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Auf der Suche nach der geeinten Stimme
ОглавлениеIhre Nachbarn im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. fassten ʿarab gewiss als eine Art von Einheit auf, indem sie sie mit diesem Namen bezeichneten, ganz unabhängig davon, ob die Betroffenen sich nun selbst ʿarab nannten oder nicht. Von ca. 750 bis 400 v. Chr. gab es nachweislich eine multitribale Gruppierung namens Qīdār – eine Art Gemeinwesen, wenn auch keine Einheit. Einheit liegt oft im Auge des Betrachters, des Außenstehenden. Doch auch für ʿarab bedeutete die gleiche mobile Lebensweise – Kamelzucht, Suche nach Weideland, Handel auf dem Kamelrücken –, dass ihre Wege sich kreuzten und querten und wenigstens eine vorsichtige Ahnung von gemeinsamer Identität, von kultureller – wenn auch nicht politischer – Einheit bewirkten.
Denn Sprache war für ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Einheit vermutlich genauso wichtig wie die Lebensweise: Die Tatsache, dass all diese Sprachzweige so schwer zu klassifizieren sind, zeigt, wie nah sie beieinanderlagen. Robert Hoyland sieht Sprache selbst im 1. Jahrtausend v. Chr. als das, was ʿarab verbindet und unterscheidet113 und als wichtigste Voraussetzung für die ʿarab-Identität.114 Das war lange vor der Entstehung der einheitlichen „Hochsprache“, der ʿarabiyya, die das herausragendste Merkmal der arabischen Einheit werden sollte und weiterhin ist.
Gleichzeitig deuten die Stimmen der Wüstenfelsen – diese safaitische vox populi – auf Pluralität und Diversität hin: auf Stimmen von vielen unterschiedlichen Menschen, nicht auf die eines Volkes; auf Individuen in einer lose zusammenhaltenden und segmentierten Gesellschaft, die den immer verzweigteren Pfaden ihrer eigenen immer länger werdenden Abstammungslinien folgen. Die Sprecher der unterschiedlichen Zweige konnten sich untereinander verständlich machen, aber in einem weiteren politischen Sinne war ihre Stimme noch lange nicht geeint. Wir können nur mutmaßen, welche Dialektik zwischen ihren vielen Dialekten am Werk war und welche sprachlichen Besonderheiten sie voneinander trennten.
In dieser Epoche spielen ʿarab als Söldner und Spediteure der sesshaften Völker höchstens eine Nebenrolle. Wie aus den Graffiti hervorgeht, war das Leben pastoral und provinziell. Doch mit dem Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. tun sich plötzlich neue Horizonte auf. Es wird eine neue Art von Kamelsattel entwickelt, der es Reitern ermöglicht, deutlich längere Strecken zurückzulegen.115 Zudem wächst in der Region die Einmischung von außen: Rūm, „Römer“, werden in Graffiti erwähnt. ʿArab erscheinen nun regelmäßig in den Inschriften der südarabischen Königreiche. Und die Graffiti selbst tauchen nun an unvorhergesehenen Orten auf – im heutigen Libanon116 und sogar an einer Wand in einem römischen Theater in Pompeji.117 Die Kamelhirten der Arabischen Halbinsel sahen sich allmählich nach neuen Weidegründen um.