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Nur eine Legende

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Eingekesselt zwischen zwei klobigen Backsteinhäusern, konnte ich Myres Buchhandlung schon von Weitem erkennen. Mit jedem Jahr splitterte ein bisschen mehr Farbe von dem Schild über der Eingangstür ab, wurden die Seiten der Bücher in der Auslage etwas vergilbter und die Spinnweben in den Schaufenstern dichter.

Doch der ärmliche Eindruck täuschte. Hinter der unscheinbaren Fassade verbarg sich eine wahre Schatzgrube der Literatur; ein Universum, das sich einzig und allein um das geschriebene Wort drehte.

Buchhändler zu sein, ist nicht einfach nur irgendein Beruf, es ist eine Berufung, hatte mir Myre einmal erklärt und wenn es einer wissen musste, dann war es dieser alte Mann, der all seine Liebe und sein ganzes Leben Büchern gewidmet hatte. Ich glaube, in ganz Hyra existiert nicht eine bedruckte oder beschriebene Seite, die er noch nicht gelesen hat.

Ich strich meine Kleidung glatt, kämmte mit den Fingern meine Haare zurück und betrat die Buchhandlung.

Die Tür war kaum hinter mir ins Schloss gefallen, überwältigte mich auch schon dieser einzigartige Geruch, dem jeden Ort, der viele Bücher beherbergt, innewohnt. Es roch nach Leder, Leim, Tinte, Papier und Staub.

Mein Blick wanderte über die dicken Schwarten und Manuskripte, die sich bis zur Decke stapelten, doch von dem alten Buchhändler fehlte jede Spur.

»Myre?«, rief ich in das Durcheinander und hinter einem mannshohen Turm aus Büchern hörte ich ein lautes Rascheln. Schließlich trat eine hagere, gebeugte Gestalt hinter den Romanen hervor.

»Felis!«, schallte es durch den Raum und der alte Mann humpelte eilig auf mich zu.

»Myre!«, erwiderte ich die Begrüßung und kam ihm lächelnd entgegen. Erleichtert betrachtete ich sein vertrautes Gesicht, das sich seit unserer letzten Begegnung kaum verändert hatte. Vielleicht war die eine oder andere Falte in seinem Gesicht hinzugekommen, doch seine klugen Augen funkelten heller denn je.

»Lass dich ansehen!«, befahl er und musterte mich von Kopf bis Fuß, wobei sein Blick missbilligend auf das Schwert an meiner Hüfte fiel. »Erlauben sie euch Mädchen immer noch wie wilde Kerle mit Messern und Schwertern herumzulaufen? Das ist unmöglich! Zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben!«

»Das sagst du jedes Mal, Myre«, schmunzelte ich.

»Ist doch wahr! Sie sollten Frauen nicht beibringen mit Waffen umzugehen.«

»Ich bin froh, dass ich mich verteidigen kann, wenn ich muss.«

Myre schüttelte den Kopf und verschwand hinter einem Regal, dessen Bretter unter dem Gewicht der dicken Wälzer, die sie trugen, bedrohlich durchhingen.

»Wo ist Mephisto?«, hörte ich seine gedämpfte Stimme.

»Der ist vorhin davongejagt, er fängt sich bestimmt eine Maus oder so etwas«, meinte ich und versuchte Myre zwischen den Manuskripten wiederzufinden. Für sein Alter war er noch ganz schön flink.

»Hast du das Buch bekommen?«, erkundigte ich mich. »Die Königin kann es kaum erwarten. Sie spricht von nichts Anderem mehr.«

»Natürlich habe ich es, was denkst du denn?«, antwortete Myre vorwurfsvoll. »Aber ich habe noch etwas viel Interessanteres gefunden! Ich muss es dir unbedingt zeigen. Wo ist es denn? Ich habe es doch gestern hier hingelegt.«

»Wo bist du?«, fragte ich und lief in die Richtung, in der ich ihn vermutete.

»Hier drüben!«, kam es von der anderen Seite. »Ha, da ist es ja!« Ich drehte mich herum und beobachtete Myre, wie er hinter einem Regal mit einem Stapel loser Blätter unter dem Arm hervorstolperte.

»Schau mal, Felis. Das habe ich einem Fliegenden Händler letzte Woche abgekauft. Unglaublich welche Schätze auf Hyras Straßen unterwegs sind! Einfach wundervoll!«

Neugierig nahm ich die Seiten, die er mir freudestrahlend vor die Nase hielt, entgegen und studierte die handgeschriebenen Zeilen. Sie waren in großer Eile verfasst worden, der Autor hatte immer wieder Wörter durchgestrichen und verbessert.

