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Christianisierung und frühe Reichsbildung

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Die in den Ursprungsmythen verarbeiteten Entwicklungen vor der Christianisierung Polens geben die Richtung an, in die eine Betrachtung der mittelalterlichen Geschichte Polens gehen kann. Dabei ist die Phase vor der Mission keineswegs bedeutungslos. Ein durchgängiges Manko ist aber, dass wir nur spärliche schriftliche Nachrichten besitzen (etwa von karolingischen und sächsischen Chronisten), und die zu Hilfe gezogenen Beiträge der Archäologen und Linguisten widersprüchlich interpretiert werden können. Versucht man, die wenigen gesicherten Kenntnisse zusammenzufassen, ergibt sich folgendes Bild: Für das polnische Kerngebiet sind die Stämme der Goplanen im östlichen Großpolen, der Wislanen am Oberlauf der Weichsel und der Lendzice an der mittleren Weichsel zu nennen. Immer wieder bereitet es der Forschung Probleme, dass gerade derjenige Stamm, der später dem ganzen Volk seinen Namen gab, die Polanen, erst im frühen 11. Jahrhundert belegt sind. Nach ihren Zentren um Posen und Gnesen gilt das ganze Gebiet als Zentrum des ersten polnischen Staates; Gnesen fungiert also gewissermaßen als »erste Hauptstadt Polens«. Der Stamm der Masowier begegnet erst Ende des 11. Jahrhunderts in der russischen Nestorchronik. Von Nordosten, wo sich die baltischen Stämme der Pruzzen befanden, drohte die größte Gefährdung des Staatsgebiets. Es ist kein Zufall, dass der Deutsche Orden später gerade zur Missionierung und Unterwerfung dieser Völkerschaften ins Land geholt wurde.

Zunächst ging es bei der im frühen Mittelalter üblichen Vermischung von Mission und Politik aber darum, den richtigen Partner auszuwählen. Das Kunststück bestand überall darin, einen mächtigen Verbündeten zu gewinnen, ohne selbst alle Autonomie einzubüßen. Im Fall Polens stellte sich das so dar, dass der erste historisch gut fassbare Herrscher, der Piastenherzog Mieszko I. (reg. ca. 960–992), zwar im Jahr 966 (oder 965) die Taufe seines Herrschaftsbereiches vollzog, die Hilfe von den deutschen Nachbarn gegen Konkurrenten auch gern annahm, bei alledem aber darauf bedacht blieb, dass seine junge christliche Kirche nicht in die Reichskirche einbezogen wurde. Als erster Bischof des im Jahr 968 gegründeten ersten Bistums auf polnischem Boden firmierte denn auch kein Pole, sondern ein aus Böhmen stammender Missionsbischof namens Jordan. Er regierte bis 984 und war dem Papst direkt unterstellt. Doch war das nicht genug, um eine Unabhängigkeit in kirchlicher und weltlicher Sphäre zu garantieren; im Hintergrund stand das Erzbistum Magdeburg, das von den sächsischen Kaisern explizit als Missionsbistum gen Osten konzipiert war, und das sich nicht ganz unberechtigte Hoffnungen machte, Posen (und damit die ganze polnische Kirche) integrieren zu können. Mieszko, der von dem Chronisten Widukind von Corvey als amicus imperatoris (»Freund des Kaisers«) bezeichnet wird, nach Auskunft des Geschichtsschreibers Thietmar von Merseburg aber dem Kaiser bis zum Fluss Warthe tributpflichtig war, machte deshalb kurz vor seinem Tod einen geschickten Schachzug, indem er sein Land samt der Herrscherfamilie dem heiligen Petrus (in Gestalt des Papstes) übereignete. Dieser im sogenannten Dagome-iudex-Regest überlieferte Rechtsakt war nicht nur die erste Schenkung eines ganzen Staatswesens an den Heiligen Stuhl; sie hatte darüber hinaus für Polen weitreichende Auswirkungen. Der Eintritt Mieszkos in die christliche »Familie der Könige«, einem informellen Verbund der europäischen Dynastien, gestaltete sich so von Anfang an auf der Augenhöhe der anderen christlichen Staaten, denn die Abhängigkeit von Rom war eine rein formale, ohne realpolitische Folgen. Gegenüber der imperialen Kirchenpolitik aus dem Römisch-deutschen Reich jedoch hatte der erste polnische Herrscher seine Kirche und seinen Staat gewappnet – auch wenn die Mehrzahl der Kleriker in Polen noch bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts aus den Provinzen des deutschen Reichs kommen sollte.

