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KAPITEL 1


»Keine Blasphemie. Sag ruhig Kacke und Pisse, so viel du willst, aber niemals Jesus Christus oder Allmächtiger. Das meine ich ernst.«

Ross Lillekers spröder Derbyshire-Tonfall hing bedeutungsschwer im strahlend blauen Virginia-Morgen. »Ach ja, und verkneif dir das F-Wort. Das mögen die hier unten nicht besonders.«

Es war der erste Sonntag im Juli und wir standen vor einem großen weißen Haus in den adrett bewaldeten Vororten von Charlottesville. Hinter uns, in einer zart mit Kiefernnadeln bestreuten Einfahrt, stand ein großes, schlankes schwarzes Kraftfahrzeug von beträchtlichem Alter. Es war eine Weile her, wenn auch eine viel zu kurze, seit Ross dieses gebrechliche Relikt rückwärts aus dem zehn Meter langen Anhänger gefahren hatte, an dem er nun, auf dem Weg zu dem riesigen, gedrungenen Pick-up, der ihn gezogen hatte, erneut vorüberging.

»Denk dran, reichlich Wasser zu trinken, man trocknet echt aus, wenn man solche alten Kisten fährt.« Ross hielt an der Tür des Pick-ups inne. 16 Jahre in Texas hatten seinem unverkennbaren Chesterfield-Akzent nicht viel anhaben können. »Schön. Schätze, das war’s. Ich bin dann mal weg.« Dann zwinkerte er mit seinem guten Auge, demjenigen, das er sich nicht vor ein paar Jahren mit einer Nietpistole herausgeballert hatte, ließ den animalischen Dieselmotor an und tuckerte mit seinem kolossalen Sattelzug davon.

Ich sah ihm nach, bis er hinter einer baumbestandenen Bergkuppe verschwand, und lauschte, wie das Dröhnen dann allmählich verklang und mich mit Vogelgesang und dem fernen Brummen eines Rasenmähers zurückließ. Dieser Pick-up war das männlichste Fahrzeug, in dem ich je gesessen hatte, die Rückbank übersät mit fettverschmierten Schraubenschlüsseln und Kisten voller rasselnder Eisenwaren, von denen ich eine auf unserer Nonstop-Fahrt durch die Nacht tapfer als Kopfkissen zu zweckentfremden versucht hatte. Fünfzehn Stunden zuvor hatte Ross mich vor einem Flughafenmotel in Newark, New Jersey, eingesammelt. Bis dorthin war er bereits mehr als 3.000 Kilometer von Texas aus gefahren, wo er etwas südlich von Houston das große, schlanke schwarze Kraftfahrzeug bei dessen Vorbesitzer abgeholt hatte. Dieser Bob Kirk war 93 Jahre alt, ebenso wie das Auto, das er in den letzten 51 davon besessen hatte: ein 1924er Ford Model T Touring, der nun aus weit auseinanderstehenden, chromblitzenden Augen argwöhnisch auf seinen neuen Halter blickte. »Sieht aus, als würde er gleich anfangen zu reden«, hatte meine Frau gesagt, als ich ihr das Foto zeigte, das Ross mir ein paar Wochen zuvor per Mail geschickt hatte. Möglicherweise würde er genau jetzt damit anfangen: »Hey, Charlottesville! Wollte nur sagen, wie sehr ich mich darauf freue, von diesem verweichlichten Inselaffen quer durch das ganze bekackte Land gejagt zu werden. Kacke und Pisse, Freunde, Kacke und Pisse.«

Unsere Reise würde aufgrund eines bürokratischen Missgeschicks hier beginnen. Manche US-Staaten gestatten es Ausländern, Autos anzumelden, andere, sie zu versichern, aber kein einziger gestattet beides. In meiner Verzweiflung hatte ich mich an Miles gewandt, der in dem großen weißen Haus hinter mir wohnte. Miles, der Lebensgefährte meiner amerikanischen Cousine Patricia, hatte zwei entscheidende Fehler gemacht. Der erste war, bei unserer ersten und einzigen Begegnung, im vorigen Sommer in London, ein Interesse für Oldtimer bekundet zu haben. Sein zweiter war, in Virginia zu leben, sehr nahe der Ostküste, meinem geplanten Startpunkt. Jedenfalls hatten Miles’ anschließende Taten gutgläubigen Edelmuts ihn geradewegs an die Abgründe leichtfertigen blinden Vertrauens geführt. Ich war es gewesen, der dieses uralte Auto für 14.000 Dollar gekauft hatte, aber vor den Augen des Gesetzes und der Versicherungsgesellschaft GEICO gehörte es ihm. Zu lernen, einen Ford T mit souveräner Sicherheit zu fahren, war ein Prozess, der nach übereinstimmender Meinung ein ganzes Jahr oder rund tausend Meilen erforderte, je nachdem, was zuerst eintrat. Jegliches Malheur während meiner langwierigen Lehrzeit würde tiefgreifende negative Auswirkungen auf Miles’ zukünftige Versicherungsperspektiven haben. Und in den Worst-Case-Szenarien, die sich nun reißerisch vor meinem geistigen Auge abspielten, auch auf seine zukünftige Freiheit: ein qualmendes, um eine Bushaltestelle gewickeltes Knäuel alten schwarzen Metalls, unter dem ein Dutzend betagter Beine zuckten; ein großes, schlankes Loch in der Mauer einer Schule.

