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Batox' Jewel

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In den nächsten Tagen stellte sich für Sam eine Routine ein, die ihm guttat. Sie gestattete ihm, die überwältigenden Eindrücke zu verarbeiten und sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. So erschrak er beispielsweise nicht mehr, wenn er zufällig auf seine goldgelben Hände blickte, und er kam schon fast so gut mit den Magnetstiefeln und der Schwerelosigkeit klar wie Reiniger, der durch Gänge und Maschinenraum pflügte, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. McQuire beobachtete ihn, so schien es Sam. So gut es ging versuchte er das ungute Gefühl und dessen sezierenden Blick zu ignorieren. Captain Connor bekam Sam gar nicht mehr zu Gesicht, und mit Theresa reparierte er Schaltkästen, tauschte Leiterplatten und andere Komponenten. Jeden Abend brachte sie ihn zu seiner Kabine und am nächsten Morgen verließen sie den Raum zusammen wieder.

Eines Tages ertönte ein tiefes Brummen, das man eher in den Eingeweiden spürte als es zu hören. Die Maschinen liefen wieder - endlich. Man konnte die Erleichterung der Besatzung fast schon mit Händen greifen.

Durch die Beschleunigung wurde wieder Schwerkraft erzeugt, die alles Schwebende scheppernd zu Boden fallen ließ.

Doch die Routine veränderte sich trotz der Schwerkraft kaum. Die Wochen vergingen wie im Flug. Es war das gleiche Phänomen wie im Urlaub: Die ersten Tage erschienen einem besonders lang, weil das Gehirn die neuen Eindrücke, Andersartigkeiten und ungewohnten Tätigkeiten verarbeiten musste. Aber schon nach ein paar Tagen war einem vieles vertraut und neue Routinen stellten sich ein. Die grauen Zellen schalten in den Automatikmodus um, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, und die Zeit scheint viel schneller zu vergehen.


Und schließlich war es so weit: Ihr Ziel, der Planet Batox, kam in Sicht und wurde, während sie sich näherten, zusehends größer. Theresa führte Sam in einen kuppelartigen Raum, den sie bei ihrer ersten Tour durch das Schiff ausgelassen hatten. Er war übersät mit halbrunden, aus den Wänden ragenden Kugeln. Sie erinnerten Sam an Überwachungskameras auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Im nächsten Moment sog er überrascht die Luft ein, als seine Umgebung vor seinen Augen verschwamm und er mitten im Nichts zwischen den Sternen stand. Theresa drückte seine Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Zusammen mit ihm stand sie in diesem Nichts und lächelte.

"Wir nennen das hier 'Tank'. Die Halbkugeln sind Hologrammprojektoren, die die Bilder der Außenkameras rund um das Schiff in diesen Raum projizieren."

Sam schaute nach unten und erblickte einen Planeten, der auf den ersten Blick wie die Erde aussah. Blau und Braun herrschten vor, doch die fremdartigen Umrisse des Festlands verrieten, dass es nicht die Erde war. Über dem Planeten drehte sich majestätisch eine Raumstation um ihre eigene Achse, die der in der Umlaufbahn Brokens zum Verwechseln glich.

In der Ferne sah man eine feurige, in Gelb- und Rottönen flackernde Sonne vor dem Hintergrund vieler Sterne, die hier viel dichter standen, als über der Erde.

Sam schaute wieder nach unten. Inzwischen füllte die Station das gesamte Blickfeld aus, was ihm ihre Ausmaße bewusst machte. Sie steuerten auf den größeren Ring zu, flogen durch dessen freien Innenraum und näherten sich dem inneren Rand, der als riesige, krumme Wand vor ihnen aufragte. Mehrere spindelförmige Raumschiffe unterschiedlicher Größe hatten daran angedockt - Schiffe des Konsistoriums. Nur eines hatte eine gänzlich andere Form. Es sah aus wie ein überdimensionaler Tintenfisch, dessen Tentakel allesamt nach unten zeigten. Ihre verdickten Enden waren um 90 Grad nach außen gebogen.

Sam deutete darauf und fragte: "Was ist das für ein Schiff?"

"Das gehört den Que'Wesh. Jedes Konvergenzvolk hat eine eigene Bauweise. Die Schiffe der Kienar sehen zum Beispiel aus wie die berühmten fliegenden Untertassen, die du aus alten Filmen kennst."

"Und die Huatoo? Weiß man wenigstens, wie ihre Schiffe aussehen?"

Theresa schüttelte den Kopf.

