Читать книгу Quantumdrift - Tilo Linthe - Страница 6

Feinde

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Rae schwebte nach oben, während Sam noch mit seinen Anschnallgurten kämpfte. Als er sie endlich aufbekommen hatte, stellte sich das Gefühl zu fallen ein. Ihm wurde übel, weil er begann, sich unkontrolliert um die eigene Achse zu drehen, und auch das Rudern mit den Armen führte nur dazu, dass er mit der Hand irgendwo anstieß und sein Körper einen weiteren unkontrollierten Impuls bekam. In diesem Moment legte sich eine behandschuhte Hand um sein Handgelenk. Hilflos ließ sich Sam von Rae in eine enge Kammer mit Ausgang ziehen. Sie schloss die Schleuse.

"Wo sind wir?"

"Auf der Arkanos. Das hier ist eine Schleusenkammer." Rae wandte sich der Schleusentür zu, die sich gerade wieder öffnete. Goldgesichtige Männer und Frauen in orangefarbenen Overalls quollen durch die Öffnung - viel zu viele für den engen Raum. Mit eigenartig sparsamen Bewegungen wurde Sam ein Overall in die eine Hand gedrückt und ein paar klobige Stiefel in die andere. Es war ihm peinlich, dass er noch immer splitterfasernackt war. Schnell wollte er sich den Overall überstreifen, doch die hektischen Bewegungen ließ ihn das Gleichgewicht verlieren. Sofort begann er sich wieder unkontrolliert um die eigene Achse zu drehen und wurde abermals am Handgelenk gepackt.

"Nicht so hastig, Sportsfreund. Das nimmt dir die Schwerelosigkeit übel", sagte einer der Goldgesichtigen.

Etwas vorsichtiger schlüpfte Sam mit den Beinen in den Anzug und streifte sich dann den Rest über, darauf bedacht, keine hektische Bewegung zu machen. Es war ein eigenartiges Gefühl, dabei über dem Boden zu schweben. Er schaute sich nach seinen Stiefeln um, die er in der Hektik einfach losgelassen hatte. Der Goldgesichtige, der ihn gerade festgehalten hatte, winkte mit ihnen vor Sams Nase.

"Die Stiefel ziehe vorsichtshalber ich dir an." Der Mann bückte sich und steckte ihm die Stiefel mit gleichermaßen schnellen wie vorsichtigen Bewegungen an die Füße. Dabei wirkte er, als wäre er fest mit dem Boden verwachsen. Sam fragte sich, wie es dem Kerl gelang, sich in dieser Schwerelosigkeit so sicher zu bewegen. Doch noch bevor er fragen konnte, wurde er auch schon mit sanftem Druck durch die Öffnung aus der Kammer geschoben. Nach der erdrückenden Enge war die Weite der angrenzenden Halle eine willkommene Abwechslung. Sam blickte sich suchend nach Rae um, aber sie war bereits weg. Unsicher stand er auf den Füßen, darauf bedacht, auf dem Boden zu bleiben. Es gelang ihm nicht. Wie ein Seiltänzer streckte er seitlich die Arme aus und sah sich hilfesuchend um, aber niemand schien von ihm und seinen Schwierigkeiten Notiz zu nehmen.

"Sie müssen die Hacken zusammenschlagen, um die Stiefel zu aktivieren."

Sam blickte sich nach der ungeduldigen Stimme um und erblickte das breite Gesicht eines Mannes mit Doppelkinn und Hängebacken. Die buschigen Augenbrauen verdeckten fast die Augen und gaben ihm den wilden Blick eines Stiers. Er hatte den Kopf leicht nach vorn geneigt, als wollte er Sam mit imaginären Hörnern aufspießen.

"Na machen Sie schon!", wiederholte der Stier barsch.

Sam beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, und schlug wie ein Feldwebel die Hacken zusammen. Dann spürte er, wie erst der eine und dann der andere Fuß Bodenhaftung bekam. Der Stier quittierte es mit einem Schnauben.

"Ich bin Horst Reiniger, Cheftechniker der Arkanos. Ich hab noch 'ne Menge zu tun und wenig Zeit, also los jetzt!" Er senkte seinen Kopf noch ein Stück tiefer, nachdem er sich umgedreht hatte und losmarschierte, als würde er alles beiseitepflügen, was seinen Weg kreuzte.

Sam stolperte hinterher. Die Fortbewegung mit den Magnetstiefeln sah einfacher aus, als sie in Wirklichkeit war, und wäre die Schwerelosigkeit nicht gewesen, wäre er wohl mehrmals hingefallen. So fiel er hinter Reiniger schnell zurück, dem die anderen Techniker hastig Platz machten, wenn sie ihn kommen sahen. Es dauerte eine Weile, bis er

endlich bemerkte, dass Sam nicht mitkam. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und sein Mund bildete einen schmalen Strich der Missbilligung.

"Was ist denn los mit Ihnen, Mann? Sie müssen Ihre Füße senkrecht in die Höhe ziehen, sonst lösen sich die Magnethalterungen nicht so gut."

"Ich mache das zum ersten Mal …", versuchte Sam sich zu rechtfertigen. Wieso waren hier eigentlich alle so feindselig?

"Wir haben das alle irgendwann zum ersten Mal gemacht, aber keiner hat sich so dämlich angestellt wie Sie." Reiniger drehte sich um und wollte weiter pflügen.

"Seien Sie nicht zu hart, Reiniger! Er ist schließlich nur ein Zivilist."

Abrupt blieb der Stier stehen und drehte sich zu dem Mann um, der gerade hinter Sam aufgetaucht war. Die Überraschung lockerte den Strich der Missbilligung und ließ die Augenbrauen in ungläubigem Erstaunen nach oben wandern - sie sahen aber immer noch düster aus.

"Wie meinen Sie das?"

"Haben Sie es noch nicht gehört?", fragte die kalte Stimme hinter Sam. Eine ebenso kalte Hand legte sich leicht auf seine Schulter, nagelte ihn mit unerklärlicher Entschiedenheit an seinem Platz fest. "Mr. Njuman ist kein Soldat. Er ist der Erste seiner Art, wenn Sie so wollen. Da müssen Sie ein wenig nachsichtig sein."

Schweigen.

"Ein Zivilist?!"

Sam sah, wie es hinter Reinigers Stirn arbeitete. Diese Information brachte sein Weltbild offenbar gehörig ins Wanken, als hätte er nach dem Zusammenbau einer Maschine eine überzählige Schraube gefunden, mit der er nichts anfangen konnte.

"Was sollen wir denn mit so einem anfangen?"

"Wir werden sehen", ertönte die kalte Stimme und der Unbekannte grub seine Finger in Sams Schulter. "Eine angemessene Beschäftigung wird sich schon finden, nicht wahr?"