Was in dieser Konstruktion einer kirchlich-staatlichen Autonomie noch fehlte, war die Organisation der polnischen Kirche in der Gestalt eines Erzbistums. Nur in dieser Form war im frühen Mittelalter auch eine volle staatliche Souveränität möglich, und die beiden aufstrebenden Staatswesen im Osten des Römisch-deutschen Reichs, Polen und Ungarn, nutzten dieses Machtmittel zur gleichen Zeit. In Polen war es der Sohn und Nachfolger Herzog Mieszkos, Bolesław I. Chrobry (»der Tapfere«, reg. 992–1025), der den entscheidenden Schritt zur kirchlich-staatlichen Emanzipation von seinem westlichen Nachbarn gehen konnte. Unterstützung bekam er dabei von einem Toten: Es war der Märtyrertod des in Pommern missionierenden böhmischen Adeligen Adalbert, der den Weg zu einem eigenen polnischen Erzbistum ebnete. Sowohl der Kaiser (Otto III.) wie der Papst (Silvester II.) verehrten den bei den Pruzzen 997 umgekommenen Missionsbischof, und der Kaiser selbst machte sich auf zu einer Pilgerfahrt, um dem inzwischen kanonisierten und in Gnesen bestatteten Freund seine Ehre zu erweisen. Es war dies die einzige friedliche Fahrt, die je ein Kaiser Richtung Polen unternommen hat. Was genau sich bei dieser Gelegenheit im Frühjahr 1000 abspielte, beschäftigt die Forschung seit Jahrzehnten – und ist dennoch nur lückenhaft zu rekonstruieren. Wenn die deutsche Forschung vom »Akt von Gnesen«, die polnische Forschung vom »Zjazd Gnieźnieński« (»Gnesener Treffen«) spricht, dann stehen immer mehrere Bereiche zur Debatte: Zum Ersten die Errichtung eines Erzbistums in Gnesen, dem die neu errichteten Bistümer Kolberg, Breslau und Krakau als Suffraganbistümer zugeordnet wurden. Damit war der Grundstock gelegt für eine eigene polnische Kirche – auch wenn erst nach einigen Jahrzehnten ein durchgängiges Funktionieren der Bistümer in Breslau und Krakau festzustellen ist, und Kolberg ganz unterging.


Detail der Darstellung des Martyriums des hl. Adalbert (Wojciech) auf der Bronzetür am Südportal der Kathedrale zu Gnesen (Gniezno), aus der Zeit um 1160

Ob Otto III. möglicherweise gar nicht in Gnesen, sondern in Prag das erste Erzbistum im slawischen Siedlungsgebiet errichten wollte, und nur das diplomatische Geschick Bolesławs I. ihn umschwenken ließ, muss Spekulation bleiben. In jedem Fall – und das wäre der zweite entscheidende Punkt – verband sich mit dem Kaiserbesuch in Polen eine symbolische Rangerhöhung des polnischen Herzogs. Bolesław I. hatte zwar keine formelle Krönung zum König erfahren, war aber nach dem Zeugnis des Chronisten Gallus Anonymus zum frater et cooperator imperii (»Bruder und Partner des Reichs«) aufgestiegen. Damit war seine Einbeziehung in die »Familie der Könige« kenntlich gemacht – und mehr: Deutlich wurde damit auch, dass sich die Ostpolitik der Römisch-deutschen Kaiser grundlegend gewandelt hatte. Aus einer missionarisch-imperialen Stoßrichtung der Politik war eine integrativ-autonomistische geworden. Was auch immer den Kaiser dazu bewogen hat, und wo auch immer der Anteil des polnischen Herrschers dabei gelegen hat, bleibt unklar. Sichtbar wird nur, dass dieser Schwenk dem Kaiser in der zeitgenössischen Publizistik nicht als Schwäche ausgelegt wurde; der beste Beleg dafür ist die Miniatur aus der Werkstatt des Reichenauer Skriptoriums, die neben den Figuren der Roma, Gallia und Germania nun auch die Sclavinia zeigt, wie sie dem Kaiser huldigen. Ostmitteleuropa, und darin Polen, stand über die Repräsentation und Personifikation als Sclavinia auch in einem bildlichen Verständnis auf einer Stufe mit den »älteren« europäischen Teilen des gerade von den Ottonen erneuerten Römischen Imperiums. Kirchliche und weltliche Eigenständigkeit Polens waren nach dem Jahr 1000 unumkehrbar geworden; es lag nun an der einheimischen Politik, was daraus gemacht wurde.