"Viele glauben, dass es die Huatoo gar nicht gibt." Nachdenklich blickte Theresa zum Tintenfischschiff, das den Innenring gerade verließ, während die Arkanos zu ihrem Andockplatz schwebte. "Ich frage mich, was die hier wollten …"

In diesem Moment leuchteten die Verdickungen auf und bewegten sich wie in einer unsichtbaren Strömung. Als es vorbeizog, richtete es seine Tentakel auf die Arkanos aus.

"Komisch … So ein Verhalten habe ich noch nie gesehen. Normalerweise interessieren die sich gar nicht für uns", sagte Theresa verwundert.

Dann drehte der Tintenfisch prompt ab, wurde immer schneller und verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie hingegen kamen der krummen Wand immer näher. Sam konnte nun nicht einmal mehr erkennen, wo die Mauer begann und wo sie endete.

"Wie groß ist diese Station?", fragte er beeindruckt.

"Sie hat einen Durchmesser von vier Kilometern. Viel kleiner dürfte sie auch nicht sein."

"Wieso?", fragte Sam. "Man könnte doch auch kleinere Stationen bauen. Die Rotation würde doch den gleichen Effekt erzeugen."

Theresa lächelte ihn so an, dass er, wäre er ein Wasserkessel, angefangen hätte, hektisch zu pfeifen.

"Ach, mein unwissender Zivilist." Sie küsste ihn auf die Wange. Dieser Frau konnte man einfach nicht böse sein. "Stell dir vor, du bist auf einem Jahrmarkt und steigst in ein Karussell. Du bist besonders mutig und stellst dich mit den Füßen auf das Geländer. Was würde passieren?"

Sam stellte sich vor, wie ihm schlecht werden und er die ganzen Mitfahrer vollkotzen würde. Aber er sagte: "Ich würde von den Fliehkräften nach außen gezogen werden. Das ist doch das Prinzip der künstlichen Schwerkraft auf einer Station, nicht? Man wird durch die Drehbewegung auf dem Boden gehalten."

"Genau. Und was würde passieren, wenn das Karussell eine Fehlfunktion hätte und sich immer weiterdrehen würde?"

Sam dachte eine Weile darüber nach.

"Na ja, ich hätte wohl Schwierigkeiten, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten", antwortete er wahrheitsgemäß.

Theresa antwortete lächelnd, ohne darauf einzugehen: "Dein Blut würde allmählich vom Kopf in die Beine wandern, weil die Fliehkräfte dort viel höher sind."

Darüber hatte Sam noch nie nachgedacht. Es leuchtete aber ein. Wenn man einen Stein an einem langen Seil drehte und losließ, flog er viel weiter, als an einem kurzen Seil. Außen waren die Fliehkräfte viel höher als innen.

"Und jetzt stell dir vor, du würdest einen Tag, eine Woche oder sogar einen Monat mit diesem Karussell fahren. Es würde dich umbringen. Das nennt man übrigens Gezeitenkräfte."

Die Wand war nun so nah, dass Sam das Gefühl hatte, sie mit den Händen berühren zu können. Er konnte jetzt nicht einmal mehr deren Krümmung ausmachen.

"Die Gezeitenkräfte sind ein Problem. Ein Raumschiff mit einem Drehsegment hätte einen viel zu kleinen Durchmesser - das würde kein Mensch lange aushalten. Erst wenn der Durchmesser mindestens drei Kilometer beträgt, sind die Unterschiede zwischen Kopf und Füßen so klein, dass man sie vernachlässigen kann", erklärte Theresa weiter.

Aus der Wand kam ein Schlauch, der wie eine Ziehharmonika aussah und mit dem Schiff verbunden war, und plötzlich erlosch die imposante Szene um sie herum. Sie standen wieder in dem kuppelartigen Raum mit den halbkugeligen Holoprojektoren.

Theresa sah Sam an.

"So, wir sind da … Jetzt heißt es wohl Abschied nehmen."

Sam nahm sie in den Arm. "Danke. Für alles", flüsterte er ihr ins Ohr.

Ein letztes Mal gingen sie Hand in Hand durch das Schiff. Ein letztes Mal lächelte Theresa Sam mit einem Anflug von Wehmut an.

"Ich hoffe, wir sehen uns wieder."

"Ich auch."

Ein letzter zaghafter Kuss auf die Lippen der Frau, die ihm auf dieser Reise Kraft und Halt gegeben hatte.

"Wer weiß? Vielleicht können wir es so drehen, dass du wieder auf die Arkanos kommst?"

