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JOHNNY MAINS Southgate Station 12, Forschungseinrichtung im Outer Rim, März 2692

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Lieutenant Johnny Mains konnte sich an ihren Anblick nicht so recht gewöhnen. Die Yautja waren seltsam aussehende Kreaturen, ob nun lebendig oder tot. Auf den ersten Blick humanoid, gab es jedoch so viel an ihnen, das nichtmenschlich war, dass sie sich herkömmlicher Klassifizierungen entzogen.

Widerlicher Bastard, dachte er bei sich. Das beschrieb sie seiner Meinung nach gut genug.

»L-T«, sprach ihn Corporal Cotronis an. Sie stand hinter ihm, nahe genug, damit sich ihre Schultern berührten. Sie war noch immer außer Atem. Er sah die Blutspritzer auf ihrem kahl rasierten Schädel. Menschliches Blut. Noch etwas, an dessen Anblick er sich nicht gewöhnen konnte.

Mains hob eine Augenbraue, doch er konnte in ihren Augen sehen, dass ihr nicht nach Scherzen zumute war.

»Willis hat es nicht geschafft«, sagte sie und blinzelte ein paar Mal. Schweiß rann ihr in die Augen, und Tränen wieder heraus.

»Ist wahrscheinlich besser so«, sagte er leise. »So zugerichtet wie er war, hätte Brian sicher nicht weiterleben wollen.«

»Das darfst du nicht sagen«, antwortete Cotronis. Untereinander, wenn keine anderen VoidLarks in Hörweite waren, verzichteten beide auf formelle militärische Anreden und keiner von ihnen pochte auf seinen Rang. Sie waren schon zu lange hier draußen, um sich durch so etwas Lächerliches wie Dienstgrade hervortun zu müssen.

»Und ob ich das darf«, sagte Mains. »Ich kannte ihn schon eine Ewigkeit. Sogar noch länger als du.«

»Und Lizzie?«

Er hatte mit ansehen müssen, wie Private Lizzie Reynolds gefallen war, als sie es mit dem ersten der beiden Yautja aufgenommen hatten. Sie beschützte gerade einen Mann und zwei kleine Kinder und hatte ein paar gute Treffer mit ihrem Nano-Gewehr abgeben können, bevor der Außerirdische ihr den Kopf abriss.

»Sie starb tapfer«, sagte Mains. »Sie starb im Kampf.«

»Und was jetzt?«

Mains seufzte, dann kehrte er dem toten Yautja den Rücken zu. Sie würden ihn auf Eis legen und zusammen mit dem zurückschicken, was von der Crew der Station noch übrig war. Die Company bekam selten ein solch vollständiges Exemplar in die Hände, und über diese rätselhafte Rasse gab es noch eine Menge herauszufinden. Er kam nicht umhin, ihre kämpferischen Fähigkeiten zu bewundern. Aber genauso sehr hasste er sie auch. Willis und Reynolds waren nicht die ersten Soldaten, die er an die Yautja verloren hatte, aber sie waren die ersten VoidLarks, die im Gefecht getötet wurden.

»Durchkämmen wir einmal die Station«, sagte er. »Nimm dir Faulkner und Lieder und drehe draußen ein paar Runden. Sichere das Gelände. Ich werde mit Snowdon und McVicar das Innere der Basis absuchen.«

»In Ordnung.« Cotronis klang unsicher, beinahe labil.

»Sara?«

Sie sah ihn von der Seite an.

»Du hast gut gekämpft. Das haben wir alle. Wir haben zwei Soldaten verloren, aber auch zwei von denen erwischt. Du weißt, dass das bei diesen Bastarden ein guter Schnitt ist.«

»Ich wusste gar nicht, dass wir jetzt Strichlisten führen.«

Er streckte die Hand aus und drückte durch den Kampfanzug hindurch ihren Oberarm. Sie lächelte. Dann verschwand Cotronis, um die Truppe zusammenzutrommeln, und ließ Mains neben der Leiche des Yautja zurück.

Sein linkes Bein schien zu flackern und verschwand immer wieder für ein paar Sekunden. Der dritte Schuss aus Mains Lasergewehr hatte ihm die Hand abgetrennt, und aus dem Kontrollinstrument an seinem Unterarm stoben Funken. Sie hatten seine Waffensysteme deaktiviert – genau genommen war es Snowdon gewesen, der sich mit der Technik der Yautja besser als jeder andere von ihnen auskannte – aber die Tarnvorrichtung des toten Außerirdischen war noch immer aktiv, so als würde sie krampfhaft versuchen, ihren Meister dem Tod zu entreißen.

Mains stieß ihn mit seinem Stiefel an und die Fangzähne in seinem insektenartigen Kiefer klackerten über den Boden, als sein Kopf zur Seite fiel.

Die 5th Excursionist-Einheit, von Mains nach ihrem ersten Tag an einem der Sprungtore im Outer Rim VoidLarks getauft, patrouillierten seit etwas mehr als drei Standardjahren im Weltraum jenseits des Outer Rim. In all der Zeit hatten sie nur bei drei Gelegenheiten Kontakt mit anderen Menschen gehabt. Das war jetzt das dritte Mal … und bei Weitem das traumatischste Zusammentreffen.

Die genauen Opferzahlen unter den Wissenschaftlern der Southgate Station 12 und deren Stab mussten noch ermittelt werden, aber erste Berichte deuteten darauf hin, dass die beiden Yautja während der zwei Tage am Boden mindestens siebzehn von ihnen beobachtet, gejagt und schließlich getötet hatten. Zehn davon waren Indies, Söldner, die von den Befehlshabern der Station angeheuert wurden, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Mains wusste, dass man noch mehr Leichen finden würde. Schließlich waren sie noch nicht auf eines der Nester der Yautja gestoßen.

Wenn sie das taten, dann würden sie dort ihre Trophäen vorfinden.

Und doch hätten es noch so viele mehr sein können. Die Forschungsstation wurde von etwa einhundert Menschen bewohnt, und beinahe achtzig von ihnen hatten sich in der Kantine versammelt, bewacht von dem Commander und den verbliebenen Indies. Völlig unter Schock, traumatisiert, und ohne wirklich zu wissen, was vorgefallen war, oder warum, bereitete man sie auf ihre Evakuierung tiefer in die Menschliche Sphäre hinein vor. Wohin genau wusste Mains nicht, und es interessierte ihn auch nicht. Von hier wegzukommen war alles, was zählte. Dieser Ort war jetzt vergiftet, und obwohl es im allgemeinen nicht Weyland-Yutanis Art war, wertvolle Ressourcen ungenutzt zurückzulassen, würde die Southgate Station 12 wohl für einige Zeit unbewohnt bleiben.

