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IV Fragen zu Varianten und Verläufen der ALS

38 Was ist eine progressive Muskelatrophie (PMA)?

Die progressive Muskelatrophie (PMA) ist eine Variante der ALS, die bereits 1850 von dem französischen Neurologen François Aran beschrieben wurde. Die PMA ist eine degenerative Erkrankung des zweiten motorischen Neurons ( Frage 22), bei der Muskelschwund (Muskelatrophie) und Muskelschwäche (Paresen) in fortschreitender Weise auftreten. Eine Schädigung des ersten motorischen Neurons ( Frage 22) ist nicht vorhanden – gesteigerte Muskeleigenreflexe (Hyperreflexie) und Muskelsteifigkeit (Spastik) bleiben aus. Die PMA betrifft etwa 10 % aller Menschen mit ALS.

39 Ist die PMA eine »echte« ALS?

Über längere Zeiträume umstritten war, ob die progressive Muskelatrophie (PMA, Frage 38) eine gesonderte Erkrankung unabhängig von ALS darstellt. Heute ist bekannt, dass die ALS auf das zweite motorische Neuron begrenzt sein kann und die PMA eine spezifische Variante der ALS verkörpert. Der typischen ALS und der PMA ist der klinische Verlauf (fortschreitender Lähmungen) und ein übereinstimmender Krankheitsmechanismen gemeinsam (schädliche Proteinablagerungserkrankungen in motorischen Neuronen).

40 Hat die PMA eine andere Prognose im Vergleich zur typischen ALS?

Die PMA ( Frage 38) ist durch zwei prognostische Besonderheiten gekennzeichnet: Die Progressionsrate (die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Muskelschwäche) im statistischen Mittel ist bei der PMA geringer. Kritisch ist jedoch bei jeglicher prognostischen Statistik die eingeschränkte Übertragbarkeit auf den Einzelfall. So sind auch aggressive Formen der PMA bekannt, die zu einem hochgradigen Muskelschwund (Wasting) und einer frühen Einbeziehung der Atemmuskulatur führen können. Daher ist nicht gerechtfertigt, die PMA grundsätzlich als langsamere Verlaufsform der ALS zu bewerten. Auch bei der PMA sind die entscheidenden prognostischen Faktoren die Veränderung der ALS-Funktionsskala (ALS-FRS) und der Atemfunktion. Die zweite prognostische Besonderheit besteht darin, dass die Zunge und der Schlund lange oder gänzlich ausgespart bleiben können.

41 Was ist eine Primäre Lateralsklerose (PLS)?

Die PLS ist eine besondere Verlaufsform der ALS, bei der ausschließlich eine unkontrollierte Muskelaktivität im Sinne einer Muskelsteifigkeit (Spastik) nachweisbar ist. Die PLS entsteht durch eine Degeneration motorischer Nervenzellen im Gehirn (erstes motorisches Neuron, Frage 22), während die motorischen Neurone im Rückenmark (zweites motorisches Neuron) weitgehend erhalten bleiben. Die PLS beginnt mit einer Spastik einer Extremität (oder der Zunge) und breitet sich – ausgehend von der zuerst betroffenen Region – über längere Zeiträume auf andere Muskelregionen des Körpers aus. Für die PLS ist charakteristisch, dass eine Muskelschwäche und ein Muskelabbau (beides Symptome für eine Degeneration des zweiten motorischen Neurons, Frage 22) nicht nachweisbar sind. Die PLS ist eine sehr seltene Variante der ALS, die weniger als 5 % aller ALS-Patienten betrifft.

42 Ist die Primäre Lateralsklerose (PLS) eine »echte« ALS?

Die PLS ( Frage 41) ist eine Verlaufsvariante der ALS und stellt damit eine »echte« ALS dar. Die PLS und typische ALS sind auf pathologischer Ebene weitgehend identisch: Alle Verlaufsformen der ALS, auch die der PLS, weisen ALS-charakteristische Ablagerungen von Proteinen (zumeist TDP-43) auf. Auch wesentliche Merkmale des klinischen Verlaufes (fortschreitender Charakter und asymmetrische Verteilung der motorischen Symptome) stimmen bei der PLS mit der typischen ALS überein.