Wie auch immer, Miles und Patricia waren im Urlaub auf den Bahamas. Ich war von einem halbwüchsigen Neffen ins Haus gelassen worden und mit einem Versicherungsschein und einem Satz Nummernschilder wieder herausgekommen: 286GQ in eckigen Vintage-Lettern, daneben in kleineren Buchstaben der Zusatz »ANTIQUE VEHICLE VA«. Mit trockenen Lippen und flauem Magen beugte ich mich nun hinunter und schraubte sie über Bob Kirks verbeulten Blechschildern an. Hinten, direkt unter dem Ersatzrad, das ans senkrechte Heck des Autos angebracht war, »24FORD TX«. Vorne, hinter der Starterkurbel, die aus dem Kühlergrill herabhing wie ein Thermometer aus dem Mund eines Patienten, sein rühriges Sonderkennzeichen: »Zum Arbeiten zu alt, zum Sterben zu jung, nun sitz’ ich hier mit Muttern rum.«

Das feuchte Gras glitzerte, weitere ungesehene Rasenmäher gesellten sich zur Symphonie und ein paar bezopfte Frauen in fliederfarbenen Leibchen und Shorts joggten geschmeidig vorüber. Dieser Sonntag im Tal der Seligen war die Ruhe vor dem Sturm und ich zog ihn mit einer eingehenden Begutachtung meines betagten Schützlings in die Länge. Der alte Herr Kirk hatte offenbar Schneid. Die Drahtspeichenräder waren in einem dunklen Violett lackiert und eingefasst von aufsehenerregenden Weißwandreifen, die dem kleinen Auto etwas vom Anthill Mob aus Wacky Races verliehen. Verschnörkelte rote Streifen zierten die Türen und die hervorspringenden vorderen Kotflügel. Die schwarze Lackierung war auf Hochglanz poliert und die außenliegenden Chromscheinwerfer blitzten in der Morgensonne. Ebenso der Ford-Schriftzug, der aus dem Kühlergrill einen kecken Grabstein machte.


Meine Habseligkeiten waren in zwei Reisetaschen verstaut. Ich hievte eine auf den Rücksitz und quetschte die andere in das eiserne Gepäckgitter, das an einem der Trittbretter angebracht war und ein wenig an die Falttüren einen alten Fahrstuhls erinnerte. Dann ging ich langsam um das Auto herum und versuchte, mich der zentralen Punkte – naja, überhaupt irgendwelcher Punkte – der kurzen Anleitung zu erinnern, die Ross mir gegeben hatte, bevor er abgefahren war. Als ein Model-T-Fachmann von Weltruf, der selbst etliche monumentale Touren in Vehikeln dieses Typs bestritten und überlebt hatte, war Ross der kompetenteste Lehrmeister, den ich mir hätte wünschen können. Aber während seiner Ausführungen hatten in meinem Kopf die Kräfte von Erschöpfung und überdrehter Panik miteinander gerungen und ich hatte nur sehr wenig behalten. Irgendetwas da unten drunter musste täglich geölt, etwas hier drüben wöchentlich eingefettet werden. Ich klappte die eine Hälfte der Motorhaube auf und blickte angestrengt auf das gusseiserne, rot gummierte Innenleben. Immerhin war nicht viel drin. Die auffälligste Komponente, eine große, auf den Motor geschraubte Metallkaraffe, war die Hupe. Diese gab ein gewaltiges Ahuga! von sich, ein evokatives nostalgisches Röhren, das mir, wie ich bereits jetzt ahnte, in schweren Zeiten Beistand leisten würde. Unzusammenhängende Fetzen von Ross’ Vortrag spulten sinnlos durch meinen Kopf, wie eine verlorene Strophe aus »I am the Walrus«, in der Vokabeln wie Rasenmähervergaser und Bremsbackenstützbolzen wild durcheinandertanzten.

Aufgrund der hinderlichen Präsenz eines aus dem Boden aufragenden Hebels, dessen mannigfache Funktionen ich bald zu erkunden hoffte, hat der Model T keine Fahrertür. In der Touring-Ausführung, wie sie dieses Exemplar verkörperte, gibt es außerdem keine Seiten. Mein Model T war ein dreitüriges aufklappbares Cabriolet, an dem es allerdings nicht viel aufzuklappen gab: Zur Veranschaulichung hatte Ross das eisengerahmte schwarze Segeltuchverdeck zurückgeschlagen, wobei sich aus irgendeiner uralten Falte im Stoff eine verstaubte Sonnenbrille und ein Ohrring lösten. »Sieht nicht so aus, als hätte Bob es oft unten gehabt. Kann ich ihm nicht verdenken, zu dieser Jahreszeit wärst du innerhalb weniger Stunden bei lebendigem Leibe verbrannt.« Wir klappten das Dach wieder hoch und dort beließ ich es fortan auch.

