus müden Augen hielt Pat dem Blick des Town-Marshals stand.
"Wenn er stirbt, bring ich dich um", flüsterte Timmy.
*
Am frühen Morgen verließ Jude das Haus. Sie lief in den 'Arkansas Billard Room'. An einem der Tische hockte ein erschöpfter Marshal. Er schlürfte Kaffee und rauchte.
Jude setzte sich neben ihn. "Wie geht es deinem Freund, Timmy?" Ihre Stimme war heiser, weil sie sich vor der Antwort fürchtete.
"Der Doc hat die Kugel 'rausgeholt. Er gibt ihm eine Chance."
Jude atmete erleichtert auf. Sie legte die Hand auf Timmys Schulter und legte den Kopf gegen seinen Oberarm. "Gott sei Dank", seufzte sie.
"Er ist noch lange nicht über dem Berg, sagt der Doc, aber er gibt ihn eine echte Chance. Kathy ist bei ihm."
Eine Zeitlang saßen sie schweigend nebeneinander. Jude wollte fragen, wer die Kugel auf Sam abgefeuert hat. Sie schluckte die Frage hinunter. "Kommst du heute Abend?", fragte sie stattdessen. Timmy nickte.
Jude stand auf und huschte die Treppe hinauf. Vorsichtig klopfte sie an die Zimmertür und trat ein. Kathy erhob sich. Sie fielen sich in die Arme. Jude sah die Hoffnung in den feuchten Augen der Freundin. Sie trat ans Bett. Der Reverend schlief. Seine Atemzüge klangen beruhigend gleichmäßig.
"Ich bete so, dass er es schafft", flüsterte Kathy.
Noch einmal umarmte Jude ihre Freundin. "Viel Glück wünsche ich dir, hörst du? Alles Glück der Welt." Kathy nickte. Und wunderte sich, denn es klang wie ein Abschiedsgruß.
Direkt vom 'Arkansas Billard Room' aus ging Jude zur Bank. Auch dort wunderte man sich über sie. Sie hob ihr gesamtes Vermögen ab. "Haben Sie eine größere Anschaffung vor der Brust, Mrs. Gabriel?" , fragte der Bankdirektor.
"Ja." Jude steckte die Dollars in ihre Tasche. "Ich will mir eine von diesen modernen Nähmaschinen anschaffen. Und das Dach muss ausgebessert werden."
Die Erklärung befriedigte den Bankdirektor nur halb. Trotzdem nickte er und lächelte freundlich.
Von der Bank aus ging Jude in die Drogerie. Sie verlangte Klofelin. Der Drogist runzelte die Stirn. Doch widerspruchslos stellte er ihr ein Fläschchen des starken Betäubungsmittels auf den Ladentisch. Wie gesagt - Jude hatte einen guten Ruf in Dogde City. Niemand traute ihr etwas Böses zu.
"Vorsicht, Miss Gabriel." Der Drogist deutete auf das Fläschchen. "Nicht mehr als zwei oder drei Tropfen - zuviel von dem Zeug haut den stärksten Mann aus den Stiefeln."
"Ich weiß", sagte sie. "Ich nehm's bevor ich morgen zum Zahnarzt gehe. Ich werd mich zurückhalten."
Den Rest des Tages verbrachte Jude damit ihre liebsten Kleider und ihre Wäsche zusammen zu packen. Es fiel ihr schwer zu entscheiden, was sie zurücklassen, und was sie mitnehmen sollte. Zwei geschnürte Bündel und zwei Taschen füllte sie im Lauf des Tages. Sie schaffte sie in den Stall. Immer wieder blieb sie am Fenster stehen und blickte hinüber zur Fassade des Office...
*
Die Abenddämmerung lag schon über der Stadt, als Timmy den 'Arkansas Billard Room' verließ. Er hatte noch einmal nach Sam geschaut. Das Fieber stieg nicht heftiger als erwartet, und Sam war bei klarem Bewusstsein. Sie waren zuversichtlich, Kathy und er. Obwohl der Arzt sich sehr bedeckt hielt. "Abwarten", sagte er nur, und: "Er ist noch nicht überm Berg."
Du schaffst es, dachte Timmy, während er den Bürgersteig entlangschritt und Judes Haus ansteuerte. Das erschöpfte Gesicht seines Freundes stand vor seinem inneren Auge. Gelächelt hatte Sam. Was glaubt ihr, hatte er gesagt, ich sterb doch nicht - der HERR brauch mich noch in Oregan...
Zum ersten Mal während ihrer fast einjährigen Freundschaft war es Sam gelungen, Timmy mit seinem Glauben anzustecken.
Er klopfte an Judes Tür. Sie ließ ihn herein. Bewundert glitten seine Augen über ihren Körper. Sie trug ein enges, dunkelrotes Kleid. Ein weißer Rüschensaum rahmte den runden Ausschnitt und die nur halbverdeckten Wölbungen ihrer Brüste ein. Timmy atmete tief durch. "Du siehst fantastisch aus."
"Danke." Jude drückte die Tür zu. Timmy fiel nicht auf, dass sie abschloss.
Feuer knisterte im Herd. Eine Pfanne stand darauf. Etwas bruzelte darin. Es roch nach gebratenem Fleisch. Timmy sog den Duft ein. Ihm wurde bewusst, dass er seit dem Zwischenfall im Office gestern Abend nichts mehr gegessen hatte. Der Hunger überfiel ihn mit solcher Macht, dass sein Magen knurrte.
"Setz dich." Jude wies auf einen Platz am gedeckten Tisch. Zwei Gläser standen dort und zwei Teller. Jude ging zum Herd. Er betrachtete sie von hinten.
Jetzt erst merkte er, dass sie ihr dickes, rotes Haar zu seinem Zopf zusammengebunden hatte. Über ihre weiße Schulter hing er nach vorn, und Timmy konnte ihren Nacken und einen Teil ihres Rückens bewundern. Ihre weiße Haut war von lauter niedlichen Sommersprossen übersät.
"Die Steaks sind gleich fertig", sagte Jude. Unter dem engen Stoff ihres Kleides zeichnete sich das Spiel ihrer Schulterblätter ab.
Timmy Blick wanderte nach unten. Über ihre Taille und Hüften bis zu ihrem Gesäß. Seine Augen saugten sich daran fest. Sie hatte einen Hintern, der fest aussah. Ihr Becken wirkte breit unter der schmalen Taille. Oder war es der raffinierte Schnitt des langen Kleides, der ihm den Eindruck vermittelte?
Während sie vor dem Herd herumtänzelte, pulsierten die Muskelstränge ihrer Gesäßbacken. Timmy genoss es. Sein Mund wurde trocken. Das Ziehen in seinen Lenden erinnerte ihn daran, dass er lange keine Frau mehr gehabt hatte. Seit sie in Santa Fe aufgebrochen waren nicht.
Er wandte den Blick rasch ab, als sie sich umdrehte und das Fleisch auftrug. Es duftete herrlich, und Timmy langte zu. Ihm fiel auf, dass Jude nur häppchenweise aß. Er überlegte, ob das mit dem bevorstehenden Tag zu tun hatte. Mit der Hinrichtung McIans.
Er fragte sich, ob sie sich für ihn so schön gemacht hatte. Blöde Frage, natürlich, du Idiot... Und er fragte sich, ob eine Frau, deren Ex-Lover nur noch wenige Stunden vom Galgen trennten, ob eine Frau in dieser Situation sich für einen anderen Mann schön machen sollte...
Jude erhob sich, griff nach dem Bierkrug auf dem Tisch und schenkte das schäumende Gebräu in die beiden Gläser. Für Sekunden schwebten die weißen, sommersprossigen Wölbungen ihrer Brüste vor Timmy Augen. Wie große, weiß eingerahmte Glocken ruhten sie im roten Stoff des Kleides. Timmy vergaß seine Fragen.
Er erzählte von Sam, er erzählte von Kathy und berichtete jedes einzelne Wort des Doktors. Sie hörte zu, fragte nach, hörte zu, fragte nach. Irgendwann ging ihm der Gesprächsstoff aus. Seine Gedanken kreisten um die Hinrichtung am Vormittag. Der Schreiner und der Zimmermann hatten schon den Galgen errichtet. Nicht mal zwölf Stunden, und McIan würde hängen.
