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S1lm war hier

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Tausende von Graffiti überziehen die Steinwüsten im heutigen Syrien, Jordanien und nördlichen Saudi-Arabien, wo die Halbinsel mit dem Fruchtbaren Halbmond verzapft ist, also genau dort, wo jene frühesten Araber mit ihren Herden umherzogen.55 Sie sind in die Felsblöcke gehauen, die überall in der Landschaft herumliegen. Verwendet wurde hauptsächlich die nabatäische Schrift, Vorläufer der arabischen Schrift. Die Inschriften sind viel jüngeren Datums als die frühen assyrischen und biblischen Reminiszenzen an Araber – wahrscheinlich stammen sie vom Ende des letzten vorchristlichen Jahrtausends und später. Ihre Verfasser hatten aber vor dem Aufkommen des Nabatäischen im letzten Drittel jenes Jahrtausends vermutlich keine Buchstaben, mit denen sie sich hätten ausdrücken können. Die Sprache entspricht nicht ganz dem Arabischen, das wir kennen, ist aber nahe dran – näher vielleicht als Altenglisch am modernen Englisch. Wenn wir die linguistische Taxonomie leicht verbiegen, könnte man fast sagen, dass dies unsere ersten authentischen Dokumente auf Arabisch sind. Und obwohl das Wort „Araber“ in ihnen nicht vorkommt,56 bestehen kaum Zweifel daran, dass dies die ersten einheimischen Dokumente von Arabern sind.

Auf den ersten Blick erscheint es überraschend: Waren nicht frühe nomadische Araber, deren Arabischsein darin bestand, dass sie „weit weg in der Wüste leben und weder Aufseher noch Amtsträger kennen“,57 wie die Assyrer es ausdrückten, die Letzten, die Verwendung für eine Schrift hätten haben können? Dennoch haben sie wohl geschrieben, und die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass das Ganze ein Spiel war, ein Zeitvertreib. Wer den ganzen Tag im Schatten eines Felsens sitzt und Kamelen beim Grasen zusieht, wird kaum der Versuchung widerstehen können, ein Steinchen aufzuheben und damit am Felsen herumzukratzen. In Stein festzuhalten, was man in dieser minimalistischen Landschaft vor Augen hat – Kamele –, mag künstlerisch befriedigen, und in der Tat finden wir häufig Abbildungen von Kamelen. Doch ist es auf Dauer langweilig, immer nur Kamele zu zeichnen: Da ist es doch netter, den eigenen Namen und – fast immer – die eigene Abstammung in den Fels zu ritzen. Das ist sowohl eine Bekundung von Individualität als auch eine Erklärung von Mitgliedschaft, Familie, Stamm. Wenn man dafür Buchstaben von den nabatäischen Nachbarn einführt, ist das kaum anders, als wenn man andere Produkte der sesshaften Gesellschaft importiert, wie zum Beispiel Speerspitzen und Messerklingen. M. C. A. Macdonald zieht eine hilfreiche Parallele zu den heutigen Tuareg-Nomaden, die „ihr eigenes Schriftsystem haben, Tifinagh, dass sie ausschließlich für Unterhaltungszwecke verwenden“.58 Aber Schreiben jeglicher Art ist selten ausschließlich Unterhaltung und die archetypische Verkündigung „Ich war hier“ vereint Sprayer der gesamten Geschichte.

Die Sprache der auf uns gekommenen Graffiti wird als „Nordarabisch“ eingestuft und es gibt sie in verschiedenen Varianten. Die häufigste Variante ist als „Safaitisch“ bekannt, nach „al-Safā“, dem arabischen Namen für die mit Lava übersäte Steppenlandschaft, wo die meisten solcher Inschriften gefunden wurden, ungefähr 18 000 safaitische Graffiti sind belegt.59 Die meisten Graffiti sind Namen und die meisten Namen sind mit Genealogien versehen – „A Sohn des B Sohn des C …“ Manche Genealogien gehen mehr als 15 Generationen zurück. (An wie viele Vorfahren erinnern Sie sich?) Allein die bloße Anzahl der aufgeführten Ahnen ist erstaunlich und in den Fällen, in denen diese Ahnenreihen mit anderen Graffiti verglichen werden konnten, stellen sie sich auch als konsistent heraus.60 Auf unsere Zeit übertragen ergäben sich daraus Abstammungslisten, die bis in die Zeit von Shakespeare oder der Pilgrim Fathers zurückführen.

Die Graffitischreiber waren jedoch nicht nur wandelnde Stammbäume. Ihre Aufzeichnungen geben Einblicke in den Alltag, zum Beispiel eines Hirten, der „[den frühen Lenz] auf dieser [Ebene] verbracht und sich von Trüffeln ernährt hat“,61 und in den Alltag eines S1lm (da im Arabischen kurze Vokale nicht geschrieben werden, könnte er also Sālim, Sallām, Salīm, Aslam usw. geheißen haben), Sohn des Mn Sohn des S1lm Sohn des Bdr Sohn des Dhn vom Stamm oder Clan ʾlʿbs2t, der „den Ziegen beim Gebären geholfen hat und so möge Lt [die Göttin Lāt] Halt geben. Und er trauerte um Mnʿl, seinen Sohn, der unter Qualen, von Angst überschattet, gestorben war“.62 Die Trauer ist heute noch zu spüren. Aber der Alltag bot auch Erfreuliches: Ein anderer Felsritzer schrieb, „er war krank vor Liebe … zu einer Magd und hatte herrlichen Sex mit ihr“.63 Es finden sich anzügliche Sprüche, wenn die Graffitischreiber den Texten ihrer Rivalen „etwas Unanständiges“ hinzufügten.64 Heutige Deuter dieser antiken Stimmen zerbrechen sich den Kopf darüber, ob beispielsweise das Verb ʿtm „trauern“, „beenden“ oder „ficken“ bedeutet.65 Das Graffito, karg wie die Landschaft, in der es gefunden wurde, gibt darüber jedenfalls keine Auskunft.

Umso mehr Aufschluss erhalten wir durch die Graffiti über die erstaunliche Kontinuität bestimmter Lebens- und Verhaltensweisen, die sich nicht nur in der Vergangenheit – „Dies ist Jahr für Jahr sein Zeltlager“66 –, sondern bis in unsere Zeit erhalten haben. Das Gleiche gilt für Redewendungen: In einem Graffito notiert der Schreiber, dass „ein Sturzbach ihn verjagte in [der Jahreszeit des] Suhail“, das heißt im späten August, wenn der Stern Suhail oder Canopus aufgeht. Zweitausend Jahre später im 20. Jahrhundert warnt das Sprichwort der Rwala-Beduinen: „Wenn Suhail am Himmel steht, traue nicht dem Bachbett.“67 Und es gibt noch ein Motiv, das in Sprüchen und Gebeten erwähnt und auf Abbildungen gezeigt wird, und das sich mit desaströser Regelmäßigkeit wiederholte und „offenbar kulturell wie auch wirtschaftlich eine Rolle spielte“:68 der Überfall auf anderer Leute Herden.

Viehtrieb und Raubzug brachten diese Menschen zum Steppenland, hielten sie in Bewegung und stellten sicher, dass sie politisch uneins blieben. Und das Muster setzte lange vor diesen frühesten authentischen Stimmen ein, vor den Assyrern und vor der alttestamentarischen Genesis.

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