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Die Antilope und der Löwe – Stressor und Stressreaktion

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Eine Antilope erblickt auf ihrem Weg durch die Savanne einen Löwen. Augenblicklich und unbewusst läuft in ihrem Körper eine Stressreaktion ab, die ihr ein schnelleres Fliehen ermöglicht. Der Blutdruck steigt, ebenso der Puls. Das Herz schlägt schneller, das Gehirn wird aktiver, die Konzentration steigt, die Muskeln spannen sich an, Energie wird bereitgestellt. Alles ist bereit, um jetzt so schnell wie möglich das Weite zu suchen und der Gefahr zu entkommen. An Verdauung, an Ruhe, Erholung, Regeneration oder Schlaf ist jetzt nicht zu denken. Das parasympathische Nervensystem wird herunterreguliert, das sympathische dagegen angefeuert, gleichzeitig werden die physiologischen Stressachsen in Hirn und Körper aktiviert.

Ähnlich ergeht es dem Löwen, wenn er auf der Suche nach Nahrung ist und die Antilope sieht. Er will zwar selbst nicht fliehen, sondern jagen und erlegen, in seinem Körper jedoch läuft eine ähnliche Reaktion ab.

Dieses Beispiel aus dem Tierreich lässt sich auch auf uns Menschen übertragen: Wenn der Mensch in eine Situation gerät, die schnelles Handeln und große Leistungsbereitschaft erfordert, laufen bei ihm die gleichen körperlichen Prozesse ab wie bei der Antilope oder dem Löwen – man spricht von der Stressantwort. Dieser Mechanismus ist notwendig für das Überleben und der Grund dafür, dass wir immer wieder und in ganz unterschiedlichen Situationen zu Höchstleistungen fähig sind. Denn durch die Stressantwort werden die Chancen, eine Beanspruchung gut zu meistern, erhöht. Der gesamte Organismus ist auf Leistung eingestellt, nicht aber auf Regeneration. Demnach ist die Stressantwort ein physiologischer Anpassungsmechanismus.

Ausgelöst wird die Stressantwort durch sogenannte Stressoren, so eben, bei der Antilope, der Anblick des Löwen. Augenblicklich und ohne nachzudenken läuft in ihrem Körper, nachdem sie die drohende Gefahr wahrgenommen hat, die Stressantwort ab. Ähnlich ist dies beim Menschen: In dem Augenblick, in dem ein Reiz auf ihn trifft, der eine Anforderung, eine Belastung, vielleicht auch eine Gefahr bedeutet oder als solche wahrgenommen wird, passiert das Gleiche: Die biologische Stressantwort läuft ab.

Und dennoch gibt es einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen der Antilope in der Savanne und dem Menschen von heute: Während die Antilope lediglich beim Anblick des Löwen in Alarm- und Leistungsbereitschaft versetzt wird – und wohl auch beim Homo sapiens in der Steinzeit nur bei realen Gefahren die Stressantwort ausgelöst wurde –, gehen die Stressoren heute weit über unmittelbare, reale Bedrohungen hinaus. Geräusche, Lärm, Bilder, Informationen, Eindrücke, Gerüche, Geschmäcker, kurz: Alle Sinneseindrücke müssen von unserem Gehirn verarbeitet werden, alle neuen Eindrücke, alle Situationen, in denen wir reagieren müssen; sei es das Telefonklingeln am Arbeitsplatz, eine Baustelle vor dem Fenster, die Bilderflut im Fernsehen, eine Autofahrt im Berufsverkehr. So können auch an sich niedrigschwellige Reize, die dafür aber über eine lange Zeit bestehen oder schlicht die Vielzahl der verschiedenen Reize, also Dauer und Intensität, zu Stressoren werden. Hinzu kommt aber auch der – um im Bild zu bleiben – „eingebildete Löwe“. Denn die Stressantwort läuft ebenso zuverlässig auch dann ab, wenn wir uns eine Gefahr nur vorstellen, uns ihr ausgesetzt fühlen, ganz unabhängig davon, ob sie real existiert oder nicht, ob sie in der Gegenwart, der Vergangenheit oder der Zukunft liegt. Angst, Bedrohung, Sorgen oder Kummer können derartige Bedrohungen darstellen: die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, krank zu werden, die Sorge um die Familie. Die Angst, eine Aufgabe nicht in der zur Verfügung gestellten Zeit zu schaffen, ständig hetzen zu müssen, um den Alltag irgendwie zu bewerkstelligen.

So sind wir heute, aus biologischer Sicht, in gewisser Weise zum Sklaven der von uns selbst geschaffenen bunten, schnellen, lauten Welt geworden: Unsere körperliche Ausstattung hat sich noch nicht recht anpassen können. Sie reagiert mit der Stressantwort auf Reize und Anforderungen und unterscheidet hier nicht zwischen realen und imaginierten Bedrohungen.

Die Folge ist unübersehbar: die Zunahme von Erkrankungen, die durch die permanente Aktivierung der Stressantwort gekennzeichnet sind – Bluthochdruck, Verspannungen, aber auch Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, Erschöpfung, Burn-out. Dabei ist Stress grundsätzlich weder krank noch gesund. Es kommt darauf an, wie wir mit ihm umgehen, ihn empfinden und bewältigen. Dazu gehört, stressauslösende Situationen zu erkennen und einzuordnen, die eigenen Gedanken- und Gefühlsmuster kennenzulernen.

