Читать книгу Veyron Swift und der Orden der Medusa - Tobias Fischer - Страница 6

4. Kapitel: Ankunft in Fabrillian

Оглавление

Von Milton Keynes führte der Weg über die Landstraße nach Wisperton, einem kleinen Ort, der mitten in der Wildnis lag. Von Osten, Westen und Norden von Wald umgeben, grenzten zahlreiche Äcker und Pferdeweiden im Süden an die Ortsgrenzen. Insgesamt vierundzwanzig alte Häuser säumten die ebenso alte Straße, die wohl zum letzten Mal irgendwann in den Sechzigern ausgebessert wurde. Unzählige Schlaglöcher und der fast vollständig verblasste Mittelstreifen, machten jede Autofahrt hier zum Abenteuer. Es gab ein einziges Hotel, mit zusammengezählt sechs Fremdenzimmern im ersten Stock, die meisten nicht belegt. Das Erdgeschoss wurde von einem altmodischen, aber gemütlichen Pub ausgefüllt.

Sie erreichten Wisperton erst nach Einbruch der Dunkelheit und wären da nicht ein paar alte Straßenlaternen und die hell erleuchteten Fenster des Pub gewesen, sie wären glatt durchgefahren. Tom erinnerte sich noch gut an diesen Ort. Nichts hatte sich seit ihrem letzten Besuch geändert. Im letzten Jahr endete hier sein erstes großes Abenteuer, nun sollte das Zweite beginnen.

»Als würde die Zeit in diesem Ort stehenbleiben. Nur das es jetzt Herbst ist, kalt und neblig. Letztes Mal war es Spätsommer und angenehm warm. Ob das irgendetwas zu bedeuten hat«, fragte er sich.

Veyron hatte in Milton Keynes einen Mietwagen organisiert, eine alte Rostlaube, die auf scheinbar magische Weise zusammengehalten wurde. Mehrmals hatte das Vehikel den Eindruck erweckt, als wolle es am liebsten sofort auseinanderfallen. Hier draußen in Wisperton, fiel der Schrotthaufen zwischen all den anderen betagten Automobilen jedoch kaum auf. Er parkte den Wagen auf der anderen Straßenseite, sie stiegen aus und holten ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Der Parkplatz des Hotels war mit Fahrzeugen aller Art überfüllt. Limousinen, Traktoren und Motorräder, da ganze Dorf schien anwesend zu sein.

»Von hier aus sollen wir nach Elderwelt gelangen«, fragte Jane zweifelnd. Sie warf mit verschränkten Armen einen missmutigen Blick in das alte Pub. Durch die kleinen Fenster konnte man sehen, dass drinnen ein reges Treiben herrschte.

»Nicht direkt, aber ich hoffe, hier einen Führer zu treffen, der uns dorthin bringt. Ich versichere Ihnen, dass wir hier Elderwelt näher sind, als sonst irgendwo in England«, gab Veyron zurück. Ohne weiteres Zögern betrat er das Pub, gefolgt von Tom und der äußerst skeptisch dreinschauenden Jane.

Die Gaststube war brechend voll. Dutzende von Leuten saßen oder standen um die kleinen Tische. Sie unterhielten sich angeregt, die einen über das, die anderen über jenes. Für Tom war es ein einziges Stimmengewirr, das in seinen Ohren summte. Veyron setzte sich an einen freien Tisch und bat Jane und Tom, ebenfalls Platz zu nehmen.

Ein junger Keller, höchstens zwanzig, das lange, dunkelbraune Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, erschien lautlos neben ihnen und bat um die Bestellung.

»Für Tom eine Coke und für Willkins ein Bier, für mich ein Mineralwasser, bitte. Oder könnt Ihr mir etwas Besseres empfehlen, Meister Faeringel?«, sagte Veyron, ohne den jugendlichen Kellner dabei anzusehen.

Tom hob erstaunt den Blick, als er den ungewöhnlichen Namen des Kellners vernahm. Er hatte ihn schon einmal gehört – drüben in Elderwelt. Der Kellner lächelte verschmitzt.

»Normalerweise vermag mich kein Mensch in dieser Tarnung zu erkennen. Ihr müsst wahrhaftig die Fähigkeiten eines Zauberers besitzen, Meister Swift«, erwiderte er.

In Veyrons Gesicht blitzte ein Lächeln auf, nur um sofort wieder in seinen üblichen, scheinbar desinteressierten Ausdruck zurückzukehren.

»Nur geschulte Augen, ausgezeichnete Ohren und ein superbes Erinnerungsvermögen. Ihr könnt Eure Ohren tarnen, vielleicht auch noch gewisse Merkmale in Eurem Gesicht und Eurer Gestalt, aber Eure Bewegungen nicht, und auch kaum die Stimme. Ihr habt meine Nachricht erhalten?«

Der Kellner, Faeringel, nickte stumm.

»Die Königin wurde über Euer Anliegen in Kenntnis gesetzt. Sie ist einverstanden, dass Ihr auf die andere Seite gehen dürft. Ich werde Euch zum Durchgang führen. Die junge Dame kommt wohl ebenfalls mit, oder ist sie nur eine momentane Gesellschaft?«

Veyron lachte kurz, vermutlich weil Jane plötzlich so verdattert dreinschaute. Tom konnte es nicht sagen, er war immer noch damit beschäftigt, das Gesicht des Kellners mit jenem in Einklang zu bringen, das er erst letztes Jahr kennengelernt hatte. Es wollte ihm nicht gelingen. Faeringel sah doch ganz anders aus. Wie um alles in der Welt konnte das denn sein? Er zuckte mit den Schultern und fand sich einfach damit ab.

»Das ist Jane Willkins, eine Polizistin; und mit unseren Angelegenheiten gewissermaßen vertraut. Ist das mit nur einem Erlaubnisstein machbar?«, sagte Veyron.

Faeringel musterte Jane mit einem schnellen Blick, dann nickte er.

»Es wird immer nur ein einziger Erlaubnisstein benötigt. Ihr habt ihn doch hoffentlich dabei?«

»Tom, zeig Meister Faeringel doch den kleinen Kieselstein, den dir die Königin bei unserem letzten Abenteuer geschenkt hat.«

Tom griff in die Hosentasche, holte seinen Geldbeutel heraus und klappte ihn auf. Er fischte einen kleinen, eisblauen Kiesel heraus. Schon lange hatte er nicht mehr an dieses ungewöhnliche Geschenk gedacht, doch jetzt, wo er es zwischen den Fingern drehte, erinnerte sich wieder an alles. Faeringel schien jedenfalls zufrieden.