Mains sah nach dem Status seines Kampfanzuges. Er hatte keine Schäden davongetragen. Der Ladezustand seiner Laserpistole war niedrig. Munition und Energiestatus seiner Com-Rifle lagen bei achtzig Prozent und an seinem Rücken spürte er das beruhigende Gewicht seiner Schrotflinte. Die Waffe war eine vollständig restaurierte Antiquität, aber sie hatte ihm vor zehn Jahren auf Addison Prime den Hintern gerettet, als man seine Einheit gegen ein abtrünniges Platoon von Marines losschickte. Damals war er noch ein Corporal, und es war sein erstes Feuergefecht gegen andere trainierte Soldaten gewesen. Er hatte sich wacker geschlagen, aber als die CSU seines Anzugs den Geist aufgab und sich damit alle seine Waffen abschalteten, war es die Schrotflinte, die ihm das Leben rettete.

»L-T?« Die Stimme drang aus dem Kommunikationsimplantat in seinem Ohr.

»Ja, Snowdon.«

»Sir, der Befehlshaber der Basis möchte mit Ihnen sprechen. Er verlangt, darüber in Kenntnis gesetzt zu werden, wie es mit ihnen weitergehen wird, Sir.«

Mains lächelte. Er konnte die nervöse Anspannung und den Humor in Snowdons Stimme hören. Sie war eine gute Kämpferin und eine erfahrene Soldatin, aber sie ließ sich nichts gefallen. Besonders nicht von denen, deren Schutz gerade zwei ihrer Freunde das Leben gekostet hatte.

»Sagen Sie ihm doch, dass er mich als Nächstes am Arsch lecken kann.«

Snowdon prustete los. »Okay, also machen wir die Basis dicht?«

»Ja, das sollten wir. Sag ihm, er soll die Abriegelung der Station einleiten. Was auch immer die hier treiben, die Station soll in … sagen wir einem Tag soweit sein, dass sie von hier verschwinden können.«

»Verstanden, Sir. Und wir verlassen sie kurz nach ihnen ebenfalls?«

Mains nahm den Blick von der Leiche des Yautja, den Einschusslöchern in der Wand und den Schmauchspuren der Lasergeschosse an der Decke, und sah sich um. Er befand sich in einer großen Wohneinheit, die für eine einzelne Familie konzipiert war, bestehend aus einem Schlafbereich, einem Esszimmer und einem Aufenthaltsbereich mit einem Holo-Schirm, Spielekonsolen, deren Stand der Technik einigen technischen Geräten auf seinem Schiff ebenbürtig war, und gemütlichen Sesseln.

Die Umgebungskontrollen sorgten für angenehme Temperaturen und durch das gedämpfte Licht wirkte es beinahe behaglich. Wie Zuhause, wenn auch das Zuhause von jemand anderes.

Diese Wohneinheit war beinahe so groß wie der gesamte Aufenthaltsraum an Bord ihres Schiffes, der Ochse, und auch der Rest der Basis war ähnlich luxuriös ausgestattet, mit eigens angebauter Nahrung in einem Gewächshaus und einer Freizeitanlage, zu der ein Swimmingpool und ein Fitnessstudio gehörten. Er konnte nachvollziehen, dass man sich hier gern noch etwas länger aufhalten würde. Er konnte es nachvollziehen … und hasste es. Mains Aufmerksamkeit ließ bereits nach, seine Alarmbereitschaft schwand, und die Versuchung, sich für unbestimmte Zeit entspannen zu können, war überaus groß.

»Du weißt, dass wir das müssen«, erklärte er Snowdon. »Das war eine ungewöhnliche Attacke, und ich will so schnell wie möglich wieder auf die Station. Die Yautja bereiten sich vielleicht auf etwas vor. Etwas Größeres.«

»Die haben noch nie etwas Größeres als das hier durchgezogen«, sagte Snowdon. Sie senkte die Stimme ein wenig. Er konnte hören, wie sich im Hintergrund die verängstigten Überlebenden unterhielten. »Komm schon, L-T, nur ein Tag, nachdem sich die Zivilunken hier verpisst haben. Ein bisschen Schwimmen, was Gutes essen und ein wenig die Füße hochlegen.«

»Das würde dir gefallen, nicht wahr? Mir beim Nacktbaden zusehen.«

»Das weißt du doch, L-T.«

»Sag dem Commander, er soll bleiben, wo er ist. Ich komme runter und rede mit ihm. Du und McVicar, ihr riegelt den Rest der Station ab. Platziert Überwachungsdrohnen und sorgt dafür, dass wir hier vorerst sicher sind.«

»Ja, Sir! Schon unterwegs, Sir!«

»Und wenn du noch da unten bist, wenn ich ankomme, trete ich dir in den Arsch.«

»Du und welche Armee gleich noch mal, Sir?«

Mains grinste. Er mochte Snowdon. Er mochte alle von seinen VoidLarks – sie waren wie eine Familie, Freunde, und deshalb waren sie auch so gut in dem, was sie taten. Nur wenige Menschen hielten es so lange ohne nennenswerten Kontakt mit anderen aus. Alle Excursionists waren aus dem gleichen Holz geschnitzt, aber Mains hielt sein fünftes Platoon, die VoidLarks, natürlich für die beste Truppe von allen.

Den herben Verlust von zwei ihrer Familienmitglieder würde sie erst in den nächsten Tagen so richtig spüren.

»Sie werden uns nicht begleiten?«

»Nicht ohne einen triftigen Grund«, antwortete Mains.

»Ohne einen triftigen Grund? Wie wäre es mit dreiundzwanzig Leichen? Ist das kein triftiger Grund für Sie?«

Mains ließ seinen Blick über die fassungslosen Gesichter der Überlebenden in der Kantine schweifen. Männer und Frauen, mit Tränen in den Augen oder starr vor sich hin brütend. Menschen, die noch vor Angst zitterten oder immer noch nicht fassen konnten, was hier passiert war. Unter ihnen befanden sich auch einige Kinder. Die einen drückten sich fest an ihre Eltern, ein paar andere saßen stumm nebeneinander. Viele von ihnen waren zu Waisen geworden. Mains fühlte mit ihnen.

Ein paar der Indies hatten ebenfalls überlebt, und ohne ihre Waffen machten sie nun so gar nicht mehr den Eindruck, als hätten sie die Lage unter Kontrolle. Sie traf keine Schuld an dem Massaker, aber Mains brachte es trotzdem nicht über sich, mit ihnen zu sprechen. Wären sie besser ausgebildet und ausgestattet gewesen und hätten die Gefahren ernster genommen, die sie hier draußen am Rande des Outer Rim erwarten würden, hätten sie womöglich effektiver Widerstand leisten können. Womöglich. Aber nun war es eben geschehen.

»Könnten wir die Unterhaltung vielleicht an einem anderen Ort fortsetzen, Commander Niveau?«

Niveau funkelte ihn an, aber seine Drohgebärden und seine Wut dienten nur dazu, seine unglaubliche Angst zu verbergen. Er hatte das Kommando über diese Forschungsstation. Mit dem Schrecken, der sie heimsuchte, hatte niemand gerechnet.