»Das ist eine Abschrift«, stellte ich fest.

»Ganz richtig, es ist aber nicht irgendeine Abschrift, die du da in den Händen hältst. Es ist eine Kopie vom Weißen Schloss im Himmel!«

Myre sah mich erwartungsvoll an, doch ich hatte noch nie von einem Buch mit diesem Titel gehört.

»Das Weiße Schloss?«, wiederholte ich mit gerunzelter Stirn.

»Im Himmel. Es heißt das Weiße Schloss im Himmel. Es ist eine alte Legende über ein Königreich, hoch oben über unseren Köpfen. Im Mittelpunkt steht ein Schloss, so wunderschön und prachtvoll wie wir es uns in unseren kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Ich suche schon so lange nach diesem Buch. Angeblich beschreibt es den Weg dorthin.«

»Glaubst du etwa daran?«

»Natürlich, glaube ich daran! In jeder Geschichte steckt ein Funken Wahrheit. Als mir letzte Woche das erste Mal klar wurde, was ich da in meinen Händen hielt, dachte ich: Myre, auf deine alten Tage, das kann doch nicht wahr sein! Doch die Abschrift ist unvollständig und ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Felis. Bitte erfülle einem alten Buchhändler seinen Lebenstraum und finde das Original. Meine Knochen sind zu alt für solche Abenteuer.«

»Woher hatte der Händler die Abschrift?«

»Von einem Mönch aus Inli.«

Nach langem Hin und Her gab ich schließlich nach und versprach Myre in Inli nach dem Manuskript zu suchen. Wie sollte ich auch nein sagen? Ich konnte die eindringliche Bitte meines langjährigen Freundes unmöglich abschlagen. Dieses Manuskript schien ihm viel zu bedeuten und eine Woche mehr oder weniger auf Hyras Straßen würde ich verkraften.

Myre übergab mir das Buch für die Königin und die Abschrift vom Weißen Schloss im Himmel. Ich verstaute alles in meiner Umhängetasche und verabschiedete mich.

»Ach, Felis?« Ich hatte die Türklinke schon in der Hand, als mich Myres Stimme innehalten ließ. »Ich habe noch eine Kleinigkeit für die Königin von Abnoba, ein Geschenk. Es ist ein Buch, nach dem sie schon sehr lange sucht. Letzte Woche ist es mir zufällig in einem Antiquariat in die Hände gefallen. Ich muss den Buchrücken nur noch an einer Stelle etwas leimen. Komm morgen, bevor du dich auf den Weg machst, noch einmal zu mir, dann ist es fertig und du kannst es gleich mitnehmen.«

»Mache ich«, versprach ich. »Bis morgen, Myre.«

Unruhig drehte ich mich auf die andere Seite. Ich war vor einer gefühlten Ewigkeit aufgewacht und hatte seitdem keinen Schlaf mehr gefunden. Mephisto schlummerte friedlich am Fußende und wurde bei jeder meiner Bewegungen erst hoch und dann wieder hinunter geschaukelt.

Als die ersten Sonnenstrahlen am Himmel erschienen, quälte ich mich schließlich frustriert aus dem Bett. Dabei landete die Decke schwungvoll auf Mephistos Kopf, der erschrocken erst auf den Boden und dann mit einem langen Satz auf das Fensterbrett sprang. Als ich mich auf den Weg ins Badezimmer machte, tat ich so, als würde ich die vorwurfsvollen Blicke des Katers gar nicht bemerken.

Nach meiner Morgenwäsche suchte ich meine wenigen Habseligkeiten zusammen und während ich packte, fiel mein Blick auf das Manuskript, das mir Myre mitgegeben hatte und ausgebreitet auf dem kleinen Sessel lag. Eigentlich hatte ich es gestern Abend durchlesen wollen, doch ich war einfach zu müde und der Gedanke an ein warmes Bett zu verlockend gewesen.

»Ein weißes Schloss im Himmel?«, wunderte ich mich und schüttelte lächelnd den Kopf, als ich die Seiten der Abschrift sortierte und in meine Tasche steckte. »Myre, Myre, wie kann ein belesener und kluger Mann wie du nur an solche Märchen glauben?«

Nachdem ich meine Jacke angezogen hatte, scheuchte ich Mephisto vor die Tür und schloss ab. Wie mit der Wirtin vereinbart, legte ich den Zimmerschlüssel auf den Türrahmen und machte mich auf den Weg.