Natürlich vermied Timmy dieses Thema. Und selbstverständlich sprach auch sie es nicht an.
Wieder krochen Fragen in Timmys Hirn herum. Konnte es wirklich sein, dass eine Frau einen langjährigen Liebhaber fallenließ, nur weil ein Gericht seine Schuld als erwiesen ansah? Nach Timmys Gefühl hätte sie sich eher an dem Glauben festklammern müssen, dass ihr Lover nie im Leben ein Mörder sein konnte.
Jude stand auf, um Timmy ein zweites Steak aus der Pfanne zu holen. Diese Frau hier aber, dachte Timmy, diese Frau kocht sogar für mich. Am Vorabend des Todes ihres Ex-Geliebten...
Plötzlich stand Jude mit der Pfanne neben ihm. So nah, dass sein Arm ihren Oberschenkel berührte. Er spürte die feste Muskulatur unter dem Stoff. Der Atem stockte ihm. Wie weggeblasen seine misstrauischen Fragen.
Sie beugte sich über seinen Teller, um ihm das Steak aufzutun. Er spürte ihre Wärme, er atmete ihren Duft ein - das Bild einer Sommerwiese, die er einmal in Kentucky gesehen hatte, blitzte in seinem Kopf auf. Sie hatte genauso geduftet...
Timmy konnte nichts dagegen tun: In seiner Hose regte sich etwas. Das Blut perlte ihm plötzlich heiß durch die Lenden. Sie drehte sich um und trug die Pfanne zurück zum Herd. Timmy Augen verloren sich rettungslos im Wiegen ihrer Hüften und im Muskelspiel ihres Hinterns.
Als sie vom Herd zurückkam und an ihm vorbei zu ihrem Platz gehen wollte, hielt er sie fest. Auf einmal lagen seine Hände auf ihrer Taille.
Schweigend blickte er zu ihr hinauf. Er sah ihre Brüste über sich schweben. Deutlich zeichneten sich die herrlichen Formen unter dem Kleid ab. Sie hoben und senkten sich rasch. Als wäre Jude erregt.
"Du bist schön." Spröde und brüchig klang Timmys Stimme. Lange hatte er sich nicht so sprechen gehört. Er schluckte.
Sie antwortete nicht. Dafür legte sie ihre Hände auf seine. Für einen Moment glaubte er, sie wollte seine Hände von ihrem Körper schieben. Aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil - sie drückte seine Hände in ihre Taillen. Er spürte die Hitze ihres Fleisches unter dem Stoff. Es war als würde sie vor Verlangen beben.
Und dann zog sie seine Hände langsam hinauf. Er spürte ihre straffen Bauch unter seinen Fingern, dann ihre Rippenbögen, und schließlich lagen seine Hände auf ihren Brüsten. Prall fühlten sie sich an, prall und warm. Timmys Atem beschleunigte sich.
Jude trat noch näher. Ihre Knie berührten seine Schenkel. Es war wie ein Aufforderung. Timmy drehte sich zu ihr, so, dass sie schließlich zwischen seinen Beinen stand. Sie schob seine Hände höher. Seine Fingerspitzen berührten den weißen Rüschensaum ihres Ausschnitts. Und dann die warme, sommersprossige Haut ihrer Brustansätze.
Er blickte in ihre großen, grünen Augen. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und feucht. Timmy krümmte die Finger, schob sie zwischen Rüschensaum und Fleisch und zog den Ausschnitt über ihre Brüste.
Bis zu den Ellenbogen rutschte ihr das Kleid hinunter. Und fast bis zum Bauchnabel. Und die herrlichen, weißen Glocken quollen heraus.
Hart und groß scheuerte Timmy Schwanz gegen den Stoff seiner Wildlederhose. Sein Atem ging plötzlich keuchend, er konnte nichts dagegen tun.
Ihre Brüste hingen über vor seinen Augen. Die Welt schrumpfte auf diese zwei festen, großen Fleischglocken zusammen. Langsam, ganz langsam näherte sich Timmys Kopf ihnen. Er liebkoste die Warzen, bis sie sich aufrichteten. Er öffnete den Mund und ließ seine Lippen über die Kuppen der sommersprossigen Wölbungen gleiten. Wieder und wieder, ganz sanft. Er hörte ihren zitternden Atem.
Und dann griff er zu, riss sie an sich, wühlte sein Gesicht zwischen die warme Pracht, füllte seinen Mund damit, kaute, küsste und leckte. Ihre Becken kreiste vor ihm. Sie bog den Kopf in den Nacken zurück und stöhnte. Seine Hände kreisten über ihre Taille, ihre Hüften, schoben sich nach hinten auf ihr festes Gesäß.
Er verschlang ihre Brüste schier, und gleichzeitig griff er tief in das Fleisch ihres Hinters. Der Lustrausch riss ihn mit sich.
Der Stoff des Kleides störte ihn plötzlich. Kreisend arbeiteten sich seine Hände über die Rückseite ihrer Oberschenkel. Sie presste seinen Kopf gegen ihren Busen, und er begann das Kleid hochzuziehen. Zog und zog, bis er Haut fühlt, bis seine Hand sich zwischen ihre Schenkel schieben konnte...
Sie stöhnte laut auf. Ihre Hände legten sich auf seine Schultern. Sanft drückte sie ihn von sich und trat einen Schritt zurück. Schwer atmend sahen sie sich an. "Dein Steak wird kalt", sagte sie heiser.
"Ich hab keinen Appetit auf mein Steak." Seine raue Stimme vibrierte. "Ich hab Appetit nach dir." Das war maßlos untertrieben - er gierte nach ihr.
Sie fasste seine Hand und zog ihn hoch. "Willst du einen Drink?" Er nickte. Alles was sie wollte, wollte auch er. Sie zog ihn hinter sich her ins Schlafzimmer.
Ein kleiner Raum. Vor dem einzigen Fenster war es dunkel. Sie zog die Vorhänge vor, bevor sie eine Kerze entzündete. Der Leuchter stand auf dem Nachttisch. Warmes Licht floss in den Raum, strömte über Bett und Kissen und Teppiche. Judes Schatten flackerte an der Wand. Das Kleid hing in ihren Ellenbeugen. Timmy sah die Umrisse ihrer Brüste.
Eine Whiskyflasche stand auf dem Nachtisch. Daneben ein Glas. Auch hier alles vorbereitet, dachte Timmy während sie ihm einschenkte. Sie reichte ihm das Glas. Dann trat sie einen Schritt zurück.
Langsam streifte sie das Kleid über die Arme. Ihre Hüften drehten sich anmutig, während sie den Stoff über sie zog. Sie ließ das Kleid auf den Teppich fallen und stieg heraus.
Ihre Beine waren so weiß wie ihre Brüste. Lange, schlanke Beine. Timmys Herzschlag trommelte von innen gegen seine Kehle. "Auf dein Wohl", lächelte sie.
Dann zog sie ihr Höschen aus, ein schwarzes Spitzenhöschen. Timmy hielt den Atem an. Ihr Schamhaar schimmerte rötlich im Kerzenlicht. Kurz und pelzig sah es aus. Seine Augen wanderten über ihre schmale Taille, verharrten auf ihrem kleinen Bauchnabel, glitten zur ihren weißen, gesprenkelten Glocken hinauf, dann über ihren schlanken Hals bis zu ihrem schönen Gesicht.
"Trink aus und komm", sagte sie. Rückwärts schritt sie zum Bett, während Timmy das Glas leerte. Er stellte es auf dem Nachttisch ab und löste seinen Revolvergurt. Die Waffe prallte dumpf auf dem Teppich auf.
"Komm", flüsterte Jude. Sie setzte sich aufs Bett und schlug die Beine übereinander.
Timmy streifte die Weste ab und zog sich das Hemd über den Kopf. Er öffnete die Knöpfe seiner Wildlederhose und zog sie aus. Langsam näherte er sich ihr. Als er vor ihr stand, streifte er schließlich auch seine Unterhose ab.
Sie streckte den Arm aus. Sanft berührten ihre Fingerspitzen seinen Schwanz. Ein Glutstrom ging von ihrer Berührung aus und schoss durch seinen Körper.
Jude schob sich rückwärts aufs Bett. Sie öffnete die Beine. "Komm", hauchte sie und legte sich auf den Rücken.