»Aber … es sind wenigstens siebzig Tage bis zum Sprungtor … und unser Orbit trägt uns stetig weiter davon weg.«

»Dann sollten Sie umso eher aufbrechen«, antwortete Mains gleichgültig. »Können wir in Ihr Büro gehen? Bitte? Ihre Leute müssen sich ausruhen, etwas essen, Kräfte für die Reise sammeln. Den Rest können wir unter uns besprechen.«

»Herrgott noch mal!«, brüllte Niveau. Er zitterte, doch anstatt vor Zorn rot anzulaufen, bekam seine Haut einen aschfahlen, geisterhaften Ton. »Sie sind hier, um uns …«

Mains drehte dem Commander den Rücken zu und wandte sich den Überlebenden zu, die in der Kantine verteilt waren und ohnehin an seinen Worten hingen. Er und seine Einheit waren hierher gekommen, um sie zu retten, und nun warteten sie darauf, was als Nächstes passieren würde.

Niveau verstummte und Mains hörte das Knarzen eines Plastikstuhls, auf den er sich fallen ließ.

»Sechs Stunden«, begann er. »So viel Zeit bleibt Ihnen noch, um die Station herunterzufahren. Sammeln Sie alle Daten und Informationen zusammen, die Sie mitnehmen müssen. Packen Sie Ihre persönlichen Sachen zusammen. Was die Flugmannschaft angeht, die Vorab-Checks ihres Apollo-Transporters beginnen in dreißig Minuten.«

Dann nickte er mit dem Kopf in Richtung der Indies. »Sie sammeln die Toten ein. Stecken Sie alle in Leichensäcke, und bringen Sie sie an Bord der Apollo. Zeigen Sie dabei den gleichen Respekt, den Sie auch Ihren eigenen Leute entgegenbringen würden. Meine Leute kümmern sich um die Leichen der Yautja. Sie werden ihre Reise zusammen mit Ihnen antreten.«

Sein letzter Satz schien einigen nicht zu behagen, aber Mains spürte, dass die Wissenschaftler und die Besatzung ihm vertrauten. Das war gut, das war richtig so – aber um es zu gewinnen, hatte er ihrem Befehlshaber die kalte Schulter zeigen und ihn übergehen müssen.

Bevor er sie auf die Reise schickte, würde er das wieder geraderücken müssen.

Nirgendwo steht geschrieben, dass ich auch den Politiker geben muss, dachte er und drehte sich wieder zu Commander Niveau um.

»In Ihr Büro?«, fragte Mains, obwohl es nicht als Frage gemeint war.

Der Raum war karg und funktional gestaltet, ohne luxuriösen Pomp. An der Wand hing ein Holo-Schirm, über den eine Reihe von Daten huschten, als sie das Büro betraten. Für Mains ergaben sie keinen Sinn. Niveau betrachtete die Anzeigen für einen Moment, dann murmelte er einen Befehl und schaltete den Schirm ab. Er setzte sich auf seinen Stuhl hinter seinem Schreibtisch und wandte sich ihm zu.

»Diese Vorstellung eben …«

»Brian Willis war siebenunddreißig Jahre alt«, sagte Mains. »Er war ein Private und wurde mehrere Male für eine Beförderung bei den Colonial Marines übergangen. Wegen seiner angeblich aufsässigen Art, wie es hieß. Er diente in der 17th Spaceborne, als ich ihn rekrutierte. Die Einheit trugt den Spitznamen BloodDoves, und Willis passte irgendwie nicht so richtig hinein. Er war nicht aufsässig, nur neugierig. Er mochte keinen … Trott. Mit Befehlen hatte er keine Probleme, aber ihn interessierte immer, was hinter dem nächsten Außenposten lag, der nächsten Bergbaukolonie, der nächsten Forschungsstation auf einem Asteroiden. Er wollte mehr, also schloss er sich mir an. Ließ seine Frau zurück, die sein Fernweh nie wirklich nachvollziehen konnte. Sie hat die Erde nie verlassen, also können Sie sich vorstellen, wie unterschiedlich die beiden waren.« Mains wusste, dass das für sie alle galt. Wer so weit hier draußen, am äußersten Ende der sich immer weiter ausdehnenden Menschlichen Sphäre arbeitete, brauchte dafür eine gewisse Grundeinstellung.

»Er starb bei dem Versuch, einen Yautja von einem Raum wegzulocken, in dem ein paar Indies einen ihrer Wissenschaftler und dessen Familie beschützten. Wäre der Yautja dort eingedrungen und hätte seine Waffen scharfgemacht, hätte es das Leben aller darin gekostet. Das Ganze wäre wahrscheinlich auch sehr schnell gegangen, denn im Eifer der Jagd töten sie ihre Beute für gewöhnlich so effizient wie möglich. Aber wir wissen auch, dass einige von ihnen durchaus sadistisch veranlagt sein können. Vielleicht hätte er sich also etwas Zeit damit gelassen.«

»Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht«, sagte Niveau.

»Noch nicht ganz. Nicht, bevor ich Ihnen nicht noch etwas über Lizzie Reynolds erzählt habe. Sie war noch sehr jung. Tatsächlich war das ihr erster Einsatz außerhalb des Sol-Systems. Die ersten Jahre trug sie das Barett der Marines auf der Charon Station. General Bassett persönlich erkannte das Potenzial, das in ihr schlummerte. Sie war eine Einzelgängerin, die sich in kleinen Einheiten am wohlsten fühlte. Das mag sich wie ein Widerspruch anhören, ist es aber nicht. Lizzie war jemand, die stets nach vorn sah, die bis an ihre Grenzen gehen wollte, und sie erwähnte kein einziges Mal, dass sie wieder nach Hause wollte. Niemals. Soweit es Lizzie betraf, hätten wir ewig durch das Outer Rim patrouillieren können. Wir machen hier unseren Job, Niveau. Lizzie wusste das, und sie starb in Erfüllung ihrer Pflicht.«

Niveau nickte andächtig, seine Augen füllten sich mit Tränen. Er zitterte immer noch. Mit etwas Pech würde er noch zittern, nachdem er geduscht hatte, etwas aß, sich auszog und für die zehnwöchige Reise in seiner Kälteschlafkapsel bis zum Sprungtor vorbereitet wurde.

Er hat ebenfalls Leute verloren, rief sich Mains ins Gedächtnis zurück. Sogar weitaus mehr als er.

»Es tut mir leid«, sagte Niveau. »Es tut mir leid wegen Ihrer Verluste.«

»Ja … und ich bedauere Ihre.«

Niveau starrte ihn eine Zeit lang an, als müsse er sich darauf vorbereiteten, etwas anderes zu sagen. Dann zog er eine Kontrolltafel über den Tisch zu sich heran, wischte über die Oberfläche und hielt sie so, dass er die Anzeige betrachten konnte, die aus dessen Holo-Schirm wuchs.