43 Hat die PLS eine andere Prognose im Vergleich zur typischen ALS?

Grundsätzlich zeigt die PLS einen deutlich langsameren Krankheitsverlauf (verminderte Progressionsrate). Der Übergang der motorischen Symptome (Spastik) von der erstbetroffenen Muskelregion zu weiteren Regionen des Körpers verläuft deutlich langsamer. Ein langsamer Verlauf (mit einer Verzögerung von fünf bis zehn Jahren bis zur Ausbreitung der Spastik auf weite Teile des Körpers) ist keine Seltenheit. Allerdings besteht auch bei der PLS eine hochgradige Variabilität. In sehr seltenen Konstellationen ist auch ein rasches Fortschreiten der Spastik möglich. Insgesamt ist die PLS mit der Prognose eines deutlich verlangsamten Krankheitsverlaufes versehen.

44 Was ist eine spastische Variante der ALS?

Bei der ALS sind Lähmungen (Paresen, Frage 87) und eine Muskelsteifigkeit durch eine unkontrollierte Muskelaktivität (Spastik, Frage 97) zu unterscheiden. Grundsätzlich geht die Muskelschwäche auf eine Degeneration der motorischen Nervenzellen im Rückenmark (zweites motorisches Neuron, Frage 22) zurück. Bei der spastischen ALS ist dieser Abschnitt des motorischen Nervensystems wenig betroffen und weitgehend erhalten. Daher sind Muskelschwäche kaum nachweisbar. Bei der spastischen Variante steht vielmehr eine Spastik von Extremitäten und Rumpf sowie von Zunge und Schlund im Vordergrund, die durch eine Schädigung motorischer Nervenzellen im Gehirn (erstes motorisches Neuron) entstanden sind. Die spastische ALS betrifft eine kleinere Gruppe der Menschen mit ALS und wird bei weniger als 20 % der Betroffenen diagnostiziert.

45 Was ist ein Flail-Leg-Syndrom?

Der Name des Flail-Leg-Syndroms leitet sich vom Englischen ab, in dem »Flail« mit dem Wort »schleudern« zu übersetzen ist. Das Flail-Leg-Syndrom ist eine besondere Verlaufsform der ALS, bei der motorische Symptome (Paresen und Myatrophie) an den Beinen beginnen und fortschreiten. Dabei können die Symptome über einen längeren Zeitraum (bis über mehrere Jahre) auf die Beine beschränkt bleiben. Symptome am Rumpf und in Armen sowie der Bulbärregion treten mit großer Verzögerung auf. Die Prognose des Flail-Leg-Syndroms ist durch eine verlangsamte Progression und durch eine späte Einbeziehung des Rumpfes (und damit verbundener Atemanstrengung) und einer verzögerten (oder sogar ausbleibenden) Betroffenheit der Bulbärregion charakterisiert. Im Vordergrund des Beschwerdebildes besteht eine frühe Einschränkung des Laufens und Stehens und die Notwendigkeit von Mobilitätshilfen. Das Flail-Leg-Syndrom ist recht selten und betrifft weniger als 10 % aller Menschen mit ALS.

46 Was ist ein Flail-Arm-Syndrom?

Die englische Bezeichnung »Flail-Arm« lässt sich mit dem Begriff des »schleudernden Arms« übersetzen. Das Flail-Arm-Syndrom ist eine besondere Verlaufsform der ALS, bei der Muskelschwäche (Paresen) und ein Muskelschwund (Myatrophie) an den Schultern, Armen und Händen entstehen und langsam fortschreiten. Tatsächlich führen die hochgradigen Lähmungen des Arms dazu, dass die betroffene Extremität am Körper schlaff herunterhängt und beim Laufen »schleudernde« Bewegungen des Arms imponieren können. Beim Flail-Arm-Syndrom können die Muskelgruppen der Schulter vordergründig betroffen sein, während die Hände eine gute Funktion aufweisen. In diesem Fall sind vor allem Bewegungen aus der Schulter heraus (Arbeiten über Kopf) eingeschränkt oder nicht mehr möglich. Bei anderen Patienten beginnt jedoch das Flail-Arm-Syndrom in der Hand (mit Einschränkung der manuellen Funktion), schreitet auf die Schulter des erst betroffenen Arms fort und betrifft in einem weiteren Schritt den gegenseitigen Arm. Das Flail-Arm-Syndrom kann mit hohen funktionellen Belastungen verbunden sein, da die manuellen Fähigkeiten bereits in frühem Krankheitsverlauf hochgradig eingeschränkt sein können (hantieren, kleiden, öffnen von Türen u. a.). Die Ausbreitung der motorischen Symptome von der Schulter- und Armregion auf die unteren Extremitäten und die Bulbärregion kann sehr verzögert stattfinden. Die Variabilität im Verlauf ist beim Flail-Arm-Syndrom hoch (mit einzelnen Patienten, die ein rasches Ausbreiten der Paresen erleben), sodass trotz der grundsätzlich besseren Prognose eine individuelle Abschätzung der Prognose besonders wichtig ist. Das Flail-Arm-Syndrom betrifft weniger als 10 % aller Menschen mit ALS.

