Читать книгу Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit - Tilman Wetterling - Страница 8
1 Einleitung 1.1 Historische Betrachtungen
ОглавлениеAlkohol entsteht bei der natürlichen Gärung von Zucker, der in Getreiden und Früchten enthalten ist. Der Konsum alkoholhaltiger Getränke ist bei vielen Völkern und in alten Kulturen seit Jahrtausenden bekannt. Wein wurde schon mehrere Tausend Jahre v. Chr. in Mesopotamien und in Persien angebaut. Im Alten Testament findet sich ein entsprechender Hinweis: Noah legte nach der Sintflut einen Weinberg an (Bibel 1. Buch Mose 9/20). Es gibt auch Aufzeichnungen von den Sumerern aus dem 3. Jahrtausend v. Chr., in denen die Herstellung von Bier beschrieben wird.
Der Herstellung alkoholischer Getränke und deren Konsum zeigten schon in der Antike deutliche regionale Unterschiede. Griechen und Römer tranken bevorzugt Wein. Chinesen brauten alkoholische Getränke auf der Grundlage von Reis (Sake). Die Germanen tranken Bier und Met (Honigwein). Diese wurden als Getränk und Genussmittel geschätzt. Bei anderen Völkern war Alkoholkonsum vorwiegend kultischen Zwecken bei Zeremonien, z. B. als Opfergaben bzw. zur Erzeugung eines Rauschzustandes vorbehalten. Die Griechen hatten einen Gott des Weines. Aber Dionysos war auch noch Gott der Freude, Fruchtbarkeit und des Wahnsinns sowie der Ekstase. In der Antike gab es einen Bacchus-Kult mit ekstatischen Trinkgelangen (Homer Odyssee). Archäologen vermuten sogar, dass ein für kultische Zwecke erforderliches alkoholhaltiges Getränk (Bier) schon über 10.000 Jahre v. Chr. mit dazu beigetragen hat, dass Menschen sesshaft wurden, um so Getreide anbauen zu können (Dietrich et al. 2012; Liu et al. 2018; Reichholf 2008).
Die Folgewirkungen eines übermäßigen Alkoholgenusses waren ebenfalls schon sehr früh bekannt (Bibel 1. Buch Mose 9/21 ff.): »Und da Noah von dem Wein trank, ward er trunken und lag in der Hütte aufgedeckt«. Für den römischen Philosophen Seneca (4 v. Chr.–65 n. Chr.) war Trunkenheit nichts anderes als »freiwilliger Wahnsinn«. Er beschreibt den betrunkenen Zustand als »Krankheit«, die auftritt, wenn die »übergroße Kraft des Weines« von »der Seele Besitz ergriffen« habe. Hierbei handelt es sich um eine frühe Beschreibung des Kontrollverlustes und der Alkoholintoxikation.
Die Geschichte des Alkohols von der Antike bis in die Neuzeit ist lang und weist viele Facetten auf (Brunold 2014). In Nord- und Mitteleuropa war Biersuppe, die schon zum Frühstück gegessen wurde, bis zum 16. Jahrhundert ein Grundnahrungsmittel (Schivelbusch 2010). Wein wurde aufgrund des hohen Preises im 17.–19. Jahrhundert vorwiegend vom Adel und Großbürgertum getrunken. Noch im 19. Jahrhundert wurden Arbeitern von ihren Arbeitergebern alkoholische Getränke (Bier) statt fester Nahrung verabreicht (Schott 2001).
Die natürliche Gärung erfolgt mithilfe von Hefe. Der maximal erreichbare Alkoholanteil lag bei etwa 16 % Volumen. Arabischen Alchemisten gelang es im frühen Mittelalter zuerst durch Destillation höhere Alkoholkonzentrationen zu erzeugen. Erst Ende des 17. Jahrhunderts kam es durch die Einführung von Kartoffelbrennerei zur verbreiteten Herstellung hochprozentiger Getränke (Branntwein-, Schnaps- und Whiskybrennereien) in Europa und infolge zu massiven Problemen (»Branntweinpest«) (Schott 2001).
In Europa wurde Alkohol in Maßen lange Zeit (insbesondere im 12.–19. Jahrhundert) als Lebenselixier sogar von Ärzten propagiert. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts traten Ärzte wie Hufeland für eine Reduzierung des Alkoholkonsums aus medizinischen Gründen ein. Selbsthilfe-Organisationen wurden wegen der vielfältigen durch Alkohol verursachten Probleme im Zeitalter der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Seit dieser Zeit wurden von ärztlicher Seite Bemühungen unternommen, Hilfsangebote für Alkoholabhängige zu entwickeln. Meist wurden Alkoholkranke aber ausgegrenzt und landeten in »Trinkerasylen etc.«, später in psychiatrischen Kliniken (Schott 2001). In Deutschland wurde erst 1968 vom Bundessozialgericht Alkoholismus als Krankheit anerkannt (BSG, 18.06.1968 - 3 RK 63/66).
Ebenfalls beginnend im 19. Jahrhundert hat Alkohol (»Feuerwasser«) wesentlich zu der Zerstörung von alten Kulturen der Ureinwohner, v. a. in Nordamerika sowie in Australien nach Ankunft der Europäer, beigetragen.
Vor allem in den europäisch bzw. christlich geprägten Ländern der Welt ist der Alkoholkonsum in den letzten Jahrzehnten ein sozialmedizinisches Problem ersten Ranges geworden. Dagegen ist in Ländern, in denen andere Religionen (Islam, Hinduismus und auch Buddhismus) vorherrschen, Alkohol bislang nur von geringerer sozialmedizinischer Bedeutung (WHO 2018).