Читать книгу Die Hexe und die Orks - Lehrjahre | Erotischer Fantasy Roman - Timothy Morgan - Страница 5
ОглавлениеVeränderte Pläne
Als Anna ihren Vater hatte überzeugen können, sie endlich, wie er es seit Jahren versprochen hatte, mit auf eine seiner Handelsreisen zu nehmen, wusste sie nichts von Orks, nichts von ihrer Sprache, nichts von Karaatasch, wenig über ihren Vater und auch wenig über sich selbst. Sie war achtzehn Jahre alt und sehr zufrieden mit sich, wie sie in dem mit gelben Stoff bespannten Wagen saß, der den Abschluss der kleinen Handelskolonne bildete. Das helle, sanfte Licht des Spätherbstes fiel durch das Tuch, tauchte das Innere des Wagens in sanfte Farben und funkelte auf der Spitze des Griffels, den Anna in den Händen hielt. Das gemächliche Schaukeln des Wagens ließ den Kasten mit Schreibutensilien leise klappern. Anna rechnete konzentriert. Auf einem Wachstäfelchen reihte sie Zahl an Zahl. Schließlich fand sie das Ergebnis, nach dem sie gesucht hatte und setzte einen dünnen Strich darunter; sie lächelte. Jetzt konnte sie ihrem Vater doch zeigen, dass sie ihm bei seiner Arbeit zur Seite stehen konnte. Obwohl er immer behauptete, dass Schulwissen nichts im Händlerberuf half, hatte sie nur mit dem, was ihre Arithmetiklehrer ihr beigebracht hatten, das Gegenteil bewiesen. Anna schlug die Plane des Wagens zurück und sprang in einen sonnigen Herbstnachmittag hinaus. Die Kolonne, die aus drei Wagen bestand, zog gemächlich an einem Waldstück vorbei. Die Blätter leuchteten golden, die Hufe der Zugpferde klopften langsam über den gepflasterten Weg. Die Wachmannschaft, von der Anna nicht wusste, wozu sie sie eigentlich brauchten, schritt wachsam wie eh und je neben den Wagen her. Die Blicke einiger der Männer folgten ihr; sie hatte das Gefühl, dass sie, immer wenn Anna in der Nähe weilte, besonders auf sie achten wollten. Vielleicht hatte ihr Vater sie extra instruiert. Jetzt konnte sie auch schon seine Stimme vom ersten Wagen her hören. Er war zornig – wie so oft.
Anna wusste, dass man ihren Vater, Karsten, oft den garstigen Karsten nannte, aber sie wusste auch, dass er tief in seinem Inneren ein guter Mann war, der sich sehr um seine Frau, seine Tochter und seine Angestellten sorgte. Sicherlich tat man ihm mit einem solchen Spitznamen unrecht.
»Eine Abmachung wird nicht einfach so geändert, nur weil man seine Arbeit nicht mehr machen will! Was glaubst du, wo ich wäre, wenn ich versuchen würde, auf die Art Geschäfte zu machen! Sicher nicht dort, wo ich jetzt bin! Dafür sollte man Banditen wie dich enthaupten! Vierteilen, damit die ganze Stadt noch Spaß daran hat!«
Inzwischen war Anna nahe genug am Wagen, um die Stimme des Anführers der Wächter hören zu können. Er war ein ruhiger Mann, den Anna bisher nie auch nur in Eile, oder gar zornig gesehen hatte. Seine Männer nannten ihn den Müller.
»Karsten, es ist Teil unserer Abmachung, es bringt dir überhaupt nichts, zu schreien. Falls sich zeigen sollte, dass die Kolonne in konkreter Gefahr ist, waren drei Gold pro Kopf mehr ausgemacht. Nun, hast du den abgebrannten Hof gesehen, oder nicht? Und sicher willst du nicht behaupten, der Bauer, seine Frau und seine Kinder hätten sich alle zufällig vor der Scheune die Kehlen …« Aber er sprach nicht weiter, als er merkte, dass Anna zuhörte. Karsten, der mit dem Rücken zu Anna stand, drehte sich nach der Störung um und zwang sich zu einem Lächeln.
»Anna, Schatz, ich muss gerade etwas Geschäftliches besprechen. Kann, was auch immer du willst, nicht etwas warten?«
Der Müller stand auf und wandte sich zum Gehen.
»Sprich mit deiner Tochter, Karsten. Vielleicht wird dich das überzeugen, dass deine Leibwächter die letzten sind, die du um ihren Lohn prellen möchtest.«
Karsten folgte dem Müller aus dem Zelt, schien ihm noch etwas hinterherrufen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und wandte sich an Anna.