»Unser Status«, sagte er. »Meine Leute arbeiten schnell. Hier, sehen Sie, die blauen Bereiche sind bereits heruntergefahren.«

Mains ließ sich in einen der gepolsterten Stühle fallen. Er hätte in diesem Moment alles für einen Drink gegeben. Aber die Unruhe in ihm wuchs, der Drang, die Station zu verlassen. Er musste mit seinen Leuten sprechen, und zwar bald. Aufzeichnungen vergleichen, Gedanken austauschen. Und mehr als alles andere musste er eine Nachricht an das Hauptquartier der Excursionists schicken und ihre Meinung zu all dem einholen.

Die VoidLarks hatten seit etwas mehr als einem Jahr eine Yautja-Kolonie außerhalb des Outer Rim observiert. Es war ein riesiges künstliches Schiff, mehrere Meilen lang, das im Orbit um einen Stern in einem der zahllosen unerforschten Systeme jenseits der Menschlichen Sphäre kreiste. Doch er war felsenfest davon überzeugt, dass die beiden Yautja, die diese Einrichtung hier angegriffen hatten, nicht von dort stammten.

»Es ist gut, dass Ihre Leute so effizient arbeiten«, sagte Mains. »Wir müssen sie beschäftigen. Ihnen bleibt später noch genug Zeit, ihre Toten zu betrauern. Aber im Moment ist mir nur wichtig, sie alle von hier wegzuschaffen.«

»Ich lebe jetzt seit sieben Jahren hier«, sagte Niveau. »Wir leisten hier eine wichtige Arbeit. Genetik, Medizin, wir nutzen Bakterien, die wir etwas unterhalb der Oberfläche dieses Asteroiden gefunden haben. Das hier ist nur einer von fünf bekannten Orten, von dem wir wissen, dass diese existieren. Aber … ich hätte mir nie träumen lassen, dass so etwas passieren könnte. Niemals.«

»So ist das im Weltraum. Man ist nirgendwo sicher. Wenn man nicht von etwas umgebracht wird, das man kennt, stirbt man an etwas Unbekanntem.«

»Das sind ja großartige Aussichten«, murmelte Niveau.

Mains zuckte mit den Achseln.

»Also, warum können Sie uns nicht begleiten? Als Eskorte?«, fragte Niveau. In seiner Stimme schwang ein leises Zittern mit. Seine Angst war nicht gespielt. Die unendliche Leere des Weltalls erschien ihm auf einmal viel größer und dunkler als zuvor. Er war zu sesshaft geworden an diesem Ort, dessen Annehmlichkeiten von der gleichgültigen, unendlichen Schwärze um sie herum ablenkten.

»Weil wir ebenfalls eine wichtige Arbeit zu verrichten haben«, sagte Mains. Er deutete auf den leeren Holo-Schirm. »Sie verstehen das sicher. Sie wissen doch, was wir Excursionists tun, nicht wahr?«

»Natürlich. Sie patrouillieren durch das Outer Rim. Sie eskortieren Titan-Schiffe auf ihrem Flug an Orte jenseits der Sphäre, um dort neue Sprungtore zu errichten.«

»Richtig, das ist der leichtere Teil, aber die Ausweitung unseres Wirkungsbereiches ist nicht ganz einfach. Seit dem letzten Jahr, und vielleicht auch schon etwas länger, haben meine VoidLarks ein Auge auf eine riesige Yautja-Kolonie, die diesen Sektor durchquerte und sich nun in einem System einige Lichtjahre hinter der Sphäre herumtreibt. Sie scheint inaktiv zu sein, erfüllt scheinbar auch keinen Zweck und galt bislang nicht als Bedrohung. Trotz allem ist aber das eigentlich unser Job. Wir sind nicht einfach nur ein Eskort-Service für Titan-Schiffe. Wohin auch immer der Mensch in der Galaxie seine Fühler ausstreckt, sind wir die erste Verteidigungslinie. Dort draußen, hinter den von uns Menschen erforschten Gegenden des Weltraums, sorgen wir dafür, dass wir dort auch sicher sind.«

»Kamen diese Yautja von dort?«

»Ich glaube nicht. Wir hätten mitbekommen, wenn sie ihre Schiffe ausgesandt hätten.«

»Aber trotzdem sind sie hergekommen.«

»Ihr Notruf wurde von einer anderen Einheit an uns weitergereicht. Sie hatten Glück, dass wir uns gerade auf einer Nachschubroute befanden und diejenigen waren, die am schnellsten bei Ihnen sein konnten. Anderenfalls …« Mains hob die Hände und zuckte mit den Schultern.

»… hätten sie uns alle umgebracht«, beendete Niveau den Satz.

»Nicht unbedingt. Es gibt Berichte, dass sie Gefangene nehmen, wenn sie größere Siedlungen angreifen.«

»Wofür?«

Mains richtete sich ächzend auf. Seine Knie knackten. Er hatte zu viel Zeit im Weltraum und in längeren Phasen der Schwerelosigkeit an Bord der Ochse verbracht, wenn es verräterische Energiesignaturen zu vermeiden galt.

»Keine Ahnung, aber es wird Ihnen sicher nicht gefallen, da können Sie drauf wetten.«

»Deshalb müssen Sie also auf Ihren Posten zurückkehren und dieses Habitat beschatten.«

»Ganz besonders nach dem, was hier vorgefallen ist.«

Niveau nickte. Es missfiel ihm, aber er verstand. Mains respektierte ihn dafür.

»Alles wird gut werden. Es sind siebzig Tage mit Ihrer Apollo bis zum Sprungtor, und ihre Söldner können für die Zeit im Einsatz bleiben und nach dem Rechten sehen. Oh, und die Dinge, die ich Ihnen über das Habitat der Yautja erzählt habe, unterliegen natürlich der Geheimhaltung.«

»Natürlich.«

Niveau erhob sich aus seinem Stuhl und streckte Mains die Hand entgegen. Mains ergriff und schüttelte sie. »Ich danke Ihnen.«

»Dafür sind wir hier.« Nur dass Willis nicht mehr hier war. Und Reynolds ebenso wenig. Mains sah ihre Gesichter vor sich, das leichte Schmunzeln von Willis, das stets etwas zu verbergen schien, und Reynolds glühenden Enthusiasmus. Das erste Mal, seit er mit seinen VoidLarks die Basis der Excursionists auf Tyszka Star verlassen hatte, würde er eine offizielle Beisetzung anberaumen müssen.

Als er das Büro verließ, meldete sich sein Kommunikationsimplantat.

»L-T?« Das war Faulkner. Der Ruf kam von ihrem Schiff, der Ochse.

»Hier.«

»Ich habe ein Subraumsignal von der 13th Excursionists-Einheit aufgefangen. Sie sind auf einer verlassenen Station auf einem Asteroiden auf die Yautja gestoßen, siebzehn Lichtjahre hinter dem äußeren Rand des Rims.«

»Die SpaceSurfers«, sagte Mains.

»Genau, Goldens Einheit. Was soll ich antworten?«

Mains schloss die Tür hinter sich und blieb in dem stillen Korridor stehen. Hier war es friedlich, die Luft gefiltert und leicht aromatisiert, und an einem anderen Ort, weit entfernt, starben in diesem Moment vielleicht alte Freunde von ihm. Es fühlte sich falsch an, hier zu sein.