Dieser Gedanke war Sam noch gar nicht gekommen, aber sie hatte recht. Er war schließlich kein Gefangener. Wie viel Gestaltungsspielraum würde er in dieser rätselhaften neuen Welt haben? Bevor Theresa allein in den Eingeweiden der Arkanos verschwand, drehte sie sich ein letztes Mal um und winkte Sam zu. Er spürte diesem neuen Gedanken nach: Er konnte sein Leben selbst bestimmen, war nicht nur Spielball und den Ereignissen ausgeliefert. Zum ersten Mal seit seiner Wiedergeburt verspürte er Zuversicht.

"Nicht, wenn ich es verhindern kann." Wie von einer kalten Dusche wurde alle Wärme fortgespült. Am Ausgang zur Station erwartete ihn Damian McQuire mit einem kalten Lächeln auf den dünnen Lippen. "Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie sich nie wiedersehen."

Sam stand nur da und sagte nichts, während McQuires Lächeln noch breiter wurde.

"Mitkommen!" Er krümmte seinen spindeldürren Zeigefinger wie eine Hexe, die Hänsel in ihr Pfefferkuchenhaus locken wollte. Dann drehte er sich um und ging schnellen Schrittes voran, ohne sich noch einmal nach Sam umzudrehen. Der froschhafte Gang, für den seine überlangen Gliedmaßen sorgten, wirkte eigentlich lächerlich, aber Sam fühlte sich, als würde er seinem Henker geradewegs zum Schafott folgen. Um sich von diesem beunruhigenden Gefühl abzulenken, sah er sich um.

Diese Station sah eigentlich genauso aus wie Arrival und war doch ganz anders. Die gleichen golden schimmernden Wände ohne jede Bearbeitungs- oder Abnutzungsspuren, die gleichen labyrinthartigen Gänge die durch Räume und Hallen führten. Aber hier wirkten sie nicht trostlos und verlassen - hier herrschte geschäftiges Treiben. Männer und Frauen, die allesamt die goldene Hautfarbe hatten wie die Wände, gingen zielstrebig ihren Geschäften nach. Sam fragte sich, welche Ziele sie wohl verfolgen mochten.

An einer Stelle arbeitete eine Schar Techniker gerade an einem Durchbruch in einer Wand. Mit Laserschweißbrennern schnitten sie mühselig durch die goldene Substanz, die passiven Widerstand zu leisten schien - das Material musste wirklich sehr widerstandsfähig sein. Schließlich entstand eine Öffnung, die viel zu groß war für den Fensterrahmen, den die Techniker hastig einsetzten. Aus irgendeinem Grund schienen sie es damit sehr eilig zu haben. Dann blieb Sam stehen und blinzelte. Unterlag er einer optischen Täuschung oder war die Öffnung doch nicht so viel größer, wie es zunächst den Anschein hatte? Je länger er hinschaute, desto mehr tränten seine Augen. Sam machte sie kurz zu und staunte, als er sie wieder öffnete. Der Rahmen schloss nun bündig mit der goldenen Wand ab und knarrte bedenklich, als stünde er unter Druck. Die Techniker ließen den Rahmen erleichtert los und begutachteten ihr Werk.

Sam hatte keine Zeit, diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, denn McQuire hatte bereits einen gehörigen Vorsprung und schien nicht gewillt, auf ihn zu warten. Je weiter sie gingen, desto dichter wurde der Verkehr. Was Sam aber irritierte, war, dass um ihn herum ausschließlich Menschen unterwegs waren. Er hatte noch keinen einzigen Außerirdischen zu Gesicht bekommen. Hätte er die riesige Station und die angedockten Raumschiffe nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte er sich genauso gut in einer exotisch gestrichenen Einkaufspassage befinden können. Vor einem Tor verdichtete sich die Menschenmenge. Scheinbar wollten sie alle in den Raum dahinter.

"Was ist hinter diesem Tor?", fragte er eine Passantin.

"Der Portalraum. Heute ist da drin die Hölle los. Wenn du noch eine Passage willst - vergiss es am besten! Ich verpasse einen wichtigen Termin, weil ich so lange warten muss." Sie war sichtlich genervt.

