Читать книгу HIT THE STAGE - Tim Hackemack - Страница 6
VORWORT
ОглавлениеMein erstes Punk-Konzert fand im J.U.K.S. in Emsdetten statt. Auf der Bühne standen Geistige Verunreinigung und Dritte Wahl. Ich war vorher unsicher, wie sich die Leute und die Bands mir gegenüber verhalten würden. Die Sorge, nicht akzeptiert zu werden, wie es mir vorher sehr oft ergangen war, überwog meine Vorfreude. So betrat ich das Jugendheim eher vorsichtig. Nach einiger Zeit kam ich mit einem älteren, langhaarigen Typ ins Gespräch, der mir ein Bier ausgab und einfach nur quatschen wollte. Ich weiß nicht mehr, an welchem Punkt ich herausfand, dass es Busch’n von Dritte Wahl war, aber das haute mich um. Der Typ vor mir hatte Alben veröffentlicht, war auf coolen Samplern und empfand es trotzdem als ganz normal, mit dem Nordwalder Dorfpunk zu quatschen. Wir haben uns recht lange unterhalten und dann nahm er irgendwann seinen Bass, ging auf die Bühne und spielte all die geilen Lieder. Im Nachhinein wirkte das Ganze unecht auf mich, aber es blieb mir als ein großer Moment in Erinnerung.
Also ging ich weiter auf Konzerte, mal mehr, mal weniger. Festivals und große Hallen habe ich immer eher gemieden, bis 300 Personen ist ungefähr die Größe, in der ich mich wohlfühle. Dritte Wahl könnte ich so heute nicht mehr sehen, aber für die Jungs mache ich gerne eine Ausnahme.
Was damals viel Recherche erforderte, ist heute recht einfach. Jeden Tag finden irgendwo Konzerte statt, man muss nur hinfahren. War ich vor zehn Jahren noch jedes Wochenende unterwegs, ist es heute weniger geworden. Dafür fahre ich aber auch weiter, wenn ich eine Band unbedingt sehen will.
Seit 2012 fotografiere ich auch hin und wieder auf Konzerten. Mit der Zeit ist eine kleine Sammlung an Fotos entstanden und einen Teil darf ich euch hier präsentieren. Bands wie Dritte Wahl, Rantanplan, Slime oder Agnostic Front konnte ich sehr oft fotografieren und hatte viele Bilder zur Auswahl. Bei The Veggers, The Manges oder Kevin Seconds war es jeweils nur ein Konzert. Das für mich Essenzielle konnte ich trotzdem festhalten. Bei einigen Bands gab es Probleme in der Kommunikation, aber auch diese konnten überwunden werden. Herausgekommen sind 30 Bands und Solomusiker aus vielen verschiedenen Ländern, und bei jeder und jedem einzelnen bin ich bin sehr stolz darauf, sie in diesem Buch zu haben. Covid 19 passierte in den letzten Monaten der Arbeit an diesem Buch. Konzerte, die ich noch fotografieren wollte, fielen aus und ganze Touren wurden abgesagt. Ich stoppte die Arbeit am Buch komplett in der Hoffnung, dass in wenigen Wochen wieder Normalität Einzug halten würde und ich dann alles nach meinem eigenen Anspruch beenden kann. Dies trat nicht ein und ich war gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Ich konnte das Buch entweder halbfertig veröffentlichen und in Kauf nehmen, dass ich einige Bands in einer Besetzung präsentierte, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon ein Jahr nicht mehr aktuell ist. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, zu warten, bis ich alle Fotos zusammenhabe. Ich müsste auf das Ende einer Pandemie warten, das keiner voraussagen kann. Die Entscheidung fiel mir leicht. Meine gewählte Lösung jedoch fiel mir anfangs schwer. In meinen ersten beiden Büchern hatte ich nur meine eigenen Bilder veröffentlicht. Darauf war ich stolz und erwähnte es stets. Jetzt musste ich andere Fotografen um Hilfe bitten. Ich sprang über meinen Schatten und es war eine sehr gute Entscheidung. So kann ich das Buch annähernd in der Form veröffentlichen, in der ich es mir wünschte. Ein großes Dankeschön gebührt Kevin Winiker, Christian Thiele und Jörg Baumgarten. Ihr seid großartige Typen.
Und was passiert jetzt noch? Hoffentlich lernen wir etwas aus unserer Abstinenz. Wir lernen neuen Respekt vor Kulturschaffenden, verstehen, wie viel Arbeit in die Organisation von Konzerten gesteckt wird oder wie aufwendig es ist, in einer Band zu spielen und zu touren. Wir lernen den Wert von Musik wieder neu zu schätzen als etwas, das uns allen einen Weg aus dem Alltag zeigt. Statt des wöchentlichen Besuchs beim Psychologen gehen wir alle zu unserem lokalen Plattenladen und hören uns sämtliche neuen Platten an, die irgendwie interessant aussehen. Wir beginnen lange Diskussionen mit den Verkäufer*innen im Plattenladen. Mit denen darf man während der Arbeit quatschen, denn sie sind ja keine Busfahrer. Dann nehmen wir eine schöne Platte mit nach Hause und hören sie direkt ganz an, treffen uns mit Freund*innen und erzählen ihnen von der Neuentdeckung. Am besten machen wir ihnen immer mal wieder ein neues Mixtape. Wir kündigen alle unsere Spotify-Verträge, auch wenn man dann nicht mehr alles hören kann, was man will, denn Musik ist uns was wert, weitaus mehr als 0,4 Cent pro Stream. Wir meckern auch nicht mehr jämmerlich rum, weil ein Konzert mit drei Bands zwölf Euro Eintritt kostet, wir betteln die Bands nicht um Gästelistenplätze an. Von jetzt an machen wir alles besser oder zumindest versuchen wir es, okay?
Münster, 21.09.2020