Читать книгу Der weiße Adler - Thomas Wünsch - Страница 13

Exkurs: Polens Westgrenze – Schlesien, Pommern, Preußen

Оглавление

Die (allgemeine) Frage nach der nationalen Zugehörigkeit von Teilbereichen zu einem nationalen Ganzen stellt sich im Fall Polens vor allem an der Westgrenze und an der Ostgrenze. Es sind zwei unterschiedliche Fragen: Bei der Westgrenze geht es um Territorien, die (größtenteils) dem polnischen Staat von Anbeginn angehörten, im Lauf der Zeit die staatliche Zugehörigkeit gewechselt haben, und heute wieder Teil Polens sind. Im Fall der Ostgrenze sprechen wir dagegen von Gebieten, die an Polen angegliedert wurden, als sich die Monarchie auf einem Höhepunkt ihrer Macht befand, über Jahrhunderte den Staat mit bildeten, heute jedoch in den Staaten Ukraine sowie Belarus und Litauen aufgehoben sind. Gleich ist beiden Fragen jedoch, dass sie im Mittelalter entstanden sind, weshalb sie an den Zeitpunkten ihrer jeweiligen Genese behandelt werden.

Für das Verständnis der Entwicklung an der Westgrenze Polens, und dabei zunächst in Schlesien, ist die Erinnerung an die Zeit der Teilfürstentümer hilfreich. Zwar wird man auch der Senioratsverfassung, wie sie sich nach dem Tod von Bolesław Krzywousty nach 1138 einspielte, ein Funktionieren nachsagen können. Doch trug der Tod des letzten Krakauer Seniors 1202 dazu bei, dass seit diesem Zeitpunkt keine polnische Zentralgewalt mehr bestand und die Teilherzogtümer mehr oder weniger souveräne Gebilde waren. Die Herzöge in ihren Herrschaftsbereichen verfügten über die Regalien; sie waren souverän und in diesem Sinne königsgleich. Diese Situation eines Partikularismus wurde lediglich dadurch abgeschwächt, dass es ein piastisches Verwandtschaftsband gab, und dass das Gedächtnis an ein ehemals gemeinsames Staatswesen noch nicht untergegangen war. Doch rückte diese Reminiszenz in dem Moment in den Hintergrund, als mit Böhmen gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine starke Macht auf den Plan trat, die zentrifugale Tendenzen in dem zersplitterten polnischen Herrschaftsverbund verstärkte.

Den Auftakt gab der böhmische König Přemysl Otakar II. (reg. 1253–1278), der eine verwandtschaftliche Verbindung mit den Herzögen von Breslau einging. In den 1280er-Jahren wurden einzelne schlesische Herzogtümer in eine Lehnsabhängigkeit von Böhmen gebracht – wobei die Hochphase des Übergangs der schlesischen Herzogtümer an die Krone Böhmen in Luxemburgischer Zeit liegen sollte. Es war das Ergebnis der Ostpolitik vor allem Johanns von Böhmen (reg. 1310/11–1346), Sohn Kaiser Heinrichs VII., der in den Jahren 1327–29 die Mehrheit der schlesischen Herzogtümer an seinen Staat band. Nur wenig später folgten die Herzogtümer Glogau und Münsterberg sowie das Bistumsland der Bischöfe von Breslau. Die hegemoniale Außenpolitik der Luxemburger, von Karl IV. fortgeführt, entfaltete sich zwischen den Protagonisten Ungarn, dem Ordensland Preußen und einem sich langsam wieder zusammenschließenden Polen. Am Ende zeigte sich, festgeschrieben in den Verträgen von Trenčín und Visegrád 1335 sowie Krakau 1339, dass der 1320 gekrönte Piastenkönig Władysław łokietek sein neu errichtetes Reich ohne die schlesischen Herzogtümer bauen musste. Karl IV. zog als Nachfolger Johanns von Luxemburg insofern den Schlussstrich, als er nicht nur das letzte verbliebene schlesische Herzogtum, Schweidnitz-Jauer, 1368 in den böhmischen Staat inkorporierte. Er regelte auch den rechtlichen Status der schlesischen Übernahmen für die weitere Zukunft, indem er 1348 die Reichsmittelbarkeit Schlesiens herstellte. Damit war verfügt, dass das Lehnsverhältnis der schlesischen Herrschaftsbereiche nicht gegenüber dem Römischen Reich bestand, sondern gegenüber der Krone Böhmen. Dieser Zustand hielt sich, bis 1742 aufgrund der von König Friedrich II. vom Zaun gebrochenen Schlesischen Kriege ein Großteil des Landes preußisch wurde; für den Rest, das sogenannte Österreichisch-Schlesien, galt das Verhältnis bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs 1806 (bzw. 1866, als der Deutsche Bund endete).