Sam nickte verständnisvoll. Manche Dinge änderten sich offenbar nie - auch bei Überlichtgeschwindigkeit ging noch alles zu langsam. Und zu langsam war auch Sam. Er musste sich beeilen, um zu McQuire aufzuschließen. Standhaft schien der zu ignorieren, dass Sam gar nicht mehr hinter ihm war. Was würde er machen, wenn ich ihn einfach davonziehen lassen würde? Ich bin frei und kann selbst entscheiden, wohin ich gehe. Dennoch wurde er schneller, bis er wieder aufgeholt hatte. Folgsam wie ein Dackel lief er dem Koordinator hinterher und verfluchte sich gleichzeitig dafür. Es war, als übte McQuire eine unheimliche Macht über ihn aus.

In diesem Moment blieb der vor einer Tür stehen, die von zwei Soldaten in Samurai­rüstungen und mit ihren Waffen im Anschlag bewacht wurde. Unbeweglich standen sie da, als sich die Tür öffnete und der Froschgesichtige Sam mit ironisch unterwürfiger Geste bat, einzutreten. Er kam in einen schmucklosen Konferenzraum, dessen einziges Zugeständnis an die menschlichen Sinne eine Topfpflanze war, die allerdings auch schon bessere Tage gesehen hatte. Mehrere Personen saßen auf der Sam gegenüberliegenden Seite des gebogenen Konferenztisches.

Die Tür hinter ihm schloss sich mit einem dumpfen Geräusch; er fühlte sich, als würde er vor einem Tribunal stehen, das ihm eine Zukunft im Paradies bescheren konnte oder aber eine in der Hölle. Dankbar registrierte Sam, dass zumindest Damian McQuire draußen geblieben war.

Ein Mann ergriff das Wort, dessen Anblick Sam überraschte. Er war auch goldgesichtig, doch was ihn von den anderen unterschied, war eine riesige Narbe, die sich vom linken Auge über die Wange bis zum Kinn hinabzog. Sam hatte hier oben noch niemanden gesehen, der eine körperliche Beeinträchtigung gehabt hätte, obwohl Soldaten mit Verstümmelungen oder Narben angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Vinculan nicht ungewöhnlich gewesen wären. Es war reines Glück gewesen, dass auf der Arkanos beim letzten Angriff niemand verletzt worden war.

"Ich bin Admiral Sayad Sahim, Mitglied des Hohen Rates, des Führungsgremiums im Konsistorium. Und das hier ist Juanita Alvarez, Kommandantin von Point Alpha, der Ausbildungsstätte auf Batox."

Der Narbige deutete auf eine Frau mit spitzen Lippen, die etwas zu klein geraten war. Ihre Uniform schien besonders genau zu sitzen, die Bügelfalten waren besonders akkurat, die Knöpfe waren besonders blank geputzt. Der Mann neben ihr, der Sam als Admiral Alan Stone vorgestellt wurde, war das genaue Gegenteil von ihr. Er trug einen schlichten, zerknitterten Drillich und sah aus, als würde er sich wenig darum scheren, was andere über ihn dachten. Vermutlich handelte er genauso pragmatisch wie er sich kleidete.

"Bitte setzen Sie sich", sagte Sahim.

Eingeschüchtert von so viel geballter Befehlsgewalt setzte sich Sam auf den einzigen Stuhl, der ihnen genau gegenüberstand. Er hatte das ungute Gefühl, auf der falschen Seite des Tischs zu sitzen.

Der Admiral kam gleich zur Sache.

"Erzählen Sie uns Ihre Geschichte."

Also erzählte Sam noch einmal von seiner Ankunft, der Begegnung mit den Vinculan und dem Flug mit der Arkanos. Den Grund für seinen Unfall und die Stimmen in seinem Kopf verschwieg er geflissentlich.

Während Stone entspannt zuhörte, wurden die Lippen von Kommandantin Alvarez noch schmaler. Sie machte sich Notizen.

"Und es gab nichts Ungewöhnliches, als Sie nach Ihrem Unfall im Portal Arrivals aufgewacht sind?", fragte Sahim, als Sam fertig war.

"Sie meinen, abgesehen davon, dass ich nach meinem Tod Lichtjahre von zu Hause entfernt auf einer außerirdischen Station aufgewacht bin, noch lebe und nun goldene Haut habe?"

Stone lachte schallend, aber Alvarez verengte missbilligend die Augen und presste die Lippen aufeinander. Sahim lächelte nur milde und überging Sams Sarkasmus.