»Sehr gut«, sagte er. »Wir marschieren morgen bei Sonnenaufgang los. Eure Nachricht erzählte noch etwas von einer zweiten Gruppe, die nach Elderwelt kommen möchte?«

»Ja, in der Tat. Übermorgen werden drei weitere Leute in Wisperton auftauchen, darunter eine Prinzessin aus Maresia, Iulia Livia. Sie ist durch einen anderen Durchgang in unsere Welt gelangt. Es ist von allergrößter Wichtigkeit, dass sie heil nach Elderwelt zurückkehrt. Ihre Begleiter, ein rundlicher Inspektor und ein ältlicher Priester, könnt Ihr nachhause schicken, mit Grüßen von mir und dem Versprechen, mich so bald wie möglich zu melden. Lässt sich das bewerkstelligen?«

»Natürlich. Ich habe noch einige meiner Leute in der Gegend. Die werden Eure Freunde in Empfang nehmen und die Prinzessin zur Königin geleiten. Allerdings gefällt es mir nicht, jemanden aus Maresia nach Fabrillian zu bringen. Ihr kennt meine Vorbehalte gegen dieses eroberungssüchtige Menschenvolk.«

»Wenn ich es für notwendig halte, dann ist es auch so. Ihr kennt meine Methoden.«

»Deswegen hat es die Königin ja auch gestattet, Meister Swift. Ich habe dem Wirt gesagt, dass Ihr über Nacht bleibt. Ein Dreibettzimmer ist reserviert. Wir sehen uns dann morgen vor Sonnenaufgang.«

Faeringel drehte sich um und nahm am Nachbartisch die Bestellung auf. Er achtete nicht mehr weiter auf seine vorherige Kundschaft.

Jane erholte sich erst nach einem Schluck Bier allmählich von ihrer Verwirrung.

»Wer war der junge Mann? Woher kennen Sie ihn? Was sollte dieses ganze Gerede von Erlaubnissteinen und dieser geheimnisvollen Königin«, fragte sie misstrauisch.

»Das war Faeringel, Oberster Jäger am Hof von Königin Girian, der großen Regentin von Fabrillian, dem letzten Reich der Elben Elderwelts«, antwortete Veyron.

Jane staunte nicht schlecht. Sie versuchte den jungen Mann erneut zu erspähen, aber Faeringel war spurlos verschwunden.

»Das war ein Elb? Er sah gar nicht wie ein einer aus«, meinte sie.

Veyron lachte kurz. »Elben besitzen die Fähigkeit, ihr Äußeres ohne viel Aufwand und mit einem Hauch von Magie vor den Augen der Menschen zu verbergen. Wenn sie sich unter uns Menschen aufhalten, tarnen sie sich als junges Volk; hübsch, aber unauffällig. Man vergisst sie meistens sofort wieder. Elben sind in ihrer Erscheinung dem Menschen sowieso sehr ähnlich. Daher ist es für sie nicht schwierig, sich zu tarnen. Manchmal erscheinen sie aber auch wie geisterhafte Gestalten, fast transparent, wenn das Sonnenlicht auf sie fällt. Man fragt sich dann, ob man wirklich etwas gesehen hat, oder ob man nur Opfer seiner Einbildung wurde.«

Jane nippte wieder an ihrem Glas und ließ sich in ihren Stuhl sacken.

»Jetzt bin ich echt neugierig auf Elderwelt. Ein Besuch scheint sich zu lohnen, vorausgesetzt, dort sehen alle Männer so gut aus wie Ihr junger Freund«, meinte sie. Ein neckisches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Veyron stöhnte genervt, was Jane jedoch nur zum Lachen brachte, auch Tom konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Jane nahm Veyron auf den Arm, was ihm recht geschah, nach all den Gemeinheiten, die er sonst immer so von sich gab.

»Sie sind schon wieder albern, Willkins«, äffte Tom seinen Paten nach. Jane und er brachen in weiteres Gelächter aus, während Veyron regungslos sitzen blieb und die beiden mit verständnislosen Blicken abstrafte.

Nachdem sie ausgetrunken und eine kleine Mahlzeit verspeist hatten, gingen sie auf das Zimmer, das Faeringel für sie reserviert hatte. Tom war erstaunt wie gut vernetzt die Elben in diesem kleinen Ort waren. Der Raum erwies sich als recht klein und hatte dringend eine Renovierung nötig. Die Tapeten lösten sich an den Rändern, vergilbte Farbe splitterte von den Fensterrahmen. Zumindest waren die Betten bequem, jeder hatte sein eigenes. Jane wählte natürlich das, das am weitesten von Veyron entfernt war. Nach der heutigen Aufregung schliefen sie alle drei rasch ein.

Veyrons Handywecker sprengte sie um Punkt fünf Uhr mit Reel 2 Real’s I like to move it auf voller Lautstärke aus den Federn. Waschen und anziehen, gefolgt von einem kurzen Frühstück. Anschließend alles zusammenpacken und raus in die Finsternis. Jane und Tom hatten ihre Rucksäcke geschultert, während Veyron lediglich seine altmodische, rot karierte Reisetasche mitnahm.

Um 6:30 Uhr trafen sie sich mit Faeringel vor dem Hotel, es war noch immer dunkel, nur ganz dezent ließ sich im Osten ein Sonnenaufgang erahnen. Das ganze Dorf lag im dichten Nebel, so dass Tom lediglich zwei andere Häuser ausmachen konnte. Nirgendwo brannte Licht, alles schien noch zu schlafen. Ein Eindruck der täuschen konnte. Tom hoffte, dass ihnen nicht irgendwo Fellows Söldner auflauerten.

Faeringel setzte sich ohne weiteres Wort in Bewegung, die anderen folgten ihm. Sie gingen eine Zeit lang die Straße entlang, die sie immer tiefer in den Nebel führte. Nach einigen Kilometern bog Faeringel schließlich einfach in die Felder ab. Ohne die geringste Ahnung, wo sie jetzt hingingen, folgten ihm Tom, Veyron und Jane.

Nach einer Weile wandte sich Jane an Veyron. Die Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben.

»Ich weiß, Sie haben es mir schon ein paar Mal erklärt, aber ich verstehe das mit Elderwelt und diesen Durchgängen immer noch nicht«, gestand sie.

Tom war überrascht, dass sein Pate diesmal gar nicht die Augen verdrehte oder entnervt aufstöhnte wie es sonst seine Art war. Ganz geduldig versuchte er es ihr zu erklären.

»Vor vielen Jahrtausenden gab es einen mächtigen Zaubererorden, die Illauri. Als die Welt vor über dreitausend Jahren in großer Gefahr war, schufen sie einen unsichtbaren Schutzschild, der die Länder der magischen Wesen von der Welt der Menschen trennte. Elderwelt und die unsrige liegen nebeneinander, nur können wir es nicht sehen oder mit all unserer modernen Technologie aufspüren. Für uns existiert Elderwelt nicht, andersherum hält man in Elderwelt unsere Welt ebenfalls für einen Mythos. Die Menschen dort nennen sie Fernwelt und nur die Weisen wissen um ihre Existenz. Um die Verbindung zwischen den Welten nicht gänzlich abzubrechen, errichteten die Illauri eine Anzahl von Durchgängen, meist in Form von Torbögen, um von einer Welt zur anderen zu gelangen. Ich weiß selbst nicht genau wie diese Durchgänge funktionieren. Sie können zum Beispiel hier in England hineingehen und kommen auf der anderen Seite irgendwo in der Wüste heraus. Man durchschreitet also nicht nur diese unsichtbare Trennwand, sondern legt zugleich oft auch viele tausend Meilen zurück. Es ist Zauberkunst von allerhöchster Macht.«

Jane dachte still darüber nach. Schließlich deutete sie mit einem Nicken auf ihren jugendlichen Führer.

»Und die Elben bewachen diese Durchgänge? Oder was sonst sucht ein Elb in unserer Welt«, fragte sie Veyron leise.

Es war jedoch Faeringel, der ihr antwortete. Er ging viele Meter voraus, war nur als Schemen im dichten Nebel zu erkennen. Offenkundig besaß er ein sehr empfindliches Gehör.