Timmy kniete sich vor sie ihm Bett hin. Nebel zog plötzlich durch seinen Kopf. Er fasste nach ihren Knien und spreizte ihre Schenkel auseinander.
Der Nebel in seinem Kopf legte sich schwer und dunkel auf sein Hirn. Er wankte, als er zwischen ihre Schenkel rutschte. Plötzlich verschwamm die nackte Frau vor seinen Augen. Der Blick ihrer grünen Augen hielt ihn fest. "Komm", hörte er sie sagen. Es klang, als würde sie von einem anderen Zimmer aus rufen, von einem anderen Zimmer auf der anderen Straßenseite.
Seufzend sank Timmy über sie. Er spürte ihre warme, weiche Haut. Ihr Duft kroch in seine Nase. Er stöhnte laut. Er wollte nach seinem Schwanz greifen um ihn in sie hineinzuschieben. Aber er tastete nur eine weiche, klebrige Masse.
Was ist mit mir, wollte er sagen, aber nur ein undeutliches Gestammel kam über seine Zunge. Seine Adern schienen sich mit warmem Blei zu füllen, seine Lider fielen zu und ließen sich nicht mehr öffnen.
Die warme Körper unter ihm begann sich zu winden. Er spürte noch, wie sich ihre Hände gegen seinen Brustkorb stemmten, um ihn zur Seite zu rollen. Dann saugte der schwarze Nebel in seinem Kopf auch die letzten verwaschenen Eindrücke seiner Sinne auf...
*
Die Männer drängten sich an der Theke des 'Arkansas Billard Rooms'. Kathy hatte alle Hände voll zu tun. Nur alle zwei Stunden fand sie Zeit nach oben zu gehen und Sam zu pflegen. Er schlief die meiste Zeit.
Sie schenkte Whisky und Bier aus, sie trug unzählige Tabletts mit Essen aus der Küche in den Schankraum, sie lächelte nach links und nach rechts und wehrte zudringliche Cowboys ab. Niemand merkte ihr an, dass sie ihre Arbeit an diesem Abende nur mit halbem Herzen tat. Ihre Gedanken und Gefühle kreisten ständig um den schwerverletzten Mann im Obergeschoss.
Obwohl der Saloon gerammelt voll war und die Texaner sich gegenseitig auf die Füße traten, gab es keinen Ärger. Der Eindruck der Gerichtsverhandlung und die bevorstehende Hinrichtung lag wie ein Schatten auf allen. Die Männer rissen sich zusammen, als würde Richter Abraham Webster persönlich anwesend sein. Dabei war er am Abend abgereist.
Es muss schon nach zehn gewesen sein, als ein paar Reiter von Kathys Vater den Saloon betraten. Sie drängten sich durch die Menge der Gäste. An ihrer Spitze Joey Plymouth, der Vorarbeiter der Rowling-Ranch.
Die Cowboys an der Theke rückten zusammen, Plymouth und seine Männer orderten Whisky. Kathy schenkte aus. Sie plauderte mit diesem und jenem. Schließlich kannte sie die meisten der Männer gut. Manche schon seit ihrer frühsten Jugend.
Bei Plymouth erkundigte sie sich nach der Ranch, nach dem Vieh und nach ihrem Vater. Er erzählte in seiner einsilbigen Art. Und während er erzählte, zog er eine angebrochene Packung Kautabak aus der Hemdtasche.
Kathys Augen blieben an der aufgerissenen Packung hängen. Rotes Papier. Der Abend, an dem Hank Davids ermordet wurde, fiel ihr ein. Ihr Vater, der mit ihr über die Theke hinweg sprach, der Town-Marshal, der einen Fetzen Papier auf den Tresen legte. Einen roten Fetzen Papier. Von dem gleichen Rot wie Joey Plymouths Kautabakpackung. Und mit den gleichen schwarzen Buchstaben darauf. Ich muss dringend mit dir reden, hatte Hank Davids gesagt und auf den Papierfetzen gedeutet...
Die Erinnerung beunruhigte Kathy. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken. Tat ihre Arbeit wie zuvor. Aber das Bild des roten Papierfetzens wollte nicht mehr von ihrer inneren Bühne weichen. Immer wenn sie in Plymouths Nähe kam, streifte ihr Blick die Kautabak-Packung. Er hatte sie auf den Tresen neben sein Glas gelegt.
Gegen Mitternacht leerte sich der Saloon. Es wurde ruhiger im 'Arkansas Billard Room'. Aber Kathy wurde immer unruhiger. Plymouths Kautabak, der rote Papierfetzen zwischen Hank Davids Fingern - es arbeitete in ihr. Doch sie sah den Zusammenhang mit Davids Tod nicht. Und schon gar nicht den Zusammenhang mit ihrem Vater.
Kurz nach Mitternacht stieg sie die Treppe hinauf, um nach Sam zu sehen. Er lag wach im Bett. Und war schweißgebadet. "Um Gottes Willen, Sam...!" Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. Er war glühend heiß. "Dein Fieber ist gestiegen..."
"Keine Panik", stöhnte er.
Sie zog ihm das Nachthemd aus und wusch ihn kalt ab. Sie gab ihm zu trinken und lüftete. Sorgenfalten türmten sich auf ihrer Stirn, während sie den fiebernden Sam betrachtete. Das eingefallene Gesicht, die spitze Nase, die trockenen, blutleeren Lippen - er sah schlecht aus. Wie ein Sterbender, dachte Kathy. Schnell schob sie den Gedanken beiseite.
Sie setzte sich zu ihm aufs Bett. Er versuchte zu lächeln. Kathy tupfte ihm den Schweiß aus dem Gesicht. "Erzähl mir was", krächzte Sam.
Ihr fiel nichts ein, weil ihre Gedanken schon wieder um den roten Papierfetzen kreisten. Also erzählte sie ihm davon.
"Bullshit...", krächzte er. Seine Stimme war schwach. "Davids hat etwas im Gras gefunden... als wir die Mörder der Blundfields jagten... vielleicht war es das... vielleicht..." Seine Stimme versagte. Er schloss die Augen. Kathy sprach ihn an, aber Sam reagierte nicht.
Kathy zog sich einen Sessel ans Bett. Sie beschloss hier bei ihrem Geliebten zu übernachten. So schlecht, wie Sam aussah, konnte sie ihn nicht alleinlassen.
Eine Zeitlang lag sie im Sessel und starrte in das Kerzenlicht. Sie döste ein, wachte wieder auf, döste ein. Und immer die bohrenden Gedanken - das rote Papier, der tote Hank Davids, die Blundfields, die Pferdediebe... selbst in ihren Träumen. Ein Damm schien sich in ihrem Kopf aufzuschichten. Ein Damm, vor dem sie Halt machte, den ihre Gedanken auf keinen Fall überschreiten durften...
Gegen eins schlug Sam noch einmal die Augen auf. Wieder wusch sie ihm den Schweiß von Brust und Gesicht. Er glühte. "Dein Vater...", flüsterte er. "...kann es sein... kann es sein, dass er mit den Pferdedieben zu tun hat...?"
Ein Eiszapfen bohrte sich in Kathys Hirn. Der Damm in ihrem Kopf brach. Der Damm, den ihre Gedanken nicht überspringen durften. "Niemals", platzte es aus ihr heraus. Und eine Stimme in ihr raunte: Was macht dich so sicher...?
"Du musst... du musst zu Timmy gehen... du musst ihm das sagen... das mit dem Papier..." Sams Stimme war kaum noch zu verstehen. Schon versank er wieder im Fieberdelirium.
Kathy hielt seine Hand. Sie war heiß und feucht. Die Bilder in ihrem Kopf hielten sich hartnäckig: Plymouth mit seinem Kautabak, der rote Fetzen, der tote Town-Marshal, der mit ihrem Vater den Saloon verläßt... Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Aber immer häufiger kehrten ihre Gedanken zu ihrem Vater zurück...
Sie ging nicht ins Office. Sie sagte Timothy Baxter nicht Bescheid. Etwas in ihr hinderte sie daran. Kathy lauschte den raschen Atemzügen ihres Geliebten. Irgendwann döste sie ein...