Die personifizierten Reichsteile huldigen dem römisch-deutschen Kaiser Otto III.: Sclavinia, Germania, Gallia und Roma (v. l. n. r.)

Wie im »Akt von Gnesen« bereits angedeutet, ruhte die Konsolidierung des polnischen Staates auf drei Säulen: dem Christentum, dem Römisch-deutschen Kaisertum, und der Regierungsleistung der herrschenden Dynastie der Piasten. Was das Christentum als Stabilisierungsfaktor angeht, so wird man den Effekt der damit verbundenen hierarchischen Ordnungsvorstellungen nicht unterschätzen dürfen. Das, was die spätantike und frühmittelalterliche Adelskultur bereits im westlichen Europa geprägt hatte, wurde nun auch im Europa östlich der Elbe zu einer gesellschaftlichen Stütze. Wohl gab es sogenannte »heidnische Reaktionen«, also politische Gegenbewegungen in Opposition zu der von den Piasten praktizierten »Mission von oben«, die ja immer auch eine Festigung der Herrschaft des Geschlechts bedeutete. Und man wird bei der Durchdringung der Gesellschaft mit den Normen und Werten des Christentums nicht allzu euphorisch sein dürfen; letztlich sprechen wir erst von der Zeit des 14./15. Jahrhundert, wenn wir die soziale Breitenwirkung des Christentums in Polen sehen wollen. Aber das Christentum erwies sich als zentralisierende und stabilisierende Kraft, die der Herrschaftsbildung zuarbeitete.

Auch die kaiserliche Politik förderte durch den Gedanken der Kooperation die Festigung des jungen polnischen Staatswesens. Zwar erlangte Bolesław I. Chrobry nicht die Königskrone, wie sie Stephan von Ungarn zur selben Zeit zuteil wurde – aber die hoch politischen Symbole von Mauritius-Lanze (als Replik) und Kronreif, dazu möglicherweise der Titel eines patricius (eine römische Amtsbezeichnung, die von Kaiser Otto III. wieder aufgegriffen wurde), deuten die Richtung an: Polen war vom Ansehen her ein Königreich, auch wenn die formelle Krönung noch bis 1025 auf sich warten ließ. Ablesbar ist dies nicht zuletzt an den Verbindungen, die der polnische und der sächsische Adel miteinander eingingen, dazu die Piasten und das Kaiserhaus selbst. Ohne korrespondierende Aktivität seitens der einheimischen Dynastie der Piasten wäre all dem jedoch keine Dauer beschieden gewesen. Es ist nicht ganz falsch, wenn polnische Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg die Leistung Bolesławs I. Chrobry mit derjenigen Karls des Großen verglichen. Genauso richtig ist aber die Einschätzung, dass Bolesław eine überzogene Eroberungspolitik betrieben hätte, deren Erfolge schon von seinen unmitelbaren Nachfolgern nicht zu halten waren. Dahinter steht der Versuch des Piastenherzogs, seinen Herrschaftsbereich auf das böhmische Herzogtum im Westen und die Kiewer Rus’ im Osten auszudehnen. Die Lösung für die ambivalente Beurteilung Bolesławs liegt darin, dass er als erster polnischer König symbolisch für eine neue Machtbasis steht, die sich in Ambitionen außenpolitischer Natur genauso zeigte, wie in der Fähigkeit, innere Erschütterungen zu verarbeiten. Wie auch immer man den realpolitischen Erfolg Bolesławs bemessen mag: Wenn die schriftlichen Zeugnisse ausweisen, dass sich erst mit seiner Regierung die Selbstbezeichnung natione Polonus für das junge Staatswesen verbindet, dann ist damit eine grundlegende Neuerung beschrieben, die auf eine neue Qualität des Staates und des Gemeinschaftsbewusstseins hindeutet. Die eingangs des Kapitels zitierte lobrednerische Charakterisierung seiner Politik in der ältesten polnischen Chronik des Gallus Anonymus (geschrieben am Beginn des 12. Jahrhunderts) ist Spiegel dieser Wertschätzung und treibende Kraft für ihr Weiterleben.