Nun also, mit einem wappnenden Klatschen in die Hände und einem Aufblasen der Backen, entriegelte ich die kleine Metallklappe, die als Beifahrertür diente, stieg auf das Trittbrett und kletterte auf eine Art Chesterfield-Sofa für Arme, das die Sitzbank bildete. Ein bald vertrauter Refrain wurde angestimmt, als ich meinen Platz hinter der senkrechten, geteilten Windschutzscheibe einnahm und meinen Rücken und Hintern in Bob Kirks Holzkugel-Sitzauflage schmiegte. Das behäbige Knarren von Leder und Blattfedern, das sanfte Gluckern des Benzins aus dem 38-Liter-Tank direkt unter mir. Leinwand schürfte meinen Skalp und das hölzerne Lenkrad rieb an meinen Oberschenkeln. Der Model T wies mit geschlossenem Verdeck eine Höhe von mehr als zwei Metern auf, aber die Hälfte davon befand sich unterhalb meiner Füße. Reichlich Bodenfreiheit für die zerfurchten ländlichen Wege, die zu meistern dieses Fahrzeug konzipiert worden war. Das Lenkrad saß mir direkt vor der Brust, und es zu halten, erforderte weit ausgestellte, spitz angewinkelte Ellenbogen. Unten auf dem hölzernen Boden hatten meine Füße Mühe, ein Dickicht aus Pedalen und Hebeln zu bewältigen. Ich saß eine Weile da, mit den Knien am Kinn und gekrümmtem Rücken, eine Haltung, die ich zuletzt bei einem Elternabend einer Grundschule auf einem Kinderstuhl eingenommen hatte. Dies schien mir nicht ganz die optimale Fahrposition für eine transkontinentale Reise zu sein.

Eine letzte Inventur der Informationssysteme meines Model T hielt mich nicht lange auf. Die traditionelle Emphase auf Geschwindigkeit und zurückgelegte Distanz verschmähend, beherbergte das Armaturenbrett eine einzige, zitternde Anzeige, die verriet, ob die Batterie geladen wurde oder nicht. Zu ihrer Linken befanden sich das Zündschloss und der Schalter für die Scheinwerfer. Zu ihrer Rechten eine von Bob Kirks nachträglichen Ergänzungen: ein keckes kleines Thermometer mit einem Kaktus, einer sich aufbäumenden Klapperschlange und dem Wort TEXAS darauf nebst einer dünnen Säule roten Alkohols, derzufolge die Temperatur im Innenraum bereits 85 Grad Fahrenheit, also fast 30 Grad Celsius betrug. Weitere Accessoires von variabler historischer Authentizität waren hier und da verstreut. Ein einzelner runder Rückspiegel, der ans äußere obere Ende der Windschutzscheibe geklemmt war. Eine aus einem alten Truck ausgebaute Blinker-Vorrichtung, bestehend aus einem kleinen Chromstab, der mittels eines Gehäuses an die Lenksäule geklemmt war, das im Betrieb ein schrilles Summen von sich gab. Eine – hüstel – USB-Ladebuchse, die Ross in Eigeninitiative unter dem Armaturenbrett angebracht hatte und in die ich nun das Netzkabel meines Smartphones steckte, dazu eine entsprechende Halterung an der Innenseite der Frontscheibe. Würde ich mein Handy darin einsetzen, würde es mir, zum Preis universalen Spotts, navigatorischen Rat und die aktuelle Geschwindigkeit anzeigen. Die beiden abschließenden Armaturenbrett-Add-ons hatte Ross mit großer Geste präsentiert: »Und hier sind deine Becherhalter.« Streng genommen gab es noch eine Zusatzausstattung mehr: einen silbernen Knopf auf Höhe meines linken Knies. Wie dankbar ich war, dass die meisten Model Ts des Baujahrs 1924 bereits mit einem elektrischen Anlasser ausgestattet waren, wodurch die Handkurbel nur noch im Notfall zum Einsatz kam. Ich drehte den kleinen Blechschlüssel, stellte sämtliche Bedienelemente ein, so gut es eben ging, und senkte meinen klammen, unsicheren Zeigefinger vorsichtig in Richtung des silbernen Knopfs.

Wenn man es genau betrachtet, begann meine Reise nicht in Charlottesville. Sie hatte bereits im November zuvor daheim in Großbritannien begonnen, als meine Frau und ich eines Nachts, die winterliche Morgendämmerung säumte bereits die Gardinen, von einem Tumult auf der Straße geweckt wurden. Unser Sohn, der ein paar Freunde zu einer langen Präsidentschaftswahlnacht vor dem Fernseher eingeladen hatte, war draußen vor der Tür. Wir erkannten ihn an seinem kehligen Bariton, einem Instrument, das uns und unsere Nachbarn nun mit einer ohrenbetäubenden Darbietung von »Star-Spangled Banner« quälte. Es war sein Tonfall, ein offenkundiger, schwer derangierter Sarkasmus, der uns umgehend und grauenvoll klarmachte, dass in dieser Nacht das Unerwartete, das Undenkbare, tatsächlich eingetreten war. »Verkackte Arschgesichter«, brummelte ich und wir lagen im Halbdunkel da, die Hände unter der Bettdecke verschränkt.