"Die Sache liegt für mich auf der Hand: Die Vinculan haben irgendwie das Portal deaktiviert. Sie wussten, wie sie uns am empfindlichsten treffen …"

"Für mich", unterbrach Alvarez Stone, ohne ihren stechenden Blick von Sam abzuwenden, "bleibt die Sache rätselhaft. Sie sind nicht nur der erste Zivilist, der im Big-Five-System angekommen ist, zudem hat sich direkt nach Ihrer Ankunft auch noch das Portal deaktiviert, ohne dass wir den genauen Grund dafür kennen." An Stone gerichtet fuhr sie fort: "Ich weiß, Sie sind der Meinung, die Vinculan hätten etwas damit zu tun, aber beweisen können Sie das nicht."

"Was wollen Sie damit sagen?", fragte Sam, der nicht begeistert davon war, welche Richtung Alvarez einschlug.

"Sie müssen unseren Standpunkt verstehen", sagte sie leutseliger. "Das Portal auf Arrival wird plötzlich instabil, wir können gerade noch die Besatzung evakuieren, und plötzlich erscheinen Sie wie aus dem Nichts, ehe das Portal inaktiv wird. Da liegt doch die Vermutung nahe, dass das etwas mit Ihrer Ankunft zu tun hatte."

Sam spürte das vertraute und nicht weniger verhasste Gefühl der Lähmung in sich aufsteigen. In Alvarez Ton schwang ein moralisierendes Element mit, als wäre alles Sams Schuld. Aber er war aber nicht schuld … oder etwa doch? Hatte er diese Welt, ohne es zu wollen, mit seiner ungeplanten Ankunft durcheinandergebracht? Sam erinnerte das alles unangenehm an Dutzende Situationen an seinem letzten Arbeitsplatz. Auch dort war er zuletzt wie ein Verbrecher behandelt worden, obwohl er doch unschuldig gewesen war.

Stone und Sahim machten einen unglücklichen Eindruck, als hätten sie dieses Thema eigentlich gar nicht ansprechen wollen. Unangenehm berührt räusperte sich Sahim und wechselte das Thema.

"Die Konvergenz würde sich auch gern mit Ihnen unterhalten. Sie hat einen Vertreter geschickt, der ein paar Fragen Sie hat."

Sam sah sich fragend um, doch außer ihnen vier Menschen war niemand im Raum. Er blickte zur Tür, in der Erwartung, dass sie sich gleich öffnen und ein Außerirdischer mit Tentakeln den Raum betreten würde. Doch die Tür blieb geschlossen. Dafür erzitterte plötzlich der Stamm der Topfpflanze und die Blätter raschelten, obwohl nicht der leiseste Lufthauch zu spüren war. Gleich darauf erklang eine Stimme, die den gesamten Raum erfüllte.

"Hallo Sam Njuman!"

Verwirrt sah Sam sich um.

"Wer war das?!"

Sahim grinste nur. War das Absicht? Wollten sie Sam verunsichern oder gar bloßstellen?

"Entschuldigen Sie, wo sind meine Manieren … Das ist ein Mongai." Mit einer Hand deutete er auf die Topfpflanze. "Betrachten Sie es als Ehre, dass er hier anwesend ist und mit Ihnen sprechen will. Es kommt nicht oft vor, dass wir einen Vertreter der Konvergenz zu Gesicht bekommen."

Machte sich der Admiral über ihn lustig? Unsicher blickte Sam zwischen den Anwesenden und der Topfpflanze hin und her, aber der Hohe Rat blieb ernst - wobei sich Sam ein Lächeln auf Alvarez' Gesicht auch beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Also

wandte er sich der Topfpflanze zu und nahm sie genauer in Augenschein. Der Mongai hatte ein schrundiges Stämmchen mit vielen schmalen Ästen. Der äußere Kranz ging an ihren Enden in Blätter über, wobei die inneren Äste knospenartige Verdickungen aufwiesen. Sam kannte sich mit Pflanzen nicht gut aus, hätte den Mongai in einem Blumengeschäft auf der Erde aber wohl für eine exotische Art gehalten.

"Äh … hallo Herr Mongai", sagte Sam, dem es merkwürdig vorkam, mit einer Pflanze zu sprechen.

Erneut rauschten die Blätter wie von einem Lufthauch bewegt und die inneren Äste bogen sich in Sams Richtung, als wollte ihn der Mongai mit den Knospen in Augenschein nehmen - zumindest hatte Sam das Gefühl, intensiv gemustert zu werden.

"Wie geht es dir?", fragte die Stimme.

"Gut …?" Sam war verunsichert.

"Bist du sicher?"