Zu Sams Erleichterung lösten sich die Finger von ihm.

"Ach so, deshalb ..." Reiniger schüttelte den Kopf und marschierte weiter.

Sam wurde hinterhergeschubst, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte und stolpern ließ.

"Los, los! Schnell hinterher, sonst verlieren Sie wieder den Anschluss!"

Die Stimme erzeugte einen Schauder über Sams Rücken, als hätte ihn eine Brise arktisch kalter Luft gestreift. Er wagte es nicht, sich umzudrehen, versuchte stattdessen, Reiniger nicht aus dem Blick zu verlieren - der verschwand gerade um die Ecke. Sam hatte Mühe, ihm durch die Korridore und Abzweigungen zu folgen, und schon nach kurzer Zeit hatte er völlig die Orientierung verloren. Er fragte sich, woher Reiniger wusste, wo er langgehen musste. Immer wieder schüttelte der Stier den Kopf und murmelte etwas vor sich hin, bis sie schließlich durch eine dicke Stahltür in einen kreisrunden Raum mit kuppelartiger Decke kamen. Die Wand war von Konsolen gesäumt, deren Zweck Sam nicht einmal erraten konnte. Jeder Quadratzentimeter wurde ausgenutzt - es gab nur an drei Stellen eine Lücke mit schwerer Stahltüre. In der Mitte des Raums standen auf einem Podest einige Sessel, und ein Teil der Wand war von einem riesigen Panoramabildschirm bedeckt, der die schematische Darstellung eines spindelförmigen Objekts anzeigte. Das musste eine Darstellung der Arkanos sein. Sie verjüngte sich nach beiden Seiten und lief in abgerundeten Enden aus. An der dicksten Stelle, in der Mitte, hatte sie eine Wulst, die sich um seine Drehachse zog. Die Abbildung war bis auf ein rot blinkendes Segment in einem Grünton gehalten.

"Willkommen an Bord des leichten Kreuzers Arkanos. Ich bin Captain John Connor! Wie ich sehe, haben Sie unser Problem bereits erkannt."

Sam zuckte zusammen. Er hatte so gebannt auf den Bildschirm gestarrt, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie jemand neben ihn getreten war. Er wandte dem Captain den Kopf zu und blickte in ein kantiges Gesicht. Darin bewegte sich kein einziger Muskel. Der Captain des Schiffs wirkte distanziert, aber nicht kalt oder unfreundlich. Die Augen blickten ihn neugierig an, und trotz seiner unscheinbaren Statur strahlte Connor eine Autorität und Präsenz aus, die ihn größer wirken ließ, als er in Wirklichkeit war.

"Sir, kann ich jetzt gehen? Ich muss mich um dieses Problem kümmern. Ich habe eigentlich gar keine Zeit, Schiffsführungen für Zivilisten zu veranstalten!" Reinigers Doppelkinn wackelte, als er eine heftige Kopfbewegung in Sams Richtung machte. "Und warum musste ich ihn überhaupt hierher eskortieren?!"

Connor strich mit entschiedener Geste seine Uniformjacke glatt.

"Weil ich noch einen Auftrag für Sie habe. Sie sollen helfen, die Auflösung unserer Sensoren zu erhöhen. Wir müssen endlich wissen, was da draußen los ist."

"Kann das nicht Theresa machen?"

"Die kümmert sich gerade um das Loch. Sie sagte, sie würde das auch ohne Ihre Hilfe hinkriegen."

Reiniger brummelte unwillig. Ihm passte diese Anweisung ganz offensichtlich überhaupt nicht - aber auch er konnte sich der Autorität des Captains auch nicht entziehen.

Wieder eine knappe Bewegung der Hände über die Uniformjacke.

"Theresa ist Ihre beste Technikerin, Reiniger. Haben Sie ein bisschen Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Außerdem sind Sie der Einzige, der dem Ortungsoffizier bei den Sensoren helfen kann."

"Also gut …", sagte Reiniger und pflügte wortlos über die Brücke davon.

"Sie haben hier irgendwo ein Loch?", fragte Sam, als sich Connor ihm wieder zuwandte.

"Ja. Ein Meteorit hat eines in unsere Außenhülle gerissen. Zum Glück war niemand im betroffenen Bereich, als wir ihn abgeschottet haben. Jetzt müssen wir die Stelle finden und abdichten."

"Passiert so was häufiger?"

"Gelegentlich …", antwortete der Captain vage. "Wäre unsere Außenhülle aus Synthmetall, wie die Konvergenzstationen, wäre vieles einfacher."

"Synthmetall?"

"Das goldene Zeug, das Sie drüben auf der Station gesehen haben. Es ist extrem widerstandsfähig."

Auf der schematischen Darstellung der Arkanos wechselte ein rot blinkender Bereich auf Grün. Jemand von der Brückenbesatzung kam auf den Captain zu.

"Wir haben die Stelle abgedichtet, Sir. Die Arkanos ist wieder voll einsatzbereit."

"Na bitte … geht doch." Er quittierte ein Formular und wandte sich an Sam. "Der Papierkram verfolgt uns sogar bis in den Weltraum. Wenn Sie mich für einen Augenblick entschuldigen würden? Ich bin gleich wieder bei Ihnen."

Während der Captain mit einem seiner Offiziere sprach, ließ Sam die Atmosphäre der Brücke auf sich wirken. Es herrschte rege Geschäftigkeit. Die vielen verschiedenen Stimmen bildeten einen chaotischen Chor.

Nach einigen Minuten kam der Captain wieder auf ihn zu, wurde aber von Reiniger abgepasst.

"Wir wären dann so weit, Sir. Wir haben die Auflösung erhöht - mehr ist aus den Sensoren nicht rauszuholen."

"Dann hoffen wir, dass es reicht. Ortung: Wir fangen mit Suchgitter eins an!", sagte Connor.

Die Arkanos verschwand vom Panoramabildschirm und machte dem Sternenhimmel Platz, vor dessen Hintergrund Broken mit seinem Krater aussah wie das Bild eines Surrealistischen Malers. Darüber erschienen die grünen Striche eines Gitternetzes, dessen erstes Quadrat grün blinkte. Selbst Sam verstand, dass die Sensoren den ersten Bereich intensiv scannten.

"Kann ich endlich gehen, Sir? Ich habe noch jede Menge zu tun."

Der Captain nickte Reiniger zu, der sich umgehend davonmachte. Nachdenklich blickte Connor ihm hinterher.

"Der beste Chefingenieur, den man sich wünschen kann. Ein Zauberer, wenn es um Maschinen geht …"

"Nur mit Zivilisten scheint er so seine Probleme zu haben", fiel Sam ihm ins Wort.

Wieder strich der Captain seine Jack glatt.