»Der Durchgang in der Nähe von Wisperton führt direkt in unsere Hauptstadt, Lady Jane. Schon immer haben wir auf diesen einen Durchgang geachtet. Auf Befehl der Königin kümmern wir uns auch um Wisperton und seine Bewohner. Ihr Wohl ist unser Wohl, dabei wissen die Menschen von unserer Existenz nichts. In Wisperton findet Ihr jedoch noch immer ein paar alte Geschichten, die über unser Wirken berichten. Man hält sie heutzutage für Kindermärchen und mittelalterliche Mythen. Die Talarin erinnern sich dagegen noch genau an die alten Tage.«

Jane biss sich verlegen auf die Lippe, aber Veyron schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. Tom, der das Schlusslicht ihrer kleinen Gruppe bildete, schloss rasch zu ihr auf.

»Mach dir keine Gedanken, ich war auch völlig planlos, als ich das alles kennenlernte. Es gibt noch viele andere Durchgänge, manche bewacht, andere nicht. Ich kann‘s schon gar nicht mehr erwarten, endlich wieder nach Fabrillian zu kommen. Es wird dir gefallen, es ist wie Urlaub«, sagte er. Seine Begeisterung wuchs stetig an, drängte ihn zu mehr Eile. Am liebsten wäre er einfach losgerannt - wenn er nur wüsste, wohin in diesem ganzen Nebel.

Als sie auf den alten Eisenbahndamm stießen, an den Tom sich noch gut erinnern konnte, war es bereits deutlich heller. Heute schien die Sonne allerdings besondere Probleme zu haben, den Nebel zu durchdringen. Er begann sich zu fragen, ob da nicht eventuell irgendeine Magie im Spiel war. Der Damm ragte wie eine hohe Wand vor ihnen auf, über und über mit Gras überwuchert. Züge fuhren hier schon lange keine mehr. Die Schienen hatte man schon vor Jahrzehnten demontiert.

Ohne Mühen sprang Faeringel hinauf. Die anderen konnten nur staunen und ihm hinterher kletterten. Er machte keine Anstalten auf sie zu warten und so mussten sie laufen, um ihn wieder einzuholen. Der Damm führte geradewegs in einen dichten Wald. Der Nebel verwandelte die teilweise schon gänzlich entlaubten Bäume und Sträucher in bizarre, schwarzhäutige Gestalten. Mit ihren Dornen und Ästen wollten sie den Wanderern scheinbar den Weg versperren. Mit aller Vorsicht folgten sie Faeringel in das dichte Unterholz. Nicht nur einmal blieben sie mit ihren Jacken und Rucksäcken im Geäst hängen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte vor ihnen ein Eisenbahntunnel auf, der einem schwarzen Rachen gleich, durch einen felsigen Hügel führte. Hier drängte sich der Wald besonders dicht, links und rechts vom Dammweg war keinerlei Durchkommen mehr. Faeringel blieb vor dem schwarzen Tunnel endlich stehen und wartete, bis die seiner Meinung nach unbeholfenen, lärmenden Menschen zu ihm aufgeschlossen hatten.

»Hole nun den Erlaubnisstein hervor, Tom«, forderte er den Jungen auf.

Tom griff in seine Hosentasche und fingerte den kleinen blauen Kiesel heraus. Er zeigte ihn Faeringel, der zufrieden nickte. Ohne ein weiteres Wort trat er in den Tunnel und wurde von der Schwärze verschluckt. Veyron schickte sich an, ihm zu folgen und auch Tom wollte losmarschieren, doch Jane verharrte wie versteinert vor dem Eingang. Die beiden warfen ihr überraschte Blicke zu. Tom konnte sehen, dass sie Angst hatte. Sie zitterte förmlich.

»Die Welt wird nie mehr die Gleiche sein, wenn ich da hineingehe, oder?«, fragte sie halblaut.

Tom hatte keine Ahnung was er darauf erwidern sollte. Er verstand ja nicht einmal, wie sie das überhaupt meinte. Veyron schien jedoch zu verstehen. Er lächelte, diesmal ehrlich mitfühlend.

»Die Welt ist niemals die, für die wir sie halten. Mit jeder neuen Erfahrung verändert sie sich, mit jeder Reise die wir tun, bekommt sie ein neues Gesicht. Ich weiß, Sie fürchten um Ihr Weltbild, Ihren Glauben und alles, was Sie für richtig halten. Haben Sie keine Furcht, Willkins. Das Einzige, was passieren kann ist, dass Sie an Wissen und Weisheit gewinnen. Das ist niemals eine verkehrte Sache.«

Jane dachte einen Moment darüber nach. Eher widerstrebend gab sie ihr Zögern auf. Sie trat zwischen die beiden und gemeinsam schritten sie hinein in die Finsternis.

Die Rückkehr nach Fabrillian hatte sich Tom ganz anders vorgestellt. Sie marschierten eine Zeitlang durch den schwarzen Tunnel und schlagartig, ohne jede Vorwarnung, wich die Dunkelheit hellem Sonnenlicht. Äste und Blätter klatschten ihm ins Gesicht.

Er schlug um sich, traf Jane am Ohr, die empört seinen Namen rief und ihn anrempelte. Faeringel musste lachen, als er die drei Menschen in den Schlingen von Efeu und Wein zappeln sah. Ein kurzer Augenblick verging, bis sich Tom wieder beruhigen konnte. Nun sah er, dass sie tatsächlich in Fabrillian angekommen waren, dem Reich der Elben Elderwelts, den Talarin, wie sie sich selbst nannten.

Sie befanden sich auf einer großen Terrasse, umgeben von einem Ring Statuen der großen Künstler und Denker des Elbenvolkes. Kletterpflanzen rankten sich an ihnen hoch, verdeckten einige vollständig. Tom, Jane und Veyron traten zwischen zwei großen Statuen hervor, auf deren Schultern sich ein alter, steinerner Torbogen stützte.

Das war er, der magische Durchgang, auf den ersten Blick recht unscheinbar und doch sehr viel älter als alles Übrige auf der Terrasse. Im Süden endete sie an einer steinernen Brüstung, dahinter fiel eine Steilwand dreihundert Meter in die Tiefe. Ganz in der Nähe erklang das Donnern eines Wasserfalls. Jenseits der Statuen erweiterte sich das ganze Areal in einen riesigen Baumgarten. Überall trug das Laub herbstliche Farben, goldgelb und rotbraun. Der allerorts anzutreffende Blutahorn machte seinem Namen alle Ehre. Die Blätter schimmerten leuchtendrot, wenn das Sonnenlicht auf sie fiel.

Im Norden stand der Palast der Königin. Zwischen den beiden Seitenflügeln ragte der riesige Hauptbau mit seiner in allen Farben des Regenbogens schillernden, gläsernen Kuppel auf. Von den Seitenflügeln wucherten üppige Sträucher über die Dachränder und hingen bis in die oberste der drei Fensterreihen.

Tom fühlte all die angenehmen Erinnerungen an seine Tage im Palast wiederkehren. Seine Spaziergänge mit dem jungen und weisen Elbenmädchen Imri, die herrliche Unterkunft im Gästepalast oder das vorzügliche Essen. Auch an den wohlschmeckenden, goldenen Genesungstrank erinnerte er sich wieder, an die Musiker auf den Straßen der Hauptstadt und die vielen anderen kleinen, elbischen Wunder.

Jane konnte dagegen nur staunen. Ein »Ich-glaub-ich-träume« nach dem anderen verließ unentwegt ihre Lippen.