»Bestätige den Empfang des Signals, aber lass sie wissen, dass wir ihnen nicht helfen können.«

»Wir müssen zurück auf unseren Posten«, sagte Faulkner.

»Öffne einen Kanal«, sagte Mains. Und dann konnten alle VoidLarks ihn hören. Es war Zeit, weiterzuziehen.

Für Johnny Mains waren Weltraum-Bestattungen schon immer ein seltsamer, aber gleichsam wunderschöner Anblick gewesen. Eine Stunde, nachdem sie von der Southgate Station 12 aufgebrochen waren, stand er vor dem Rest seiner Crew und traf die letzten Vorkehrungen, zwei seiner Freunde der Unendlichkeit zu überantworten.

Da weder Willis noch Reynolds religiöse Überzeugungen geteilt hatten, fiel die Rede kurz und knapp aus. Er verlor über jeden von ihnen ein paar Worte, beschrieb ein paar ihrer hervorstechendsten Wesensmerkmale und wie tapfer sie ihr Leben gelassen hatten, und erzählte dann über jeden von ihnen noch eine kleine Anekdote, die ein Lächeln über die grimmigen Gesichter huschen ließ. Danach wandten sich alle dem Holo-Schirm auf dem Gemeinschaftsdeck zu und Mains murmelte ein paar Befehle an den Schiffscomputer.

»Frodo, öffne die Schleusen.«

Ein leises Zischen war alles, was sie hörten, dann wurden Reynolds und Willis hinaus ins All gesaugt, wo sie langsam von der Ochse davontrieben. Es schien, als würden sie beide gemeinsam diese Reise antreten, obwohl es unausweichlich war, dass selbst die kleinste Abweichung in ihrer Flugbahn sie immer weiter auseinandertreiben würde.

Es war das Verständnis von Zeit, welches diesen Anblick für Mains so anmutig und rätselhaft zugleich machte. Die beiden Körper, die die Welt der Lebenden verlassen hatten, traten ihre ewige Reise durch den Weltraum an. Bei jeder dieser Beisetzungen, deren Zeuge er gewesen war, hatte man stets dafür Sorge getragen, dass die Leichensäcke von der Erde weggeschossen wurden. Jeder Moment ihrer Reise würde sie also an einen neuen und noch unbekannten Ort führen, und das war, ganz gleich, ob die Verstorbenen oder ihre Hinterbliebenen an so etwas wie die Seele, Gott oder ein Leben nach dem Tode glaubten, ein tiefgründiger und irgendwie beruhigender Gedanke.

Die Toten waren nicht mehr in der Lage, diese Reise bewusst zu erleben, aber zumindest konnten sie auf diese Art weiter ihre Mission erfüllen und der gleichen Sache wie all jene Männer und Frauen dienen, der sich einem Leben jenseits des Nachthimmels verschrieben hatten: Zu reisen, Neues zu entdecken und ein Teil dessen zu werden, was sich dort draußen verbarg.

»Ich frage mich immer, ob man sie eines Tages finden wird«, sagte Cotronis. So wie alle anderen trug auch sie noch ihren Kampfanzug und hatte sich geweigert, Reynolds Blut von ihrem kahlen Kopf zu waschen – nicht, bis die Beisetzung offiziell vorbei war.

»Wie sollte sie jemand finden?«, fragte McVicar. Er war kein Mann vieler Worte. Groß und gelegentlich etwas ruppig. Mains wusste, dass er und Reynolds eine kleine Romanze miteinander hatten. Eine unkomplizierte Beziehung, hin und wieder etwas Sex. Ein Excursionist zeigte nur selten tiefergehende Gefühle, zumindest nach außen, was der unmittelbaren Nähe zu den Kameraden geschuldet war. Doch wer konnte sagen, was sich unter der Oberfläche verbarg?

»Nein, ich meinte … später.« Cotronis fuhr sich mit der Hand über ihren stoppeligen Schädel und hielt inne, als sie das getrocknete Blut berührte. »Viel später. In einer Million Jahren. Zehn Millionen. In einer Milliarde Jahren, wenn die Menschheit längst zu Staub zerfallen ist, werden sie immer noch durchs All treiben. Weit entfernt von den weitesten Ausläufern, die die Menschliche Sphäre erreicht haben mag, bevor wir uns selbst vernichtet haben oder jemand anderes uns vernichtete.«

»Meine Fresse, Corp, heute sind wir aber wieder besonders fröhlich, was?«, sagte Faulkner. Er war ein kleiner, zäher Kerl, oftmals schroff, aber mit einem scharfen Verstand. Er diente als Private auf dem Schiff, aber Mains nannte ihn nicht selten auch seinen Bordwissenschaftler. Es war nie verkehrt, einen Mann wie ihn in einer Einheit wie dieser zu haben.

»Es sollte auch fröhlich zugehen«, sagte Cotronis. »Zumindest möchte ich einmal so abtreten. Ich will nicht in die Luft fliegen oder bei lebendigem Leib verbrennen oder von irgendetwas aufgefressen werden. Ich will da draußen sein, wie sie. Und einfach davonschweben.«

Alle sahen auf den Bildschirm. Mains mochte die kleinen Sticheleien unter seiner Mannschaft. Doch jetzt schien der Gemeinschaftsraum furchtbar leer zu sein, und viel größer als zuvor. Aus acht Seelen waren sechs geworden, und die Toten würden eine Lücke hinterlassen, die sich nie wieder schließen ließ.

»So lange, bis deine hässliche Leiche gegen ein Titan-Schiff auf Warp prallt und mal eben fünfhundert Menschen in den Tod reißt«, sagte Lieder und alle kicherten verhalten. Sogar McVicar. Lieder war schon immer die Komikerin unter ihnen und hatte ein Gespür dafür, wann der richtige Moment für eine witzige Bemerkung gekommen war. Jetzt hatte sie damit die rührselige Stimmung entschärft, die sich langsam zusammengebraut hatte, und von der Mains wusste, dass sie in der nahen Zukunft immer wieder mal hochkochen würde. Jeder von ihnen war schon seit einiger Zeit bei den Marines, manche bereits eine halbe Ewigkeit. Die meisten von ihnen hatten zuvor Freunde verloren, aber es niemals auf die leichte Schulter genommen.

Lieder sah zu ihm hinüber und lächelte ihn traurig an. Mains nickte.

Eine kleine Romanze, hatte er vorhin bei sich gedacht. Das gleiche hatte er auch Lieder einmal zugeflüstert, als er in ihrem Bett lag und sie beide noch klebrig vom Schweiß und keuchend nebeneinanderlagen. Sie hatte gelacht und geantwortet: So klein hat er sich aber gar nicht angefühlt.