Nur fünf Monate waren seit der letzten langen Gruselnacht vergangen, als 48 Prozent von uns unvermittelt in Brexit-Britannien aufgewacht waren und in entsetzter Fassungslosigkeit an unsere Schlafzimmerdecken gestarrt hatten. Diese 52 Prozent – wer waren diese Leute? Was hatten sie sich dabei gedacht? Und warum knallen Sie dieses Buch gerade jetzt in der Buchhandlung wieder ins Regal zurück?

Schließlich, und endlich, zeichnete sich nun eine gute Seite des Brexit ab: Das ungläubige Entsetzen, das meinen Haushalt seit dem Referendum erfasst hatte, diente als eine nützliche Impfung gegen den ausgewachsenen Schrecken eines Präsidenten Donald Trump. Aber der Brexit war nur unser ganz privates Unglück, ein idiotischer Schuss ins eigene Knie. Trump zu wählen hingegen fühlte sich eher so an, als würde man gleich der ganzen Menschheit eine Ladung Schrot ins Gesicht verpassen. Als ein Bürger der freien Welt wollte ich von ganzem Herzen verstehen, warum sein selbsternanntes Wahlvolk diesen notgeilen, grapschenden Narzissten, diesen infantilen Schwachkopf, diesen lächerlichen, orangen Scharlatan soeben zu meinem Anführer erkoren hatte.

Der Brexit erinnerte mich daran, wie sehr mir Europa ans Herz gewachsen war; Trumps erschütternde Wahl unterstrich, wie weit ich mich von Amerika entfernt hatte. Vergessen Sie die besondere Beziehung zwischen Briten und Amerikanern und auch die gemeinsame Sprache. Im Hinblick auf Werte, Kultur, Lebensweise und Anschauung – nennen wir es die Gesamtheit menschlicher Erfahrung – schien ich so viel mehr gemein zu haben mit unseren Verwandten vom Kontinent. Selbst mit den Finnen. Selbst mit den Franzosen. Die Amis waren jetzt die Fremden. Die meisten zumindest. Beziehungsweise nicht ganz die meisten, denn trotz Donalds fortwährendem Geblöke hatte er die Wahl gemessen an der Gesamtbevölkerung um drei Millionen Stimmen verloren. Fast jeder Amerikaner, den ich je kennengelernt hatte, lebte an einer der beiden Küsten, und ich hatte mich mit jedem von ihnen stets prächtig verstanden. Aber wie die Karten zur Wahl, die am nächsten Morgen über die Bildschirme flimmerten, sehr deutlich zeigten, hatten sie nicht für Trump gestimmt. Amerika war praktisch in drei Teile zerschnitten: Zwei schmale Streifen Demokraten-Blau säumten eine breite Schneise Republikaner-Rot, die sich über die gesamte Mitte des Landes erstreckte. Die weitgehend ländlichen »Flyover States« hatten einen Stein durch das Fenster der an der Küste lebenden Großstädter geworfen, hatten sie rüde aufgeweckt, diese herablassenden, arroganten Liberalen, die den Großteil des Landes bestenfalls als grünbraunes Nichts wahrnahmen, das man durch ein Flugzeugfenster betrachtet.

Plötzlich erinnerte ich mich daran, in der New York Times den Bericht über eine fast 5.000 Kilometer lange Motorradreise quer durch Amerikas provinziellen Norden gelesen zu haben, die ein Redakteur der Zeitung ein paar Monate vor der Wahl unternommen hatte. Da die meisten der Staaten, durch die er kam, traditionell republikanisch wählten, schenkte er den Trump-Schildern, die entlang der Straße aufgestellt waren, zunächst nur wenig Beachtung. Aber es waren echt eine ganze Menge – er fing an zu zählen, gab aber bei hundert auf. Und viele davon waren monumentale, liebevoll gestaltete Arbeiten: drei Meter hohe, handgemalte Tafeln und bettlakengroße Flaggen. Ein Mann, der vor seiner Kran-Reparaturwerkstatt ein sieben Meter hohes Trump-Banner von der ausgefahrenen Leiter eines alten Löschfahrzeugs flattern ließ, erklärte stolz, dafür 500 Dollar hingeblättert zu haben. In Thorntown, Indiana, nach 4.000 Kilometern auf der Straße, begegnete der Reporter endlich seinem ersten Hillary-Clinton-Poster, einem herkömmlichen Wahlplakat im A3-Format, das in einen Vorgarten gepflanzt war. »Und ich musste hundert Kilometer mit dem Auto fahren, um es abzuholen«, grummelte der betagte Demokrat, der die Tür öffnete.