"Mit Zivilisten haben wir hier oben alle Probleme."

"Warum? Weil sie nicht in Ihre genormte militärische Welt passen?"

"Das ist nicht der Grund …" Mit einladender Geste deutete Connor auf das Podest mit den Sesseln. Sam nahm Platz und schnallte sich an, während das grün blinkende Kästchen auf den zweiten Bereich sprang.

"Sie sind nun mal der einzige Zivilist hier oben", erklärte der Captain.

"Was wollen Sie damit sagen?"

"Ich will damit sagen, dass eigentlich nur Soldaten ins Big-Five-System kommen. Mit den Vinculan haben Sie ja bereits Bekanntschaft gemacht - sie sind der Grund, warum die Konvergenz unsere Hilfe braucht. Warum sie jetzt auf einmal anfangen sollten, Zivilisten zu rekrutieren, ist mir schleierhaft."

"Warum bin ich dann hier?"

"Ja, das ist die große Frage. Ich hoffe, die Konvergenz kann sie beantworten. Ihr Kommen wurde uns jedenfalls nicht angekündigt, und damit auch nicht der Grund, warum."

"Die Konvergenz?", fragte Sam.

Der Captain seufzte, während die Sensoren der Arkanos ihre Aufmerksamkeit auf das nächste Feld im Suchmuster richteten.

"Das können Sie natürlich nicht wissen. Die Konvergenz ist ein Zusammenschluss raumfahrender Völker."

"So was wie … Aliens? Grüne Männchen? Marsianer? Diese Art von raumfahrenden Völkern?", fragte Sam ungläubig.

"Sie sind zwar nicht grün, aber im Prinzip liegen Sie richtig."

"Und wir gehören dazu? … Also entweder ich war länger tot, als bisher gedacht, oder ich habe zu selten Tagesschau geguckt."

Der Captain schüttelte den Kopf.

"Nein, sind sie nicht und haben sie nicht. Auf der Erde ist immer noch Oktober im Jahr 2017 - was hier oben passiert, hat mit da unten nichts zu tun."

"Womit hat es dann zu tun?"

"Um es bildhaft zu formulieren: Wir sind hier, um für die Konvergenz die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sie ist auf uns aufmerksam geworden, als eines ihrer Raumschiffe auf der Erde abstürzte. Das gab eine helle Aufregung damals."

"Aufregung? Also habe ich doch zu selten Tagesschau geguckt!"

"Das ist schon eine Weile her. Sie müssen wissen, wir operieren bereits seit 70 Jahren im Big-Five-System."

"Ja, aber selbst wenn es 70 Jahre her ist - abgestürzte Aliens wären mir sicher nicht entgangen. Selbst wenn das nur in Geschichtsbüchern stehen würde."

"Tut es aber nicht. Die Aufregung war zwar groß, damals, aber man konnte die Sache geheim halten. Mehr oder weniger zumindest. Schon mal was von Roswell gehört?"

Da klingelte in Sam tatsächlich etwas. 1947 waren in der Nähe dieses Ortes merkwürdige futuristische Fragmente gefunden worden. Schnell machte das Gerücht eines abgestürzten Raumschiffs die Runde. Die US-Regierung hatte behauptet, dass lediglich ein Wetterballon abgestürzt sei - dennoch pilgerten bis heute jedes Jahr Gläubige zu diesem Wallfahrtsort der Verschwörungstheorien.

"An der Sache war also doch mehr dran …", sagte Sam nachdenklich.

"Kann man so sagen - das waren die Kienar. Bilder von ihnen geistern noch heute durch die Medien. Große graue Gestalten mit überlangen, zerbrechlich wirkenden Armen und Beinen. Dazu ein großer Kopf mit schmalem Gesicht, lippenlosem Mund und großen schwarzen Augen. Sie sind uns gar nicht so unähnlich: Sie trinken Wasser, atmen Sauerstoff und vertragen das meiste, was wir Menschen an Nahrung zu uns nehmen. Der größte Unterschied ist mentaler Natur - physische Gewalt ist ihnen völlig fremd."

"Mir ehrlich gesagt auch", erwiderte Sam.

Captain Connor sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an und schwieg nachdenklich. Dann fragte er: "Sind Sie verheiratet?"

"Nein, wieso?"

"Stellen Sie sich vor, Sie wären es. Sie hätten eine Frau, die sie lieben, und zwei wunderbare Kinder. Eines Tages bricht jemand in Ihr Haus ein und bedroht Ihre Familie. Sie hätten eine Pistole, sagen wir eine 45er Automatik in der Hand. Was würden Sie tun?"

"Bei uns sind Waffen verboten", wandte Sam ein, obwohl er ahnte, worauf der Captain hinauswollte.

"Was würden Sie tun?", beharrte der ruhig.

"Es wäre Notwehr …", umging Sam eine direkte Antwort.

"Richtig. Sie wüssten, was Sie zu tun hätten. Wenn ich Ihnen eine Keule in die Hand gebe, dann wissen Sie, wozu man sie verwenden kann, oder?"

"Um die Schale einer Kokusnuss zu öffnen."

"Oder?"

"Ist ja gut … Oder den Schädel eines Menschen."

"Sehen Sie? Sie verstehen das Konzept physischer Gewalt. Das tun die Kienar und die anderen Völker der Konvergenz nicht."

"Sie meinen, wenn man ihnen eine Keule in die Hand drückt und ihnen erklärt, was man damit machen kann, würden sie es nicht verstehen?"

"Genau. Wir hatten es anfangs schwer, ihnen begreiflich zu machen, was ein Soldat ist."

"Aber wie verträgt sich das mit Darwin und dem Überleben des Stärkeren? Hätten sie da nicht längst von der Evolution ausgesiebt werden müssen?"

Das grüne Quadrat sprang auf das nächste Gitterfeld.

"Die Evolution ist kompliziert. Wir tun immer so, als hätten wir die Geheimnisse der Entstehung des Lebens enträtselt, aber in Wirklichkeit tappen wir im Dunkeln. Der Mensch ist keineswegs das stärkste, größte oder schnellste Geschöpf auf der Erde - trotzdem hat er sich durchgesetzt. Unsere Wissenschaftler sind der Meinung, dass man nur friedliche Völker zwischen den Sternen findet."

"Warum?"

"Alle anderen haben sich selbst ausgelöscht. Je größer die technischen Möglichkeiten, desto größer die Gefahr. Mit einer Keule, einem Schwert oder einer Lanze kann man viele Feinde töten … aber mit einer Atombombe …?"

"Also hat die Konvergenz die Menschen angeheuert, gegen diese …", Sam suchte nach dem richtigen Wort, "Schattenwesen zu kämpfen."

