Читать книгу Eisenzwerg - Timo Rebus - Страница 10
Der Eisenzwerg kehrt zurück
ОглавлениеJener Mann, der später die Polizei gerufen hatte, sammelte schon ziemlich lange Gartenzwerge und stellte viele von ihnen mitleidlos in seinem Garten in die pralle Sonne. Klar, daß sich unser Eisenzwerg da gar nicht wohl gefühlt hatte. Er mochte
es nicht besonders, im Freien zu stehen. Erstens hatte er keine gute Farblackierung ( die neue Lackierung war ja nicht komplett), die ihn vor dem Regenwasser hätte
schützen können und er haßte das Gefühl, wenn das Wasser an ihm herunterlief. Dann konnte er nämlich fühlen, ja spüren und sehen wie er rostete. Rost ist ein Problem für einen Eisenzwerg.
Der Eisenzwerg zog eine saure Miene. Es gefiel ihm nämlich gar nicht in dem Garten, in den man ihn wieder zurückgebracht hatte. Aber es war weit und breit
kein Versteck auszumachen und er wußte nicht, ob er in einer Nacht weit genug abhauen könnte, um unentdeckt zu bleiben. So harrte er erst einmal aus und ließ sich widerwillig die Sonne auf die Mütze brennen. Seine Lage gefiel ihm überhaupt nicht. Er wurde richtig heiß und fing zu schwitzen an.
Am Nachmittag kam dann ein Wolkenbruch und das Wasser lief an ihm herunter. Der kleine Eisenmann schaute griesgrämig drein und dachte traurig: „Jetzt roste ich wieder. Keiner hat mich vollständig angemalt.“
So mancher Spaziergänger, der vorbeikam, wunderte sich wie unbehaglich doch dieser seltsame Zwerg dreinblickte. Und als eine junge Frau mit ihrem Kinderwagen vorbeikam, sagte sie zu ihrem Baby: "Guck einmal, viele Gartenzwerge im Garten. Und einer schaut ganz griesgrämig drein. Der ist ja zum Fürchten. Komm da gehen wir weiter, denn der macht dir ja richtig Angst, der Gartenzwerg." Und tatsächlich, der Gartenzwerg blickt griesgrämig drein, griesgrämiger als jemals zuvor, so ultimativ griesgrämig, wie ein Eisengartenzwerg überhaupt dreinblicken konnte.
Da geschah es, daß am selben Nachmittag ein kleiner Bub mit dem Fahrrad vorbeifuhr. Es war ein altes Fahrrad mit erheblichen Gebrauchsspuren, aber es war top in Schuß. Es war Albert, der genau wußte, was er an seinem alten Drahtesel hatte und er pflegte ihn regelmäßig und mit Akribie.
Nun blickte er auf die vielen Gartenzwerge und entdeckte dabei auch seinen Eisenzwerg!
„Oh, da ist er ja wieder. Aber wie schaut denn der drein, der schaut ja ganz anders drein, als ich ihn kenne. Bestimmt fühlt er sich hier nicht wohl. Aber gut, er ist ja nun mal verkauft und er gehört nun dem Mann. Dann muß ich das wohl so lassen.“
Aber der Gartenzwerg hatte Albert erkannt und dachte, daß es im Garten des Buben doch viel schöner gewesen war. Da hatte es viele Bäume gegeben, die genügend Schatten auf ihn hatten werfen können und er hatte im Schuppen unterkriechen können, wo es ihm nicht
auf die Mütze geregnet hatte und er nicht so viel hatte rosten müssen. Das war viel besser gewesen. Und dieser Typ hier nannte sich ausgerechnet Gartenzwergsammler, hatte Gartenzwerge herumstehen, die alle ganz eigenartig aussahen: Welche aus Plastik – igitt! Und welche aus Ton.
„Und ich als Eisenzwerg bekomme nicht meinen gebührenden Platz. Ich bin der größte und schwerste hier. Und was macht dieser ungehobelte Mensch? Er läßt
mich einfach an der prallen Sonne schwitzen und im Regen rosten. Ach!“
So geschah es, noch in der selben Nacht, daß der eiserne Zwerg anfing sich darüber Gedanken zu machen,
wo er denn hingehen könnte.