Die in der Forschung gelegentlich geäußerte Ansicht, dass seit den Ereignissen von 1327–39 »Schlesien in Deutschland« zu liegen gekommen sei, scheint am Kern vorbeizugehen. Wenn, dann wird man gerade angesichts einer besonders intensiven Immigration und kulturellen Assimilation davon sprechen können, dass seither »Deutschland (auch) in Schlesien« lag. Die charakteristische Rolle Schlesiens bestand auch seit der Zeit der Luxemburger darin, an verschiedenen Kulturräumen zu partizipieren. Die Anbindung an den deutschen Raum war schon allein sprachlich nicht zu übersehen, jedenfalls was die niederschlesischen Teile anging. Aber Böhmen war nicht Deutschland, und die Tatsache, dass es Bischöfe aus Böhmen auf dem Breslauer Stuhl gegeben hat (allen voran Przeclaus von Pogarell, reg. 1341–76), heißt nicht, dass damit automatisch eine eindeutige Wendung nach Westen vorgegeben war. Gerade das Bistum Breslau zeigt mit seinem Verbleiben in der Kirchenprovinz Gnesen bis 1821, dass die Bande zwischen Schlesien und Polen nicht abrissen. Zu dieser Mehrfachbindung der schlesischen Länder gehört auch das scheinbare Paradoxon, dass sich einzelne schlesische Herzöge bis ins 15. Jahrhundert immer wieder vom polnischen König in Dienst nehmen ließen; so etwa, wenn es gegen den Deutschen Orden ging. Ein latentes Zugehörigkeitsgefühl zum polnischen Herrschaftsverbund mag eine Rolle gespielt haben, vielleicht auch eine Machtpolitik, die eher regional blieb.

Die auch gegenüber Böhmen gewahrte Distanz und ein spezifisch regionales Bewusstsein verstärkten sich vehement in der Zeit der Hussitenkriege und während der Expansionspolitik des ungarischen Königs Matthias Corvinus (reg. 1458–1490). Die Hussitenzeit wurde in Schlesien als eine Zeit von kriegerischen Einfällen und Beutezügen erlebt, gegen die sich schließlich, unter der Führung des Breslauer Bischofs, eine relative Einigung der schlesischen Herren herstellen ließ (Strehlener Einung 1427). Der gegen den hussitischen König von Böhmen seit 1469 konkurrierende Matthias Corvinus wiederum förderte ein schlesisches Eigen- und Einheitsbewusstsein insofern, als er die schlesische Staatlichkeit als Gegengewicht zu Böhmen zu festigen suchte. Seit dieser Zeit lässt sich zu Recht von einem übergreifenden Schlesien-Verständnis sprechen, das in erzählenden Werken Ausdruck findet: Der Breslauer Chronist aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, Peter Eschenloer, bezeichnet Schlesien als »Vaterland« (patria); und der am Beginn des 16. Jahrhunderts als Theologe in Neisse tätige Humanist Pankraz Vulturinus hielt fest, dass sein schlesisches Vaterland keineswegs mit Deutschland identisch sei. Als weiterer Faktor, der die kulturelle und politische Mehrfachbindung Schlesiens sowie seine Eigenständigkeit auch innerhalb der Krone Böhmen demonstriert, ist die ethnische Gemengelage Oberschlesiens zu nennen. Mit dem Herzogtum Oppeln, das seit dem Spätmittelalter als Silesia superior (Oberschlesien) firmiert, ist ein deutsch-slawisches Mischgebiet gegeben, das den Sprachwandel nicht zugunsten des Deutschen, sondern des Slawischen durchgemacht hat. Obgleich auch hier die Einflüsse eines kulturellen Wandels durch den Import aus den deutschen Ländern unübersehbar sind, wird man eher von Slavia germanica, als von Germania slavica sprechen wollen. Die Brücke zur polnischen Kultur war hier besonders breit, und die Konsequenzen aus dieser nie durchbrochenen Anbindung lassen sich bis zu den Aufständen in der Zeit der Abstimmung nach dem Ersten Weltkrieg 1919–21 und am Phänomen der sogenannten Autochthonen in Polen nach 1945 beobachten.