*
Rachefantasien wühlten ihn auf. Panikanfälle schnürten ihm die Kehle zu. Schwer atmend tigerte er durch die Zelle. Von der Außenwand zum Gitter und zurück, wieder und wieder. Sein Haar triefte vor Schweiß. Angstschweiß. Das Hemd klebte ihm am Körper. Es war dunkel in der Zelle, es war dunkel draußen vor dem kleinen, vergitterten Fenster. Doch wohin Pat auch blickte, überall meinte er einen Galgen zu sehen.
"O verflucht", stöhnte einer der Texaner in der Nachbarzelle. "Warum haben sie dich nicht schon heute aufgeknüpft. Ich will endlich mal wieder schlafen." Pat antwortete nicht.
Irgendwann hörte er Stimmen hinter der Tür zum Office. Pat wusste, dass Jesse Coleman dort hinter seinem Schreibtisch döste. In der Nacht vor einer Hinrichtung hatte immer einer im Office zu sein. Er kannte das aus seiner eigenen Zeit als Assistent des Town-Marshals.
Die Tür zum Zellengang öffnete sich. Matter Lichtschein fiel aus dem Office in den Gang. Colemans Gestalt erschien im Türrahmen. Merkwürdig langsam schritt er zwischen den Zellen entlang. Er streckte beide Arme über den Kopf.
Pat stürzte an die Gitterstäbe der Zellentür. Sein Hirn weigerte sich zu glauben, was er sah: Eine Frau ging hinter Coleman. Sie drückte ihm den Lauf eines Gewehres in den Rücken und schob ihn von Zellentür zu Zellentür.
"Jude...", flüsterte Pat. Seine Augen füllten sich mit Tränen als er begriff. "Jude, meine Jude..."
"Aufschließen", hörte er Jude zischen. Dann klirrte ein Schlüsselbund. Das Schloss schnappte zweimal, Scharniere quietschten, die Zellentür wurde aufgezogen.
"Hey, Ma'am..." Die Texaner sprangen von den Pritschen. "Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht in der Haustür geirrt haben?" Die Männer hingen an den Gitterstäben und beobachteten die Szene.
"Schlag ihn nieder", flüsterte Jude. Pat schlug zu, dreimal - Coleman prallte gegen die Zellenwand, rutschte auf den Boden und schlug hart mit dem Kopf auf. Pat fesselte und knebelte ihn.
"Sind sie zufällig der Erzengel Michael, Ma'am?", krächzte einer der beiden Texaner, der Katholik. "Dann denken Sie an mich. Bis vor zwei Jahren war ich einmal im Monat beichten, ich schwör's Ihnen. Ich sag Ihnen auch das Vaterunser auf." Er fing tatsächlich an zu beten.
Pat huschte aus der Zelle, Jude schloss ab. "Halts Maul!", fuhr Pat den Katholiken an. Der Mann verstummte.
Jude öffnete die Zellentüren der Texaner. "Verschwinden Sie", flüsterte sie. "Viel Glück..."
Hinter Jude her lief Pat durch den Zellengang, dann durch das Office, dann nach draußen. Die Texaner drängten sich an ihnen vorbei, liefen über die Straße und verschwanden zwischen den Häusern.
Drei Pferde standen vor dem Bürgersteig auf der Mainstreet. Eins davon mit Bündeln und Taschen bepackt. Pat und Jude bestiegen die anderen beiden.
"Wie hast du das geschafft?", flüsterte Pat. "Wie kommst du an die verdammten Schlüssel?" Er trieb sein Pferd an.
"Ich hab sie dem neuen Town-Marshal abgenommen." Nebeneinander ritten sie über die Mainstreet. Kaum Passanten auf dem Bürgersteig. Es war fast zwei Uhr.
"Wie hast du das geschafft? Wie zum Teufel?!"
Jude antwortete nicht. Und Pat ließ es gut sein.
Erst am Ende der Stadt gaben sie den Pferden die Sporen. In gestrecktem Galopp jagten sie in die Nacht...
*
Die Morgensonne schien durch das Fenster ins Zimmer. Kathy öffnete die Augen und blinzelte. Sams rasche Atemzüge alarmierten sie. Sie rieb sich die Augen und beugte sich über ihn. Sein Atem flog. "Sam?" Eine kalte Hand griff nach ihrer Kehle. "Sam?" Er reagierte nicht.
Sie fühlte seinen Puls. Er raste - sie konnte die Herzschläge nicht zählen. "O Gott, Sam...!" Sie kniete vor dem Bett und legte ihren Kopf auf seine Brust. Klebrig und heiß die Haut, ein Trommelwirbel raste unter dem Brustbein.
Kathy richtete sich auf. Bläuliche Flecken auf seiner fahlen Haut. Wie aus Marmor sah sie aus. Sie stand auf. "Ich muss Timmy Bescheid sagen..." Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie stürzte aus dem Zimmer, die Treppen hinunter und aus dem 'Arkansas Billard Room' hinaus auf die Mainstreet.
Vor dem Office eine Menschentraube. Der Bürgermeister, Männer von der Bürgerwehr, Frauen und Kinder. Die Leute bildeten eine Gasse. Zwei Männer trugen eine Trage heraus. Auf ihr Jesse Coleman mit dick verbundenem Schädel. Der Doc schaukelte hinter ihm her.
Kathy gesellte sich zu den Leuten. Viele erschrockene Gesichter. Einige Männer fluchten vor sich hin. "McIan ist geflohen", erklärte der Bürgermeister. "Und die Texaner. Judith Gabriel hat sie befreit."
Kathy war zunächst sprachlos. "Und... und der Town-Marshal...?", stammelte sie. "...und Timmy?"
Lindsay schnitt eine grimmige Miene. "Frag mich was Leichteres. Wie vom Erdboden verschwunden..."
Kathy dachte an Jude. Wie sie gestern Vormittag nach Sam geschaut hatte. Wie sie sich umarmt hatten... viel Glück wünsche ich dir... alles Glück der Welt...
Sie hatte es schon gestern geplant. Aber was genau hatte sie geplant?
Kathy rannte zurück in den 'Arkansas Billard Room'. Sie besaß einen Schlüssel zum Haus ihrer Freundin...
Keine fünf Minuten später stand sie in Judes Schlafzimmer. Der Town-Marshal lag auf Judes Bett. Splitternackt... Er schlief tief und fest.
"Aufwachen, Timmy! Aufwachen!" Sie schüttelte ihn, sie ohrfeigte ihn - er reagierte nicht. Kathy ging in den Hof und holte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen...
*
Sie ritten bis zum Sonnenuntergang. Immer am Arkansas entlang Richtung Westen. An den Stellen, an denen die Uferböschung nicht zu abschüssig und das Wasser flach war, trieben sie die Pferde in den Fluss. Um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen.
Pat wollte in die Rockys und dann nach Kalifornien. Und von dort aus mit einem Schiff nach Kanada. Jude war mit allem einverstanden.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung trafen sie in der Gegend von Syracuse auf eine Wagenburg. Zwanzig schwere Wagen, die meisten vierspännig. Vollbeladen mit Fässern, Koffern, Werkzeugen und Hausrat. Ein Siedlertreck.
Der Scout hieß Warren Pinewood. Er trug eine alte Armeehose. Es stellte sich heraus, dass er im Bürgerkrieg auf Seiten der Südstaaten gekämpft hatte. Als Kavallerist, genau wie Pat. Die Brücke war gebaut, und die Männer verstanden sich auf Anhieb.
Pinewood wollte nicht wissen, woher Pat und Jude kamen. Er wollte nicht wissen, warum sie ohne Wagen unterwegs waren. Auch die nassgeschwitzten Pferde des Paares interessierten ihn nicht. Er holte eine Flasche Whisky aus seinem Wagen und lud sie zum Essen ein.
Der Treck war unterwegs nach Norden. Am Fuß der Rockys wollten die Siedler bis zum Oregon Trail fahren. Und und auf ihm dann westwärts nach Oregon, wo es Land in Hülle und Fülle gab. Pat und Jude dachten nicht lange nach. Sie schlossen sich dem Treck an...
*
Sam starb am frühen Nachmittag. Zwei Stunden saßen Timmy und Kathy am Bett des Toten. Kathy weinte die ganze Zeit. Timmy stierte in das wächserne Gesicht seines Freundes. Sein Schädel schmerzte, in seiner Brust schlug ein kalter Feldstein statt eines Herzens. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden war mehr geschehen, als er verkraften konnte.