Die kleinen Städte, die Ebenen und Prärien, das übersehene, achtlos überflogene Herzland der USA: Hier hatte Trump gewonnen, und zwar gewaltig. Falls ich erfahren wollte, warum – und das wollte ich wirklich gerne –, war dies das Amerika, das ich würde aufsuchen müssen.

Niemand, nicht einmal Donald selbst, hatte es kommen sehen; niemand, am wenigsten er selbst, verstand, was es bedeutete. Als die frappierende Realität schmerzhaft ins Bewusstsein drang, versuchten sich die Berichterstatter an einer Bestandsaufnahme. Der Wahlsieg von Trump markierte nach fast einhelliger Übereinstimmung das Ende einer Ära. 1941 verkündete das Time-Magazin in einem Leitartikel, der die Nation ersuchte, zur Verteidigung der Demokratie in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, das »amerikanische Jahrhundert«. Time zeichnete die Vereinigten Staaten als eine fortschrittliche, weltoffene, die Initiative ergreifende Kraft für das globale Gute, den dynamischen Führer des Welthandels, einen internationalen Samariter, der allen Nationen als Beispiel dienen werde, wie man sich zu betragen habe. Diese erhebenden Worte mochten sich in den anschließenden Jahrzehnten nicht immer in entsprechenden Taten niedergeschlagen haben, aber die Absicht war immerhin da. Damit war es nun vorbei. Trump gelobte, Amerikas Zugbrücke hochzuziehen und den Blick der Nation statt in die Zukunft in die Vergangenheit zu richten. »Vor allem aber«, hatte das Time-Magazin seinerzeit überschwänglich deklamiert, »ist uns jenes undefinierbare, unverkennbare Zeichen der Führerschaft zu eigen: Ansehen.« Tja, das war einmal. Das amerikanische Jahrhundert war zu Ende, 25 Jahre zu früh.

Die Schlagzeilen der Fox-freien Welt beklagten ein schmerzlicheres und auch poetischeres Opfer.

»Bedeutet Trump zu wählen, den amerikanischen Traum aufzugeben?«

»Mit Trump im Weißen Haus ist der amerikanische Traum ausgeträumt.«

Ich begann mich zu fragen, was genau diese melodramatischen Nachrufe betrauerten. Viele definierten den amerikanischen Traum als eine simple ökonomische Progression: die Erwartung, ein besseres Leben zu führen, als es die eigenen Eltern taten. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Generation zu Generation – in den USA verlässliche Realität seit hundert Jahren und mehr – war ins Wanken geraten. 94 Prozent der 1940 geborenen Amerikaner verdienten mehr als ihre Eltern; von denjenigen, die 1980 zur Welt kamen, waren es nur noch 50 Prozent. Bei Geringverdienern, dem untersten Einkommenszehntel, war der Rückgang sogar noch gravierender: von 88 Prozent der 1940 geborenen US-Bürger auf 33 Prozent des Jahrgangs 1980. Das Durchschnittseinkommen amerikanischer Haushalte hatte im Jahr 1999 seinen Höchststand erreicht und war danach gesunken. Aber so gerne ich es täte, konnte ich kaum Trump dafür verantwortlich machen: Er war nicht die Ursache dieser Entwicklung, sondern ihre Folge.

Nein, die orangebraune Bremsspur ging zurück auf das Kernprinzip des amerikanischen Traums, den stolzen Egalitarismus, der tief in die DNA des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten eingeschrieben war. »Dieser Traum von einem Land, in dem das Leben besser und reicher und erfüllter für jeden sein soll«, schrieb James Truslow Adams in The Epic of America, jener Abhandlung aus dem Jahr 1931, die diese sinnfällige Redewendung prägte: »Mit Chancen für jeden, je nach Fähigkeit und Leistung … Dies ist der amerikanische Traum, der Millionen Menschen aller Nationen an unsere Küsten gelockt hat.« Mit Anbruch der gespaltenen, polarisierenden, mauerbauenden Dämmerung des Donald ließ sich dies alles nur noch mit einem hohlen Lachen lesen, wobei ich mich allerdings für ein irres Jodeln entschied. Trump hatte es sogar höchstpersönlich gesagt, am Ende seiner berüchtigten Rede, in der er mexikanische Immigranten als Drogenhändler und Vergewaltiger abtat: »Der amerikanische Traum ist leider ausgeträumt.«

In Wahrheit, wie ich nun erfuhr, sehnte sich auch James Truslow Adams damals bereits nach glücklicheren Tagen zurück. Er brachte seine Gedanken inmitten der Depression, der Weltwirtschaftskrise, zu Papier, und seine Worte waren ein retrospektiver Lobgesang auf den goldenen Schlummer, der dem amerikanischen Traum vorausgegangen war. »Wenn wir das heutige Amerika mit dem von 1912 vergleichen, so scheint es, dass wir ein weites Stück zurückgeglitten sind«, schrieb er, bezugnehmend auf das Jahr, in dem die beiden letzten Festlandstaaten sich der Union angeschlossen hatten, somit ein passendes Geburtsjahr für den Traum anführend, der soeben gestorben war.