Pommern bildet, neben Schlesien, einen weiteren bedeutenden Bestandteil der polnischen Westgrenze. Dabei ist hier die Nomenklatur bedeutsam, denn das Herzogtum der Greifen bzw. der »Stettiner« Herzöge, das mit der späteren preußischen Provinz Pommern identisch ist, wird in der polnischen Forschung als »Westpommern« (Pomorze Zachodnie) bezeichnet. Damit grenzt man es ab gegen ein östliches Pommern, das in der deutschen Geschichtsforschung wiederum als »Pommerellen« begegnet. Der »Pommern« genannte Teilraum eines größeren pomoranischen Siedlungsgebiets dehnte sich im 12. Jahrhundert über die Oder in Richtung Westen aus und bildete am Ende eines längeren Prozesses der Territorialisierung einen Staat an der Ostseeküste zu beiden Seiten der Odermündung. Bedeutsam ist auch im Fall Pommerns, ähnlich wie in Schlesien, die ethnische Verschiebung, die sich durch die deutsche Einwanderung ergeben hat. Aus einem westslawischen Herrschaftsgebilde, das Teile des pomoranischen und des liutizischen Stammesverbandes in sich vereinigte, wurde durch die Immigration und Integration von Deutschen der niederdeutsche »Neusiedelstamm« der Pommern. Verantwortlich für diese Entwicklung war die Politik der Pommernherzöge, die, ähnlich den schlesischen Herzögen, den Landesausbau förderten. Während Pommerellen dominant unter dem Einfluss der polnischen Politik stand, befand sich Pommern innerhalb des Mächtedreiecks Römisch-deutsches Reich (über seine Territorien Sachsen und Brandenburg), Polen und Dänemark. Dadurch ergab sich eine Situation, bei der wechselnde Machtverhältnisse auch wechselnde Zugehörigkeiten Pommerns nach sich zogen: War Pommern zunächst (1121) vom polnischen Herzog abhängig, erkannte dieser 1135 auf einem Hoftag gegenüber Kaiser Lothar von Supplinburg die kaiserliche Lehnshoheit über Pommern an. Auch wenn Pommern möglicherweise nicht als Ganzes in diese staatsrechtliche Stellung gelangte, sondern Teile noch unter der Herrschaft polnischer Herzöge verblieben, wurde dieser Kurs einer reichsrechtlichen Lehnsherrschaft aufrechterhalten. Von Friedrich Barbarossa (reg. 1155–90) nimmt man an, dass er den Pommernherrscher nicht in den engeren Reichsverband aufgenommen habe, sondern Pommern als eigenständige Slawenherrschaft mit dem Imperium verbunden habe. Daraus ergaben sich so auch machtpolitische Spielräume, und man wird die Stellung Pommerns im weiteren Mittelalter streckenweise mit derjenigen Polens, Böhmens, Ungarns oder Dänemarks vergleichen dürfen. Erst als Kaiser Friedrich II. (reg. 1220–50) das Herzogtum Pommern der Markgrafschaft Brandenburg unterstellte und es also wie ein direktes Reichslehen behandelte, kann man die Pommernherzöge als deutsche Fürsten bezeichnen.