Gähnend wanderte ich durch die Straßen der Lavendelstadt und außer Mephisto und mir war kaum jemand unterwegs; nur vereinzelt kreuzten wir den einen oder anderen Handwerker, der müde zur Arbeit stolperte.

Hoffentlich war Myre schon wach, dann könnte ich früher los als geplant und mir vor meiner Abreise in aller Ruhe noch ein Pferd besorgen. Zu Fuß müsste ich nämlich sehr zügig gehen, um Inli bis Sonnenuntergang zu erreichen und obwohl die Frühlingstage immer länger wurden, wollte ich auf keinen Fall mehr bei Einbruch der Dunkelheit draußen sein und eine zweite Begegnung mit den Angstfressern riskieren.

Als wir die Buchhandlung erreichten, fiel mir sofort der penetrante Geruch auf, der die Luft vor dem Laden verpestete. Es roch süßlich und erinnerte mich an die toten Mäuse, die der Kater manchmal nach Hause brachte und als Geschenk vor dem Fenster liegen ließ.

Mephisto, der wie immer drängelte, drückte mit seiner Pfote ungeduldig gegen die Tür und zu meiner Überraschung gab sie tatsächlich nach.

»Mephisto!«, zischte ich. »Bleib hier!« Doch mein schwarz-weißer Freund war längst im Inneren des Buchladens verschwunden.

Verwundert betrachtete ich die unverschlossene Eingangstür und bemerkte erst jetzt die Splitter, die wie kleine Zähne aus dem Rahmen herausragten. Jemand hatte sich gewaltsam Zutritt verschafft.

Alarmiert zog ich mein Schwert und als ich die Buchhandlung betrat, unterdrückte ich nur mit Mühe einen überraschten Schrei.

Drinnen bot sich ein Bild unfassbarer Verwüstung. Bücher und herausgerissene Seiten lagen überall verstreut auf dem Boden und die Regale stapelten sich wie umgestoßene Dominosteine übereinander.

Der eigenartige Gestank, den ich schon vor der Tür wahrgenommen hatte, war hier so stark, dass ich hastig den Kragen meiner Jacke über die Nase zog.

Plötzlich raschelte es. Angespannt umklammerte ich den Schaft meines Schwertes und näherte mich dem Geräusch.

Hinter einem Buchregal, das mit etwas Abstand zur Wand ganz am Ende des Raums stand, tauchte Mephisto auf. Er starrte mich eindringlich an und seine Schwanzspitze zuckte aufgeregt. Durch die leergefegten Regalbretter erkannte ich die Umrisse eines Menschen, der zusammengekauert auf dem Boden dahinter lag.

Als ich mit ausgestreckter Klinge vor der liegenden Gestalt zum Stehen kam, war das, was ich sah, wie ein unvorbereiteter Schlag in den Magen und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.

Das Schwert glitt mir aus den zitternden Händen und schlug klirrend auf dem Boden auf. Dabei hallte das Metall unerträglich laut durch den stillen Raum und Mephisto begann kläglich miauend um meine Beine zu streichen.

Ich zwang mich gleichmäßig zu atmen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte sich an dem schrecklichen Anblick jedoch nichts geändert. Ein kleiner, irrationaler Teil von mir hatte gehofft, dass der regungslose, blutverschmierte Körper, der vor mir auf dem Boden lag, einfach verschwinden würde.

»Myre …?«, presste ich geschockt hervor.

Der Buchhändler lehnte mit dem Rücken gegen die Wand und der Kopf war ihm müde auf die Brust gesunken. Ein Auge war blutunterlaufen und zu einem schmalen Schlitz angeschwollen. Die gebrochenen Finger ruhten wie missgebildete Klauen auf den schmächtigen Oberschenkeln des alten Mannes.

Plötzlich entkam seinen blutigen, aufgeplatzten Lippen ein leises Stöhnen. Es lag so viel Schmerz darin, dass ich schluchzend neben ihm auf die Knie sank.

»Myre? Hörst du mich? Ich hole einen Arzt! Ich werde Hilfe holen!« Doch Myre reagierte nicht. »Es wird alles wieder gut«, versprach ich, obwohl ich wusste, dass nichts wieder gut werden würde.

Der Buchhändler öffnete sein unversehrtes Auge und seine Pupille wanderten orientierungslos durch den Raum.

