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Ein Spross des Rimth-Strauches
ОглавлениеEin uralter Mythos erzählt, dass das Kamel aus dem rimth-Strauch erschaffen wurde.69 Al-Dschāhiz erwähnt die Geschichte mit gebührender Skepsis, sagt aber dennoch, dass der unappetitliche rimth oder Saxaul, eine stark salzhaltige Pflanze, darin eine Rolle spiele, weil nur das Kamel ihn essen kann. Wenn wir also, wie es so schön heißt, „sind, was wir essen“, liegt unter all dem Salz ein Körnchen Wahrheit: Das Kamel ist schließlich das domestizierte Tier par excellence, das dort überlebt, wo andere nicht überleben können, und isst, was andere nicht essen können.
Über die Geschichte des Kamels wurde viel geschrieben. Unbestritten ist, dass es irgendwann im 3. Jahrtausend v. Chr. wegen seiner Milch domestiziert wurde,70 wahrscheinlich im Südosten der Arabischen Halbinsel.71 Die Nutzung von Kamelen für den Transport entwickelte sich im Laufe des darauffolgenden Jahrtausends. Kein Zweifel besteht darüber, dass der Einsatz von Kamelen als Last- und Reittiere früh im 1. Jahrtausend v. Chr., als kamelreitende Nomaden in den Schriftzeugnissen ihrer Nachbarn aufzutauchen beginnen, bereits hoch entwickelt war und sich zum Norden der Halbinsel hin ausgebreitet hatte. Zum Zeitpunkt der ersten datierbaren Erwähnung von Arabern – 853 v. Chr.72 – wurde bereits im großen Stil mit ihnen gehandelt: Gindibu, der Araber, hatte 1000 Tiere verliehen (was er vermutlich nicht für Gotteslohn allein tat). Kurz darauf stahlen die Assyrer, wie wir bereits gesehen haben, Zehntausende Kamele – wobei nicht auszuschließen ist, dass sie bei der Angabe vielleicht den Mund etwas zu voll genommen haben.
Die zentrale Stellung, die das Kamel im altarabischen Leben einnahm, wird aus der Bedeutung ersichtlich, die das Tier in arabischen Todesriten hatte: Dichter aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. spielen darauf an. Wenn der Verstorbene ein Krieger war, so wurde an seinem Grab ein Reitkamel laufunfähig gemacht und zum Sterben zurückgelassen oder manchmal geschlachtet und mit seinem Besitzer begraben.73 Wie verstorbene Mongolen und ihre Pferde – und verstorbene Wikinger und ihre Schiffe – benötigten verstorbene arabische Krieger vermutlich Transportmittel, um sich nach dem Tod fortbewegen zu können. Von den unzähligen Nutzungszwecken lebender Kamele zählte Hind bint al-Chuss – die angeblich einem Überbleibsel jenes archaischen Stammes der Ād angehörte – die drei wichtigsten auf: „Männerträger, Blutstiller, Frauenkäufer“.74 Kamele waren Lasttiere, aber auch die Währung, in der Blut- und Brautgeld entrichtet wurde. Vorrangig diente das Kamel jedoch als Last- und Zugtier, und das nicht nur auf der Arabischen Halbinsel, sondern fast auf der gesamten Halbkugel: Als der zweite Kalif des Islam, Umar, seine Generäle auf ihren Eroberungszügen ermahnte, sie sollten Orte vermeiden, die er nicht per Kamel erreichen könne,75 bedeutete das in der Praxis den Verzicht auf die Eroberung des größten Teils der afrikanisch-eurasischen Landmasse.
Die Anfänge dieser Geschichte der Mobilität sahen selbstverständlich noch bescheidener aus. Dennoch war es das Kamel, das es den Menschen, die Araber genannt werden sollten, ermöglichte, sich vom Fruchtbaren Halbmond loszureißen, über die Ränder der Zivilisation hinauszugehen und sich in den barbarischen Süden, den Wilden Westen der sesshaften Semiten, zu begeben. Es war gewissermaßen das Kamel, das die Menschen überhaupt zu Arabern machte. Der Reiz der Wildnis erschloss sich vielen dieser sesshaften Völker wohl kaum, aber ein Araber erklärte sie dem persischen Herrscher Chosrau Anuschirwan im 6. Jahrhundert n. Chr.:
[Araber] besitzen das Land, ohne dass es sie besitzt. Sie sind vor der Notwendigkeit geschützt, sich mit Mauern zu verstärken: ihre gewetzten Klingen und spitzen Speere sind der Rüstung und Festung genug. Ein Fleckchen Erden zu besitzen ist so viel wie alles zu besitzen.76
Es gab noch andere Anreize, die man vielleicht als psychosomatisch bezeichnen könnte:
[Araber] wägten das Für und Wider von Städten und Gebäuden ab und befanden sie nicht nur für ungenügend, sondern auch für schädlich … denn Orte leiden wie Körper an Krankheiten … also lebten sie auf dem weiten Land … das von Verunreinigung frei, voller Frischluft und von Seuchen abgeschottet ist.
Natürlich gehört zum gesunden Körper der gesunde Geist, denn „wo Frischluft generiert wird, so auch Vernunft und Auffassungsgabe“.77 Der Ruf der Wüste ist kein bloßer orientalistischer Topos.
Dass die Menschen, die diesem Ruf der Wildnis folgten, ihre Ursprünge, wie die nordamerikanischen Cowboys und Grenzer, bei den Bauern und Händlern der sesshaften Völker haben, bleibt letztlich eine Spekulation.78 Araber zu sein mag anfangs eine Frage der Entscheidung oder der Not gewesen sein, nicht der Herkunft. Man wurde Araber. Und die Menschen, die es zu einer Ansiedlung auf dem weiten arabischen Land trieb, waren, wie ihre amerikanische Entsprechung, ein kunterbuntes Gesindel von überall her.