Die volle Reichsstandschaft, die auf dem Hoftag von Frankfurt 1338 erreicht wurde, und der staatsrechtliche Status Pommerns als eines vollberechtigten Fürstentums des Heiligen Römischen Reichs änderte natürlich nichts daran, dass andere Bindungen bestehen blieben. Die Herzöge von Pommern-Wolgast etwa waren zeitweise lehnsabhängig von Dänemark. Die polnischen Könige wiederum banden die pommerschen Herzöge im 14. und 15. Jahrhundert lehnsrechtlich an ihre Krone, indem sie ihnen Territorien für geleistete Dienste verliehen. Hinzu kommen Verflechtungen mit dem Staat des Deutschen Ordens, wodurch insgesamt eine Konstante pommerscher Politik deutlich wird: das Streben nach möglichst großer Selbständigkeit – und das nicht etwa in expansiver Form, sondern indem man sich als stabilisierender Faktor in einem Raum wechselnder Machtbalancen etablierte.

Den dritten Teil der Westgrenze Polens, zugleich eine dritte Variante von ambivalenter Zugehörigkeit, bildet das Ordensland Preußen. Der als Hospitalbruderschaft im Heiligen Land gegründete Orden wurde 1198 nach dem Muster von Johannitern und Templern in einen Ritterorden umgewandelt und bildete einen weltlich-militärischen Zweig aus. Im Unterschied zu Templern und Johannitern neigte der Deutsche Orden, unterstützt durch zahlreiche Schenkungen vor allem aus kaiserlichem Besitz, zu einer Territorialbildung. Der ritterliche Kampf gegen die »Heiden« gerade in den Randgebieten des Heiligen Römischen Reichs, beginnend in Ungarn, verschaffte dem Orden die Möglichkeit, zusammenhängende Besitzkomplexe zu erwerben. Das im Fall des ungarischen Burzenlands noch gescheiterte Vorgehen war in Preußen erfolgreich, und es trug dieselbe Handschrift: Zunächst ließ sich der Orden Grundbesitz im Grenzbereich eines gesicherten Herrschaftsverbandes zusichern, dem der Orden aufgrund von Exemtion (einer rechtlichen Ausnahmestellung) aber nicht lehnsrechtlich unterstellt war. Als nächster Schritt erfolgte eine territoriale Aneignung in einem von »Heiden« beherrschten Land – und als dritter Schritt schließlich die Etablierung eines autonomen Territoriums, das an die Ausgangsbasis anschloss. Der Orden konnte sich aufgrund seiner Privilegierung durch beide mittelalterliche Zentralgewalten, Kaiser und Papst, relativ sicher sein; hinzu kommt eine in seinem Fall perfektionierte prospektive Privilegierung durch die an seinem Wirken interessierten Herrscher: Der Orden ließ sich Urkunden mit der Übertragung von Besitztümern ausstellen, die weder ihm selbst noch dem Aussteller gehörten. Seine Funktion innerhalb der Expansionspolitik christlicher Herrscher leitete der Orden zu seinen Gunsten um, indem er die kriegerischen Aufträge für eine Kumulation von Besitzrechten nutzte. Als Herzog Konrad von Masowien den Deutschen Orden rief, um mit seiner Hilfe sein Herrschaftsgebiet in den Machtbereich der noch nicht christianisierten Pruzzen auszudehnen, sicherte sich der Orden erst durch die von Friedrich II. verliehene Goldbulle von Rimini ab (1226), bevor er mit der Eroberung des Kulmer Lands und der übrigen pruzzischen Gebiete begann (1231). Die Zustimmung der Kurie folgte in Gestalt der Bulle von Rieti (1234), wodurch dem Orden eine praktisch unangreifbare Machtstellung verschafft worden war.