»Machen wir uns wieder an die Arbeit«, sagte er. Sie beobachteten noch immer den Holo-Schirm, obwohl die langsam davon trudelnden Leichensäcke nur noch kleine unscheinbare Punkte waren und schließlich ganz verschwanden. »Lieder, lass die Navigationsprogramme durchlaufen. Setze unseren Kurs und lass mich wissen, wie lange es dauern wird. Snowdon, ich will einen vollständigen Systemcheck der Ochse. Ich hasse es, wenn sie bei der Landung so durchgerüttelt wird. Sieh zu, dass alles wieder zurechtgerüttelt wird.«

Lieder und Snowdon nickten. Faulkner und Cotronis verließen den Gemeinschaftsraum und begaben sich auf ihre Stationen.

»Ich nehme mal an, ich soll etwas kochen?«, fragte McVicar.

»Verdammt richtig, Ich hab einen Mordshunger.«

Der hünenhafte Mann nickte. »Dann rühre ich mal was zusammen. Wir können alle was vertragen.«

Die Ochse war das schnellste Schiff in der Flotte der Colonial Marines. Das Angriffs- und Aufklärungsraumschiff der Arrow-Klasse war speziell für die Excursionist-Verbände entwickelt worden und das Produkt jahrhundertelangen Fortschritts in der Raumfahrttechnik, neuen Entwicklungen auf dem Gebiet von Überlicht-Antrieben und schierer Hartnäckigkeit.

Der Durchbruch für Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit war vor hunderten Jahren schon erzielt worden. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, waren vergleichbar mit jenen Tagen, als die Menschheit zum ersten Mal ihren Planeten verließ und ins All vorstieß – damals, als die dafür nötige Technik noch völlig neuartig, gefährlich und sehr zeitaufwendig in der Herstellung war.

Einige der ersten Kriege im Weltraum hatten jedoch dazu beigetragen, dass sich die Forschung auf diesem Gebiet rasant weiterentwickelte.

Die Grenzen, die sich jenseits der Überlichtgeschwindigkeit im Subraum auftaten – dort, wo die Regeln traditioneller Physik nicht mehr galten und von wissenschaftlichen Gegebenheiten ersetzt wurden, die weitaus komplexer und tatsächlich unheimlicher waren – erwiesen sich als physisch wie finanziell überwältigend. Doch Weyland-Yutani verfügte über genügend Geld. Sie verfügten über die nötigen Ressourcen. Und sie waren fest entschlossen, ihr Ziel zu erreichen und über die Grenzen der Menschlichen Sphäre hinaus vorzustoßen, so wie sie es in ihrer wechselhaften Firmengeschichte schon oft getan hatten. Nach einem Tiefpunkt hatten sie wieder an Bedeutung gewonnen und die völlige Kontrolle über die Colonial Marines erlangt, weshalb man den Konzern auch hin und wieder scherzhaft die »Corporate Marines« nannte. Damit stellten sie nicht nur die älteste und erfolgreichste Firma der Geschichte dar, sondern auch die einflussreichste Organisation überhaupt, einschließlich vieler Regierungen. Seit ihrem turbulenten Wiederaufstieg hatten sich die zeitlichen und finanziellen Aufwendungen für die Erforschung experimenteller Weltraumtechnologie um das Hundertfache gesteigert.

Die Arrow-Klasse bildete die Speerspitze dessen, was derzeit technisch möglich war. Während die Fiennes-Schiffe des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts – großartige Erkundungsschiffe, die man nach dem ersten Astronauten benannt hatte, der sich über die Grenzen des Sol-Systems hinauswagte – sich auf Antriebe mit Lichtgeschwindigkeit verließen, konnten später konstruierte Schiffe wie die Sprungtor-Konstruktionsschiffe der Titanklasse sogar mit Überlichtgeschwindigkeit reisen. Die meisten Titan-Schiffe erreichten dabei etwa das fünffache der Lichtgeschwindigkeit, und einige der leistungsfähigeren Schiffe der Company schafften es sogar bis auf das sechs- oder siebenfache.

Die Arrow-Schiffe hingegen konnten mit fünfzehnfacher Lichtgeschwindigkeit das All durchpflügen. Das Verständnis der Technik dahinter überforderte Mains, und selbst Faulkner war der Ansicht, dass es in der gesamten menschlichen Sphäre nur eine Handvoll Menschen gab, die das Konzept und die Mechanik auch nur annähernd verstanden. Die Triebwerke wurden mit raffiniertem und konzentriertem Trimonit angetrieben, und die durchschnittlich für ein Flugjahr benötigte Menge dieses äußerst raren Minerals betrug mehrere hundert Tonnen. Die Kosten für die Konstruktion eines Arrow-Schiffes waren gigantisch. Die Kosten für den Treibstoff – der gefährliche Abbau der Mineralien, ihr Transport, die Raffination und die Sicherheitsvorkehrungen, die bei der Herstellung von Trimonit getroffen werden mussten – waren schlichtweg horrend.

Derzeit befanden sich mehr als dreihundert Arrow-Schiffe im Einsatz, die an den äußeren Ausläufern der Menschlichen Sphäre entlang patrouillierten. Ein Gebiet, dass eine Fläche von etwa drei Millionen Quadratlichtjahren umfasste. Bei Höchstgeschwindigkeit würde ein Arrow-Schiff mehr als zweihundert Lichtjahre benötigen, um die Sphäre einmal zu umfliegen, wofür es etwa eine Million Tonnen Trimonit benötigen würde. Bisher konnte aber erst eine halbe Million Tonnen der dafür benötigten Mineralien abgebaut werden. Man ging davon aus, dass sich beinahe unbegrenzte Reserven auf all den Asteroiden und Planeten im All verbargen, doch die Ironie an der Sache bestand darin, dass die Schiffe, die Ausrüstung und die Menschen all diese Orte erst einmal erreichen mussten.

Die Menschheit hatte bislang erst ein Prozent der Milchstraße erkundet. Selbst bei diesen unvorstellbaren Geschwindigkeiten blieb die Größe des restlichen Kosmos schlicht überwältigend.