Faeringel trat wieder zu den drei Besuchern. Tom fiel auf wie sehr er sich plötzlich verändert hatte. Er war nun nicht mehr länger ein schmächtiger Bursche, sondern mindestens einen Kopf größer, mit breiten Schultern, einem strengen Gesicht und eisblauen Augen. Jetzt war er wieder jener elbische Jäger, den Tom bereits im vergangenen Jahr kennengelernt hatte. Jane bemerkte die Veränderung ebenfalls und stutzte für einen Moment. Ihre Blicke blieben an Faeringels leicht zugespitzten Ohren hängen. Sie musste nach Luft schnappen.

»Es ist wahr. Elben gibt es wirklich, das mit dem Zaubertrick stimmt also«, keuchte sie.

Faeringel schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, Veyron jedoch nur einen verständnislosen Blick.

»Selbstverständlich stimmt das. Hatten Sie etwa angenommen, ich würde Sie auf den Arm nehmen? Willkins, alles was ich Ihnen jemals über Elderwelt und seine Bewohner gesagt habe, war stets zu Einhundertprozent die Wahrheit.«

»Seid etwas nachsichtiger mit Lady Jane, Meister Swift. Ihr seid mit vielen Dingen vertraut, die für die meisten Menschen an Wunder grenzen«, griff Faeringel nun mit strenger Stimme ein. Ganz zu Toms Erstaunen, erwiderte Veyron darauf gar nichts.

Der große Elb reichte Jane eine Hand, die sie dankbar lächelnd annahm.

»Nun kommt! Die Königin ist momentan noch mit ihrem Gefolge unterwegs, aber bis zum Abend wird sie eintreffen. Sie hat befohlen, dass für Euch Zimmer bereitgestellt werden. Ihre Diener werden Euch zum Gästepalast führen. Wenn Ihr Hunger verspürt, so scheut Euch nicht, die Dienerschaft davon in Kenntnis zu setzen. Die Königin wollte zu Ehren Eurer Rückkehr ein Bankett ausrichten. Es ist also für alles gesorgt«, erklärte Faeringel und führte Jane den Weg zum Palast entlang.

Tom bemerkte ein misstrauisches Zucken der Augenbrauen seines Paten. Er musste grinsen. Würde er Veyron nicht besser kennen, hätte er das fast für eine leicht eifersüchtige Reaktion gehalten.

Jane war ganz und gar verblüfft, dass die Besucher Fabrillians in einem eigenen Palast untergebracht wurden. Sie bereute es nicht eine Sekunde, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Es fehlte an nichts. Der Ausblick auf die Hauptstadt Fabrillians, Fanienna, war atemberaubend. Die rot gepflasterten Straßen führten kreuz und quer durch einen riesigen Wald. Zwischen den in allen Herbstfarben schillernden Baumkronen ragten die Dächer der Häuser auf, die mit der Farbe des Laubs zu verschmelzen schienen. Sämtliche Straßen und Wege führten um Bäume herum, zierliche Brücken aus weißem Holz wölbten sich über dicke Wurzeln und die vielen kleinen Bäche.

Sobald sie ihr Gepäck in den Schränken der Zimmer (jeder hatte ein eigenes) verstaut hatten, bestand Jane auf einem Rundgang durch die Stadt. Faeringel bot sich ihnen sofort als Führer an, was Jane noch mehr zu begeistern schien.

Auf den Straßen trafen sie viele Elben, die sie alle freundlich grüßten. Manche erkundigten sich bei Tom und Veyron sogar danach wie es ihnen im vergangenen Jahr ergangen war. Auch Jane wurde allerhand gefragt, wo sie herkam, was sie beruflich machte und überhaupt wie es ihr so ging. Als sie es den neugierigen Talarin erklärte, war sie wiederum überrascht zu erfahren, dass in Fabrillian so etwas wie eine Polizei gar nicht gab.

Abends wurden die drei Besucher in den Palast der Königin gebracht. Als sie das Foyer durch die gläsernen Torflügel betraten, blieb Jane für einen Moment vor Ehrfurcht stehen. Fast der ganze Kuppelbau wurde von zwei riesigen Bäumen ausgefüllt, in deren Kronen goldene Lampen schimmerten. Der marmorne Boden war knöchelhoch mit rotgoldenem Herbstlaub bedeckt. Niemand machte sich die Mühe es aufzufegen. Jeder Schritt raschelte laut, doch den Elben schien es zu gefallen. Zwischen den gewaltigen, silbern schimmernden Baumstämmen führte eine Treppe hoch in die Korridore des Palastes, Statuen aus weißem Marmor säumten die hallenartigen Gänge. Die Decken waren mit beeindruckenden Fresken bemalt. Sie zeigten die verschiedensten Ereignisse Elderwelts.

»Die ganze Geschichte der Talarin steht dort oben«, erklärte Faeringel, dem die interessierten Blicke Janes und Toms auffielen. »Angefangen von der langen Wanderung über das Ewige Eis, dem Exodus aus Altwelt und den glücklichen Tagen in Carundel. Seht nur, da vorne wird vom Bau Faniennas berichtet, da hinten von der Entstehung des Bruchs, der großen Klippe, die unser Land in zwei Hälften trennt.«

Jane seufzte. »Das ist echt wunderschön. Diese Farben, so kräftig, fast als würden sie aus eigener Kraft leuchten. Schaut euch nur die ausdrucksstarken Gesichter an. Fast könnte man meinen, man blickt durch ein Fenster in die Vergangenheit. Ich wünschte, wir hätten die Zeit, alles zu fotografieren.«

Neben ihr gab Veyron einen höhnischen Laut von sich.

»Lesen Sie lieber ein Buch über die Geschichte Fabrillians. Bilder anzuschauen, mehrt Ihr Wissen nur marginal«, entgegnete er so kaltherzig wie eh und je.

»Ich glaub es einfach nicht! Sie haben echt keinen Sinn für Schönheit und Kunst, für Sie besteht die Welt nur aus Fakten und Zahlen. Wissen Sie was? Sie sind und bleiben einfach ein Ekel«, ärgerte sie sich.

Tom musste ihr dabei vollkommen zustimmen. Ihm kam es fast so vor, als gäbe sich sein Patenonkel im Moment ganz besonders große Mühe, nicht gemocht zu werden.

Sie wurden in einen großen Speisesaal geführt, wo Königin Girian und ihr ganzer Hofstaat bereits auf sie warteten. Eine schönere und edlere Frau hatte Jane noch nie erblickt, hochgewachsen und schlank, ein ebenmäßiges Gesicht mit heller Haut und eisblaue, durchdringende Augen. Ihr dunkles Haar fiel lockig über ihren Rücken und das ozeanblaue Kleid, das sie trug. Ein silbernes Diadem krönte ihr Haupt, mit einem weißen Edelstein auf der Stirn, der von innen heraus glühte.

Alle drei Besucher verneigten sich höflich, was die versammelten Elben einigermaßen zu belustigen schien. Jane fand das leise Gekicher sonderbar. War das etwa ein Fehler gewesen?

Veyron neben ihr lächelte verschmitzt und zwinkerte Tom zu, der gebannt auf den leuchtenden Edelstein in Girians Diadem starrte.

»Ist es das, was ich denke«, fragte er flüsternd.

»Zweifellos. Ein Splitter des Biuthnin-Steins, des Juwel des Lebens. Unsere listige, wunderschöne Königin. Was für eine beeindruckende Demonstration«, murmelte Veyron begeistert zurück.