Aber wie es halt so geht, am späten Nachmittag gab es einen Wolkenbruch
und der Regen hörte zwar nach einer halben Stunde auf, aber nach zwanzig Minuten regnete es wieder. Ein typischer Spätmairegen. Es regnete immer mal wieder. Und zu allem Überfluß kam dann auch noch ein Hund vorbei und hob das Bein. Das war dann auch dem armen Zwerg wirklich zuviel, konnte er sonst in anderen Belangen noch so standhaft und eisern sein.
„Verflixt noch einmal! Das ist mir alles zuviel Wasser und ich kann ja regelrecht zusehen wie ich roste!“
Der kleine Albert aber hatte noch kaum einen Gedanken an seinen Eisenzwerg verschwenden können, denn er hatte Wichtiges vor. So fuhr er weiter und dachte, daß alles in bester Ordnung wäre.
Der arme Zwerg blickte also traurig drein und grämte sich.
Dann verfiel er ins Grübeln, grübelte und grübelte, wie er denn hier aus diesem Garten herauskommen könnte, wo er von Hunden als Baum benutzt wurde, wo ihm das Regenwasser von der Stirn tropfte, daß es nur so platschte und er so vor sich hinrostete, wie im Leben nie zuvor. Und zu allem Überfluß mußte er tagsüber auch noch in der prallen Sonne stehen. Nein, nein, das gefiel ihm hier nicht. Da mußt er weg.
Nach zwei weiteren Nächten hatte er so die Eisennase voll, daß er Reißaus nahm . Mitten in der Nacht entschloß er sich, sich wieder zu bewegen und maschierte mit seinen Eisenbeinen schnurstracks zum Hoftor hinaus. Das war zwar versperrt, aber deshalb noch lange kein großes Problem für einen Eisenzwerg. Er druchbrach einfach eine Latte und war draußen. Zuerst lief er nur die Straße entlang.
Ein Auto kam und bremste quietschend. Die Insassen waren ein älteres Ehepaar. "He, du Emma, schau mal, ich glaub ich habe da gerade einen
Gartenzwerg laufen sehen."
" Du bist wohl betrunken, Alter," sagte die alte Emma zu ihrem noch älteren Gefährten.
"Nein doch, da ist gerade ein Gartenzwerg über den Weg gelaufen von rechts nach links, ich habe es genau gesehen."
"Es wird Zeit, daß du ins Bett kommst, du bist doch schon übermüdet und vielleicht hast du auch zuviel getrunken," mutmaßte die Emma besorgt.
Der Zwerg lief weiter und dachte „Oh herrje, beinahe wäre ich entdeckt worden.“
Er saß dann im Gras und wollte gerade zurück auf die Straße laufen, da bekam er das Übergewicht und fiel nach hinten in einen Graben. Und dieser Graben war so eng, daß er sich schwertat sich aus dieser Lage zu befreien und wieder herauszuklettern. Also beugte er sich nach vorne und versuchte es mit Schwung, aber es wollte nicht so recht gelingen. Da kamen gerade zwei junge Männer des Weges. Sie waren wohl auf dem Heimweg von einer Wirtschaft, wo sie offenbar zuviel getrunken hatten. Jetzt torkelten sie grölend und lallend den Wegrand entlang heim. Es war zu einer Zeit, als noch nicht soviel Verkehr auf den Straßen und somit ein Spaziergang wie dieser auch noch nicht so gefährlich war wie heute. Aber dennoch war es auch damals schon von Nachteil, sich so zu betrinken. Sie gingen also einher und dann blieben sie plötzlich stehen.
Der eine sagte: „Du Otto, warte doch ein bißchen, ich muß mal verschnaufen, du läufst mir viel zu schnell."
„Ja, ja Kalle, machen wir hier ein Päuschen und rauchen eine Zigarette.".
Ja, so war die Zeit. Damals rauchten noch viele Leute – vor allem Männer. Heute sind sie krank oder tot. Wenn sie aber noch leben, dann wollen sie wieder einmal von nichts gewußt haben. Und vermutlich sagen sie damit sogar die Wahrheit.
So blieben die Burschen mal kurz stehen und atmeten durch. Der Weg
stieg an dieser Stelle etwas an, zwar nur leicht, aber mit dem Alkohol-Dampf, den sie geladen hatten, taten sie sich wohl schwer, die kleine Steigung ohne Pause zu nehmen.
Wie sie da so standen, sagte der Otto zum Kalle "schau mal, der Mond ist ja schon wieder zunehmend."
„Ja, ja genau wie ich" sagte der Kalle. "Ha, ha, ha."