Das war der Punkt, an dem die Sprungtore ins Spiel kamen. Während selbst Überlichtgeschwindigkeit eine direkte Bewegung durch das All darstellte – auch wenn sich die ihr zugrunde liegenden Wirkungsweisen den meisten Menschen noch immer verschließen – funktionierten die Sprungtore nach einem anderen Prinzip. Die wissenschaftliche Möglichkeit einer solchen Konstruktion wurde schon seit dem späten zwanzigsten Jahrhundert diskutiert, doch erst seit etwa einem Jahrhundert war man in der Lage, sie in der Realität umzusetzen und nutzbar zu machen. Im Kern handelte es sich bei Sprunglöchern nicht um wirkliche Löcher, sondern um die Enden beinahe unendlich langer Tunnel, deren Entfernung jedoch von einem Augenblick auf den nächsten durchquert werden konnte. Sie krümmten den Raum, legten Start- und Zielpunkt quasi übereinander, und erlaubten es einem Schiff auf die Art, im gleichen Moment von einem Punkt des Weltraums an einen anderen zu gelangen. Das Prinzip selbst hörte sich für Mains logisch an. Doch die Sprungtore mussten mit Methoden erzeugt werden, die seinen Horizont überstiegen. Sie setzten auf Errungenschaften wie Partikelbeschleuniger, Anti-Materie-Generatoren und andere technische Spielereien, die er selbst dann nicht erkannt hätte, wenn sie ihm auf den Kopf gefallen wären. Die Löcher selbst wurden von riesigen kreisförmigen Strukturen eingeschlossen, deren Errichtung viele Jahre erforderte und unglaubliche Mengen an Material verschlang. Und selbst nach all diesen Jahren ließ sich nur etwa eines von drei Sprungtoren in Betrieb nehmen. Immer wieder traten bei der Aktivierung verheerende Explosionen auf, die gerade in den Anfangstagen tausende Menschen das Leben kosteten und Dutzende Schiffe zerstörten. Deshalb war man dazu übergegangen, den Initiationsprozess aus der Ferne vorzunehmen. Sprungtore funktionierten immer nur in eine Richtung, von einem zum nächsten, ohne die Möglichkeit, den gleichen Weg zurückzunehmen. Zusammengehörige Tore wurden auf die gleiche Frequenz abgestimmt, und jedes Starttor benötigte seinen eigenen Aktivierungscode. Auf diese Art ermöglichten sie sehr schnelle Raumsprünge durch die Menschliche Sphäre dar, doch es mussten noch immer große Distanzen zwischen ihren überbrückt werden, da man die die Tore nicht zu nah beieinander errichten durfte. Die Titan-Schiffe erweiterten so die Grenzen der Menschlichen Sphäre schrittweise immer mehr. Mit der Zeit hatten sich kleine Kolonien um diese Weltraumhäfen gebildet. Manche von ihnen waren offiziell von Weyland-Yutani als bemannte Forschungsstationen gegründet und finanziert worden. Andere hingegen waren inoffiziell entstanden, aus Raumschiffen, Raumstationen und Gruppen von Menschen, die sich hier zusammengefunden hatten. Einige verlangten eine Gebühr für die Benutzung der Tore, andere sahen es als ihre Aufgabe an, sie zu beschützen. Die Sprungtore wurden zu Oasen in der Weite des Alls. Sie boten Reisenden, Forschern, Piraten und Söldnern, Transportschiffen und Militärkonvois einen Rastplatz und die Möglichkeit der Gesellschaft anderer Menschen. Die Excursionists benutzen diese Sprungtore ebenfalls, hielten sich jedoch selten länger in ihrer Nähe auf. Sie zogen es vor, unter sich zu bleiben.

Nachdem die Ochse von einem W-Y-Darkstar-Frachter mit neuen Vorräten versorgt worden war, zündete sie ihre Triebwerke und machte sich wieder auf ihren Weg. Die Mannschaft überprüfte alle Systeme auf ihre Funktionstüchtigkeit, dann zogen sich Mains und der Rest seiner Crew in ihre Ruhekapseln zurück, während Frodo die ganze Arbeit an Bord verrichtete.

Mains lag nicht gern in diesen Ruhekapseln. Das Prinzip dieser Kammern war insoweit mit den Kälteschlaf-Pods identisch, als dass sie die biologische Uhr ihrer Insassen auf gewisse Weise anhielten, sie in einem Moment festhielten, während in der Zwischenzeit riesige Distanzen überbrückt wurden. Ein entscheidender Unterschied bestand jedoch darin, dass eine Ruhekapsel ihren Benutzer ganz besonders stark gegenüber physischen und temporalen Kräften abschirmen musste. Es gab, wenn auch nur vom Hörensagen, Geschichten über die ersten Testpiloten, die bereits das zehnfache der Lichtgeschwindigkeit überschritten hatten und sich erst in die Ruhekapseln begaben, als es bereits zu spät war. Am Ende der Reise waren beide Piloten noch bei Bewusstsein und sie atmeten auch schwach, doch sie waren wahnsinnig geworden, schlichtweg verrückt, und man schätzte, das ihre Gehirne über siebzehntausend Jahre gealtert waren. Unfähig sich zu bewegen oder irgendetwas zu tun hatten sie in den siebzehn Erdentagen ihrer Reise regungslos einhundertundsiebzig Jahrhunderte verbracht.

Ein warnendes Beispiel, über das Mains am liebsten nicht zu sehr nachdachte. Trotzdem mochte er die Pods nicht. Der Moment, wenn sich diese mit Gel füllten, war beinahe so, als würde man ertrinken, und er bekam immer wieder Erstickungsanfälle in ihnen.

So wie jetzt genoss er stets den Moment, wenn die Klappe aus Diamantglas über ihm beiseite glitt und er seinen gesamten Mageninhalt von sich geben konnte.

Er lehnte sich über den Rand seiner Kapsel und würgte noch mehr Gel aus seinen Eingeweiden und seiner Lunge. Wenn es mit der Luft in Kontakt kam, löste sich das Gel in Nichts auf, und das half, mit seinen ersten Atemzügen seine Lunge befreien zu können. Doch die halb verdauten Überreste seiner letzten Mahlzeit blieben davon unbeeindruckt. McVicar hatte ihnen ein großartiges Jambalaya zubereitet, und während er versuchte, zu Atem zu kommen, sah er verschwommen auf halb verdaute Garnelen und Paprikastücke hinunter.

»Hey, L-T, du solltest dich wirklich nach einem anderen Job umsehen.«

Mains sah auf und etwas Schleim troff ihm aus der Nase.

»Lieder, wieso bist du eigentlich immer als Erste auf? Und wieso siehst du immer so … frisch aus?«

»Urks«, sagte seine Pilotin und zog sich ihren Slip zurecht. »Braune Rotze. Das ist kein Bild, dass ich beim Einschlafen vor mir sehen will.«

»Ich werd dir verdammt noch mal befehlen, was du beim Einschlafen vor deinem geistigen Auge zu sehen hast.«

»Ja ja, schon klar.« Sie drehte sich um. »Hey, Corp, mein mir vorgesetzter Offizier macht zweideutige und anzügliche Bemerkungen!«

Cotronis schwang sich gerade aus ihrem Pod. Sie war bekannt dafür, von allen am schlechtesten zu schlafen und daher nach dem Aufwachen die Mürrischste zu sein.

»Du kannst mich mal, Lieder«, sagte sie.

Lieder lachte. Und Snowdon übergab sich. Sticheleien und Würggeräusche, Stöhnen und das Schlurfen von nackten Füßen hallten durch das Ruhedeck, und dann kleidete sich die Crew langsam an. Wenn auch unbeabsichtigt, war ihr Gemurmel untereinander dabei überschwänglicher als sonst, und jeder von ihnen wusste, dass es daran lag, weil sie versuchten, die fehlenden Stimmen ihrer beiden Kameraden zu ersetzen.

»Okay, dann bringen wir uns mal wieder auf Touren«, sagte Mains. »Künstliche Schwerkraft abschalten. Check aller Systeme, check aller Waffen, ihr kennt das Spiel.«

»Oh, bitte nicht die Schwerkraft abschalten, bevor ich hier fertig bin«, stöhnte Cotronis und übergab sich erneut.