»Mädchen, was willst du denn?«
Gerade war Anna in Gedanken noch bei den Worten des Müllers gewesen, jetzt aber fiel ihr das Wachstäfelchen in ihren Händen ein und sie lächelte. Endlich würde sie ihren Vater beeindrucken können! Ihr Vater lief in Richtung des Endes der Kolonne und sie folgte ihm.
»Nun, Vater, du weißt doch noch, wie du sagtest, dass ich mit meinem Schulwissen hier überhaupt nichts schaffen könnte, und ich meinte, genau deshalb wolle ich ja mitkommen, damit ich etwas lernen könne? Ich glaube, wir werden jetzt beide etwas lernen. Weißt du, was ich getan habe?«
Karsten blickte nervös in Richtung des Waldes und der Wächter, die, wie Anna etwas irritiert merkte, ihre Sachen zu packen schienen. Stockend fuhr sie fort.
»Also, ich bin die Bücher durchgegangen. Und, na ja, die Zahlen …«
Plötzlich fuhr Karstens Kopf ruckartig zu ihr herum. Sein Blick erinnerte sie an eine Schraubzwinge; plötzlich hörte er ihr ganz genau zu.
»Was ist mit den Zahlen, Mädchen?«
»Ich … also, ich will ja nicht sagen, dass du einen Fehler gemacht hast, aber … aber, wenn die Magistrate deine Zahlen prüfen …«
Karsten packte sie am Arm und drückte sie gegen die Zeltplane des Wagens.
»Mädchen«, zischte er, »du auch? Du auch? Von allen warst du die Letzte, von der ich es erwartet hätte. Willst du also auch an mein Gold, ja? Aber …«
Anna verstand nicht, was ihr Vater meinte. Warum sollte sie an sein Gold wollen? Sie waren doch eine Familie! Und überhaupt, sie hatte ihm doch nur von einem Fehler …
Aber genau wie Karsten in seinen Worten, wurde auch Anna in ihren Gedanken unterbrochen, als einer der Wächter mit einem dumpfen Aufprall zu Boden ging.
Karsten blickte sich verdutzt um, gewann aber die Fassung zurück und zischte seine Tochter an: »In den Wagen! Wir klären das später.«
Dann zückte er einen Dolch, drehte sich um und schrie: »Angriff! Wir werden angegriffen!«
Wie auf sein Stichwort ergoss sich ein Hagel aus Armbrustbolzen aus dem Waldstück. Einer von ihnen durchbohrte direkt neben Annas Kopf das gelbe Tuch des Wagens, in dem sie noch vor wenigen Minuten ruhig gerechnet hatte. Um sie herum brach Chaos aus, Menschen sanken unter Schreien zu Boden und die Pferde wieherten laut vor Angst. Die Wachen, die eben noch die Händler im Stich lassen wollten, formierten sich jetzt zwischen den Wagen und dem Waldrand. Aus dem, unter lautem Gebrüll, eine Horde schmutziger und wilder Männer gestürmt kam. Anna beeilte sich, im Wagen zu verschwinden. Das geheime Fach im Boden, in dem ihr Vater die verschiedenen, von ihm so innig verehrten Geschäftsbücher aufbewahrte, sollte gerade groß genug sein, damit sie sich darin verstecken konnte. Während sie den Rand der Klappe mit zittrigen Fingern nach dem gut eingepassten Öffnungsmechanismus abtastete, hörte sie von draußen das Aufeinanderschlagen von Waffen, die wilden Schreie der Angreifer und die ruhige Stimme des Müllers, der wieder und wieder Befehle rief – bevor er mitten im Satz verstummte. Annas Herz pochte wie wild, als sie die Klappe über sich schloss und versuchte, sich zu beruhigen. Sicherlich würden die restlichen Wächter die Situation meistern können. Sicherlich! Ihr Vater wäre doch niemals ohne ausreichenden Schutz in die Randgebiete des Königreichs gezogen …
Doch dann hörte sie, wie direkt neben dem Wagen jemand auf die Knie gestoßen wurde, gefolgt von einem widerwärtigen, gurgelnden Geräusch. Jemand lachte.
»Das war der Letzte!«, gefolgt von mehr dreckigem Lachen. Die Wächter waren tot, vielleicht auch alle anderen. Anna war allein.