Jane verstand nicht, was die beiden meinten, doch die Königin schien es zu hören. Ein vorwitziges Lächeln flog über ihre kirschroten Lippen.

»Besucher aus Fernwelt: willkommen in meinem Haus in Fanienna, Hauptstadt Fabrillians, dem Reich des Volkes der Talarin. So setzt euch nun zu uns an den Tisch, wir alle fühlen uns sehr geehrt. Ich hoffe Ihr bringt reichlich Hunger mit, denn meine Köche wären sehr enttäuscht wenn etwas übrig bliebe«, rief ihnen Girian mit huldvoller Geste zu. Eine ordentliche Portion Humor schwang in ihren letzten Worten mit.

Die ganze edle Gesellschaft erhob sich fast zugleich von den Stühlen. Jane trat verunsichert von einem Fuß auf den anderen, Tom dagegen war zutiefst bewegt. Das war nicht einfach nur eine bloße Höflichkeit von Seiten der Talarin, sondern ehrlicher, tiefer Respekt. Dieser Moment schien eine schiere Ewigkeit zu dauern, ehe die Elben sie mit Lachen und Zurufen an den Tisch baten.

»Nun lasst uns nicht länger rumstehen, für euch Menschen ist das Leben eh schon kurz genug. Setzt euch und greift zu. Wir haben Hunger und sind des Wartens leid«, riefen einige der Jüngeren. »Hätten wir eine Schar Zwerge hier, wäre schon längst alles weg. Also los, sonst bleiben für euch nur noch die Krümel«, bekräftigten ein paar andere.

Tom, Jane und Veyron wurden in die Mitte genommen. Sofort tischten die Diener allerhand auf. Gebratenes Geflügel, das Fleisch hauchzart und die Haut knusprig und würzig, dazu Gemüse in allen Variationen, knackig und schmackhaft. Und Soßen gab es, die allerfeinsten und köstlichsten, die Tom je gekostet hatte. Zuletzt setzten sich die Diener und Küchenjungen ebenfalls an die Tafel. Das Schlusslicht bildete der Koch, ein hochgewachsener Elb mit zufriedenen, runden Bäckchen.

»Eigentlich hatte ich das alles für mich allein gekocht, aber die Königin bestand darauf, es mit ein paar hungrigen Seelen zu teilen«, ließ er Tom scherzhaft wissen.

Den ganzen Abend wurde viel gelacht und allerhand Geschichten erzählt. Zwar konnte Jane nicht mit den Abenteuern von Tom und Veyron mithalten, aber auch aus dem Streifenalltag eines Constables der Londoner Polizei gab es allerhand Anekdoten zu erzählen. In den Talarin fand sie begeisterte Zuhörer. Später gesellten sich noch ein paar Straßenmusiker zur fröhlichen Runde, junge Elben die von zu Hause auszogen, um auf den Straßen Faniennas zu musizieren und sich ein paar Goldmünzen zu verdienen.

»Wir haben gehört, es gibt hier heute Nacht ein Dach über den Kopf, und was zu essen«, riefen sie beim Eintreten. Königin Girian winkte die Jugendlichen näher.

»Aber nur, wenn ihr für uns aufspielt. Anderenfalls müsst ihr euch nach einer anderen freundlichen Königin umschauen«, entgegnete sie lachend.

Das ließen sich die jungen Elben nicht zweimal sagen. Mit Geige, Flöte, Harfe und Kontrabass legten sie sich sofort ins Zeug. Sie spielten schnell, mit einem flotten Rhythmus. Vor allem die jüngeren Elben fühlten sich spontan zum Tanzen aufgefordert. Auch Jane und Tom ließen sich nicht lange bitten, während Veyron bei einigen der älteren aber weiseren Elben sitzenblieb (denen man das Alter natürlich nicht ansah). Sie unterhielten sich lieber über irgendwelche langweiligen Sachen.

Jane fand die ganze, ungezwungene Art der Elben inmitten eines königlichen Palastes so befremdlich wie auch einladend. Wo gab es das, dass heimatlose Straßenmusiker ohne Einladung in einen Palast sparzierten, Musik spielten oder sich Küchenpersonal mit Edelmännern an einen Tisch setzte? Aber ihr gefiel es. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich frei und sorglos – und vollkommen glücklich.

Es war längst schon dunkel, als die Königin die Tafel für beendet erklärte.

»Morgen erwarten uns ernstere Angelegenheiten. Meister Veyron befindet sich inmitten eines neuen Abenteuers, mit ungewissem Ausgang. Prinzessin Iulia aus Maresia hat seine Hilfe erbeten, um mit den Simanui in Kontakt zu treten. Ich habe den Orden angerufen und der Oberste der Simanui, der Großmeister Taracil, wird persönlich hierherkommen, um sich das Ersuchen der Prinzessin anzuhören. Nun wünsche ich allen eine gute Nacht. Schlaft ruhig und ohne Sorge. Mögen euch die Träume die Kraft verleihen, die ihr benötigt. Ihr steht erst am Beginn eures Abenteuers«, verkündete die Königin, ihre wundervoll melodiöse Stimme voller Ernst, aber auch voller Zuversicht. Sie erhob sich. Begleitet von vier Dienerinnen verließ sie den Speisesaal, während hinter ihr mit dem Zusammenräumen begonnen wurde.

Faeringel brachte die drei Besucher zurück zum Gästepalast. Er verabschiedete sich, als sie die Stufen zum Eingangstor erreicht hatten.

»Ich muss zurück nach Wisperton, um Eure Prinzessin in Empfang zu nehmen, Meister Swift. Schlaft gut, und Ihr besonders, Lady Jane. Morgen sehen wir uns alle wieder.«

Jane blickte dem hochgewachsenen, gutaussehenden elbischen Jäger hinterher, bis er von der Nacht vollkommen verschluckt wurde. Eher widerwillig drehte die sich zu den anderen um, aber nur allein Veyron wartete noch auf sie. Tom war bereits nach drinnen verschwunden. Sie schenkte Veyron ein dankbares Lächeln und schlang sich die Arme um die Schultern. Die spätherbstlichen Nächte waren frisch, auch hier in Fabrillian.

»Ich muss Ihnen echt danken«, seufzte sie mit einem breiten Lächeln, das noch einmal breiter wurde, als sie seinen verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte. »Das ist der wundervollste Urlaub, den ich jemals hatte. Danke, Veyron. Vielen, vielen, lieben Dank.«

Sie glaubte, dass er für einen Moment leicht rot im Gesicht wurde – aber eben nur für einen Moment.

»Werden Sie nicht sentimental, Willkins. Das war sehr wahrscheinlich unsere letzte sorglose Nacht hier in Elderwelt. Ab Morgen haben wir es mit Consilian und seinen Machenschaften zu tun.«

Sie verabschiedeten sich und jeder ging auf sein Zimmer. Veyron schlief gleich ein, doch Willkins konnte noch lange kein Auge zu tun.

Gleich nachdem die ersten Sonnenstrahlen im Osten aufflammten, weckte Veyron Tom. Verschlafen rieb der sich die Augen und blickte zu seinem Paten auf. Veyron war schon komplett angezogen, gewaschen und rasiert.

»Was ist denn? Oh Mann, die Sonne ist ja noch nicht mal voll aufgegangen. Können Sie mich nicht einmal ausschlafen lassen?«, beschwerte er sich.