Um vier beerdigten sie Sam. Timmy stand neben sich. Er begriff kein Wort von dem, was der Pastor von sich gab. Zeitweise hatte er den Eindruck einen schlimmen Traum zu träumen.
Ein Traum, aus dem ihn kein Erwachen rettete. Das merkte er spätestens, als er nach der Beerdigung ins Office kam. Lindsay und ein paar Leute der Bürgerwehr erwarteten ihn dort. Auf dem Podest des Galgens hockten Männer aus Dogde City. Niemand sprach ein Wort. Vorwurfsvolle Blicke trafen ihn.
Natürlich gab man ihm die Schuld an der Flucht der Gefangenen. Jeder in Dogde City wusste inzwischen, mit welch raffiniertem Trick Judith Gabriel ihn gelinkt hatte. Es war nichts als peinlich.
"Ich hole ihn mir", sagte Timmy, bevor der Bürgermeister zu Wort kam. "Ich hole ihn zurück, ich schwör's - tot oder lebendig." Der Bürgermeister nickte stumm.
Kathy tauchte vor dem Office auf, während er seine Sachen auf seinen Rotfuchs band. Sie trug noch immer das schwarze Kleid, das sie zu Sams Beerdigung angezogen hatte. "Wie willst du sie finden? Du weißt doch nicht mal in welche Richtung sie geritten sind..."
"Sie reiten dorthin, wo kein Gesetz gilt", sagte Timmy bestimmt. "Nach Westen. Und sie reiten entlang des Arkansas, um keine Spuren zu hinterlassen..."
Vier Stunden vor Sonnenuntergang ritt er aus der Stadt. Kathy sah ihm hinterher. Sie dachte an ihre Freundin Jude. Und ertappte sich dabei, dass sie ihr wünschte, sie möge Timmy entkommen. Sie dachte an den roten Fetzen Papier. Und daran, dass sie Timmy davon hätte berichten sollen...
*
Timmy wusste, dass er keine Hohlköpfe verfolgte. Patrick McIan mochte ein jähzorniger Heißsporn sein, ein Gefühlsdusel, aber kein Dummbart. Und was Judith Gabriel auf dem Kasten hatte - er hatte es am eignen Leib erlebt.
Natürlich wäre es möglich gewesen, dass sie dem Arkansas Richtung Osten gefolgt waren. Aber je weiter man sich dem Mississippi näherte, desto spürbarer wuchs der Einfluss des Gesetzes der Vereinigten Staaten. Zwei Gesetzlose - und das waren Pat und Jude in Timmys Augen - würden den Weg in wildere Gegenden bevorzugen, da war Timmy gewiss. Den Weg in den Westen.
Als die Sonne den Horizont berührte und die Dämmerung einsetzte, fand er ihre Spuren auf dem Reitweg nach Garden City. Sie führten in den Fluss hinein und nach einigen Meilen wieder heraus. Und später wieder hinein. Und so weiter. Timmy wusste, dass seine Rechnung aufging.
Die halbe Nacht hindurch blieb er im Sattel. Er brauchte keine Spuren sehen, um zu wissen, dass das Paar dem Lauf des Arkansas gefolgt war.
Die Trauer um Sam und der Durst nach Rache trieb ihn voran.
*
Es war ein überstürzter Aufbruch. Carl Rowling versuchte seine Nichte zu halten. Beschwor sie, bot ihr mehr Geld, jammerte über seine Arbeitsbelastung, schmierte ihr Honig ums Maul - "die Gäste lieben dich, niemand arbeitet so gut wie du", und so weiter, und so weiter.
Doch Kathy ließ sich nicht erweichen. Keine Stunde länger hielt sie es im 'Arkansas Billard Room' aus, in dem Haus, in dem Sam gestorben war. Keine Stunde länger in Dogde City, in der Stadt, in der ihr das Schicksal die Liebe ihres Lebens über den Weg geschickt hatte, um sie ihr gleich wieder zu entreißen.
Sie packte ihre Sachen, ging noch einmal an Sams Grab und ritt dann aus der Stadt.
Die Ranch ihres Vaters lag etwa zehn Meilen westlich von Dogde City, nicht weit vom Ufer des Arkansas. Sie wollte ein paar Tage in vertrauter Umgebung verbringen, wollte nachdenken und eine Entscheidung für ihre Zukunft treffen.
Ihr Vater saß auf dem Zaun der kleinen Pferdekoppel neben der Stallung, als sie in den großen Hof der Ranch einritt. Sie machte das Pferd fest und lief zu ihm.
Nicht weit von dem langgezogenen Flachbau der Stallung entfernt schaufelten ein paar Männer ein Loch. Kathy erkannte Curd Axen, Will Leonard und Joey Plymouth. In der Koppel tollte ein wenige Wochen altes Fohlen herum. Keaton Rowling sah ihm zu. Ein Reiter führte eine Stute aus der Koppel.
Rowling erkannte seine Tocher. Er stieg vom Zaun und begrüßte sie. "Warum bist du nicht in Dogde City?" Er wirkte verwirrt. Für einen Moment glaubte Kathy, sie würde stören. "Braucht Carl dich nicht mehr?"
Kathy erzählte, was passiert war und was sie plante. Keaton Rowling nickte stumm. Eine steile Falte erschien zwischen seinen Brauen. Die Nachrichten aus Dogde City gefielen ihm nicht.
Ein Schuss peitschte über die Ranch. Kathy fuhr herum. Dort, wo die Männer die Grube ausgehoben hatten, stieg Pulverdampf auf. Die Stute, die eben aus der Koppel geführt worden war, lag im Gras und zuckte mit den Beinen. Ein zweiter Schuss fiel, der Körper des Tieres erschlaffte.
"Warum tun sie das?", fragte Kathy verwundert.
"Das Pferd hatte sich am Bein verletzt", knurrte Keaton Rowling. Die Frage schien ihm unangenehm zu sein. "Wäre nichts mehr geworden."
"Ich schaff meine Sachen in mein Zimmer." Kathy winkte und wollte zurück zum Haus gehen. Einer unerklärlichen Eingebung folgend machte sie einen Abstecher zu den Männer, die eben versuchten das tote Pferd in die Grube zu zerren. Vielleicht, weil der rote Fetzen Papier ihr durch den Kopf ging, vielleicht auch nur, um die Männer zu begrüßen.
Sie wurden merkwürdig hektisch, als sie Kathy sahen. Von der Koppel hörte sie plötzlich die Stimme ihres Vaters. Er rief ihren Namen. Die Blicke der Männer flogen zwischen ihr und dem Kadaver hin und her. Einige versuchten zu grinsen. Der Kadaver hing über den Rand der Grube. Und von der Koppel her rief ihr Vater.
Kathy begriff, dass etwas faul war. Etwas, das mit dem Pferd zu tun hatte. Sie achtete nicht auf ihren Vater. Zielstrebig näherte sie sich der Grube. "Wie geht's so?", rief sie.
"Ganz gut, Kathy", antwortete Joey Plymouth. "Doch, doch - ganz gut." Der Kadaver ruschte endlich in die Grube. Die Männer griffen nach ihren Schaufeln. Hektisch begannen sie die Erde über den Kadaver zu schaufeln.
Kathy blieb am Rand der Grube stehen. Sie blickte auf das tote Pferd hinunter. Schwarze, fette Erde klatschte auf seinen Körper und spritzte in alle Richtungen. "War das Bein gebrochen?"
"Ja, ja, Kathy - gebrochen." Plymouth feixte und schob sich ein Stück Kautabak zwischen die Zähne. "Das Fohlen kommt jetzt ohne seine Mutter aus."
Kathy wusste nicht, was ihn zum Feixen brachte. Sie wusste aber, dass dieses Pferd garantiert keine Beinverletzung haben konnte. Hatte sie nicht mit eigenen Augen gesehen, wie sie es aus der Koppel geführt hatten? Es hatte nicht gehinkt.
An der Flanke des toten Tieres erkannte sie ein Brandzeichen. Ein großes 'B' und ein kleines 'F'. Sie wandte sich ab und ging zum Haus.
Sie brauchte den ganzen Weg bis zu ihrem Pferd, um zu verstehen. Ein großes 'B' und ein kleines 'F'... Während sie ihr Bündel vom Pferderücken schnallte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen...