"Vinculan", verbesserte Connor ihn, während der blinkende Cursor ins nächste Feld sprang. "Wie gesagt: Das Konsistorium soll für die Konvergenz die Kastanien aus dem Feuer holen."

Plötzlich wechselte die Farbe des fröhlich blinkenden Quadrats von Grün auf Rot. Kurz schallte ein durchdringender Alarmton über die Brücke. Sam konnte spüren, wie sich die Atmosphäre schlagartig veränderte. Urplötzlich lag Anspannung in der Luft, die sich auch auf ihn übertrug. Sam musste sich zwingen, seine Arm- und Beinmuskeln wieder zu entspannen.

"Ortung, Statusbericht!", wies Connor an.

"Ein Schiff der Vinculan auf Schleichfahrt, Sir. Genaue Identifizierung läuft. Sie haben unsere aktive Ortung bemerkt und ändern den Kurs."

"Ich wünschte, wir wüssten, wo sie ihre Basis haben ...", murmelte der Captain.

Das Bild auf dem Panoramaschirm veränderte sich. Ein Ellipsoid wurde eingeblendet, dessen obere Hälfte man abgeschnitten hatte - sie ging an den Seiten in breite geschwungene Flügel über -, während ein viel kleineres Teilstück an der Unterseite angefügt worden war. Mit dem langgezogenen Stachel, in den die viel größere obere Hälfte auslief, erinnerte das Gebilde an einen Rochen in den Tiefen des Weltraumozeans.

Plötzlich begann der Boden unter Sams Füßen zu vibrieren. Seine Glieder wurden schwer. Gegenstände, die vorher durch den Raum geschwebt waren, fielen scheppernd zu Boden. Sam begann zu schwitzen.

Auf dem Panoramabildschirm wurde in einem Ausschnitt schematisch ihre Flugbahn dargestellt, die von Broken und Arrival weg in den offenen Weltraum führte. Das Rochenschiff kam näher, und auf dem Bildschirm erschien eine Wolke aus Lichtpunkten, eingerahmt von roten Quadraten, die sich noch schneller näherten.

"Sie haben Raketen abgefeuert!", rief der Ortungsoffizier alarmiert.

Sam spürte, wie sich seine Anspannung noch ein Stück erhöhte. Er versuchte jetzt gar nicht, seine Muskeln zu entspannen, krallte sich stattdessen in die Armlehnen seines Sessels. Doch der Captain blieb gelassen.

"Ausweichmanöver! Täuschkörper auswerfen!"

Viele grüne Quadrate wurden sichtbar, die sich von der Arkanos entfernten und dem feindlichen Schiff und dessen Raketen entgegenschossen. Als die Raketen auf die grün umrahmten Punkte trafen, flammte eine helle Explosion auf, die eine Kettenreaktion in Gang setzte. Danach blieben nur wenige rot umrahmte Punkte übrig.

"Die Raketen haben auf die Täuschkörper reagiert. Ein paar sind aber durchgekommen."

Immer noch klang die Stimme des Captains beherrscht.

"Abwehrlaser!"

Nun wurde der Waffenoffizier aktiv. Dass hin und wieder ein Laserstrahl traf, konnte man an den Minisonnen erkennen, die kurz aufflammten und wieder verloschen. Ein schönes, aber tödliches Schauspiel. Der Waffenoffizier wurde hektischer.

"Komm schon …", murmelte er.

Sam sah auf dem Panoramaschirm, dass sich der letzte rote Punkt bedrohlich nah am Schiff befand. Plötzlich bäumte sich die Brücke auf, schien Sam regelrecht entgegenzuspringen. Stichflammen kamen an einigen Stellen aus der Konsole, und das Schiff wurde heftig durchgeschüttelt. Nach bangen Sekunden normalisierte sich alles wieder.

"Das war die Letzte", bemerkte der Waffenoffizier mit einem erleichterten Seufzen.

Doch die Gefahr war noch nicht gebannt. Das Rochenschiff kam nach wie vor näher.

"Navigator, volle Schubumkehr!", wies Connor an.

Auch ohne Experte zu sein konnte sich Sam vorstellen, was das bedeutete. Was hatte der Captain vor? Wollte er sie alle umbringen? Warum protestierte niemand dagegen? Sam wischte seine schweißfeuchten Hände an den Hosenbeinen ab. Der Abstand verringerte sich jetzt noch schneller. Mit unbewegter Miene gab der Captain die nächste Anweisung.

"Schutzschirm hochfahren!"

Im nächsten Moment bekam die Schwärze auf dem Bildschirm einen leichten Rotstich. Sam glaubte zunächst, der Bildschirm habe mehr abbekommen, als zunächst gedacht, doch dann wurde das Bild komplett rot. Das Rochenschiff flimmerte leicht, wie ein näherkommendes Auto auf einer heißen Wüstenstraße. Die Arkanos war jetzt von der gleichen rötlichen Blase umgeben wie Raes Kampfanzug auf Arrival.

Der Ortungsoffizier meldete: "Das gegnerische Schiff verzögert mit Maximalwerten."

Plötzlich war der Stachelrochen in ein weißes Flimmerfeld gehüllt.

"Die Vinculan haben ihren Schutzschirm eingeschaltet."

Der Captain saß so entspannt in seinem Sessel, als würde er seinen Nachmittagstee zu sich nehmen.

"Maschinen stoppen! Schiff in Rotation versetzen!"

"Sir, wenn wir rotieren, können wir nicht feuern!", wandte der Waffenoffizier ein.

Der Captain erwiderte: "Das mag wohl sein Bishop, aber so bietet uns der Plasmaschirm den größten Schutz. Feuern können wir später immer noch."

Durch die zunehmende Rotation machten sich die Fliehkräfte innerhalb des Schiffs bemerkbar. Wäre Sam nicht angeschnallt gewesen, hätte es ihn quer durch die Brücke geschleudert.

"Vorbeiflug in zehn Sekunden", sagte der Ortungsoffizier. Man konnte die Anspannung in seiner Stimme hören, als er fortfuhr: "Sie feuern aus allen Rohren!"

Zu der schematischen Darstellung der Arkanos mit ihrer rötlichen Aura gesellten sich Lichtblitze und rote Strahlen, mit denen das gegnerische Feuer virtuell sichtbar gemacht wurde. Dort, wo die Strahlen auftrafen, wurde der Schutzschirm dünner - lediglich die Rotation verhinderte, dass er durchschlagen wurde, denn vollkommenen Schutz bot der Schirm nicht. Projektile durchdrangen ihn ungebremst und schälten die Panzerung vom Rumpf. Es schepperte, dröhnte und krachte. Das ganze Schiff zitterte und kreischte wie ein verängstigtes Tier in den Klauen des Gegners. Und dann wurde es schlagartig still.