Hält man sich vor Augen, dass der polnische Herzog Kazimierz I. Odnowiciel (»der Erneuerer«, reg. 1034/38–1058) das Land verlassen musste, und nur die Hilfe seitens des Kaisers (Heinrichs III.) ihm die Rückkehr ermöglichte, dann erkennt man den Anteil der polnisch-deutschen Interaktion an der Stützung des polnischen Staatswesens. Kazimierz I. war es dann auch, der Masowien und Schlesien wieder unter die polnische Herrschaft zurückbrachte. Selbst gemacht war hingegen die Nachfolgeregelung, die im Testament Herzog Bolesławs III. Krzywousty (»Schiefmund«; reg. 1102–1138) getroffen wurde. Danach sollte der jeweils älteste Nachkomme innerhalb der Familie die Herrschaft übernehmen (im Unterschied zur Erbfolge nach Primogenitur, die den ältesten Nachfahren des regierenden Fürsten begünstigte). Dieses Prinzip des Seniorats war dafür verantwortlich, dass sich Polen für eineinhalb Jahrhunderte in von Piasten regierte Teilfürstentümer auflöste. Sieht man auf fundamentale Veränderungen im Europa jener Zeit – Anstieg der Bevölkerungsdichte und damit der wirtschaftlichen Aktivität, Intensivierung der Herrschaftsbeziehungen und der Kulturkontakte –, dann wird klar, warum die Reflexe dieser übergreifenden Entwicklungen in Polen regional sehr unterschiedlich verliefen. Polen erlebte diese Phase einer »Europäisierung Europas« (ROBERT BARTLETT) in Gestalt eines Verbands von Herzogtümern, die nur noch auf einer losen verwandtschaftlichen und einer mentalen Ebene miteinander verbunden waren.

Dabei unterschieden sich die innenpolitischen Voraussetzungen im frühen Piastenreich nicht fundamental von den gesamteuropäischen Verhältnissen. Wie im übrigen Europa sehen wir auch in Polen einen zentralen fürstlichen Herrscher und eine Gruppe von potentes, zwischen denen sich die staatliche Macht teilt. Die Machtverteilung war dabei nicht statisch, sondern unterlag einem Wandel; und sie war auf ein gegenseitiges Einvernehmen hin ausgerichtet. Die Chronik des Gallus Anonymus berichtet von dem Respekt, den der Herzog einem Kreis ausgewählter Familien entgegenbrachte – die ihm im Gegenzug Unterstützung schuldig war. Abgesetzt von diesen Familien, die als meliores, nobiliores oder optimates in den Quellen auftauchen, war diejenige Schicht, die sich aus der alten Gefolgschaft des Fürsten entwickelte und seit dem 11. Jahrhundert den ärmeren, »niederen« Adel bildete. Ein Fortschritt im Sinne einer vermehrten Zentralstaatlichkeit war in Polen, wie im Rest Europas, der Aufbau einer differenzierten Verwaltung. Bemerkbar sind Übernahmen aus Sachsen, Bayern und Mähren, sodass insgesamt auch in Polen die karolingische Tradition der Hofämter in Erscheinung tritt. Wir begegnen den comes palatinus, camerarius, pincerna (Mundschenk), dapifer (Truchsess) und anderen.

Wie in den ostmitteleuropäischen Nachbarländern Böhmen und Ungarn diente auch in Polen das Kastellaneisystem als Verwaltungsordnung auf regionaler Basis. In deren Mittelpunkt stand eine Burg mit einem Kastellan als Verwalter des zugehörigen Bezirks. Eher in dieser ostmitteleuropäischen Richtung als in Richtung der Entwicklung im Westen und Süden Europas verlief der Ausbau von Siedlungskernen in Polen. Es gab durchaus ansehnliche Bevölkerungskonzentrationen in Wollin, Kolberg, Posen, Kruschwitz, Breslau und Krakau. Markenzeichen der polnischen Entwicklung war aber eine ungleiche regionale Verteilung: Gebiete wie die Ostseeküste, der Posen-Gnesener Raum oder das obere Weichselland unterschieden sich durch ihre relativ hohe Bevölkerungskonzentration deutlich und für lange Zeit von den übrigen polnischen Landschaften. Noch bedeutsamer war möglicherweise die Qualität der Siedlungskonzentrationen, die dafür verantwortlich war, dass wir in Polen ein ostmitteleuropäisches Muster vor uns haben, kein westeuropäisches: Durch das Übergewicht der Burgherrn in den städtischen Siedlungen konnte sich keine Autonomie entfalten, wie sie in der Stadtgeschichte West- und Südeuropas prägend war. Eine tiefgreifende Änderung brachte erst die Phase der (Ost-)Kolonisation und der damit verbundenen deutschrechtlichen Stadtgründungen mit sich.