Veyron warf ihm ein Knäuel Kleidung zu. »Aufstehen, waschen und anziehen. Großmeister Taracil ist eingetroffen, ebenso Faeringel mit Prinzessin Iulia. Die Königin hat das Treffen in einer Viertelstunde anberaumt, um uns etwas Zeit zu geben. Taracil scheint es sehr eilig zu haben, diese Sache hinter sich zu bringen.«

»Was ist mit Jane? Ist sie schon wach? Wir müssen sie wecken.«

Veyron schüttelte den Kopf. »Nein, wir lassen sie schlafen. Sie hat gestern Abend wohl ein paar Gläser Elbenwein zu viel erwischt. Sie schläft wie ein Murmeltier. Es wird reichen, wenn wir ihr später alles berichten.«

Im Nu war Tom auf den Beinen, verschwand im Badezimmer, machte sich frisch und schlüpfte in seine Kleider. Sofort eilte er wieder nach draußen, wo Veyron ungeduldig wartete. Gemeinsam verließen sie den Gästepalast und marschierten ohne Umwege zum vereinbarten Treffpunkt.

Das Treffen fand auf der Klippenterrasse statt. Inmitten des Statuenrings hatten die Elben vier Sessel aufgestellt. Girian, die jetzt ein silbern schimmerndes Kleid und einen dunkelblauen Umhangmantel trug, erwartete sie bereits, ebenso Faeringel mit Prinzessin Iulia. Jeans und Bluse aus Fernwelt hatte sie nun gegen eine ihr sehr viel gewohntere Kleidung getauscht. Sie trug eine zitronengelbe Wolltunika, eine sogenannte Stola, und darüber eine violette Palla, den Damenmantel des Imperiums, dessen Saum mit Pelz besetzt war und den Iulia kunstvoll über den Kopf drapiert hatte, so dass Stirn und Haaransatz frei blieben. Ein silberner Gürtel band die Stola an der Hüfte zusammen und die Füße schützten schneeweiße Lederslipper. Tom wusste nicht, wo die Elben so edle und dem gesellschaftlichen Stand der Prinzessin angemessene, maresische Kleidung aufgetrieben hatten, aber Girian bewies stets aufs Neue, dass sie auf jede Art von Besuch bestens vorbereitet war. Vielleicht hatten die elbischen Schneiderinnen es auch binnen kurzer Zeit einfach angefertigt. Die Gewänder passten der jungen Prinzessin nämlich wie angegossen.

Neben der schönen Elbenkönigin stand ein älterer, kahlköpfiger Mann, unter dem Kinn ein langer, spitzzulaufender, weißer Bart, unterbrochen von einigen schwarzen Strähnen. Er trug eine dunkelblaue Tunika, darüber einen schneeweißen Kapuzenmantel, am Kragen von einer imposanten, goldenen Brosche zusammengehalten. Ein breiter, goldener Gürtel, mit Edelsteinen besetzt, saß um seine Hüfte. Eine schneeweiße Schwertscheide hing auf der rechten Seite daran, festgemacht mit silbernen Kettchen. Der Griff der langen Waffe war mit Gold beschlagen und veranschaulichte den hohen Status des alten Mannes. Seine hochgewachsene Gestalt, die breiten Schultern und der strenge Blick unter den schwarzen Augenbrauen, ließen einen sofort respektvoll zusammenzucken.

Taracil, der Großmeister des Zaubererordens der Simanui.

»Habt Dank für Euer Kommen«, begrüßte Girian alle Anwesenden und bat sie Platz zu nehmen. Veyron und Tom setzten sich links und rechts neben die Prinzessin. So hatte es ihm Veyron erklärt, um deutlich zu machen, auf welcher Seite sie standen. Auch Girian ließ sich in einen Sessel gleiten, nur Taracil blieb stehen.

»Das also ist Veyron Swift aus Harrow in Fernwelt. Ich habe schon einiges von Euren Abenteuern vernommen. Der Fall mit den Kobolden in Notting Hill, der Troll in Woking und Euer Kampf gegen Vampire von Surrey. Euch ist Elderwelt demnach nicht fremd. Doch weder seid Ihr ein Simanui noch besitzt Ihr die Gabe der Simarell«, sagte Taracil. Er musterte die Besucher mit durchbohrenden Blicken.

Tom glaubte eine Spur von Abfälligkeit in den dunklen Augen des Zauberers zu erkennen. Er mochte Taracil nicht, ohne genau zu wissen warum.

»Vielleicht wollen wir uns jetzt anhören, was Prinzessin Iulia zu berichten hat«, schlug Girian mit diplomatischer Freundlichkeit vor.

Taracil grunzte nur verächtlich.

»Ich kenne die Geschichte der Nobilissima bereits. Vielleicht erinnert Ihr Euch, dass es zu den Fähigkeiten der Simanui gehört, Gedanken zu erspüren. Ich weiß von den Versteinerungen in Gloria Maresia und dem Aberglauben, die Gorgone Medusa stecke dahinter. Aber ich sage Euch Folgendes: Medusa wurde getötet, der Held Perseus hat ihr den Kopf abgeschlagen, vor weit über dreitausend Jahren! Wir Simanui wissen über solche Dinge bestens Bescheid. Es besteht wahrlich kein Anlass zur Sorge, dieses Monster könnte zurückgekehrt sein, um Rache an der Menschheit zu nehmen. Die Medusa ist tot, ihr kopfloser Leichnam schon längst verrottet. Selbst ihre beiden furchtbaren Schwestern wurden schon seit tausend Jahren nicht mehr gesehen. Die Gorgonen sind Vergangenheit«, ließ er die Anwesenden mit gebieterischer, dunkler Stimme wissen. Mit strengen Blicken wandte er sich an Iulia.

»Die Furcht Eurer Großmutter, Servilia Ennia, ist unbegründet. Der Glaube, die Gorgone suche die kaiserliche Familie heim, ist haltloser Unsinn, ein Aberglaube, weiter nichts! Ich vermag nicht zu begreifen wie gebildete Frauen, aus allerbestem Haus und höchster Abstammung, nur auf so abstruse Ideen kommen.«

Tom wollte aufspringen und protestieren. Ein scharfer Blick von Veyron verbot es ihm jedoch.

»Vielleicht habt Ihr recht, Großmeister Taracil. Sicherlich könnt Ihr mir – in Eurer Allwissenheit – erklären, wie es dann zu diesen Versteinerungsmorden gekommen ist, und warum Schrate und Fenriswölfe die Prinzessin bis fast nach Fernwelt verfolgten. Bestimmt habt Ihr auch eine Antwort darauf wie Consilian in den Besitz eines Gorgonenabbildes kommt, dass dem Orden der Medusa zugeschrieben wird. Wie kann es sein, dass binnen weniger Jahre alle aussichtsreichen Erben auf den Kaiserthron unglücklich versterben oder in den Kerker wandern«, erhob nun Veyron die Stimme. Er klang sachlich und ruhig, doch das hinterlistige Lächeln in seinen Mundwinkeln triefte vor Sarkasmus.

Taracil fühlte sich offenkundig herausgefordert, denn sofort verfinsterten sich seine Augen.

»Ich bin es nicht gewohnt, mich rechtfertigen zu müssen, junger Mann! Aber Eure Leistungen im Nemesis-Fall sprechen für sich. Ihr habt dem Orden der Simanui da eine kleine Peinlichkeit erspart. Darum, und nur allein darum, will ich Euch Eure unbedachten Äußerungen nicht krummnehmen und sogar auf Eure Fragen antworten.