Connors Stimme durchschnitt die Stille und brachte wieder Bewegung in die Brückencrew.

"Rotation stoppen und Schiff querstellen! Bishop: Gaußgeschütze klar zum Feuern!"

"Das Vinculanschiff beschleunigt wieder!", hörte Sam die angespannte Stimme des Ortungsoffiziers.

Der Captain gab seinen nächsten Befehl.

"Feuern, wenn bereit!"

Ein Ruck ging durch die Arkanos. Sam dachte erst, das Schiff wäre von irgendwas getroffen worden, als er einen erneuten Ruck spürte. Und wieder, und wieder.

"Gaußkanonen feuern!", sagte der Waffenoffizier.

Sam fragte sich, was das für Kanonen waren, die einen so heftigen Rückstoß erzeugten. Auf dem Bildschirm wurden die Schussbahnen eingeblendet - die meisten Projektile verfehlten ihr Ziel.

"Trefferwahrscheinlichkeit sinkt!", informierte der Waffenoffizier.

"Weiterfeuern! Vielleicht haben wir Glück …", antwortete der Captain.

Eine Schussbahn wurde plötzlich rot dargestellt - ein Zeichen, dass das gegnerische Schiff getroffen wurde. Auf dem Bildschirm sah man eine Spur kondensierenden Gases aus dem Rumpf austreten. Splitter abgeplatzter Hüllenpanzerung flogen herum, aber es gab keine Explosionen, die man von außen hätte sehen können. Scheinbar hatte das Geschoss keinen größeren Schaden verursacht.

"Feuer einstellen!", befahl der Captain.

Sofort hörte das Rucken auf.

"Gegnerisches Schiff wird langsamer", antwortete der Ortungsoffizier.

Scheinbar hatte das Projektil auf seinem Weg durch das Schiff doch mehr zerstört, als von außen zu sehen war.

"Raketen hinterherfeuern!"

"Aye, aye!" Geschäftig brachte der Waffenoffizier seine Konsole zum Klappern.

Auf dem Bildschirm erschienen wieder Lichtpunkte, die diesmal von der Arkanos ausgingen und in grüne Quadrate eingerahmt waren.

"Raketen sind abgefeuert! Zeit bis zum Einschlag: zwei Minuten!"

"Captain!" Der Ortungsoffiziers klang auf eine Weise angespannt, die alle aufhorchen ließ. "Minen direkt voraus!"

Jetzt klang Connor nicht mehr gelassen.

"Was?! Volle Kraft zurück! Ausweichmanöver!"

Im nächsten Augenblick sah Sam auf dem Bildschirm ein blassblaues Leuchten, das sich wie ein Luftballon allmählich zu einer Kugel aufblähte. Immer schneller dehnte es sich nach allen Seiten aus und kam rasend schnell auf sie zu.

Sam konnte nichts tun, nur ohnmächtig darauf warten, dass die blassblaue Energie das Schiff traf. Sein Herzschlag beschleunigte. Doch die erwartete Erschütterung kam nicht und auch nicht das Geräusch berstenden Metalls oder das Pfeifen entweichender Luft. Nein, die Auswirkung war viel schlimmer: Es wurde stockdunkel.

Lichter, Bildschirme, Konsolen - alles erlosch. Ein Knistern war zu hören. Die nächste Lichtquelle war eine aus einer Konsole schlagende Stichflamme. Beißender Gestank verschmorten Kunststoffs stieg in Sams Nase. Dann wurde es still. Die Maschinen arbeiteten nicht mehr. Sam hatte das Gefühl zu fallen. Ohne die Beschleunigung des Antriebs gab es keine Schwerkraft mehr. Er hörte es in der Dunkelheit rascheln und plötzlich flackerte neben ihm ein dünner Lichtstrahl auf und durchschnitt die von Rauch geschwängerte Luft. Ein zweiter und ein dritter Strahl gesellten sich hinzu, als die Brückencrew nacheinander ihre Taschenlampen einschaltete. Sam untersuchte seinen Sitz und fand darunter eine Tasche mit allerlei Utensilien, unter anderem eine Taschenlampe.

"Statusbericht?", fragte der Captain.

Die Antworten waren wenig ermutigend: Alles war ausgefallen, nichts funktionierte mehr.

Von einer der Konsolen her fragte jemand: "Austeritz, haben wir getroffen?"

Der Ortungsoffizier hob verzweifelt die Arme.

"Keine Ahnung! Ist ja alles ausgefallen, bevor die Raketen ihr Ziel erreichen konnten."

"Hat jemand eine Idee, womit wir es hier eigentlich zu tun haben?", fragte Connor - er hatte sich wieder im Griff.

Eine Frauenstimme meldete sich zu Wort: "Ich glaube, wir wurden von einem EMP, einem elektromagnetischen Puls, getroffen. Der hat unsere Elektronik lahmgelegt."

"Wie lange, bis wir unsere Kampfbereitschaft wiederhergestellt haben?"

"Wenn der Kern nicht irreparabel beschädigt ist, können wir provisorisch ein paar Leitungen überbrücken und Platinen austauschen. Das dauert aber."

"Wie lange bis Ortung und Waffen wieder einsatzbereit sind?"

Die Antwort ließ auf sich warten. Offensichtlich wurde fieberhaft kalkuliert. Dann ertönte die Frauenstimme wieder: "Etwa 20 Minuten."

"Okay. Alle, die keine dringenden Arbeiten zu erledigen haben - und das dürften wohl die meisten sein - an die Arbeit! Irgendetwas Nützliches kann jeder. Vorrang haben Ortung und Waffen! Alles andere kann warten!" Der Captain machte eine kurze Kunstpause, während der er über seine Uniformjacke strich.

"Sie haben zehn Minuten."

Einige bliesen die Backen auf, doch es kam kein Widerspruch. Jeder wusste, was auf dem Spiel stand, und so brach im nächsten Moment hektische Betriebsamkeit aus. Die Frau, die vorhin gesprochen hatte, kam zielstrebig auf Sam zu. Er sank noch etwas tiefer in seinen Sessel. Bisher waren ihm alle unfreundlich oder zumindest misstrauisch begegnet. Was würde sie von ihm wollen? Ihr sinnlicher Mund bildete einen eigenartig anziehenden Kontrast zu ihrem unauffälligen Gesicht und der gedrungenen Gestalt. Keck rechte sie Sam die spitze Nase und das Kinn entgegen, dann umspielte ein warmherziges Lächeln ihren Mund.

"Komm mit, wir können jede Hilfe gebrauchen."

Sams Welt wurde ein bisschen heller, als er ihr folgte. Gleichzeitig ging die Notbeleuchtung an.