***
Vorsichtig, ganz vorsichtig und so leise, wie sie nur konnte, drehte sich Anna in ihrem Versteck und Gefängnis. Sie durfte auf gar keinen Fall ein Geräusch machen, wer wusste schon, was die wilden Männer dort draußen mit ihr machen würden, würden sie sie entdecken! Aber sie hatte einen Lichtschimmer durch einen Spalt in den Brettern sehen können. Sie musste einfach wissen, was draußen vor sich ging! Sie glaubte, sie hätte die Stimme ihres Vaters gehört …
Die trockenen Bretter, die sie umgaben, knarrten nur leise, trotzdem fürchtete Anna das Schlimmste – aber jetzt konnte sie nach draußen blicken und sah, dass niemand in ihre Richtung eilte, niemand zu ihr herüberblickte. Die Erleichterung, die durch ihren Körper strömte, verwandelte sich fast sofort in eiskalte Angst: Niemand bewegte sich, weil alle Räuber um eine einzelne, kniende Gestalt standen, umgeben von toten Wächtern. Und der Mann, der auf dem Boden kniete, war niemand anderes als ihr Vater, Mund und Nase verschmiert von frischem Blut. Vor ihm stand, unverkennbar, der Hauptmann der Räuber. Er überragte alle anderen Männer um mindestens eine Haupteslänge, seine Schultern waren breit und unter seinem dreckigen Lederpanzer trug er ein grobes, rotes Hemd. Seine Waffe, eine Keule, hatte er neben sich auf den Boden gesetzt, seine Haare und Bart waren ungepflegt. Dann sprach er mit lauter Stimme:
»Ich hab gesagt: Wo ist das Gold! Na los, wo hast du’s, oder willst du weiter überredet werden?«
Ihr Vater spielte, wie Anna es von ihm kannte, natürlich das Unschuldslamm. Sie war erstaunt von so viel Mut! Selbst jetzt, in dieser so hoffnungslosen Situation, gab Karsten nicht auf, versuchte, das Blatt doch noch zu wenden.
»Bitte, ich sagte doch schon, ich habe kein Gold! Waren habe ich, aber noch nichts verkauft, Schrauben und Bolzen, in allen Wagen!«
»Ein Händler ohne Gold. Dass ich das noch erleben darf!« Die Männer, die bisher schweigend ihrem Hauptmann zugesehen hatten, stimmten in dessen Gelächter ein.
»Keiner von euch würde ohne Gold auch nur zum Scheißen gehen. Dafür kenne ich euch zu gut. Ihr zwei!«
Er zeigte auf zwei seiner Männer.
»Geht und holt dem Fettsack ein paar seiner Bolzen. Dass er nur keine Mahlzeit verpasst!«
Wieder lachten die Räuber und Anna hatte das Gefühl, sie könnte den Schweiß auf der Stirn ihres Vaters ausbrechen sehen. Er fing an, zu sprechen, wurde aber rüde durch einen Schlag des Hauptmanns unterbrochen. Karsten fiel auf die Seite und blieb still liegen.
»Du hattest deine Chance, Trödler. Jetzt wirst du fressen, und am Ende kriegen wir dein Gold trotzdem.«
Annas Herz pochte – wenn sie nun ihren Vater töten würden – musste sie zusehen – sie konnte nichts tun – musste sich verstecken – aber ihr Vater? Was sollte sie nur tun? Zusehen, wie er gefoltert wurde? Sie wollte schon die Holzklappe über sich öffnen, nach draußen klettern und sie wusste nicht, was tun, als ihr Vater wieder versuchte, zu sprechen. Er hatte sich aufgerappelt, aber wieder schickte ein Schlag des Hauptmanns ihn zu Boden. Anna konnte unmöglich helfen, was sollte sie gegen diese Monster ausrichten? Eine eiserne Hand schien ihr Herz zu greifen und es zusammenzudrücken. Sie konnte ihrem Vater nicht helfen. Sie konnte nur zusehen.
Aus dem ersten Wagen kamen jetzt die zwei Räuber und schwenkten triumphierend einen Eimer, der laut rasselte. Sie stellten, unter Jubelrufen der Zusehenden, die Bolzen vor ihrem Hauptmann ab, der mit einer Hand hineinlangte, bösartig grinste und sich wieder Karsten zuwandte. Die zwei Räuber, die die Bolzen geholt hatten, griffen ihn fest unter seinen Armen und zerrten ihn auf seine Knie. Ein dritter sprang dazu und zwang seinen Kiefer nach unten. Anna konnte seine vor Furcht geweiteten Augen sehen, als der Hauptmann nach einem Blechtrichter griff, der von seinem Gürtel hing.
»Sei froh, Alter«, knurrte der Hauptmann, »dass du Eisenwaren transportierst. Viel mehr Spaß macht uns das Ganze bei Bauern, die gerade Gülle austragen!«
Das Gelächter der Banditen brandete über Anna hinweg. Ihr Vater begann, zu zappeln, sich zu wehren, hatte aber keine Chance gegen seine Peiniger. Der Hauptmann rammte ihm den Trichter zwischen die Zähne und hielt ihn in Position. Karsten presste seine Augen panisch zu. Tränen sickerten durch die geschlossenen Lider. Auch Anna weinte, Tränen der Angst, der Hilflosigkeit und des Zorns. Wie konnten diese Kreaturen es wagen? Was gab ihnen das Recht dazu?