Es gibt eintausend und mehr Methoden eine Versteinerung herbei zu führen. Aber da Ihr kein Simanui seid und die Wissenschaft der Simarell unmöglich studieren könnt, wisst Ihr das womöglich nicht. Ihr wisst dagegen sicherlich, dass die Schrate ein Volk von Räubern und Plünderern sind. Die Grenzen nach Darchorad und anderen Verstecken dieses Volkes, werden nur unzureichend bewacht. Ganze Banden der Schrate ziehen plündernd und brandschatzend durch Allerherrenländer – selbst durch die dünn besiedelten und wenig bewachten Gegenden des Imperium Maresium. Drei einsame Reiter auf verstohlenen Pfaden sind genau die Art von Opfer, denen die Schrate auflauern.

Was Consilian und den Orden der Medusa betrifft, so kümmert es mich schlichtweg nicht. Der Orden der Medusa scheint mir nur ein Zusammenschluss gemeiner Auftragsmörder zu sein, die sich eines alten Zaubers bedienen, den sie irgendwo aufgeschnappt haben. Consilian könnte mit dem Orden der Medusa unter einer Decke stecken. Aber vielleicht wurde ihm dieses besagte Gorgonensymbol auch nur als Warnung geschickt, oder er hat es als Beweisgegenstand seiner Ermittler erhalten. Warum fragt Ihr ihn nicht einfach selbst, anstatt den Orden der Simanui damit zu behelligen? Wir sind die Wächter des Friedens, nicht die Polizei der Welt! Die internen Scherereien eines Volkes gehen uns nichts an, erst recht nicht eine Familienfehde. Zudem solltet Ihr bedenken, dass bislang nur Freunde und Unterstützer Consilians, Opfer des Ordens der Medusa wurden. Wie wahrscheinlich ist es daher, dass er mit diesem Orden unter einer Decke steckt? Ich sehe hier nichts anderes am Werk, als familiäre Streitigkeiten in der kaiserlichen Familie. Das ist wahrlich keine Aufgabe für die Simanui.

Vielleicht wollt Ihr Euch darum kümmern, Meister Veyron Swift? Der Orden der Simanui wird es jedenfalls bestimmt nicht tun!«

Veyron und Taracil starrten sich an, keiner von beiden war geneigt, nachzugeben. Tom konnte die Anspannung förmlich fühlen, die in der Luft lag. Iulia schaute nur in den Boden, das Gesicht voller Scham und Ärger. Tom vermochte nicht zu sagen, auf was oder wen sie zornig war. Sicherlich gefiel es ihr nicht, dass ihr gefährliches Abenteuer als vollkommen sinnloses Unterfangen abqualifiziert wurde.

»Ich schlage eine andere Theorie vor, Meister Taracil. Consilian betreibt ein dunkles Geschäft im Herzen Maresias. Er steckt mit dem Orden der Medusa unter einer Decke, er hat Iulia und ihre Begleiter von einer Spionin verfolgen lassen und ihr die Schrate auf den Hals gehetzt, um eine Einmischung der Simanui zu verhindern. Es sind dunkle Mächte am Werk, Großmeister, vielleicht sogar im Namen des Dunklen Meisters. Ich kenne einen anderen Simanui, der an Eurer Stelle jetzt durchaus sehr besorgt wäre«, konterte Veyron nach einer Weile.

Er klang noch immer ganz gelassen, aber Tom kannte seinen Paten inzwischen gut genug um zu wissen, wie sehr es in dessen Innerem tobte. Wenn Veyron etwas richtig verärgerte, dann war es Ignoranz.

»Ihr braucht mich nicht über die Mitglieder meines eigenen Ordens zu belehren, Swift! Weder Meister Nagamoto noch irgendein anderer Simanui, trifft in dieser Sache die Entscheidung, sondern allein ich! Was den Dunklen Meister angeht: Der wurde vor eintausend Jahren vernichtet. Seine Macht ist gebrochen, die Schrate seither ohne einen Anführer. Seine Zauberbücher sind zerstört, seine Anhänger und Nacheiferer allesamt erschlagen. Nur allein die Erinnerung an ihn, ist hier und da noch lebendig, sowie zahlreiche Aberglauben«, erwiderte Taracil genervt. Seine dunklen Augen trafen dabei Iulia, die nun noch intensiver irgendetwas auf dem Boden suchte. Ihre Finger hatten sich die Lehnen des Sessels gekrallt.

»Schön, dann ist es beschlossene Sache. Wenn Ihr mir nicht helfen wollt, Großmeister, dann muss ich allein nach Maresia gehen und dort nach dem Rechten sehen. Ich versichere Euch, ich werde die Machenschaften des Ordens der Medusa aufdecken. Die Wahrheit wird ans Licht kommen … und danach werde ich Eure Entschuldigung entgegennehmen«, entschied Veyron. Er lehnte sich in den Sessel zurück, presste die Fingerspitzen aneinander und versank für einen Moment in seine unergründliche Gedankenwelt.

Taracil dagegen bekam ein hochrotes Gesicht. Tom konnte sich bildhaft vorstellen, wie der alte Zauberer jeden Moment grelle Blitze aus den Fingern schießen würde, um den unverfrorenen Fernweltler zu bestrafen.

»Es ist ein Fehler, sich über mich lustig zu machen, Swift! Es steht nicht in meiner Macht, Euch am Weg nach Maresia zu hindern oder an dem, was Ihr dort zu tun gedenkt. Aber ich warne Euch! Ganz gleich wie es für Euch ausgeht: rechnet zu keiner Zeit mit der Unterstützung oder Hilfe der Simanui! Wir halten uns aus diesen Angelegenheiten heraus«, polterte Taracil. Im Nu hatte er seine Fassung zurückgewonnen und ließ sich die Verärgerung nicht mehr länger anmerken.

Veyron brauchte einen Moment, ehe er aus seiner Gedankenversunkenheit aufwachte. Er lächelte geschäftsmäßig.

»Niemand macht sich über Euch lustig, Großmeister. Ich danke Euch auf jeden Fall für die kostbare Zeit, die Ihr uns gewidmet habt. Ich hätte allerdings noch eine letzte Bitte.«

Taracil atmete tief durch, sichtlich darum bemüht, nicht die Augen zu verdrehen.

»Ich höre.«

»Prinzessin Iulia muss wieder nach Maresia zurückkehren. Es ist sicher auch im Interesse der Simanui, sie wohlbehütet dort abzuliefern. Soweit ich informiert bin, herrscht seit dem Amtsantritt von Kaiser Tirvinius kein allzu gutes Verhältnis zwischen dem Orden und dem Imperium. Möglicherweise ist diese kleine Gefälligkeit dazu geeignet, dieses Verhältnis wieder zu verbessern.«

Taracil lachte finster. Er funkelte Veyron zornig an.