Nach kurzer Zeit sah die Brücke aus, als hätte eine Rakete eingeschlagen. Die Blenden wurden von den Konsolen gerissen, defekte Leitungen und Platinen entfernt, Diagnosegeräte hervorgeholt. Sam fragte sich, woher das ganze Werkzeug und die Ersatzteile kamen, die plötzlich überall herumschwebten.

"Wir machen es so: Ich gebe dir den Schrott und du reichst mir aus diesem Kasten da die Ersatzteile, die genauso aussehen." Sie deutete auf eine Plastikbox und verschwand dann unter einer Konsole. Gleich darauf hielt sie Sam eine verkohlte, teils noch rauchende Leiterplatine hin.

Was so ein EMP alles anrichten kann … Sam war fassungslos und reichte ihr eine Platine nach unten, von der er hoffte, dass es die richtige war. Ermutigt durch ihr Lächeln, versuchte er ein Gespräch anzufangen.

"Ich bin übrigens Sam."

"Ich weiß", kam es dumpf aus der Konsole. "Der Zivilist. Reiniger hat es mir schon erzählt." Zum ersten Mal seit seinem Erwachen auf Arrival klang Zivilist nicht wie ein Schimpfwort. "Ich bin Theresa.

Gibst du mir mal den Spannungsprüfer aus der Kiste?"

Sam suchte kurz und drückte ihr das Gerät, das er für das Geforderte hielt, in die ausgestreckte Hand.

"Reiniger hat es dir erzählt?" Das passte Sam gar nicht.

"Keine Angst. Ich gebe nicht viel darauf, was er über andere sagt."

"Was hat er denn über mich gesagt?!" Er konnte einen Anflug von Aggressivität in seiner Stimme nicht vermeiden. Erschrocken ergänzte er: "Hoffentlich nur Gutes."

"Du bist süß." Theresa hielt ihm ein winziges Teil entgegen, das so verkohlt war, dass man seine ursprüngliche Form gar nicht mehr erkennen konnte. "Hier, nimm mir das mal ab. Das ersetzen wir erst, wenn wir wieder anlegen - ist kein superwichtiges Teil." Sie seufzte. "O Mann, die Vinculan haben wirklich ganze Arbeit geleistet. Eine so gegrillte Konsole habe ich noch nie gesehen."

"Wer sind eigentlich diese Vinculan? Soweit ich verstanden habe, sind sie die Bösen …"

"Eigentlich müssten wir ihnen dankbar sein. Sie sind schließlich der Grund dafür, dass wir hier oben sind." Theresas Stimme klang angestrengt, während es in der Konsole klapperte. Sie schien an einem Bauteil zu zerren, ihr ganzer Körper bewegte sich, während die Magnetstiefel sie auf dem Boden hielten. Obwohl Theresa in ihrem Overall recht unauffällig aussah, wurde Sam im Lendenbereich heiß. Er war froh, einen weiten Overall anzuhaben, der diese Peinlichkeit kaschierte.

Endlich hatte sie das Bauteil gelöst und reichte es Sam. Ihre Erklärung lenkte ihn von seiner Gefühlswallung ab.

"Wir wissen nur, dass die Vinculan wie aus dem Nichts aufgetaucht sind und die Konvergenz angegriffen haben. Aber keiner weiß, woher sie gekommen sind und welche Ziele sie verfolgen. Alle Kontaktversuche blieben unbeantwortet. Die Konvergenz wusste sich daraufhin nicht anders zu helfen, als uns um Hilfe zu bitten, und das ist jetzt 70 Jahre her. Seitdem sind wir hier im Big-Five-System."

"Weiß man denn wirklich gar nichts über sie?"

"Nur, dass sie gefährlich sind und keine Gefangenen machen. Wir wissen nicht einmal, von welcher Basis aus sie operieren. Die Suche danach blieb bisher ohne Erfolg."

Plötzlich ging ein Ruck durch das Schiff und Sam hörte den dumpfen Aufschlag eines schweren Gegenstands, der die Außenhaut der Arkanos wie eine Glocke dröhnen ließ. Nicht nur Theresa hielt in ihrer Bewegung inne - die gesamte Brückencrew lauschte mit angehaltenem Atem. Man konnte die bange Ruhe auf der Brücke fast mit Händen greifen. Als nichts weiter passierte, nahmen sie ihre Arbeit mit doppelter Intensität wieder auf.

Theresa sprach weiter und schien sich durch ihre Worte von der stummen Gefahr, die ihnen drohte, ablenken zu wollen.

"Die Militärtechnik entwickeln wir selbst. Das können die Außerirdischen nicht. Aber mit ihrer Technik bauen wir Waffen, die auf der Erde nur im Versuchslabor funktionieren oder blanke Theorie sind. Ionenkanonen, Gaußgeschütze, Railguns - alles nur eine Frage der Energie. Wenn du statt eines großen Kraftwerks nur eine kleine Energiezelle der Kienar benötigst, wird plötzlich vieles möglich." Während sie erzählte, holte sie immer mehr Bauteile und Kabel aus der Konsole. Sie war fast ganz darin verschwunden, sodass nur noch ihre Magnetstiefel zu sehen waren.

"Ist es nicht gefährlich für die Konvergenz, uns in den Weltraum zu holen? Was wäre, wenn wir uns gegen sie wenden würden?"

Theresa lachte leise; es klang freundlich.

"Ach … Die Konvergenz hat da so ihre Möglichkeiten. Wir sind seit 70 Jahren hier, aber einander nur selten begegnet. Deshalb wissen wir auch so gut wie nichts über sie - genau genommen fast so wenig wie über die Vinculan. Einmal bin ich auf Batox' Jewel zufällig einem Kienar begegnet, und Reiniger hatte mal ein Gespräch mit einem Que'Wesh, aus dem er aber nicht schlau geworden ist. Kwan, unser erster Offizier, ist mal einem Mongai über den Weg gelaufen, aber einen Huatoo hat zum Beispiel noch niemand zu Gesicht bekommen. Ich glaube fast, die sind nur eine Legende. Wie viele andere Völker noch zur Konvergenz gehören, wissen wir aber nicht."

"Es muss doch einen Weg geben, mehr über sie herauszufinden."

"Falls es ihn gibt, haben wir ihn noch nicht gefunden. Und manche wollen das auch gar nicht."

"Wieso nicht?"

"Weil sie befürchten, die Konvergenz könnte uns das übel nehmen und uns zum Teufel jagen. Wir sind genauso abhängig von ihnen, wie sie auf unsere Hilfe angewiesen sind. Sie könnten uns jederzeit den Hahn abdrehen. Einfach so." Sie schnippte mit dem Finger. "Eine klassische Pattsituation … seit 70 Jahren."