Ich las weiter, während Adams entschlossen seinen glänzenden neuen Slogan vom »amerikanischen Traum« ausgestaltete und definierte, was dieser bedeutete, indem er hervorhob, was er eben nicht bedeutete. »Es ist kein Traum von materieller Fülle … noch von physischem Komfort und billigen Amüsements … Es ist kein Traum von Kraftfahrzeugen.« Holla, Jimbo. Nun mal halblang. Behalt deine billigen Amüsements, wenn’s denn sein muss, aber mal ernsthaft: Zu behaupten, der amerikanische Traum habe nichts mit Autos zu tun, ist so, als würde man ihm unvermittelt einen Kübel Eiswasser in die friedliche, verschlafene Visage kippen. Fragen sie einen beliebigen Menschen, sich den Traum vorzustellen, und er wird sich ein konsumorientiertes Zauberland mit grünen Wiesen und blauem Himmel ausmalen, dessen Eckpfeiler – Suburbia, Shopping-Mall, Highschool, Familienurlaub – durch Straßen miteinander verbunden sind. Vierrädriges Begehren bildete das Fundament der Kultur, die dem Traum zugrunde lag, und der Arbeitsmoral, die ihn verwirklichte. Wenn man ein Auto wollte und dafür arbeitete, dann bekam man eins. 1964, als Lyndon B. Johnson seinen Krieg gegen die Armut verkündete, waren selbst die rückständigsten Gegenden voller Autos. In den Appalachen besaßen 40 Prozent der ärmsten Einwohner eins und ein Drittel davon war als Neuwagen angeschafft worden. Der Besitz eines Autos war eine Art ungeschriebenes verfassungsmäßiges Recht.

Als die Chinesen Anfang der 1990er Jahre ihr eigenes Wirtschaftswunder ankurbeln wollten, lockerten sie einfach die Beschränkungen, denen der Privatbesitz von Kraftfahrzeugen unterlag. Diese Maßnahme reichte aus, um Millionen junger Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte zu locken. Entwurzelung, Vereinsamung und Jahre seelenloser Plackerei schienen ein kleiner Preis zu sein für einen eigenen fahrbaren Untersatz. 1985 besaßen nur 60 Einwohner von Peking ein Auto. 2000 waren es über eine Million. Selbst 2008, als auf den Straßen der Stadt über drei Millionen Autos fuhren, konnten Erstkäufer kaum an sich halten. »Ich kann es spüren, wenn sie in den Ausstellungsraum kommen«, erzählte damals ein Verkäufer aus Peking der Washington Post. »Die ganze Familie sucht gemeinsam das Auto aus. Die Begierde steht ihnen in die Gesichter geschrieben. Sie nehmen jedes Detail des Autos genau in Augenschein. Nachdem sie es mit nach Hause genommen haben, stehen sie jede Nacht mehrmals auf, um nachzusehen, ob mit dem Wagen alles in Ordnung ist.«

Heute gibt es sechs Millionen Autos in Peking und 163 Millionen in ganz China. Der amerikanische Traum ist mit dem Automobil auf Welttournee gegangen. Und das tat er, weil allgemeiner Kraftfahrzeugbesitz der greifbarste Ausdruck des amerikanischen Traums ist: individuelle Bewegungsfreiheit und sichtbarer Konsum in einem praktischen Paket. Einen kurzen, aber glorreichen Sommer lang, meinen ersten als Ex-Teenager, lebte auch ich diesen Traum.

Es war 1984 und mein Vater hatte den Zuschlag für einen dreimonatigen Auftrag in New York bekommen. Als Ein-Mann-Unternehmen heuerte sein Mikrofilm-Verlag dafür ein Team hartgesottener Söldner an: mich, meine Schwester, ihren Freund und meine Freundin, allesamt Veteranen von Mindata Micropublications beliebtem Dauerbrenner-Spielchen »Stumpfsinnigste Routinetätigkeiten für ein Pfund die Stunde«. Tagsüber saßen wir in einem dunklen Raum irgendwo in Upper Manhattan und drückten mehrere tausend Male die Auslöseknöpfe unserer Bell & Howell Filemaster. Dann nahmen wir die Subway zurück zu unserem Austausch-Apartment in Greenwich Village und versuchten, Baseball zu begreifen, während ein Trupp Kakerlaken sich von unter dem TV-Schränkchen aus auf Patrouille begab. Wir kochten abwechselnd, wobei mein erster Versuch, den zu vergessen mir nie gestattet wurde, darin bestand, in einer Auflaufform Tiefkühl-Zwiebelringe mit einer ganzen Flasche Rosé zu kombinieren. Noch bevor wir eingenickt waren, wurden wir unsanft aus unserem amerikanischen Traum gerissen. Dann in einen alptraumhaften Wachtraum geschleudert, als einigen der größeren Kakerlaken die Gabe schwerfälligen, unberechenbaren Flugs gegeben wurde.