Und wie sie da so standen und einen Augenblick still waren, hörten sie plötzlich: „Oh, hups."
„He! Da ist doch was. He da in dem Graben! Das hört sich aber nicht
an wie ein Igel," sagte der Otto.
„Das hört sich an wie ein Mensch" sagte der Kalle. „Da muß ein Mensch
im Graben liegen! Komm schauen wir doch mal nach, nicht daß da ein Betrunkener wie wir hineingefallen ist und nun im Graben ertrinkt. Nein, nein da müssen wir helfen."
Otto machte eine Bewegung und Kalle machte eine Bewegung, dabei verhedderten sie sich ineinander und plumps fielen beide in den Graben.
Otto rappelte sich wieder auf. Er ist zwar ein bißchen naß geworden, aber von Kalle war nichts mehr zu sehen.
„Kalle, Kalle, wo bist du?"
Es dauerte eine ganze Weile und Otto rief immer wieder
„Kalle, Kalle wo bist du, mach keine Witze Kalle. Was ist mir dir?"
Schließlich fand er den Kalle ohnmächtig am Boden liegend.
„He Kalle, was ist? Bist du so betrunken, daß dir schon die Sinne schwinden. He, Kalle was ist denn? Kalle, du blutest ja am Hinterkopf. Kalle was ist mir dir?"
Schließlich kam wieder Leben in Kalle und er fing an zu lallen. Zuerst zwar noch unverständlich, aber immerhin.
„Gott sei Dank" sagte Otto," du bist ja wieder bei Sinnen und wieder da, ich dachte schon du wärst für immer von uns gegangen."
„Mein Kopf, mein Kopf!", stöhnte Kalle.“
„ Ja ja, das ist vom Bier," sagte Otto.
„Nein, ich bin auf etwas Hartes gefallen.“, widersprach Kalle „Du mußt mich sofort ins Krankenhaus bringen.“
„ Auf was bist zu denn gefallen? Hier
ist nichts Hartes?"
„Doch, Eisen, irgendein Stück Eisen!"
„Quatsch!", maulte Kalle.
Doch Otto konnte kein Eisenstück entdecken, denn zwischenzeitlich war der Eisenzwerg im Graben etwas bergaufwärts gekrochen.
"Ich kann hier kein Stück Eisen entdecken, du mußt weich gefallen sein. Aber vielleicht war da irgendein Stein oder so etwas. Ich find‘ bloß nichts. Du blutest, das stimmt. Also müssen wir dich ins Krankenhaus bringen. Komm her, ich nehm‘ dich huckepack."
Also, nahm Otto seinen Kumpel huckepack, lief ein paar Meter. Beide fielen wieder hin. Plumps. Nochmals huckepack.
Er lief wieder ein paar Meter,
wieder fielen sie hin. Für die zwei Betrunkenen sollte es ein schwieriger Transport ins Krankenhaus werden. Bis beide schließlich im Krankenhaus, das nur ein paar
hundert Meter entfernt lag, ankamen, waren sie so voller Schrammen, daß sie beide sofort vom Notarzt behandelt werden mußten.
Der Eisenzwerg aber war im Graben weiter gekrochen und war inzwischen in einer Röhre gelandet wo er steckenblieb.
Das ist ganz schrecklich für einen Eisenzwerg. Von vorne kam Wasser und hinten
ragten die Beine nur noch wenig aus dem Rohr hinaus und ständig umsprudelte Wasser seinen Eisenkörper.
Da dachte er, „Oh Gott, wie ich da roste. Jetzt bin ich so alt geworden und in weni-
gen Tagen roste ich wie jahrhundertelang vorher nicht.“
Er ärgerte sich gewaltig. Aber so sehr er auch herumzappelte es gelang im nicht aus dieser Dränage-Röhre wieder herauzukommen. So blieb er also stecken und war unglücklich. Es dauerte lange. Es vergingen ein paar Tage. Die Wut wich Resignation und Trauer. Voller Angst erkannte er, daß er in dieser Lage kaputtgehen würde. Sein langes Eisenmannleben schien auf absehbare Zeit seinem Ende zu zurosten.