"Ist es für die Konvergenz nicht gefährlich, uns ihre Technik zu überlassen?", sprach Sam den nächsten Gedanken laut aus. "Was, wenn wir sie entschlüsseln und kopieren?"

"So einfach ist das nicht. Wenn du einem Neandertaler ein Smartphone in die Hand gedrückt hättest, hättest du ihm vielleicht beibringen können, es zu bedienen. Aber es auseinanderzunehmen und nachzubauen … das steht auf einem ganz anderen Blatt."

"Wir sind aber keine Neandertaler."

"Glaub mir. Wir haben es versucht und sind grandios gescheitert."

Horst Reiniger kam auf die Brücke gestakst. Widerwillig bewunderte Sam, wie schnell er sich in der Schwerelosigkeit fortbewegen konnte. Zum ersten Mal sah er ihn nicht griesgrämig dreinblicken, aber selbst das Lächeln sah in seinem Stiergesicht gefährlich aus.

"Der Computerkern ist intakt", sagte er so laut, dass es auf der ganzen Brücke zu hören war.

Sam konnte die Erleichterung fühlen, die sich über den Kuppelraum der Brücke legte.

"Wir mussten nur ein paar Kristalle tauschen, sonst ist alles heil geblieben."

Der Captain nickte. Dann fragte er unbestimmt in die Runde: "Wie weit sind wir hier?"

"Noch zwei Minuten, Sir", kam von irgendwoher die Antwort.

"Noch leben wir", sagte Theresa leise zu Sam. Sie kroch aus ihrer Konsole und befestigte die Verkleidung wieder daran. "Fertig." Sie schenkte Sam noch ein strahlendes Lächeln, das seine Welt heller machte.

Sein Geist schwamm regelrecht in ihren wasserblauen Augen, sodass er glaubte, gleich in ihnen ertrinken zu müssen. Was für ein schöner Tod das gewesen wäre … Ihre Stimme holte ihn aus seinen Träumen zurück.

"Wir waren doch ein gutes Team. Die Schöne und der Zivilist." Sie stakste zurück zu ihrer Konsole.

Sam war sich nicht sicher, ob Theresas fast lasziv aussehender Hüftschwung allein auf den speziellen Gang mit den Magnetstiefeln zurückzuführen war oder ob er ihm galt. Sie drehte noch einmal kurz den Kopf in seine Richtung und er schaute hastig zur Seite.


Zwei Minuten später kämpfte sich der Ortungsoffizier wieder hinter seine Konsole. Sie sah mittlerweile aus, als hätte der Schrotthändler sie hier abgeladen. Der Panoramabild­schirm flackerte wieder auf und zeigte das vertraute Bild unzähliger Sterne, die Anspannung auf der Brücke ließ etwas nach.

"Das feindliche Schiff ist zerstört. Da ist nur noch ein Trümmerfeld übrig", verkündete der Ortungsoffizier, und Jubel brandete auf, der mit dem sich die Anspannung in der Zentrale endgültig löste. Die Stimme des Ortungsoffiziers ging darin fast unter. "Was allerdings weniger gut ist: Die Trümmer liegen genau in unserer Flugbahn. Da ist ein riesiger Brocken, der genau auf uns zukommt."

Wie um seine Worte zu bestätigen, spürte man einen dumpfen Stoß und ein metallisches Geräusch, als eines der Trümmer mit dem Schiff kollidierte.

"Wie siehts mit dem Antrieb aus?", fragte der Captain.

"Noch kein Erfolg. Wir wissen nicht, wann wir die Maschinen wieder zum Laufen kriegen. Aber fest steht: nicht, bevor wir mit diesem Ding vor uns zusammenprallen."

Die Anspannung auf der Brücke stieg wieder, während Sam Theresas Hüftschwung nicht aus seinem Kopf bekam. Vor seinem inneren Auge sah er, wie sie sich lasziv unter der Konsole räkelte. Er schüttelte den Kopf, um die Bilder zu verscheuchen. Wieso dachte er in einer solchen Situation gerade an so etwas?!

"Bishop: Statusbericht der Waffen! Optionen!" Stakkatoartig gab der Captain wieder Anweisungen.

Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Der Waffenoffizier beugte sich über seine Konsole, während darunter die Magnetstiefel eines Technikers herausragten, der immer noch Reparaturen vornahm. Die Konsole flackerte so hektisch wie der Waffenoffizier darauf herumtippte.

"Raketen sind unsere beste Option. Laser erwärmen das Material nur und Gaußgeschütze reißen nur Löcher hinein. Etwas anderes haben wir momentan nicht zur Verfügung."

"Raketen startklar machen!", entschied Connor.

Die Bewegungen des Waffenoffiziers wurden jetzt noch hektischer. Ein paarmal donnerten seine Fäuste auf den Touchscreen, deren Entwickler solche Wutausbrüche offenbar einkalkuliert hatten. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, als er sagte: "Die Raketen lassen sich nicht starten. Wir kriegen die Luken nicht auf. Eines der Trümmer muss sie beschädigt haben."

Vermutlich das, das uns zuletzt getroffen hat, dachte Sam. Inzwischen war das Trümmerfeld auf dem Bildschirm beträchtlich größer geworden. Die größten Teile waren scharfkantige Rumpfsegmente, die auch noch die größte Stabilität hatten.

"Wie viel Zeit bleibt uns noch?", fragte der Captain.

"Zwölf Minuten, Sir.", sagte der Waffenoffizier.

"Wir brauchen Vorschläge! Sofort!"

Jetzt meldete sich Theresa zu Wort.

"Lässt sich die Luke der Gaußkanone noch öffnen?"

Der Waffenoffizier war irritiert.

"Ja. Da ist alles in Ordnung. Aber wie soll uns das helfen?"

"Wir schicken eine Rakete durch den Beschleunigungskanal der Gaußprojektile. Danach ist die Abschussrampe zwar kaputt, aber besser die, als das ganze Schiff."

"Ist das innerhalb von zehn Minuten machbar?", fragte der Captain.

"Ich glaube ja, Sir. Aber dafür müssen wir eine Rakete modifizieren", antwortete der Waffenoffizier und fragte zurück: "Wieso zehn Minuten? Wir haben doch noch zwölf?"

"Weil ich sichergehen will und einen Extender rausschicke. Da sollten wir Abstand wahren."

Theresa und der Waffenoffizier staksten so schnell ihre Magnetstiefel es zuließen von der Brücke. Die spannungsgeladene Stimme des Ortungsoffiziers verkündete: "Aufprall in elf Minuten!"

Sam fragte sich, was auf einem Kriegsschiff mit Extender gemeint sein konnte, während der Ortungsoffizier weiter die Minuten herunterzählte. Der Captain trommelte nervös auf der Armlehne seines Sessels herum, doch das war auch schon das einzige Zeichen, dass diese Situation auch an ihm nicht spurlos vorüberging.