Der Augenblick streckte sich. Der Hauptmann ließ einige der Bolzen zurück in den Eimer fallen. Er griff hinein, wühlte in ihnen herum.
Auf den Knien, nah vor Karstens Gesicht, fragte er:
»Händler. Du hast Gold, nicht wahr?«
Karsten nickte panisch und schnell.
»Viel Gold, nicht? Der Eisenhandel ist lukrativ in diesen Tagen?«
Karsten nickte erneut. Noch immer wagte er es nicht, seine Augen zu öffnen.
»Wirst du uns geben, was wir wollen?«
Karstens Augen flogen auf, starrten kurz in die des Hauptmanns. Dann nickte er, und der Hauptmann zog ihm langsam den Trichter aus dem Mund.
Anna wagte es nicht, erschöpft auszuatmen. Vielleicht würden sich die Räuber ja doch mit dem Gold ihres Vaters zufriedengeben. Aber was, wenn nicht? Jetzt brauchten sie Karsten auch nicht mehr. Aber vielleicht hatte er doch einen Plan? Eine Idee, die Räuber fortzulocken? Sicherlich würde er ihnen nicht sagen, dass das Gold im ersten Wagen lagerte, in einem Versteck ganz ähnlich demjenigen, in dem sie selbst gerade lag.
»Das Gold … mein Gold«, wimmerte Karsten, und Anna hatte das Gefühl, dass sein Blick kurz zu ihrem Versteck wanderte, dass er ihr durch den winzigen Spalt hindurch in die Augen sah. »Mein ganzes Gold ist in einem Fach unter … unter den Brettern im … im dritten Wagen versteckt.«
Sofort sprangen einige Räuber los, um das Versteck zu plündern. Anna war starr, fassungslos. Hatte ihr Vater gerade … wusste er … Sie wurde unterbrochen von groben Händen, die an den Brettern über ihr zerrten. Sie fanden den Mechanismus, der die Klappe öffnete, Anna schrie. Die Männer lachten, zogen sie an einem Arm aus der Klappe.
»Ein Bonus, nicht nur Gold, sondern endlich auch frisches Fleisch! Merle wird sich freuen …«
Der eine hielt Anna fest, der andere suchte unter den Rechnungsbüchern nach Gold, aber vergebens.
»Verdammich, der Alte hat wieder gelogen!«
Sie zogen Anna aus dem Wagen heraus, die noch immer benommen war von der Tat ihres Vaters. Sie wehrte sich nicht.
Schweigend beobachtete die Räubermeute, wie sie aus dem Wagen bugsiert und vor den Hauptmann gestellt wurde. Der musterte sie mit steinerner Miene, dann breitete sich unter seinem dichten, schmutzigen Bart ein breites Grinsen aus. Anna bemerkte, wie merkwürdig hell seine Zähne waren.
»Schaut euch das an, Jungs«, brüllte er und griff sich Anna, »was für einen Spaß wir mit ihr haben werden!«
Damit zog er fest an Annas Arm, sodass sie herumgewirbelt wurde, presste ihren Rücken gegen seinen Bauch und zerrte mit beiden Händen ihr Kleid von ihren Schultern, sodass ihre nackten Brüste für alle Räuber zu sehen waren. Jubel brach aus, und in dem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit hechtete Karsten von den Knien nach vorne auf seine Füße und wand sich wie das Wiesel, das er war, zwischen den Räubern hindurch zum Wagen.
Der Hauptmann hob seine Hand.
»Lasst den Feigling laufen! Wir haben heute etwas viel … viel Besseres gefunden als sein Gold!«
Anna sank zu Boden, unfähig, sich länger aufrecht zu halten. Sie hörte, über das Jaulen und Toben der Banditen, wie ihr Vater dem Pferd die Peitsche gab und verschwand. Er hatte sie verraten und verkauft. Nackt und hilflos einer Horde Männer überlassen, die vor dem Töten, und Schlimmerem, nicht zurückschreckten.
Man knebelte und fesselte sie. Sie ließ es geschehen. In einem der erbeuteten Wagen wurde sie ins Lager der Räuber gefahren. Der Griffel, den sie vor wenigen Minuten noch benutzt hatte, schaukelte über ihr: unerreichbar, da sie nicht einmal eine Hand ausstrecken konnte. Und so begann Annas neues Leben, stumm und hilflos. Aber nicht mehr lange.