Ihr Vater lief mit großen Schritten von der Koppel aus auf sie zu.
Ein großes 'B' und ein kleines 'F'... 'Brundfield'. Sie wollten das Pferd mit dem Brandzeichen verschwinden lassen. Das Fohlen hatte noch keines. Und sie konnten das Fohlen erst heute von der Mutter trennen. Wahrscheinlich waren die anderen Pferde längst verkauft. Und Dad hat sich in das Fohlen verguckt...
Tränen stiegen ihr in die Augen. Seit der vergangenen Nacht passierte ihr das ständig. Hastig riss sie ihre Sachen vom Pferd und knallte sie auf die Veranda.
Hank David hat den Schnipsel von Joyes Kautabak auf der Jagd nach den Mördern gesucht... an der Fährte der Pferdediebe...
Sie schwang sich in den Sattel. Ihr Vater winkte. "Was hast du vor, Darling?"
Hank hatte Joey in Verdacht - natürlich... er wollte mit Dad darüber reden...
Schwer atmend setzte sich ihr Vater auf die Verandatreppe. "Wohin willst du, Darling?"
...er hat nicht damit gerechnet, dass ein angesehener Mann wie Dad ein Pferdedieb sein könnte... ein Mörder...
"Noch was erledigen."
Schweigend musterte sie das zerfurchte, sonnenverbrannte Gesicht ihres Vaters. Warum hat er das getan? Fürchtete er die Konkurrenz der Brundfields?
Sie riss ihr Pferd herum und preschte aus dem Hof...
*
Drei Stunden schlief Timmy in dieser Nacht. Mit der ersten Morgenröte am östlichen Horizont wachte er auf. Er trank Wasser aus dem Fluss und aß getrocknetes Fleisch und einen Maisfladen. Danach rollte er Decke und Mantel zusammen, band sie hinter den Sattel und ritt weiter.
Am späten Vormittag entdeckte er Spuren, die aus dem Arkansas heraus nach Norden führten. Das erstaunte ihn, denn er hätte gewettet, das McIan und Jude über Syracuse in die Rockys hineingeritten waren. Er stieg ab und sah sich die Fährte genauer an. Tatsächlich - Hufabdrücke von drei Pferden. Timmy drehte sich eine Zigarette. Was zum Teufel wollt ihr im Norden?
Er folgte den Spuren und traf auf eine große Fläche niedergetretenen Grases. Und auf Wagenspuren. Die Antwort auf seine Frage: Ein Siedlertreck...
"Sie haben sich einem Siedlertreck angeschlossen...", murmelte Timmy. Er sah sich auf dem verlassenen Lagerplatz um, untersuchte Feuerstellen, Pferdekot und Abfälle. Und kam zu dem Schluss, dass ihn nicht mehr als höchstens fünf Stunden von McIan und Jude trennten.
"Ich krieg euch!", schrie er. Er stieg in den Sattel und hieb seinem Rotfuchs die Sporen in die Flanken...
*
Durch Fässer, Möbel und Koffer hindurch konnten sie drei Rücken sehen. Ein Ehepaar mit einem halbwüchsigen Mädchen. Die drei hockten auf dem Kutschbock. Pat und Jude lagen unter Decken inmitten des Hab und Guts dieser Leute. Sie hatten ihnen erlaubt, sich in ihrem Wagen schlafen zu legen. Der Nachtritt und die Anstrengung der vergangenen Tag hing ihnen in allen Knochen.
Die drei auf dem Kutschbock bildeten nicht einmal die Hälfte einer Großfamilie, die den Neuanfang in Oregon wagen wollte. Die anderen Familienmitglieder fuhren auf dem Wagen, der vor ihnen durch die Prärie holperte. Ihre drei Pferde hatten Pat und Jude hinter den Wagen gebunden.
An Schlaf war nicht zu denken. Sie wurden durchgeschüttelt, und wenn Jude oder Pat trotzdem eindösten, weckte sie das laute Gelächter der Familie auf dem Kutschbock. Die Leutchen schienen bester Laune zu sein.
"Wir sind nicht die einzigen, die ganz von vorn anfangen wollen", sagte Jude.
"Mutige Menschen." Pat schob seinen Arm unter sie und zog sie an sich. "So mutig wie du." Er küsste sie zärtlich. "Du hast deine ganze Existenz für mich in die Pfanne gehauen - deinen guten Ruf, deine Schneiderei, deine Freiheit."
"Meine Freiheit?" Sie sah ihn erstaunt an.
Er schüttelte den Kopf und grinste. "Darüber hat meine Lady gar nicht nachgedacht - wenn Baxter uns kriegt, landest du im Gefängnis."
"Ich hab darüber nachgedacht", versicherte Jude. "Aber wie könnte ich ein Leben in Freiheit und mit einem guten Ruf als brave Bürgerin führen, wenn du tot bist? Ich musste mich entscheiden."
Er staunte sie an und wusste nicht, was er sagen sollte. "Danke", flüsterte er schließlich. "Wie ein Hund werd ich dir folgen." Er küsste sie auf die Augen. "Solange ich lebe." Jude schlang die Arme um ihn und drängte sich an seinen Körper. Er stank gewaltig nach altem Schweiß. Wie ein Mann eben riecht, der sich seit einer Woche nicht gewaschen hatte. Es machte ihr nichts aus.
"Wie hast du das angestellt?", wollte Pat wissen. "Sag es mir - wie hast du es geschafft, ihm die Schlüssel abzunehmen?"
Jude stieß ein bitteres Lachen aus. "Ich hab dich nicht mehr besucht, und so getan, als würde ich an deine Schuld glauben. Ich tat, als würde ich dich fallen lassen. Und er Timmy hats mir geglaubt."
"Hast du ihn verführt?" Sie nickte. "Hast du mit ihm geschlafen?" Er richtete sich auf. Seine Augen wurden schmal. Eine zornige Falte erschien zwischen seinen Brauen.
"Du Idiot." Jude lächelte müde. "Für dein Leben hätte ich auch mit ihm geschlafen. Aber es kam nicht dazu. Ich hab ihm ein Betäubungsmittel in den Whisky getan. Und jetzt kein Wort mehr davon." Ihre Hände schoben sich unter sein Hemd. Sein Haut fühlte sich klebrig und warm an.
"Wir werden nach Kanada gehen", sagte Pat. Er strich ihre eine rote Haarsträhne aus der Stirn. "Du wirst als Schneiderin arbeiten, und ich werde mir einen Job suchen. Als Wachmann, als Polizist, als Holzfäller - was weiß ich als was." Er löste die Knöpfe ihrer Bluse.
"Und wir werden Kinder haben", flüsterte Jude. Sie warf einen prüfenden Blick zum Kutschbock. Die Leute plauderten und lachten laut. Jude löste Pats Gurt und öffnete die Hose. Ihre Hand tastete nach seinem Schwanz. Er war heiß und bretthart. "Ich will dich in mir spüren", flüsterte sie.
Pat schielte misstrauisch durch die Fracht hindurch zum Kutschbock. Niemand schien sie zu beachten. Er zog die Decken bis zu ihren Hälsen hoch. Dann knöpfte er ihre Bluse auf. Seine Hände glitten über ihren nackten Rücken. Er zog sie zu sich und küsste ihre Brüste. Sie wand sich in seinen Armen und stöhnte ihm leise ins Ohr.
"Dreh dich um", flüsterte er. Sie tat es. Pat zog ihr die Hosen über das Gesäß. Bis zu den Knien streifte er ihr den Stoff. Er hob die Decke an, um ihr weißes Gesäß zu bewundern. Es kreiste verlangend.
Er fasste ihre Hüfte, zog ihr Becken zu sich und schob seine Finger zwischen ihre Schenkel. Die Feuchtigkeit ihrer Spalte trieb seine Erregung auf die Spitze. Er drückte seinen Schwanz zwischen ihre Schenkel. Jude fasste von vorne durch ihre Schenkel, griff nach nach seinem Schwanz und führte ihn zwischen ihre Schamlippen. "Jetzt", flüsterte sie.
Er drückte sich langsam in sie hinein. Sie öffnete sich heiß und feucht. Dass Innere ihres Schoßes rieb über seinen Schwanz. Beide seufzte leise.