"Ja, äh, nein. Ich meine … ich weiß nicht …"

Die Unsicherheit nahm zu, denn der Mongai hatte genau ins Schwarze getroffen. Es ging ihm tatsächlich nicht besonders gut. Mit jeder Faser seines neuen goldschimmernden Körpers spürte Sam, dass er hier nicht hierher gehörte.

"Mysteriös ist dein Erscheinen durch ein instabiles Portal, dass sich in den Ruhemodus versetzt hat. Beachtenswert ist diese Ungewöhnlichkeit für uns und groß das Rascheln der Blätter." Zur Bestätigung schüttelte er die Äste, als würden sie von einer Sturmbö erfasst. Die Knospen schwankten hin und her.

"Wir fragen uns, was dein Weg hier sein mag unter denen des Feuers und der Zerstörung."

"Das wüsste ich auch gern", antwortete Sam. Er konnte sich schon vorstellen, wer mit "denen des Feuers und der Zerstörung" gemeint war.

Der Mongai hatte anscheinend auch schon mitbekommen, dass er nicht zum Militär gehörte. Jetzt schwankten die inneren Äste mit den Knospen hin und her, während die äußeren Blätter in der Bewegung mitgingen. Es sah aus, als würde der Mongai abwägen, was er als Nächstes sagen sollte.

"Vielleicht ist es der Wille der Transzendentalen, dass sie dich hierher geschickt haben. Vielleicht haben sie dich für eine besondere Aufgabe auserkoren."

Was wollte er damit sagen? In diesem Moment wünschte er sich mit McQuires Zahnbürste in die Toilletten - dort hätte er wenigstens seine Ruhe und müsste nicht die erwartungsvollen Blicke des Hohen Rats ertragen. Gleichzeitig hasste er diese Gedanken, die seinem mangelnden Selbstbewusstsein entsprangen.

"Die Transzendentalen?", fragte er.

"Die Transzendentalen lenken unsere Wege aus dem Verborgenen, unsere Welt formend wie der Frühling die Blätter und sie zerstörend wie der Sturm entwurzelnd einen Baum. Sie durchwirken alles. Sie sind ein Teil der Welt und ihr doch enthoben, uns ganz nah und doch füllend den ganzen Raum. Nicht leicht zu durchschauen ist ihr Wille."

"Sprichst du von Gott?"

Wieder raschelten die Blätter des Mongai heftig und das Stämmchen knarrte.

"Wir haben von eurem Gott gehört, aber wir bleiben fragend. In den Transzendentalen leben wir. Wir sind mit ihnen verbunden und sie mit uns. Jeden umgebend kann sich ihnen niemand entziehen. Obwohl wir die Hoffnung nicht aufgeben, schweigen sie seit langer Zeit."

"Die Transzendentalen schweigen seit langer Zeit, aber Sie glauben, die haben mich hierher gebracht? Zu welchem Zweck?"

"Das fragen wir uns auch. Deshalb bin ich hier, dich in Augenschein nehmend, welche Aufgabe sie dir zugedacht haben könnten. Dunkel und verborgen ist der Wille der Transzendentalen, aber wir wissen, dass dein Erscheinen kein Zufall ist. Große Veränderungen kommen auf uns zu und wir hoffen, das Ziel bald zu erkennen."

Sam mochte sich hier fremd und falsch fühlen, aber die Konvergenz vermutete offenbar, dass er hier genau richtig war, auch wenn sich ihm der große Plan erst noch offenbaren musste.

Er sah zu den anderen im Raum. Was hielten sie von den Worten des Mongai? Enttäuschte Gesichter. Offenbar war es nicht das, was sie sich erhofft hatten, und das erleichterte Sam gewissermaßen.

"Ich muss dich nun verlassen, Sam Njuman. Ich wünsche dir den Beistand der Transzendentalen, dass sie dir zeigen den großen Weg, und du deinen Platz findest in dieser Welt."

Wie um seine Worte zu unterstreichen, schüttelte sich der Mongai. Die Knospen der inneren Äste schlugen gegeneinander, wobei ein hohles Klopfen erklang, als würde jemand mit einem Knüppel gegen ein Holzrohr schlagen. Unter dem schrundigen Stämmchen brachen filigrane Wurzelstränge durch den Boden nach oben und strichen über eine konsolenartige Erhebung am Rand des extravaganten Tisches. Der leuchtete orange auf und setzte sich auf unsichtbaren Rollen in Bewegung Richtung Tür.

Nachdem sich die Tür hinter dem Mongai geschlossen hatte, ergänzte Sahim: "Wahrscheinlich haben Sie sich gefragt, wo die Stimme des Mongai herkommt und wieso er unsere Sprache spricht."