»Du musst es finden …«, hörte ich ihn leise flüstern. »Er sucht es …«

»Was? Was soll ich finden?«

»Lauf weg … Felis … Lauf … Er ist hier …«

»Wer ist hier? Wovon sprichst du?«

»Finde das Weiße Schloss …«, hauchte Myre und das Leuchten in seinem Auge erlosch. Einfach so. Ich konnte nichts dagegen tun. Zurück blieb nur leblose, endgültige Dunkelheit.

Mit einer Hand, die so sehr bebte, dass ich sie fast nicht mehr unter Kontrolle hatte, berührte ich das noch warme Gesicht und schloss das Augenlid meines alten Freundes.

»Ich werde es finden, Myre. Ich gebe dir mein Wort, ich werde es für dich finden.«

Betäubt richtete ich mich auf, griff nach meinem Schwert und floh stolpernd aus dem verwüsteten Buchladen.

Überstürzt eilte ich zum Pferdehändler der Stadt, doch als ich die Ställe erreichte, war noch niemand da und nur die Pferde scharrten ungeduldig nach ihrer ersten Mahlzeit im trockenen Stroh.

Atemlos ließ ich mich auf einen Heuballen, der vor den Fresströgen lag, sinken. Eine fuchsfarbene Stute kam herüber und streckte ihren langen Hals neugierig zu mir hinunter, so dass ich ihren warmen Atem auf meinen Haaren spürte.

Hastig wühlte ich in meiner Tasche nach einem Zettel und Stift und kritzelte mit zittriger Schrift eine Nachricht an die Königin von Abnoba und meine Eltern darauf. Ich schrieb, dass ich auf dem Weg nach Inli war und dass sie sich keine Sorgen machen sollten. Bald würde ich wieder zu Hause sein. Ich hoffte, dass es stimmte. Wenn man fest genug an etwas glaubte, ging es doch auch in Erfüllung, oder?

Ich riss ein Stück Stoff aus dem unteren Ende meines Hemdes und drehte es zu einer dünnen Schnur zusammen.

»Du musst mir einen Gefallen tun«, erklärte ich Mephisto, der mich aufmerksam beobachtete. »Bring diese Nachricht nach Hause, nach Abnoba. Bring sie meinen Eltern.«

Behutsam band ich das Papier um Mephistos Hals, der das Prozedere gutmütig über sich ergehen ließ.

Einen Augenblick später hörte ich Schritte, die sich den Ställen näherten. Als ich um die Ecke spähte, sah ich einen bärtigen, schmächtigen Mann. Mit einem Sattel auf eine Schulter gestemmt, pfiff er eine fröhliche Melodie vor sich hin. Seine Kleidung war schmutzig und übersät mit Pferdehaaren.

»Lauf!«, befahl ich Mephisto und der Kater setzte sich zögerlich in Bewegung. Seine Bernsteinaugen sahen immer wieder zweifelnd zurück, doch ich wusste, dass er mich wiederfinden würde. Ganz egal, wohin ich ging.

Der heiße Atem der Fuchsstute flog als weißer Nebelfetzen an meinem Kopf vorbei und obwohl ich bereits mit halsbrecherischen Geschwindigkeit durch Hyras Ebene preschte, hatte ich das verzweifelte Gefühl zu langsam zu sein.

Inli. Der Name der Rabenstadt erschien wie ein unheilvoller Schatten immer wieder in meinen Gedanken. Dort wartete das Buch, das Myre das Leben gekostet hatte.

Der Wind peitschte eisig in mein Gesicht und die Kälte und die Bilder, die sich für alle Ewigkeit in meine Erinnerung gebrannt hatten, trieben Tränen in meine Augen.

Wer hatte Myre so etwas angetan? Was hatte es mit diesem Weißen Schloss auf sich? Wusste Myres Mörder, dass ich die Abschrift hatte?

Nach einer Weile erreichte ich einen Fluss, auf dessen Oberfläche sich die Morgensonne in viele kleine Lichtpunkte brach. Mit zittrigen Beinen ließ ich mich aus dem Sattel gleiten und führte das Pferd zum Ufer damit es trinken konnte.

Ich ging ebenfalls auf die Knie, sammelte das Wasser in meinen Handflächen und trank gierig bis mein Magen von der Kälte schmerzte. Anschließend wusch ich mein Gesicht und beobachtete die sanfte Strömung. Sie kümmerte meine Sorgen herzlich wenig. Für sie war ein Menschenleben nicht mehr als ein kurzer, unbedeutender Augenblick.

