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Als der Müll noch nicht sortiert wurde

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Genau 2514 Jahre später. Es war zu einer Zeit als der Müll noch nicht sortiert wurde. Wie alle Kinder spielte der kleine Albert gerne abseits der Häuser, draußen in der Natur oder besonders gerne auf Müllhalden.

Wie gesagt, es war zu einer Zeit, als der Müll noch nicht sortiert wurde. Es gab noch keine Müllverbrennungsanlagen, keine Müllpyrolyse, wie man die Anlage oder das Verschwelungsverfahren ohne Flamme später nannte. Der Müll war eigentlich noch gar kein so wichtiges Thema wie heute. Wichtig war eigentlich nur, daß man ihn aus dem Hause bekam, ihn irgendwo abliefern konnte. Immerhin das konnte man. Man konnte ihn in der städtischen Mülldeponie abliefern oder einmal wöchentlich abholen lassen. Aber daran hielt sich nicht jeder. So mancher Frevler warf seinen Unrat einfach in den Wald oder in eine der vielen verschilften, mit Teichrosen bewachsenen Altwässer der Günz – anstatt nach Recht und Gesetz geordnet in das städtischerseits dafür bestimmte Altwasser, wo alle den Müll gemeinsam hineinwarfen und auch der dieselbetriebene städtische Lastwagen, der wöchentlich die Tonnen leerte, seine Fracht abkippte.

Also was dem einzelnen verboten war, gemeinsam durfte man es tun. Eine soziale Praxis, die in der vielzitierten und vielkritisierten Ostzone, dem anderen, dem häßlichen, sowjetisch besetzten und beeinflußten Deutschland philosophisch und ideologisch fundiertes Staatsdogma war. Man nannte es Marxismus oder real existierenden Sozialismus. Die gemeinsame Tat war ideologisch stets erstrebenswert, sie schuf einen neuen Menschen als Teil des Kollektivs. Von ähnlichen Appellen befeuert, konnte man, so erzählten jedenfalls die Erwachsenen ständig, sich vor fünfundzwanzig Jahren als Teil des gesunden Volkskörpers profilieren, indem man mithalf sich des kranken Teils zu entledigen. Natürlich war dies auch damals nur in der Gemeinschaft statthaft und legal gewesen. Erst nach dem Krieg hat die Verlierernation, zumindest der westliche Teil davon, lernen müssen, daß Verbrechen immer Verbrechen bleiben, egal ob sie individuell oder im Kollektiv begangen wurden. Die DDR (Deutsche Demokratische Republik) wie man die Ostzone nannte, schien ebenso wie der gesamte sozialistische Osten solche Einsicht noch nicht gewonnen zu haben. Das sollte noch dauern.

Erfahrungen und Erzählungen wie diese, waren geeignet Mißtrauen gegen so manche Form der Gemeinschaft zu säen.

Albert versuchte in der Folge immer wieder Einzelgänger zu werden.

Man besaß also städtischerseits einen Müllplatz irgenwo draußen im Ried, in einem ehemaligen und mit seltenen Pflanzen bewachsenen Torfstich oder in einer vormals sehr idyllischen Altwasserschleife der Günz.

Man hatte einfach einen Zaun um ein Fleckchen Erde gemacht und dann ist der Müll angekarrt und abgekippt worden. Da kam natürlich vieles an ehemaligem Kulturgut zusammen: Vormalige Gebrauchsgegenstände, die nun nicht mehr gebraucht wurden. Vom Hausmüll bis zum Sperrmüll. Letzterer war natürlich besonders interessant.

Der Zaun, der den Müllplatz umfaßte, war leicht zu überwinden, besonders für Buben im Alter des kleinen Albert, ein Alter in dem man naturgemäß über fast alles hinwegkraxeln konnte, über Gräben, Bäume und Hecken und Zäune sowieso.

So kam es, daß der kleine Albert immer mal wieder auf der Mülldeponie stöbern ging. Natürlich war es ganz uninteressant im Hausmüll und in den Essensresten zu stöbern, das war ekelhaft. Es roch unangenehm und es sprangen fette Ratten herum. Des öfteren brannte oder kokelte irgendwo ein Feuerchen, das einen stechenden Geruch von verbranntem Kabelgummi oder anderen olfaktorischen Scheußlichkeiten verbreitete. Aber durch diese Hölle mußte man wohl durch, wollte man in den Himmel aus Sperrmüll-Nippes kommen und unendliche Entdeckerfreuden genießen und mit bisweilen reicher Beute zurückkehren. Albert hatte sich dafür natürlich längst die passenden Techniken antrainiert, die vom Luftanhalten bis zum flachen Atmen oder Taschentuch vor Mund und Nase binden, reichten. So überwand er in Sandalen oder Turnschuhen die Hausmüllbarriere, die nicht nur eine problematische Geruchszone, sondern auch ein Gemenge aus verrottenden, zum Teil schleimigen, Lebensmittelabfällen, Fallstricken und Fußangeln aus Stacheldrahtresten und Undefinierbarem waren und gelangte durch mitunter beißenden Qualm zu der Ecke, wo der Sperrmüll gelagert war. Da waren Möbelstücke, da waren Büroartikel, da waren manchmal Messingteile, alles Dinge, die man heute als Antiquitäten betrachten würde und auch damals für Albert hoch interessant waren und, wie es schien, einen ganz besonderen Nerv, einen archaischen Jäger- und Sammlerinstinkt ansprachen.

Viele der interessanteren Kleinteile waren etwas beschädigt oder zerbrochen, manche waren noch intakt und lediglich patiniert und abgenutzt. So fand der kleine Albert dort einmal ein Schreibset aus Messing wovon nur die Deckelkappe etwas zerbrochen war. Es war ein Füller darin, an dem man hinten schrauben musste, um Tinte aufzufüllen. Viele, viele nützliche Dinge hat der kleine Albert gefunden und sie eifrig nachhause getragen. Manchmal wenn er in der Schule war, dann träumte er davon, was er wohl wieder entdecken würde, auf der Müllhalde.

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