Tatsächlich kam Sam erst jetzt dieser Gedanke, trotzdem nickte er.

"Das Geheimnis lautet: Würden Sie sich Ohropax in die Ohren stopfen, würden Sie seine Stimme genauso klar und deutlich hören, denn sie entsteht in Ihrem Kopf."

"Wollen Sie damit sagen, die Mongai können Gedanken lesen?"

"Das nicht - sie können lediglich ihre Gedanken in unseren Kopf projizieren. Vielleicht empfangen sie auch oberflächliche Gefühle wie Angst, Unsicherheit oder Freude, aber echte Telepathen sind sie nicht."

"Schluss mit der Lehrstunde, Sahim!", mischte sich Stone jetzt ein. "Also, Njuman, was halten Sie von alldem?"

Doch Sam war abgelenkt. Kommandantin Alvarez legte ihren Stift parallel zum Schreibblock und der Tischkante ab, und Sam wunderte sich, dass er trotz intensivem Gebrauch immer noch so aussah, als wäre er gerade erst angespitzt worden. Hatte sie einen Vorrat davon in der Tasche und ihn heimlich getauscht?

"Also wenn Sie mich fragen, war das ein Reinfall. Wieder einmal lenken die Transzendentalen alles - damit kann doch kein Mensch etwas anfangen." Ihre Stimme war durchdringend hoch und klingelte Sam unangenehm in den Ohren.

Er sah, dass auch Sahim kurz sein Gesicht verzog. Ihm schien es genauso zu gehen.

"Menschen nicht, aber Aliens vielleicht schon", bemerkte Stone.

Alvarez sah ihn angriffslustig aus verengten Augen an.

"Neues haben wir jedenfalls nicht erfahren, da pflichte ich Alvarez bei", antwortete Stone.

Die entspannte sich wieder.

"Außer, dass die Konvergenz besonderes Interesse an Ihnen zeigt." Sahim sah Sam direkt an. "Können Sie sich erklären, warum?"

Sam schüttelte heftig den Kopf.

"Ich weiß es nicht."

"Kommen Sie, Sahim. Man muss das jetzt auch nicht überbewerten." Sam war dankbar für den Einwurf der Kommandantin.

"Überbewerten?!", erwiderte Sahim plötzlich ungehalten. "Njuman taucht als erster Zivilist völlig überraschend hier auf, kurz bevor sich das einzige interstellare Portal deaktiviert, und dann schickt die Konvergenz extra einen Vertreter her, um ihn zu begutachten, was meines Wissens nach noch nie vorgekommen ist. Das halte ich für extrem wichtig!"

"Die Konvergenz wird schon ihre Gründe dafür haben", sagte Alvarez.

"Das ist es ja gerade, was mich so beunruhigt. Die Konvergenz ist von Njumans Auftauchen offenbar genauso überrascht wie wir. Sie hat keine Ahnung, wie sie das deuten soll."

"Die Transzendentalen … Ich habe noch nie einen gesehen, also gibt es sie für mich auch nicht", warf Stone ein.

"Eben. Sie tappen genauso im Dunkeln wie wir. Wahrscheinlich haben sie mit Arrival gar nichts zu tun." Sahim sah Alvarez an.

Die sagte: "Das wissen wir nicht. Dazu hat sich der Mongai nicht direkt geäußert. Es könnte sehr wohl so sein, dass das Portal von ihnen deaktiviert wurde."

"Daran glauben Sie doch selbst nicht nach diesem Gespräch!?", erwiderte Sahim.

Stone hob beschwichtigend die Hände.

"Leute. Bevor wir uns an die Gurgel gehen, sollten wir uns überlegen, wie es mit Njuman weitergeht. Auf Zivilisten sind wir nicht vorbereitet."

"Am besten, er durchläuft unser Standardprogramm, wie alle anderen auch. So kann er sich am besten integrieren", sagte Alvarez

"Sie meinen, er soll das Ausbildungsprogramm durchlaufen?", fragte Stone ungläubig.

"Warum nicht? Er wird sich auf der Planetenoberfläche schon zurechtfinden. Außerdem hat das Training der neuen Rekruten erst vor ein paar Tagen begonnen. Es wäre noch nicht zu spät."

"Ich halte das für keine gute Idee", beschied Stone. "Er hat keinerlei Vorkenntnisse, und wer weiß, wie die anderen Rekruten reagieren, wenn sie herausfinden, dass er nur ein Zivilist ist … Sag doch auch mal was dazu!", wandte er sich an Sahim.