Mithilfe von Kreuzzugsaufrufen und einer ganzen Reihe an (meist adeligen) »Gästen« aus ganz West- und Mitteleuropa konnte der Orden die Unterwerfung der Gebiete zwischen Weichsel und Memel bewerkstelligen. Seine landesherrlichen Ambitionen zeigten sich bereits in der Eroberungsphase: Viele der zu militärischen Zwecken gegründeten Burgen – Thorn, Kulm, Marienwerder, Elbing, Braunsberg, Königsberg usw. – entwickelten sich später zu urbanen Zentren des Landes. Der Orden betätigte sich, ähnlich den schlesischen und pommerschen Herzögen, massiv im Landesausbau: Unter dem Schirm der Burgen gestattete er die Ansiedlung von Bürgern, denen das (deutsche) Stadtrecht verliehen wurde. Auch Landbevölkerung wurde aus deutschen Gebieten angeworben, womit sich insgesamt eine bemerkenswerte kolonisatorische Leistung des Ordens feststellen lässt. Die überlebenden Pruzzen konnten, soweit sie die Oberhoheit des Ordens anerkannten, in ihren bisherigen Rechtsverhältnissen weiter existieren; Ähnliches galt für die polnischen Einwohner des Ordenslandes. Damit ergab sich zunächst eine Differenzierung zwischen dem nach Kulmer Recht angesiedelten (hauptsächlich deutschen) Stadtbürgertum und einer Landbevölkerung, die anderes Recht besaß. Doch verhinderte das nicht, dass ethnische Verschmelzung stattfand.

Die besondere Rolle Preußens für Polen ergibt sich nun daraus, dass der Ordensstaat zu einer Bedrohung für den polnischen Staat wurde. Am Beginn steht die masowische Fehlkalkulation, was die Leistung des Ordens im Krieg gegen die Pruzzen anging. Denn dass der Orden aus den übertragenen und eroberten Gebieten einen souveränen Staat aufbaute, war nicht geplant gewesen. Hinzu kommt eine zweite Fehleinschätzung, als Herzog Władysław łokietek glaubte, mithilfe des Deutschen Ordens die Brandenburger aus Pommerellen vertreiben zu können. Denn die Ordensritter eroberten das Land für sich und gliederten es ihrem Herrschaftsbereich an. Seit diesem Datum (1309) besteht ein kriegerisches Verhältnis zwischen dem Deutschordensstaat und dem Königreich Polen, das zwischenzeitlich nur durch die Ostpolitik Kazimierz’ III. zur Ruhe kam. Doch waren weitere Konflikte vorprogrammiert – schon allein aufgrund der Tatsache, dass der Hochmeister den Sitz des Ordens eben 1309 nach Preußen verlegte. Damit befand sich ein souveräner, von Papst und Kaiser gedeckter Fürst mit Residenz auf der Marienburg in unmittelbarer Nähe der neuen, expansionsfreudigen polnischen Monarchie. Solange der Orden sein Image eines Protagonisten der Kreuzzugsidee aufrechterhalten konnte, und solange der Gegner in der Hauptsache nur Polen war, bestand für den Orden keine existenzielle Gefahr; die ökonomische Entwicklung des Landes hatte zudem dazu geführt, dass der Deutschordensstaat über stattliche Ressourcen verfügte.

Ein Wandel begann sich abzuzeichnen, als die litauischen Großfürsten der Jagiellonen 1385 den polnischen Königsthron bestiegen. Schon die geografische Lage zeigt, dass der Orden nun in eine Zwickmühle geraten war. Dieselbe Situation ergab sich im ideologischen Bereich, als polnische Intellektuelle der 1400 neu gegründeten Krakauer Universität gegen den Orden polemisierten und ihm den Rang eines christlichen Vorzeige-Unternehmens absprachen. Gerade die geistlichen Rechtsgelehrten (und Universitätsrektoren) Stanisław von Skalbmierz (ca. 1360–1431) und Paweł Włodkowic (ca. 1370–1436) attackierten den Deutschen Orden heftig. Ihr Argument war, dass der Orden nach der Christianisierung Polens und dann auch Litauens keine Berechtigung mehr habe, seinen Krieg gegen diese Länder fortzusetzen; eine Haltung, die von Fürsprechern des Ordens wie Johannes Falkenberg so gekontert wurde, dass man die Christlichkeit Polens insgesamt infrage stellte und einen Vernichtungskrieg gegen die ganze Bevölkerung empfahl. Nachdem der Deutsche Orden 1410 bei Tannenberg/Grunwald eine wichtige Schlacht gegen Polen-Litauen verloren hatte, wurde die Auseinandersetzung zwischen dem Ordensstaat und Polen auch international immer mehr als das wahrgenommen, was es seit Langem war: als Konflikt zwischen zwei (christlichen) Mächten. Die päpstliche und die kaiserliche Unterstützung orientierten sich spätestens seit dieser Zeit nicht mehr an ideologischen (theologischen) Vorgaben, sondern an einem pragmatisch ausgerichteten »Realismus« in der Außenpolitik. Dabei jedoch hatte Polen angesichts des osmanischen Vormarschs auf dem Balkan und der Nöte des Kaisers dort die besseren Karten. Der Deutsche Orden geriet gerade auch wegen seiner Stellung als Landesherr in Preußen in eine Legitimationskrise, die sich schließlich zu einer Existenzkrise ausweitete.