Während organisches Leben erst nach dem Tode verweste, schien sein so robustes Eisendasein schon vorher von der Korrossion aufgefressen zu werden. Ja auch er würde auf die Dauer kaputtgehen. Das war durchaus auch eine seiner Ängste. Und was danach kam, wußte er nicht und kam trotz Jahrhunderte immer wiederkehrenden Grübelns und Nachdenkens zu keinem vorzeigbaren und ihn letztendlich selbst überzeugenden Ergebnis. Er versuchte sich aus seinen depressiven Gedanken zu reißen und seinen Pessimismus in Zweck-Optimismus zu wenden. Sein Unglück also im Selbstgespräch rhetorisch abzuschwächen:
„Zum Glück roste ich nicht so schnell, daß ich sofort hin und kaputt bin.“
Albert hatte gerade mal nichts zu tun, bzw. war er in einer Stimmung, wo er sich das nur allzu gerne einredete. Denn natürlich hatte er in Wirklichkeit ständig etwas zu tun. Er war halt so ein Bub, der sich nicht so sehr übers Hausaufgabenmachen und andere Pflichten freute. So erledigte er diese prinzipiell so schnell es ging, packte die Schulhefte recht schnell in den Ranzen zurück, setzte sich auf sein Fahrrad und fuhr in der Gegend herum. Manchmal vergaß er dabei auch die eine oder andere Pflicht. Insbesondere, wenn die Gedanken ihm in Richtung Müllplatz vorauseilten. So wie gestern. Heute war er noch ein wenig zögerlich und unschlüssig und dachte sich im Herumfahren:
„Na ja, jetzt fahre ich noch nicht sofort zum Müllplatz, ich weiß nicht, ob schon
wieder etwas Neues da ist - ich war ja erst gestern dort. Heute ist noch nichts angeliefert worden. Ob ich da heute etwas Neues finde? Na ja, schauen wir mal, vielleicht fahre ich erst wo anders herum.““
So fuhr er kreuz und quer durch die Stadt und auch etwas um die Stadt herum.
Und weil es gerade so ein warmer Tag war, dachte er sich:
„Ach, da hinten in der Nähe des Parks, da ist doch eine Quelle,
da kommt das frischeste Wasser heraus. Das kann man da wirklich bedenkenlos trinken. Da gönne ich mir jetzt ein paar Schlucke.“
So legte er das Fahrrad hin, lief über eine Wiese, beugte sich zur Quelle hinunter und wollte schon mit geschlossenen Augen den Mund aufmachen und sich den Wasserstrahl die Kehle hinunterrinnen lassen. Da bemerkte er, daß der Wasserstrahl nicht so heraussprudelte wie sonst.
Statt in einem geschlossenen festen Strahl aus der Quelle herauszuschießen spritzte das Wasser nach allen Seiten, wie ein zugehaltener Gartenschlauch.
Es sprizelte und sprotzelte nach oben und nach unten und das Wasser kam überall aus der Röhre heraus, nur nicht in einem feinen geschlossenen Strahl. Da dachte er sich, daß da doch etwas drinstecken müsse und schaute genauer hin, blickte die Röhre hoch und was sah er da? Da sah er die Füße vom Eisenzwerg.
„Oh, mein armer Eisenzwerg... ausgerechnet mitten im Wasser.
Verflixt, was mach ich denn jetzt?“
Er nahm den Zwerg, packte ihn an den Beinen und zog ihn mit einer einzigen tierischen Anstrengung aus der Röhre. Als es geschafft war, erschien es ihm, als würde der Eisenzwerg ganz verbiestert dreinschauen. Auf seiner Miene war ein ganz unglücklicher Gesichtsausdruck eingefroren.
„Oh Gott, dachte sich der kleine Albert. Na, der kann ja nicht besonders glücklich
sein. Ihm muß es recht schlecht ergangen sein, dem armen Zwerg. Bestimmt ist er deswegen abgehauen. Den nehme ich jetzt mit nach Hause und stelle ihn wieder in den Schuppen. Dort geht es ihm besser. Hier im Wasser, das ist nichts für einen Eisenzwerg.“
Das hatte Albert sofort richtig erkannt. Dennoch haderte er mit sich selbst:
„Aber , was mach ich denn jetzt mit dem Mann, der mir damals die zwanzig Mark gegeben hat? Ich darf den Eisenzwerg doch nicht einfach behalten!“
Da machte sich Albert auf den Weg und brachte den Eisenzwerg zuerst nachhause in den Schuppen. Dann ging er zu dem Mann, der die Gartenzwerge sammelte und läutete. Ein großer Hund kam bellend ans Tor.