Wieder warf Pat einen Blick auf den Kutschbock. Die Leute darauf waren mit sich selbst beschäftigt.
Mit beiden Händen fasste er ihre Hüften. Und dann bewegte er sich in sie hinein, aus ihr heraus, in sie hinein. Sie krümmte sich und stieß ihm ihr Gesäß entgegen. Das Geholper des Wagens verstärkte die Reibung und die Lust. Als wären sie eins, lagen sie Rücken an Bauch und schoben sich einander entgegen. Jude drückte ihre Hand auf ihren Mund als sie kam, und Pat presste seine Lippen in ihren Nacken, während er sich in sie ergoss...
*
Kathy konnte sich kaum noch im Sattel halten. Die ganze Nacht gekämpft. Gegen Müdigkeit und Angst. Allein am Ufer des Arkansas. Allein mit ihrem Pferd. Aus allen Büschen, aus den Weiten des Graslandes schossen ihr die Schemen ihrer Angstfantasien entgegen. Sogar aus den Fluten des Arkansas.
Doch sie hatte durchgehalten. Sie wollte durchhalten, um jeden Preis. Sie wollte das Furchtbare verhindern. Timmy würde Pat ohne Zögern erschießen. Daran zweifelte sie keinen Augenblick. Zu groß war sein Schmerz über den Verlust seines Freundes. Zu tief die Demütigung, die Jude ihm zugefügt hatte.
Sie musste ihn einholen, bevor er Jude und McIan fand. Sie musste, sie musste. Auf dem langen Ritt durch die Nacht hatte sich die nackte Wahrheit in ihren aufgewühlten Gedanken durchgesetzt. Ihr Vater hatte Plymouth von Hanks Verdacht erzählt. Und gemeinsam hatten sie beschlossen den Town-Marshal zu töten. So musste es gewesen sein. So und nicht anders. Wahrscheinlich war es irgendeinem der Reiter ihres Vaters gelungen, dem besoffenen Pat das Messer zu stehlen.
Er muss es erfahren, er muss es wissen, bevor er auf Jude und Pat trifft...
Gegen Mittag fand sie eine Zigarettenkippe neben Hufabdrücken und Stiefelspuren. Nicht weit vom Ufer entfernt. Sie zweifelte nicht daran, dass es Timmys Spuren waren. Sie folgte ihnen, fand die Fährte des Wagentrecks und folgte ihr nach Norden. Sie hatte keine Ahnung, wie viele Meilen sie noch von Timmy trennten...
*
Die Nachmittagssonne brannte heiß auf das Grasland herab. Timmy zog die Zügel an. Sein Rotfuchs fiel aus dem Galopp in einen behäbigen Trab. Er lenkte das Pferd einen Hügel hinauf. Dort hielt er an.
Er zog sich den Hut vom Kopf und wischte sich den Schweiß aus Nacken und Stirn. Sein blondes Haar klebte feucht an seiner Kopfhaut und an seinem Hals. Schaum tropfte von den Nüstern seines Pferdes ins Gras. Sie waren ausgepumpt, beide, Reiter und Tier.
Timmy zog den Tabaksbeutel aus dem Hemd. Das Pferd senkte den Schädel und zupfte Gras von den Halmen. Während er sich eine Zigarette drehte, sah Timmy sich um.
Links im Westen ansteigendes Gelände und dahinter die dunklen Konturen der Rockys. Rechts im Osten Hügel und Gras, so weit das Auge blickte. Und vor sich, im Norden, zog sich der Rand des Vorgebirges entlang. Und davor ebenfalls Gras und Hügel.
Timmy zündete sich die Zigarette an. Er schirmte die Augen vor der Sonne ab und blickte über die Hügel nach Norden. Ein dunkler Streifen zog sich zwischen den Hügeln durchs gelbliche Gras. Er stutzte. Aus schmalen Augen spähte er nach Norden. Der dunkle Streifen bestand aus vielen kleinen Punkten. Wagen. Der Siedlertreck.
Timmy warf die Zigarette ins Gras. "Ho!" Er klatschte die Zügel gegen den Hals des Pferdes und hieb ihm die Sporen in die Flanken. In gestrecktem Galopp jagte er den Hügel hinunter...
*
Jude, neben ihm, war eingeschlafen. Pat starrte auf die Wölbung der Plane über sich. Eine Petroleumlampe schaukelte am Zenit des Holzbogens hin und her. Direkt über ihm.
Er dachte an den Galgen, den sie in Dogde City für ihn errichtet hatten. Und er dachte daran, dass er jetzt schon einige Stunden daran hängen müsste. Und im Wind hin und herschaukeln, wie die Lampe dort über ihm. Der Gedanke jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Seine Nackenhaare richteten sich auf.
Normalerweise müsst ich jetzt tot sein... Ihn fröstelte. Er zog Judes warmen Körper an sich heran.
Pat hob den Kopf und schaute zwischen den Köpfen der Drei auf dem Kutschbock hindurch in den Himmel. Das Licht hatte sich verändert. Ein Flimmern hing unter dem strahlenden Blau. Die Spitzen des hohen Grases darunter bogen sich im Wind. Sie glitzerten, als hätte sich ein Goldschimmer auf sie gelegt. Typische Zeichen des Abendlichtes. Der Tag ging zu Ende. Bald würde die Sonne untergehen.
Hufschlag mischte sich in das monotone Geratter der Wagenräder. Pat richtete sich auf. Ein Reiter näherte sich. "Hey, McIan!" Die Stimme des Scouts. "Hast du 'ne Verabredung?" Jude öffnete die Augen.
Pat warf die Decke zur Seite und kroch nach vorn zum Kutschbock. Warren Pinewood ritt neben dem Vierergespann. Er schaute nach hinten. Pat stellte sich neben den Kutscher auf den Bock, hielt sich an der Planenstrebe fest und folgte der Blickrichtung des Scouts. Ein Reiter folgte dem Treck. Weniger als eine halbe Meile hinter dem letzten Wagen galoppierte er durch das hohe Gras.
"Scheints verdammt eilig zu haben", sagte Pinewood.
Pat beobachtete den Reiter. Er kam näher und näher. Bald sah Pat sein Haar im Wind flattern. Helles Haar. Langes Haar.
"Das ist Timmy!", rief Jude aus dem Inneren des Wagens. Sie hockte vor der hinteren Öffnung der Plane und spähte ebenfalls zurück nach Süden. "Das ist Timothy Baxter!" Ihre Stimme klang ängstlich.
"Kenn ich nicht", knurrte Warren Pinewood. "Aber klingt nach Ärger." Pat sah ihn an und nickte stumm. "Bullshit..." Pinewood griff nach den langen Zügeln des Gespanns und zog daran. Die Pferde hielten an. "Los auf einen anderen Wagen!"
Das Ehepaar und seine Tochter sprangen vom Bock und rannten durchs Gras zu dem zweiten Wagen ihrer Familie. "Sorry!" Der Scout hob bedauernd die Achseln. Muss für meine Leute sorgen." Er trieb sein Pferd an und stieß ein paar Schreie aus. Die anderen Wagen beschleunigten. Pat und Jude blieben zurück.
"Was machen wir?" Jude war nach vorn gekrochen und stand jetzt neben Pat auf dem Kutschbock.
"Es ist zu spät, auf die Pferde zu steigen", sagte Pat heiser. "Er würde uns schnell einholen." Er blickte den Wagen hinterher. Sie entfernten sich rasch. Pat kletterte zurück unter die Plane. Er griff Judes Winchester und lud sie. "Kämpfen wir um unsere Haut."
Jude band die drei Pferde hinter dem Wagen los. Mit einem Klaps auf die Flanke trieb sie die Tiere aus der Schusslinie.
Sie schoben Fässer und Kisten an den hinteren Rand der Ladefläche und gingen dahinter in Deckung. Jude spannte den Hahn eines Revolvers. Pat legte die Winchester an. Als ihr Verfolger bis auf Schussweite heran war, eröffneten sie das Feuer...
*
Timmy war gewarnt. Der Treck, der sich plötzlich entfernte, der zurückbleibende Wagen - da bereitete sich jemand auf einen Kampf vor. Was sonst?