»Ich nehme an, Euer Freund im Orden, von dem ich übrigens nicht viel halte, hat Euch über diese Angelegenheit informiert. Nagamoto Tatsuya war schon seit jeher viel zu sehr darauf bedacht, den eigenen Neigungen nachzugeben, anstatt die Interessen des Ordens im Fokus zu behalten, genau wie sein Meister und Ausbilder, Lewis Daring. Aber ich muss Euer Anliegen ablehnen, denn es war keine höhere Macht, welche die Nobilissima nach Fernwelt brachte, sondern ihre eigenen Kräfte und ihre eigene törichte Entschlossenheit, dieses nutzlose Unterfangen zu wagen. Von daher überlasse ich es gerne Euch, diese Aufgabe zu übernehmen, da Ihr Euch eh auf den Weg nach Maresia begebt. Wir Simanui halten uns aus maresischen Angelegenheiten heraus, aus allen

Nun sprang Tom doch noch auf, den Kopf rot vor Zorn.

»Das ist auch besser so, denn bei uns wir ihr nichts passieren und wir wissen, wie wir uns einer Prinzessin in Not gegenüber zu verhalten haben! Nirgendwo ist sie sicherer als in der Obhut von Veyron Swift! Wir haben das Daring-Schwert, wir haben ganz ohne Simanui gegen Schrate, Trolle und dunkle Hexenmeister gekämpft«, rief er.

Taracil wandte sich mit einem Ausdruck der Verblüffung an Tom. Die kalten Augen des Zauberers schienen ihn förmlich zu durchleuchten. Trotzdem wollte Tom nicht klein beigeben, sondern ballte trotzig die Fäuste. Er hatte keine Furcht vor diesem Widerling.

»Tom Packard! Setz dich wieder hin und sei still«, schimpfte Veyron, nun erstmals richtig wütend. Tom verstand gar nicht, was er falsch gemacht hatte, aber die Strenge im Gesicht seines Paten ließ ihn ohne weiteres Widerwort gehorchen. Taracil verzog das Gesicht zu einem verächtlichen Lächeln. Verärgert starrte Tom in den Boden. Veyron hatte ihn ausgerechnet vor Taracil, diesem schmierigen, arroganten und gemeinen Angeber, bloßgestellt.

»Ich nehme an, dieses Gespräch ist damit beendet«, stellte der alte Simanui einen Moment später fest. Er wandte sich an die Königin und verkündete seinen baldigen Aufbruch. Ohne Glückwünsche, oder ein Wort der Verabschiedung, wirbelte er herum und stolzierte in Richtung Palast davon.

Niemand wagte ein Wort zu sprechen, solange sich der Großmeister in Sicht- und Hörweite befand. Sobald er jedoch den Palast betreten hatte und die Torflügel hinter ihm zufielen, klatschte Veyron in die Hände. Er sprang vom Sessel auf.

»Na schön, dann muss es eben ohne die Simanui funktionieren«, rief er, dabei seine offenbar in aller Stille bereits ausformulierten Pläne meinend. Er wirbelte zu Iulia herum. Die junge Prinzessin wagte erst jetzt wieder vom Boden aufzublicken.

»Verzeiht, Meister Swift, aber ich bin eine Närrin! Ich hätte zu Hause bleiben sollen, in Gloria Maresia, im kaiserlichen Palast. Dieses ganze Wagnis war eine einzige Dummheit. Meister Taracil hat recht: Ennia bildet sich da was ein, und meine Begleiter sind sinnlos gestorben. Wie konnten wir nur so dumm sein, ins Niemandsland zu reiten, wo die Schrate jedem Reisenden auflauern?«, schluchzte sie.

Tom bemerkte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Veyrons Gesicht war für niemanden zu deuten, so unbewegt und unmenschlich kühl blieb er. Er schien die Tränen und die Verzweiflung der Prinzessin nicht einmal zu bemerken.

»Ich fürchte, meine Autorität kann es nicht mit der eines Großmeisters der Simanui aufnehmen. Nichtsdestotrotz gibt es den Orden der Medusa und die versteinerten Mordopfer. Das klingt auf jeden Fall nach einer lohnenden, kleinen Ablenkung für mich. Ich werde nach Gloria Maresia gehen, Prinzessin Iulia. Vielleicht mache ich noch einen kleinen Umweg nach Loca Inferna und sehe dort einmal nach dem Rechten.«

Iulia blickte überrascht auf. Sie wischte sich – wenig königlich – die Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht. Ihre Augen begannen kurz zu leuchten, als sie neue Hoffnung schöpfte.

»Das würdet Ihr tatsächlich für mich tun? Oh, der arme Nero. Ich hoffe, es ist ihm dort nicht allzu schlecht ergangen. Loca Inferna gilt als eines der schlimmsten Gefängnisse im ganzen Reich. Wen man dorthin schickt, den schickt man zum Sterben hin. Ach, das ist alles meine Schuld. Von Anfang an habe ich alles immer nur schlimmer gemacht.«

Sie schlug die Hände vors Gesicht. Tom schluckte schwer, er hatte Mitleid mit der jungen Prinzessin. Königin Girian erhob sich, kniete sich vor Iulia hin, nahm deren Hände in die Ihren.

»Verzweifelt nicht, Iulia. Im Angesicht dunkler Machenschaften mögen uns viele unserer Entscheidungen im Nachhinein als wenig weise reuen. Eure Fehler erscheinen mir jedoch als die Geringsten in diesem Drama. Ich bin sicher, Veyron Swift und Tom Packard werden eine Lösung für Eure Sorgen finden, Ihr müsst ihnen nur vertrauen. Ich kenne keine Menschen, denen ich bereitwilliger mein Schicksal und selbst mein Leben anvertrauen würde«, sagte sie aufmunternd und voller Anerkennung. Tom fühlte sich unglaublich gerührt, vor Verlegenheit lief er knallrot an. Veyrons Augenbrauen zuckten ein wenig. Ein kurzes, dankbares Lächeln huschte über seine dünnen Lippen.

»Ich werde aufbrechen, sobald Taracil den Palast verlassen hat. Ich nehme an, Ihr könnt uns Proviant und Ausrüstung für ein paar Reisetage zusammenstellen«, fragte er.

Girian nickte mit einem gütigen Lächeln. Sie half Iulia beim Aufstehen. Die Prinzessin schniefte noch ein wenig, hatte sich aber wieder weitgehend gefangen.

»Noch mehr als das, Meister Veyron. Ich werde Euch einen Führer mit auf den Weg geben. Faeringel wird vielleicht nicht ganz erfreut darüber sein, denn er verlässt die Grenzen unseres Landes nur ungern. Es gibt jedoch niemanden in den Reihen meiner Jäger, der erfahrener ist. Des Öfteren schickte ich ihn schon nach Gloria Maresia, und auch in andere menschliche Lande. Auf ihn könnt Ihr Euch verlassen, ganz egal in welche Schwierigkeiten Ihr geratet.«

Tom war nicht sicher, ob er Girians Meinung im Moment teilen wollte. Er dachte immer noch daran, wie Veyron ihn angefaucht hatte – vollkommen grundlos, wie er fand. Und das Schlimmste: Veyron hielt es nicht einmal für notwendig, sich dafür zu entschuldigen, oder seinen Ausbruch wenigstens zu erklären. Er tat einfach so, als wäre nichts gewesen, während Tom an nichts anderes denken konnte. Lag es daran, dass Veyron nicht in der Lage gewesen war, Taracil umzustimmen? Er wusste wie sehr es seinen Paten verärgerte, wenn sich andere partout nicht überzeugen lassen wollten. Ein Glück, dass Iulia und Faeringel sie auf dieser Reise begleiten würden. Wenigstens wären Jane und er Veyrons Launen dann nicht allein ausgesetzt.

Veyron Swift und der Orden der Medusa

Подняться наверх