Nach einer Woche begannen mein Vater und ich die Kleinanzeigen zu sichten und bald machten wir uns mit dem Pendelzug auf den Weg hinaus nach Hicksville, Long Island. Wir kehrten, nach Einbruch der Dunkelheit und in einer puckernden Wolke aus Abgasen, auf der ausladenden Sitzbank eines 1970er Oldsmobile Delta 88 Cabrio zurück. Mindatas neuer Firmenwagen war gefühlte sieben Meter breit und 25 Meter lang und hatte eine himmelblaue Lackierung, die weitgehend mit dem Pinsel aufgebracht worden war. Er besaß drei Radkappen und ein Achtspur-Kassettendeck, in dessen Schlitz eine Aufnahme von The Concert Sound of Henry Mancini steckte. Die Beifahrertür war mehr schlecht als recht mittels einer an die Außenseite geschraubten Badezimmerklinke gesichert. Angesichts einer Investition von 350 Dollar stellte das Fahrzeug vielleicht nicht die typischste Spielart aufsehenerregenden Konsums dar, gleichwohl erregte der Wagen zweifellos Aufsehen und, meine Güte, er konsumierte wie nichts Gutes. Im Verlauf der folgenden zehn Wochen verzeichneten wir, meine ich, einen Verbrauch von 30 Litern pro Kilometer.

Unsere Freizeitgestaltung wurde umgehend und auf wunderbare Weise transformiert. Nach Einbruch der Dunkelheit schipperten wir, das schmuddelige weiße Verdeck heruntergelassen und von Mancinis waffenfähiger, das dumpfe Grollen des Wagens übertönender Muzak berieselt, durch Chinatown und Alphabet City, bevor wir an irgendeiner hippen, von Lichterketten beleuchteten Burgerschmiede vorfuhren, »Moon River« an seinem orchestralen Höhepunkt abwürgten und mit großem Getue der Kutsche entstiegen, oftmals mittels eines schwungvollen Satzes aus dem Sitz heraus direkt auf den Gehsteig. Eine Stunde später kamen wir wieder heraus und das Auto war weg. »Hm, kam gerade ’n Abschleppwagen und hat die Karre huckepack genommen, Alter, was soll ich sagen?« Wir lernten es nie. Die Gebühren für das Auslösen kosteten uns mehr als der Wagen selbst.

Jedes Wochenende war ein kleiner Roadtrip, wir fuhren die Ostküste rauf und runter, nach New England hinein und wieder hinaus, bis hinunter nach Virginia. Wir hielten an jedem Garagenflohmarkt, den wir sahen und füllten den riesigen Kofferraum des Oldsmobile, in dem man leicht eine Leiche hätte unterbringen können, mit ironischer Kleidung und ausgedientem Americana-Plunder – alte Diner-Schilder, ein Baseball-Handschuh, die erstaunlichen Rücklichter eines 1950er Mercury, die aussahen wie verkleinerte, aus Chrom und rotem Glas geformte Modelle des Sydney Opera House. Die Sonne schien immer und stets erfüllten Henrys anschwellende Streicher die warme Brise. Summertime und das listening war easy. Das Fahren bisweilen allerdings nicht. Radkappen lösten sich in schöner Regelmäßigkeit von selbst und kollerten fröhlich in die Binsen. In schärferen Linkskurven schwang die Beifahrertür auf und eines Tages, wir fuhren soeben in den Lincoln Tunnel ein, versagten die Bremsen komplett ihren Dienst. Unser Vater holte uns unter heftigem Einsatz von Handbremse und zwischen zusammengebissenen Zähnen herausgepressten Flüchen irgendwie wieder zurück.

Er war der einzige versicherte Fahrer, was mich dazu zwang, meinen amerikanischen Traum auf privaten Straßen auszuleben. Noch heute werde ich regelmäßig daran erinnert, dass ich, während der Rest der Gruppe loszog, um sich an Thomas Jeffersons Haus oder einer von Frank Lloyd Wrights berühmten architektonischen Schöpfungen zu ergötzen, auf einem Parkplatz von der Größe von Hampshire herumgurkte, den linken Ellenbogen auf eine heiße blaue Tür gestützt. Ich bereue nach wie vor nichts. Selbst bei Schritttempo haftete der Erfahrung etwas Erhabenes und Episches an, ein Gefühl von Initiation: Seht her, ich fahre dieses riesige Auto in diesem riesigen Land. Der Wagen war der unumstrittene Star der Reise. Wann immer ich nachdenklich das »USA 1984«-Fotoalbum meiner Erinnerung aufschlage, taucht der Oldsmobile auf jeder Seite auf. Nur auf dem Cover sieht man leider die Aufnahme jenes Typen mit dem riesigen Afro, der einmal, mit nichts als einem gelben Rucksack bekleidet, auf der Fifth Avenue auf Rollerskates an uns vorbeirauschte.