Aus dem Fluss sah mir ein blasses, schwarzhaariges Mädchen entgegen und der Kummer in ihren goldenen Augen weckte unwillkommene Erinnerungen. Frustriert schlug ich mit der Faust in den Wasserspiegel und ritt weiter.

Mein Weg führte mich über eine Wiese junger Apfelbäume und zwischen den Baumreihen erkannte ich die große, schlanke Gestalt eines Schwarzen Soldaten; über ihm kreiste ein Rabe mit einer weißen Feder am Kopf. Ich holte den dunkel gekleideten Reisenden mühelos ein und ließ meine Stute gemächlich neben ihm herlaufen.

Als er seinen Blick hob und mich erkannte, lächelte er.

»So schnell sieht man sich also wieder«, begrüßte mich Salem.

»Du sagst es«, erwiderte ich und fragte mich insgeheim, ob er womöglich wusste, wo sich das Manuskript vom Weißen Schloss im Himmel befand. Schließlich kam er aus der Rabenstadt und lebte in dem Kloster, aus dem Myre die Abschrift hatte.

»Bist du auf dem Weg nach Inli?«, wollte der Soldat wissen.

»Ja«, antwortete ich einsilbig und obwohl ich ihm gerne mein Herz ausgeschüttet hätte, beschloss ich den Tod des alten Buchhändlers erst einmal für mich zu behalten und auf der Hut zu sein.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte sich Salem skeptisch und mir schossen sofort verräterische Tränen in die Augen.

»Mir steckt noch der Schreck von meiner Begegnung mit den Angstfressern in den Knochen«, log ich und wich seinem fragenden Blicken aus.

»Verstehe«, meinte er und ich hörte in seiner Stimme, dass er mir nicht glaubte. Doch er beließ es dabei und lenkte unser Gespräch in eine andere Richtung. »Ich hoffe, meine Schwester hat sich bei dir bedankt.«

»Oh ja, das hat sie! Sie hat für mich gekocht und mir sogar einen Ring geschenkt.«

Lächelnd zeigte ich ihm meine Hand und der Schwarze Soldat berührte meine Finger. Ich zuckte überrascht zurück, doch Salem hielt mich unbeeindruckt fest und betrachtete neugierig den Ring. Als er ihn sah, grinste er breit.

»Was ist?«, wollte ich wissen.

»Es ist schon lange her, aber Lilli hat mir einmal etwas ganz Ähnliches geschenkt.«

Der Soldat ließ mich los, griff in seinen Hemdkragen und zog eine silberne Kette hervor. An der Kette hing ein kleiner Anhänger und ich schmunzelte, als ich eine Spirale mit einer weißen Perle erkannte.

»Wo ist eigentlich der Kater?«, fragte Salem und suchte mit seinen Augen den Boden ab, während er die Kette wieder in seinem Hemd verschwinden ließ.

»Ich habe Mephisto nach Abnoba zurückgeschickt, er muss eine Nachricht für mich überbringen.«

Der Schwarze Soldat nickte stumm und konzentrierte sich auf den krächzenden Raben über uns, während ich nachdenklich sein ernstes Gesicht betrachtete.

Es tat gut ihn wiederzusehen. Unsere Unterhaltung und seine Gegenwart lenkten mich ab und ließen mich für einen kurzen Moment die schrecklichen Ereignisse von heute Morgen vergessen. Vielleicht sollte ich ihm von meiner Suche nach dem Manuskript erzählen. Es war sicher von Vorteil einen Verbündeten in der Rabenstadt zu haben.

Allerdings kannte ich den Soldaten kaum. Woher wusste ich, dass ich ihm auch wirklich trauen konnte?

»Steig auf«, sagte ich und erschrak über die Worte, die plötzlich über meine Lippen gekommen waren.

»Was?« Salem sah mich überrascht an.

»Wir können zusammen nach Inli reiten«, stammelte ich weiter. »Zu Fuß schaffst du es niemals die Stadt vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.«

Ich rutschte im Sattel so weit wie möglich nach vorne und hielt ihm meine Hand entgegen.

»Warum nicht?«, gab er schließlich achselzuckend zurück, schlug ein und stieg mit einer eleganten Bewegung auf.

Das Pferd trabte los und ich konnte die Wärme, die von Salem ausging, durch meine Kleidung spüren. Sie ging mir bis unter die Haut.

Das Mädchen mit den Augen aus Gold

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