Obwohl der auf die Schlacht von Tannenberg folgende Thorner Frieden von 1411 kaum Gebietsverluste für den Orden brachte, reduzierte sich seine Machtstellung in Preußen aufgrund innerer Spannungen. Nach einem nochmaligen, diesmal 13-jährigen Krieg, konnte Polen im Zweiten Thorner Frieden 1466 die westlichen Landesteile des Ordensstaats, einschließlich des Bistums Ermland, für sich verbuchen; diese Gebiete bildeten fortan das sogenannte Königliche Preußen. Der Rest wurde 1525, nach Auslaufen des Waffenstillstands, als Herzogliches Preußen in Form eines Lehens vom polnischen König an den Hochmeister ausgegeben. Damit war nicht nur der Ordensstaat als machpolitischer Konkurrent Polens verschwunden, sondern auch der Deutsche Orden in Polen aufgelöst. Der Übertritt des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg-Ansbach zum Luthertum zeigt aber an, dass das Ordensland weiterhin eine besondere Rolle in der polnischen (und deutschen) Geschichte spielen würde. Das Herzogtum Preußen konnte nicht dauerhaft in die Krone Polen integriert werden und wurde nach 1618 Teil des brandenburgisch-preußischen Staates.

In der Rezeption sind bei der Geschichte des Deutschen Ordens in Polen wie bei kaum einem anderen Bereich der polnischen bzw. polnisch-deutschen Geschichte historische Abläufe und Mythologisierung eng miteinander verwoben. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Interpretation der Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Orden und Polen, wie sie im 19. Jahrhundert vorgenommen wurde. Ein berühmtes Gemälde von Jan Matejko (1838–93), dem einflussreichsten Historienmaler Polens, zeigt die Schlacht von Tannenberg auch als historisch-moralisches Lehrstück. Im Zentrum des 1878 entstandenen Bildes steht der Moment, in dem der Großmeister des Ordens vom Speer eines rustikal gekleideten Fußkämpfers tödlich bedroht wird. Unschwer zu erkennen ist, dass die Spitze der Waffe von jener Mauritius-Lanze gebildet wird, deren Duplikat Kaiser Otto III. im Jahr 1000 dem polnischen Herzog Bolesław als Gastgeschenk überreicht hatte. Die Stellung der Lanze als Reichskleinod verstärkte damals die symbolische Bedeutung der Gabe; im stilisierten Einsatz 1410, wie er den Betrachtern im 19. Jahrhundert präsentiert wurde, demonstriert sie nicht nur die polnische Überlegenheit über den Deutschen Orden alias Preußen als Teilungsmacht, sondern auch die spirituell-moralische Überlegenheit des polnischen Christentums über das »deutsche«. Diese anti-deutsche Spitze des Diskurses wurde nach Kriegsende 1945 noch ausgebaut, als Plakate auftauchten, die zwei demolierte und von Raben flankierte Helme zeigen: oben den eines Ordensritters, unten den eines Wehrmachtsoldaten. Die Aufschrift »Grunwald 1410« und »Berlin 1945« stellt eine Verbindung zwischen zwei Varianten eines aggressiven deutschen Militarismus her, die noch lange nachwirkte. Das Auftreten von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Mantel des Kreuzritters nach seiner Aufnahme in den Deutschen Orden im Jahr 1958 bestätigte für die damalige kommunistische Führung Polens das Stereotyp von einer polenfeindlichen deutschen Außenpolitik als epochenübergreifender Konstante.

Der weiße Adler

Подняться наверх