"Der Extender ist fertig umgebaut!", meldete Theresa. Ihre Stimme klang angestrengt und sie keuchte. "Wir tragen ihn gerade zu den Gaußgeschützen."

Es blieben nur noch zwei Minuten bis zur vom Captain vorgegebenen Frist. Sam konnte an den angespannten Gesichtern ablesen, dass es knapp werden würde - sehr knapp.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stürmte der Waffenoffizier zurück auf die Brücke und an seine Konsole. Der Captain drehte sich zu ihm.

"Und?"

"Ich programmiere noch schnell die Magnetspulen der Abschussrampe um. Für eine so schwache Beschleunigung sind sie nicht ausgelegt. Ich muss ein paar Sicherungen umgehen, damit es funktioniert."

Wieder das sinnlose Glattstreichen der Uniform.

"Feuerfreigabe, wenn bereit!", kam der Befehl mit dem unmissverständlichen Unterton, dass es nicht mehr allzu lange dauern sollte.

"Noch zwei Minuten bis zum Zusammenprall", informierte der Ortungsoffizier, als hätte er nur darauf gewartet, die Dringlichkeit zu bestätigen.

"Jaja. Ich mach ja schon …", murmelte der Waffenoffizier. Seine Finger flogen über die Bedienfelder seiner Konsole.

"Es ist so weit: Die kritische Distanz ist überschritten! Wenn wir jetzt feuern, gehen wir auch mit drau...", rief der Ortungsoffizier.

Doch der Waffenoffizier fiel ihm ins Wort: "Fertig. Abschuss!"

Der Startimpuls war zu schwach, um sich auf das Schiff zu übertragen.

Theresa kam zurück auf die Brücke, nahm vor ihrer Konsole Platz und schnallte sich an. Erst in diesem Moment wurde Sam bewusst, dass er der Einzige war, der noch vor der Konsole herumstand, die Theresa und er repariert hatten. Schnell stakste er, so schnell seine Magnetstiefel ihn trugen, zu seinem Platz zurück und schnallte sich ebenfalls an. Connor war so konzentriert, dass er davon gar keine Notiz nahm.

"Programmieren Sie die Flugbahn so, dass die Rakete einen Bogen fliegt, von der Seite kommt und beim Einschlag explodiert."

Sam fragte sich, was das für eine Rakete sein sollte, die diesen Brocken aus dem Weg räumen konnte. Der Ortungsoffizier legte die bogenförmige Flugbahn des Extenders auf den Bildschirm. Mittlerweile konnte man auf dem Bildschirm die gezackten Ränder des Trümmerstücks erkennen. Es drehte sich langsam um sich selbst. Der Ortungsoffizier legte die bogenförmige Flugbahn der Rakete auf dem Bildschirm fest und rief: "Zündung!"

Ein grüner Blitz erschien auf dem Bildschirm - Sam musste die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden. Als er sie wieder öffnete, sah er eine Welle aus grünem Gas explosionsartig expandieren. Da es im Weltraum keine Luft gab, die den Explosionsdruck hätte weitergeben können, hatte diese Rakete das kurzerhand an Bord. Das austretende Gas erzeugte eine sich kugelförmig ausbreitende Druckwelle, die das riesige Fragment des feindlichen Raumschiffs und kurze Zeit später auch die Arkanos traf. Es fühlte sich an, als wären sie doch mit dem Rumpfsegment zusammengestoßen. Das Schiff bockte und schüttelte sich wie ein wütender Stier. Sam sah, wie einer der Stahlträger unter der Belastung einknickte wie ein Streichholz. Die Notbeleuchtung flackerte, ein Alarm heulte los. Aus einer Konsole quoll erneut dicker Rauch und vernebelte die Sicht. Sam hustete - der säuerlich stechende Gestank brannte ihm sofort in der Lunge.

In der Eile, die Betriebsbereitschaft des Schiffes wiederherzustellen, hatte die Besatzung Ersatzteile, Elektroschrott und Werkzeuge achtlos im Raum herumschweben lassen. Jetzt wurden sie zu gefährlichen Geschossen. Zum Glück waren die Goldgesichtigen aus härterem Holz geschnitzt als normale Menschen. Ein Akkuschrauber knallte Sam mit voller Wucht gegen die Stirn und hätte ihn auf der Erde vermutlich erschlagen. Hier begann sein Schädel nur dumpf zu pochen. Viel mehr machte Sam zu schaffen, dass er vom Rumpeln und Rütteln des Schiffes in seinen Gurten hin und her geschleudert wurde. Und gerade als er dachte, das Schiff würde gleich auseinanderbrechen, war es vorbei. Die grüne Druckwelle musste über sie hinweggezogen sein. Doch das, was Sam gleich darauf auf dem Panoramaschirm sah, ließ ihn alle Benommenheit abschütteln: Das Trümmerteil füllte den Schirm voll aus. Zwar hatte die Druckwelle es in Bewegung versetzt, doch es driftete viel zu langsam zur Seite weg. Der Ortungsoffizier klapperte wieder eifrig auf seiner Konsole herum.

"Das Teil taumelt stark - ich kann nicht sagen, ob der Extender gereicht hat."

Der Captain reagierte blitzschnell.

"Schotten an Lagerraum eins, drei, fünf und sieben dicht machen! Hangartore zum Weltraum öffnen! Sofort!"

Irgendwo ging wieder ein Alarm los und als die Luft im Hangar durch die geöffneten Tore explosionsartig in den Weltraum entwich, kondensierte und zu Eiskristallen gefror, ging ein erneutes Rütteln durch die Arkanos. Die ausströmende Luft gab dem Schiff einen Impuls weg vom Trümmerfeld, und mit nur wenigen Zentimetern Abstand glitten Bruchstück und Schiff aneinander vorbei. Sam wollte schon aufatmen, da drehte sich das Stück und eine vorspringende Kante wurde sichtbar. Und gleich darauf klang es auch schon, als würde das Schiff vor Schmerz aufkreischen. Das Fragment schien seine Klauen in die Hülle zu schlagen, Metall kratzte über Metall, Teile der Panzerung splitterten ab und gesellte sich zur Trümmerwolke des ehemaligen Rochenschiffs. Die Kante riss die Hülle der Arkanos auf wie ein Dosenöffner. Wieder ein heftiges Rütteln, als Luft durch den Hüllenbruch explosionsartig entwich. Schotten schlossen sich, um die Dekompression zu stoppen, und sie hatten Glück: Dieser zusätzliche Impuls schob die Arkanos endgültig aus der Gefahrenzone. Jubel brandete auf und Sam jubelte kräftig mit. Allein der Captain blieb gelassen.

Quantumdrift

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