Und es gehört dazu, ganz bewusst Stress körperlich abzubauen und Pausen einzulegen. Die Antilope rennt, der Löwe auch. Der Mensch aber kann in einer belastenden Situation, beispielsweise einer Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzen, nicht einfach auf und davon rennen. Die angestaute Energie kann nicht abgebaut werden, die Muskeln verspannen, der Kreislauf wird beansprucht, ohne dass die Belastung anschließend wieder durch körperliche Aktivität abgebaut wird. So werden Sie in diesem Manual auch die Bewegung als Möglichkeit, Stress abzubauen, kennenlernen.

Schließlich muss noch ein dritter, wesentlicher Punkt bedacht werden. In der biologischen Reaktion auf einen Stressor führt der stressauslösende Reiz zunächst zur Erregung (Alarmbereitschaft), dann zur Handlung (flight or fight, Kampf oder Flucht, wobei Flucht in unserem Beispiel wohl die richtige Entscheidung ist). Ist die Herausforderung überstanden oder das Leistungsziel erreicht, d.h. hat man sich in Sicherheit gebracht oder ist die Beute erlegt, so folgt im biologischen Rhythmus die Entspannungsphase. Nun kehrt wieder Ruhe ein. Der Blutdruck senkt sich, der Puls wird langsamer, man schläft, isst, ruht aus, genießt. Im Schlaf regenerieren sich die Organe wie Leber und Niere, auch das Gehirn, die Ausscheidung wird angeregt. Die Batterien werden wieder aufgeladen.

In der modernen Zeit scheint dies vielfach nicht mehr möglich. Kaum ist die eine Herausforderung bewältigt, wartet schon die nächste. Nach dem Job geht es zuhause mit den Anforderungen der Familie weiter. Man fühlt sich wie im Hamsterrad, ohne ein Ende der Anstrengung in Sicht, ohne Aussicht auf eine verdiente Pause.

Auch hier ist es von entscheidender Bedeutung, aktiv zu werden. Die kurze Stressbelastung, die Herausforderung an sich, der Wunsch und Ehrgeiz, eine Situation gut zu meistern, sind Ansporn und Energiekick, sie versetzen den berühmten Adrenalinstoß, der aus dem täglichen Einerlei und der Lethargie befreit. Problematisch ist jedoch, wenn ein Kick den nächsten jagt und keine Zeit bleibt, dazwischen herunterzufahren und zur Ruhe zu kommen. Wenn der Geist durch Computer, Handy, Fernsehen und Internet auf Hochtouren läuft, der Körper dafür jedoch den ganzen Tag reglos verharrt oder man lediglich von einem Stuhl auf den nächsten wechselt.

Stress ist abhängig von der Dosis, d.h. Dauer, Stärke und Form. Hier gilt: Zu viel ist zu viel und zu wenig ist zu wenig. Noch einmal: Stress macht nicht zwangsläufig krank – entscheidend ist das Ausmaß. Wie Abbildung 2 zeigt, braucht der Mensch ein gewisses Maß an Stress, um optimal leistungsfähig zu sein: Ist er unterfordert, d.h. langweilt er sich, wird der Organismus nicht ausreichend beansprucht und hat er keine oder nur wenig kognitive (geistige) Beanspruchung, so kann er nicht optimale Leistungen erbringen. Ist jedoch die Stressausprägung aufgrund von zu vielen Anforderungen, die bewältigt werden müssen, sehr hoch, so fällt die Leistungskurve ab. Körperliche und mentale Prozesse sind davon betroffen. Burn-out kann die Folge sein.

Abb. 2 Yerkes-Dodson-Gesetz

Aus genau diesen Gründen lernen Sie in diesem Manual, gestaltend einzugreifen. Die Welt kann man – zumindest im großen Stil – nicht ändern. Sehr wohl aber können Sie dafür sorgen, dass Sie nicht immer und überall einer Reizüberflutung ausgesetzt sind. Kleine Rückzugspausen, klare Strukturen im Tagesablauf, ein bedachter Umgang mit dem heute ganz normalen „Multitasking“ unserer Zeit, vor allem aber eine innere Ordnung, sich auf das zu konzentrieren, was man gerade tut, helfen dabei.

Neben diesen formalen Aspekten jedoch ist es vor allem der persönliche Umgang, der darüber entscheidet, ob wir etwas als „stressig“ im negativen Sinne empfinden oder nicht. Das kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein, ist aber auch abhängig von der Tagesform. An dieser Stelle nur so viel: Ihre innere Haltung, ihre Einstellung zu sich selbst, Ihre Gefühle entscheiden mit darüber, in welchem Maße Sie sich gestresst, fremdbestimmt, erschöpft oder ausgeliefert fühlen. Oder eben, inwieweit Sie die Reize regulieren, kontrollieren, nutzen und sogar genießen können. Auch darum wird es in diesem Manual gehen.

Stressbewältigung

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