Zunächst einmal war für den weiteren Verlauf der polnischen Geschichte entscheidend, dass das Testament von 1138 die herrschende Dynastie der Piasten in drei Hauptlinien zerfallen ließ (die ihrerseits wieder in Nebenlinien aufgeteilt waren): die schlesischen, die großpolnischen und die kleinpolnisch-masowischen Piasten, von denen sich die Letzteren bald schon in eine kleinpolnische, masowische und kujawische Linie aufsplitterten. Trotz dieser Teilung der Dynastie und des Staates ging der Gedanke, dass es eine Einheit gebe, nicht ganz unter; er wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts wiederbelebt und hielt sich von da an bis zu den modernen Teilungen am Ende des 18. Jahrhunderts. Die polnische (mittelalterliche) Nation entstand im 11. Jahrhundert, als der Stamm der Polanen einen Teil der westslawischen Stämme unter der Herrschaft des Geschlechts der Piasten vereinte. War zunächst die Dynastie das verbindende Element für eine ganze Gruppe von Stämmen, so wurde die sprachlich-symbolische Vereinigung durch die Übertragung des Stammesnamens der großpolnischen Polanen (Poloni) auf die gesamte Bevölkerung des Staatswesens hergestellt. Erleichtert wurde dieser Zusammenschluss dadurch, dass es kaum sprachliche und andere kulturelle Unterschiede zwischen den westslawischen Stämmen gab. Vielleicht hing damit auch zusammen, dass die ersten Piastenherrscher, Mieszko I. und Bolesław I. Chrobry, die Grenzen ihrer Expansion offen ließen. Rein theoretisch hielt man offenbar sämtliche westslawischen Gebiete für den natürlichen Herrschaftsraum der Piasten; davon zeugen die Feldzüge und zeitweisen Übernahmen, die sich auf Pommern, die Lausitz, Böhmen, Mähren, Brandenburg und die Slowakei (Oberungarn) erstreckten. Einem westslawischen Gesamtstaat unter der Herrschaft der Piasten (ähnlich der Herrschaftsbildung der Rjurikiden unter den Ostslawen in Gestalt der Kiewer Rus’) stand das Römisch-deutsche Reich entgegen. Die Interessen dort gingen eher in die Richtung, die böhmischen Přemysliden und Piasten in einem Gleichgewicht zu halten und eine piastische Hegemonie zu verhindern.

Immerhin verfügte der piastische Staat über feste Grenzen, eine sprachlich-kulturell homogene Bevölkerung und eine autonome kirchliche Struktur. Die Ausbildung eines polnischen Nationalbewusstseins konnte auf dieser Grundlage vonstatten gehen. Allerdings bewirkten Faktoren wie die relativ geringe Besiedlung und die daraus resultierende schwache Wirtschaftskraft (bei verhältnismäßig hoher Belastung der Bevölkerung durch Steuern und Abgaben), dass dieses gesamtpolnische Bewusstsein in der Zeit der Teilfürstentümer einer mehr regionalen Identifikation in den einzelnen Landesteilen wich. Nach 1138 und bis ins 13. Jahrhundert hinein sehen wir so nicht nur eine ungleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung, je nach Region, was die höher entwickelten Landesteile wie Niederschlesien oder Kleinpolen in einen deutlichen Abstand zu schwächer entwickelten Regionen wie Masowien brachte. Es kam auch zu einer sprachlichen Differenzierung und der Verstärkung von Unterschieden zwischen den Dialekten. Ein Separatismus bei der Entwicklung der Teilfürstentümer ist unübersehbar, und er hatte auch Auswirkungen auf den Wandel im Nationsbildungsprozess, der sich im Gefolge der Einwanderung fremder Siedler aus dem Westen (Stichwort »Ostsiedlung«) ergab.

Der weiße Adler

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