Eines Samstags fuhren wir hinaus nach Rhode Island und übertrieben es mit den Flohmärkten: Als die Dämmerung über uns hereinbrach, war mein Vater zu müde, um heimzufahren, und zu vernünftig, um drei Motelzimmer zu bezahlen. Wir rumpelten von der Straße auf einen schmalen Feldweg und parkten am Rande eines brachliegenden Ackers. Aber so groß der Oldsmobile auch gewesen sein mochte, er war kein Schlafzimmer für fünf Erwachsene. Nach ein, zwei Stunden gemeinschaftlichen, zappeligen Schnaufens stieß der Freund meiner Schwester eine frustrierte Verwünschung aus, kletterte geräuschvoll aus dem Wagen und legte sich, alle viere von sich gestreckt, auf die Motorhaube. Erstaunlicherweise hörte ich ihn bald darauf schnarchen.

Im zartesten Licht des neuen Tages wankte ich, übernächtigt und von Insektenbissen übersät, durch das knisternde Gesträuch davon, um zu pinkeln. Ich wankte zurück, als hinter mir ein Paar Scheinwerfer langsam die Straße hinaufhüpfte. Ein Motor erstarb, ein Fenster summte herunter und eine Taschenlampe ging an.

»Sir?«

Ich tat mein Bestes, dem sehr ernst wirkenden Polizeibeamten, der nun seinem Wagen entstieg, unsere Situation zu erklären, aber das war von vornherein kein leichtes Unterfangen. Mein zukünftiger Schwager lag bewusstlos auf der Motorhaube, alle viere von sich gestreckt, mit einem schwarzen Lee-Van-Cleef-Hut über dem Gesicht. Es war ein rekordverdächtiger Tag an den vorstädtischen Wühltischen gewesen und als der Beamte zu dem Oldsmobile schritt und hineinblickte, folgte ich dem Strahl seiner Taschenlampe über einen schlafenden Wust aus extravagantem Kitsch und offenen Mündern. Ich erinnere mich an eine Menge Lurex und Fell. Selbst mein Vater, der mit dem Kinn auf der Brust hinter dem Steuer saß, hatte eine orangerot gesäumte Segelmütze auf dem Kopf. Erst jetzt kam mir in den Sinn, die Davy-Crockett-Mütze und die übergroße John-Lennon-Sonnenbrille abzunehmen, die ich nächtens im verzweifelten Versuch aufgesetzt hatte, mir die Mücken vom Leibe zu halten.

Ich habe die Mütze immer noch und auch die Mercury-Rücklichter. Und ein verblassendes Polaroid, auf das ich nur wenige Tage nach Trumps Wahl zufällig in einem Nachtschränkchen stieß. Es zeigt mich, in einem kreischend bunten Hawaiihemd und mit der klapprigen Lennon-Sonnenbrille auf einem Gehsteig in Manhattan, den Arm um eine Ronald-Reagan-Pappfigur gelegt. Wir beide strahlen bis über beide Ohren: Nie sah ich so glücklich aus, neben einem Republikaner zu stehen, insbesondere einem, den umarmen zu dürfen mich soeben fünf Dollar gekostet hatte. 1983 hätte ein findiger Straßenhändler auf jedem Gehsteig des Landes Ronnie aufstellen und damit ein paar Dollar verdienen können. Aber ein Trump-Aufsteller wäre radioaktives Marmite. Vor allem in Manhattan, seiner Heimat, wo mehr als 90 Prozent der Wähler ihr Kreuz woanders gemacht hatten.

Und als ich auf Ronnie und mich blickte, Arm in Arm lächelnd, dachte ich zurück an den Sommer ’84 und jene friedvollen Tage auf offener Straße mit offenem Verdeck, trauerte um meine verlorene Jugend und Amerikas verlorene Gemeinschaft. Ich dachte weiter zurück bis ins Jahr 1912, als der amerikanische Traum geboren wurde. Und eine Mission begann verschwommen Form anzunehmen: ich, gemächlich durch die kleinstädtischen, großflächigen Staaten fahrend, die man heute eigentlich nur noch überflog, diese plötzlich so fremden Außenposten des Trumpland. Die Route legte sich quasi von selbst fest, in Gestalt einer fesselnden Wahlkarte, auf die ich in der Washington Post gestoßen war. Diese teilte die Nation in ihre 3.142 Countys und färbte jedes einzelne entweder Trump-Rot oder Hillary-Blau, je größer die Gefolgschaft in den einzelnen Wahlkreisen, desto kräftiger der Farbton. Ich lud die Karte herunter und druckte sie aus, die blutrote Scharte bemerkend, die die Appalachen und den Mittleren Westen durchzog, sowie den satt braunroten Grat, der sich von Texas aus nordwärts bis zur kanadischen Grenze zog. Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass es möglich wäre, ausschließlich durch Trump-wählendes Territorium quer durch die Vereinigten Staaten zu fahren, sofern man bereit war, ein paar Umwege und eine Gesamtstrecke von mehr als 10.000 Kilometern in Kauf zu nehmen, was mehr als dem Doppelten der Luftlinie entsprach. Damit war die Sache gebongt. Ein Roadtrip durch den amerikanischen Traum, von Küste zu Küste und von der Wiege bis zur Bahre. In dem Auto, das ihn damals aus der Taufe gehoben hatte, vor mehr als hundert Sommern.

T wie Trouble

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