"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Ausbildungsprogramm auf Batox wirklich das Richtige für ihn ist", sagte der gedehnt.

"Was ist die Alternative? Soll er hier auf Batox' Jewel bleiben und Däumchen drehen? Vielleicht für die Herrschaften vom Hohen Rat Kaffee kochen?", sagte Alvarez.

Allmählich wurde Sam ungehalten. Sahim, Stone und Alvarez diskutierten hier über seine Zukunft, als wäre er gar nicht anwesend. Hatte er denn überhaupt kein Mitspracherecht?

"Sie wollen mich zum Soldaten ausbilden? Ich soll lernen, wie man … tötet?", fragte er vorsichtig.

Sofort wurde es still im Konferenzraum.

"Haben Sie damit ein Problem?", fragte Stone schließlich.

"Nun ja ..."

"Nicht nur Zivilist, sondern auch noch Pazifist. Das hat uns gerade noch gefehlt hier oben." Sahim seufzte missbilligend.

"Mr. Njuman", mischte sich Alvarez wieder ein. "Vielleicht kann ich Ihre Bedenken ausräumen: Sie haben etwas gegen Gewalt, aber manchmal ist sie notwendig."

Stone stöhnte.

"Nicht wieder einer Ihrer ethischen Vorträge …"

Doch Alvarez ließ sich nicht beirren.

"Was würden Sie tun, wenn jemand in Ihr Haus einbricht und Ihnen all Ihre Besitztümer rauben will?" Sie sprach wie zu einem kleinen Kind, dem sie die Welt erklärte.

"Ich würde die Polizei rufen. Die ist schließlich für derlei Dinge zuständig."

"Das ist natürlich richtig", bestätigte Alvarez mit bemüht einfühlsamer Stimme. "Aber stellen Sie sich vor, die Polizei könnte nicht rechtzeitig bei Ihnen sein oder es gäbe gar keine Polizei. Sollten Sie da nicht in der Lage sein, sich zu wehren?"

"Es wäre sicherer, die Räuber in Ruhe zulassen. Computer kann man ersetzen, Menschenleben nicht."

Alvarez seufzte, als hätte sie ein besonders begriffsstutziges Kind vor sich.

"Probieren wir es anders: Wären Sie nicht gern ein Held?"

Nein, dachte Sam reflexartig. Viel lieber wollte er ein ganz alltägliches Leben mit kleinen Glücksmomenten, aber wie es aussah, war ihm nicht einmal das vergönnt.

Als er schwieg, beantwortete Alvarez die Frage selbst: "Jeder wäre gern ein Held. Helden retten und beschützen Menschen. Das geht aber nur, wenn sie stark sind und sich gegen die Bösewichte behaupten können."

Sam dachte an seine Kollegen in der Verwaltung, die ihm an der Kaffeemaschine aufgelauert hatten. Wäre er der Held, würde er sie zu Bösewichten erklären und sie mit aller Härte zur Rechenschaft ziehen. Aber wo war die Grenze, da man selbst zum Bösewicht wurde? Und wenn es keine Helden gab, gab es dann überhaupt Bösewichte, die man bekämpfen musste?

Sam sah an den Gesichtern, dass sie allmählich die Geduld verloren. Ihre Welt war klar strukturiert und er passte da einfach nicht hinein - er genauso wenig seine Fragen - also gab er nach.

"Und wie werde ich ein Held?"

Jetzt blickte Alvarez mütterlich und zufrieden.

"Das bringen wir Ihnen bei - in Point Alpha, unserer Ausbildungsstätte. Dort lernen Sie, ein Held zu sein."

Sam stellte sich vor, wie er an seinen alten Arbeitsplatz zurückkam, bis an die Zähne bewaffnet, und seine Kollegen vor Angst erstarrten. In seinem Tagtraum sanken sie vor ihm auf die Knie und bettelten um ihr Leben. Es war ein befriedigender Gedanke, endlich zu den Starken zu gehören. Alvarez setzte noch einmal nach.

"Wir wollen offen zu Ihnen sein, Mr. Njuman. Eine wirkliche Alternative zur Ausbildung in Point Alpha haben wir für Sie nicht. Wir sind einfach nicht auf Zivilisten einge­stellt." Nachdem sie ihn erst umschmeichelt hatte, übte sie nun Druck aus. Zuckerbrot und Peitsche - Alvarez beherrschte die Kunst der Manipulation, und S

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