Lieder lehnte sich gegen eine Wand.

»Was für ein Haufen Waschlappen.«

Zehn Minuten später schwebte Mains schwerelos unter der Dusche und sah auf, als sich Lieder durch den versiegelten Einstieg hineinzog. Sie schaute ihn von oben bis unten an und sagte: »Du hast zugelegt.«

»Liegt an McVicars Kochkünsten«. Er schaltete das Wasser ab, fuhr mit seiner Hand über den Trockner und wählte die mittlere Hitzestufe. Er hatte sich ein wenig Komfort verdient. »Wie sieht‘s aus?«

»Die Flugzeit betrug achtundneunzig Tage, die Entfernung 3,8 Lichtjahre. Wir sind auf Unter-Lichtgeschwindigkeit gegangen und befinden uns sechzehn Milliarden Meilen vor dem Habitat. Frodo hat vor siebzehn Minuten unser Tarnsignal aktiviert. Wir sind jetzt wieder ein Asteroid. Keine Anzeichen dafür, dass man uns bemerkt hat.«

»Und die SpaceSurfers?«

»Die Jagd dauerte sieben Tage. Sie haben zwei Yautja neutralisieren können, aber ihren Corporal verloren. Golden hat einen Speer in die Schulter bekommen und trotzdem weitergekämpft. Hat den Yautja eigenhändig besiegt.«

»Zäher Bursche.«

»Trotzdem ist es eigenartig, dass es zwei Kontakte zur gleichen Zeit gab.«

»Das stimmt.«

Mains nickte und begann, sich anzuziehen. Sein Fliegeroverall hatte sich von den Kletthaken gelöst und war nass geworden. Er fluchte leise in sich hinein, dann schüttelte er den Kopf. Ein nasser Overall. Der würde in ein paar Minuten wieder getrocknet sein. Daran würde er schon nicht sterben.

»Alles okay, Johnny?« Lieders Sorge um ihn war trotz ihrer Witzeleien ernst gemeint. Ihre Zuneigung zueinander saß tief, und obwohl Mains versucht hatte, Abstand zu ihr zu gewinnen, fühlte er sich nur noch mehr zu ihr hingezogen. Er ging davon aus, dass es Lieder ähnlich ging. Das Thema wurde zwischen ihnen nicht näher besprochen. Die von allen akzeptierte Regel – die grundlegende Einstellung – besagte, dass jeder seinen Spaß haben durfte, solange man sich gegenseitig auch seine Freiräume ließ. Von lebhaftem Rumficken waren sie aber mittlerweile bei zärtlichem und hingebungsvollem Sex angekommen, und manchmal lagen sie danach eingehüllt in einer Stille nebeneinander, die von all den ungesagten Dingen zwischen ihnen so aufgeladen war, dass es einen zu ersticken drohte.

»Mir geht‘s gut«, sagte er und schlüpfte in seine Kleider. Er drückte sich von der kleinen Duschkabine ab und schwebte langsam zu der gegenüberliegenden Wand.

»Sicher?«

»Mir geht‘s so gut wie dem Rest von uns«, berichtigte er sich, dann hielt er sich an der Wand fest und gab sich einen leichten Schubs, damit er langsam auf Lieder zuschwebte. Sie blieb, wo sie war, und er presste seine Stirn gegen ihre. Gab ihr einen sanften Kuss, gefolgt von einem stillen, innigen Moment.

»Putze dir die Zähne, L-T«, sagte sie lächelnd und schob sich durch die Tür hinaus.

Mains wartete einen Moment, bevor er ihr folgte.

Der Rest der Crew befand sich auf der Brücke. Lieder ließ sich auf den Platz des Piloten sinken, Faulkner nahm an den Hauptwaffensystemen Platz, und die anderen saßen dicht gedrängt und angeschnallt an ihren jeweiligen Stationen innerhalb des kleinen Raumes. Die leeren Plätze zwischen ihnen fielen dabei umso schmerzlicher auf.

»Also, Frodo, was haben wir?«, fragte er.

Die gelassene, freundliche Stimme des Schiffscomputers hallte über das Deck.

»Schön, Sie wiederzusehen, L-T. Innerhalb des Yautja-Habitats gibt es keine Anzeichen von Veränderungen. Kurs und Umlaufbahn sind gleich geblieben und ich kann in der unmittelbaren Nähe keine Hinweise auf Triebwerkssignaturen erkennen. Doch um das Habitat näher in Augenschein nehmen zu können, müssen wir noch näher heran.«

»Das ist schon in Ordnung. Wie sieht‘s mit dem Geplapper aus?«

»Nur die üblichen Yautja-Übertragungen. Ein paar kurze Sendungen. Ich lasse sie gerade durch die allerneuesten Übersetzungsprogramme laufen, aber die Dialekte scheinen kaum identifizierbar zu sein. Es gibt nur eine Anomalie, über die ich Sie vielleicht unterrichten sollte. Ein sich wiederholendes Signal, das irgendwie fehl am Platze wirkt.«

»Welche Art von Signal?«

»Soweit ich das sagen kann, mutet es wie eine Art Countdown an.«

»Ein Countdown für was?«

»Tut mir leid, L-T, das weiß ich nicht. Es handelt sich um ein komplexes, sich selbst wiederholendes symbolhaftes System, wie ich es von ihnen noch nie zuvor empfangen habe.«

»Woher weißt du dann, dass es ein Countdown ist?«

»Ist nur so ein Gefühl«, ließ sich die Stimme des Computers vernehmen.

»Danke, Frodo. Findet sich alles darüber im Hauptrechner?«

»Aber natürlich.«

Mains fuhr seinen Sitz zurück, an Lieder vorbei. »Snowdon?«

»Bin schon dran«, sagte sie. Snowdon war die selbst ernannte Yautja-Expertin an Bord. Die Spezies hatte sie schon von Kindesbeinen an fasziniert, und sie betonte immer wieder, dass es deren kriegerisches Gesellschaftsmodell war, das sie dazu bewogen hatte, sich als Colonial Marine zu verdingen. Dabei hielt sie sich nicht nur mit den allerneusten Geheimdienstinformationen über sie auf dem Laufenden, sondern verbrachte auch einige Zeit damit, eigene Theorien und Überlegungen anzustellen.

Eine Weile flogen sie schweigend dahin. Mains sah sich auf der Brücke um und musterte seine Crew, seine Familie. Für einen Moment blieb sein Blick dabei auf den leeren Sitzen von Reynolds und Willis hängen. Ihre ungeplante Kursabweichung, diese kurzen, nervenaufreibend gewalttätigen Momente des Kampfes zwischen den langen Flugphasen schien sie alle mit neuem Elan versorgt zu haben.

Die Aufregung auf der Brücke ließ sich beinahe mit den Händen greifen.

»Genug herumgegammelt«, sagte er. »Fliegen wir näher heran.«

PREDATOR: ARMADA

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