47 Was ist eine axiale ALS?

Der Begriff »axial« steht für die Körperachse des menschlichen Körpers: den Rumpf. Die axiale ALS ist eine besondere Verlaufsform der ALS, bei der Paresen (Lähmungen) und Myatrophien (Muskelschwund) des Rumpfes dominieren. Die Betroffenheit des Rumpfes macht sich durch eine Rumpfinstabilität, eine verstärkte Beugehaltung und damit verbundene Gangstörung bemerkbar, während die Extremitäten in ihrer Funktion weitgehend erhalten sind. Ein weiteres Merkmal – neben der Rumpfinstabilität – ist die Einschränkung der Atemfunktion. Die menschliche Atmung wird überwiegend durch Rumpfmuskulatur (Zwerchfell, Rippenmuskulatur, Bauchmuskulatur) realisiert. Patienten mit axialer ALS zeigen eine Atemfunktionsstörung, die sich durch eine erhöhte Atemanstrengung (Dyspnoe) oder durch einen ungenügenden Austausch der Atemgase (Anreicherung von Kohlendioxid mit der Folge von Müdigkeit und Abgeschlagenheit) darstellt. In einer sehr seltenen Konstellation (die weniger als 2 % aller Menschen mit ALS betrifft) ist die Atemmuskulatur zuerst betroffen, während der sonstige Rumpf und die Extremitäten keine Paresen aufweisen. Diese Form der axialen ALS wird typischerweise zuerst von Lungenärzten diagnostiziert. Die axialen ALS macht typischerweise bereits im früheren Krankheitsverlauf die Unterstützung durch Atemhilfen erforderlich, da eine Schwäche der Atemmuskulatur bereits bei Beginn der ALS auftreten kann. Die axiale ALS betrifft weniger als 10 % aller Menschen mit ALS.

48 Was ist eine Progressive Bulbärparalyse?

Die progressive Bulbärparalyse ist eine besondere Verlaufsform der ALS, bei der die motorischen Symptome in der Zungen- und Schlundregion (Bulbärregion) auftreten und über längere Zeiträume (bis zu mehreren Jahren) auf diese Region beschränkt bleiben. Der Übergang von Lähmungen auf die Hände, Arme und Beine findet mit großer Verzögerung statt. In den ersten Monaten und Jahren des Krankheitsverlaufes schreitet die Erkrankung in der Bulbärregion fort (Zunahme von Sprech- und Schluckstörung), während eine Muskelschwäche (Paresen) oder Muskelsteifigkeit (Spastik) in anderen Körperregionen nicht nachweisbar sind. Eine vollständige Beschränkung der ALS auf die Bulbärregion ist auch bei der progressiven Bulbärparalyse nicht vorhanden: Nach Jahren der isolierten Betroffenheit in der Bulbärregion kommt es im späteren Krankheitsverlauf zu einer langsam fortschreitenden Einbeziehung der Rumpfmuskulatur (Schwäche der Kopfhaltemuskulatur), der Arme und unteren Extremitäten. Aufgrund der starken Begrenztheit der Symptome auf die bulbäre Region, kann die Diagnosestellung dieser speziellen Verlaufsform der ALS schwierig sein und verzögert erfolgen. Weniger als 5 % aller Menschen mit ALS zeigen den Krankheitsverlauf einer progressiven Bulbärparalyse.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

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