Er nahm die Zügel zwischen die Zähne und zog seinen Sharp-Karabiner aus dem Sattelholster. Als der erste Schuss fiel, zielte er auf die Stelle des Wagens, von der die Pulverdampfwolke aufstieg.
Er galoppierte ein paar Mal um den Wagen herum, schoss so gut er konnte, aber das Gegenfeuer wurde heftiger, die Kugeln pfiffen gefährlich nahe an ihm vorbei.
Viele Möglichkeiten blieben ihm nicht. Er konnte den Wagen so lange umkreisen und mit Schüssen belegen, bis den beiden in ihrer Deckung die Munition ausging. Aber was, wenn sie mehr Patronen im Gürtel hatten als er?
Er verlegte sich auf eine Kriegslist. Als der nächste Schuss in seiner Nähe vorbeipfiff, riss er die Arme hoch und ließ sich aus dem Sattel fallen. Er rollte sich im Gras ab und blieb auf dem Bauch liegen. Ein paar Minuten lang wartete er. Die Kälte des Grasbodens kroch in seinen Körper.
Timmy zog einen seiner Remington Revolver aus dem Halfter, überprüfte die Trommel und spannte den Hahn. Dann robbte er bäuchlings durchs Gras auf den einsamen Wagen zu...
*
Sie richteten sich hinter ihrer Deckung auf und spähten über das wogende Grasmeer. "Du hast ihn getroffen", sagte Jude. Pat nickte. Er blickte zu dem reiterlosen Pferd, das etwa zweihundert Schritte entfernt einen Hügel hinaufgaloppierte.
Sie warteten ein Weilchen und beobachteten die Grasspitzen in der Umgebung des Wagens. Kein Anzeichen eines Menschen, der sich näherte. Nur das gleichmäßige Hin- und Herschwanken der gelbgrünen Wogen in der Abendbrise.
Pat kletterte über die Ladung bis zum Kutschbock. Von dort aus sprang er ins Gras. Die Pferde schnaubten. Pats Brauner trottete durch das hohe Gras. Er stieß die Nüstern gegen seine Wangen, als freute er sich, seinen Herrn lebend wiederzusehen.
Pat legte das Gewehr auf den Bock und zog seinen .32er Smith&Wesson. Langsam drehte er sich um sich selbst und beobachtete das Gras. Einem Burschen wie Baxter war alles zuzutrauen. "Wir sollten weiterfahren", mahnte Jude aus dem Inneren des Wagens.
"Ich will seine Leiche sehen, sonst glaub ich's nicht", sagte Pat.
"Lass die Waffe fallen, McIan", blaffte plötzlich eine Stimme hinter ihm. "Das Spiel ist aus." Pat stand wie angewurzelt. Baxters Stimme, da gab es nichts zu deuteln. Der Kerl hatte sie gelinkt. "Weg mit der Knarre! Bist du schwerhörig? Drei Sekunden hast du, dann schieß ich!"
Aus den Augenwinkeln sah Pat eine Bewegung auf dem Kutschbock - Jude. Sie sprang ins Gras und stellte sich vor ihn. Er spürte ihren Rücken an seinem. Langsam drehte er sich um. Zehn Schritte von ihnen entfernt ragte Timmy Baxters Oberkörper aus dem Gras. Mit beiden Händen hielt er seinen Revolver umklammert. Ein Ausdruck äußerster Entschlossenheit lag auf seiner Miene.
"Wir gehen nicht zurück nach Dogde City", sagte Jude.
"O doch, ihr geht." Timmy Stimme klang kalt. Er hob den Revolver und zielte auf Pats Kopf. "Notfalls als Leichen auf dem Rücken eurer Pferde."
"Dann schieß doch!" Jude drückte sich an Pat. Er legte den Arm um ihre Brust und hielt sie fest. "Dann schieß, Timmy!"
"Du hast mich so gelinkt", zischte Timmy. "Dermaßen gelinkt hast du mich...!"
"Um den Menschen zu retten, den ich liebe. Kannst du das nicht begreifen?"
Timmy antwortete nicht. Seine Fingerknöchel traten hervor, der Zeigefinger auf dem Abzug krümmte sich. "Ich zähl jetzt bis drei, McIan. Wenn du bis dahin die Waffe nicht fallen gelassen hast, drück ich ab. Eins..."
Pat ließ seinen Revolver nicht fallen. Langsam richtete er ihn auf Timmy. "Schätze, dann wirst auch du nicht mehr reiten können..."
"Zwei..."
"Schieß doch!", schrie Jude. "Schieß endlich...!"
Hufschlag näherte sich. Jemand rief laut. Eine Frauenstimme. Sie rief Timmys Namen. "Timmy!" Pat ließ die Waffe sinken. Timmy drehte den Kopf zur Seite ohne das Paar aus den Augen zu lassen. "Timmy!"
"Kathy!" Jude erkannte ihre Freundin. "Kathy!" Die blonde Frau galoppierte den Hügel herunter. Zwischen Timmy und dem Paar hielt sie ihr Pferd an.
"Gott sei Dank!" Sie stieg ab, lief zu Kathy und nahm sie in den Arm. "Gott sei Dank!", keuchte sie atemlos. "Ich hatte solche Angst zu spät zu kommen!"
Sie ließ Jude los. An ihrem Pferd vorbei ging sie zu Timmy. "Er ist unschuldig." Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. "Die Leute meines Vaters haben die Brundfield-Ranch überfallen. Und den Town-Marshal..." Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Hank Davids... ich glaube Joey Plymouth hat ihn getötet. Hank hat ein Stück Papier von seiner Kautabakpackung gefunden. An dem Tag, als ihr die Fährte der Pferdediebe verfolgt habt..."
Timmy ließ seinen Remington sinken. Misstrauen und Unglaube stand in seiner Miene geschrieben. Aber er hörte zu.
"Ich war dabei, als er es Dad zeigte. Er versprach mit Joey zu reden und ihn ins Office zu bringen... Stattdessen haben sie ihn getötet. Coleman und die anderen haben vor dem Richter gelogen. Wahrscheinlich hat einer von ihnen Pats Messer geklaut..."
*
Timmy stand auf der Hügelkuppe und sah nach Süden. Die Dämmerung legte sich auf das Grasland. Er rauchte. Am Fuß des Hügels setzte sich ein Planwagen in Bewegung. Er hörte das Rattern der Räder und das Knallen der Peitsche. Der Wagen entfernte sich Richtung Norden. Mit Patrick McIan und Judith Gabriel. Timmy drehte sich nicht nach ihnen um.
Irgendwann tauchte Kathy neben ihm auf. "Sie wollen nach Oregon", sagte sie. "Sie wollen dort noch einmal von vorn anfangen..."
Timmy nickte nicht einmal. Er warf seine Zigarette weg und kümmerte sich um den Lagerplatz für die Nacht. Sie lagen Arm in Arm und wärmten sich gegenseitig. Keiner von beiden konnte schlafen. Sie sprachen über Sam und über Kathys Vater. Und über ihre Zukunft.
Drei Tage später ritt Timmy mit zwölf Männern der Bürgerwehr auf die Rowling-Ranch. Kathy ritt neben ihm. Wahrscheinlich war sie der Grund, warum die ganze Sache ohne Schießerei über die Bühne ging. Sie gruben das tote Pferd aus. Es war ein Tier aus der Brundfield-Zucht.
Will Leonard legte ein Geständnis ab. Er und vier andere hatten die Brundfields getötet und ihr Haus angezündet. Joey Plymouth war dabei gewesen. Und Keaton Rowling hatte ihnen den Auftrag gegeben.
Joey Plymouth war es auch, der Hank Davids getötet hatte. Er ging an den Galgen. Zusammen mit Leonard. Und Jesse Coleman und Curd Axen.
Auch Keaton Rowling wurde zum Tode verurteilt. Aber dann ließen sie ihn doch laufen. 'Verfahrensfehler', hieß es damals. Das kam hin und wieder vor. Vor allem, wenn jemand gute Freunde unter den Richtern hatte.
Timothy Baxter blieb in Dogde City hängen. Ein paar Jahre lang war er Town-Marshal der Stadt. Später übernahm er den 'Arkansas Billard Room'. Zusammen mit Kathy.
Von Judith Gabriel und Patrick McIan hörten sie nie wieder etwas. Nichts Ungewöhnliches in einem großen Land wie den Vereinigten Staaten.
ENDE