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Vorwort zur deutschen Ausgabe

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Während der Finanzkrise von 2008 ist wohl kein Ereignis der Wirtschaftsgeschichte so oft in Erinnerung gerufen worden wie der Börsencrash von 1929. Viele Menschen fragten sich, ob sie nun mit einer Wiederholung der Weltwirtschaftskrise mit all ihren katastrophalen politischen Folgen rechnen müssten. Auch in jüngster Zeit ist der Vergleich mit dem historischen Ereignis wieder vermehrt bemüht worden. Im Zuge der expansiven Geldpolitik haben die Aktienkurse einen neuen Höchststand erreicht, was allseits Ängste vor einer scharfen Korrektur weckt. Man rechnet mit dem Schlimmsten.

So verständlich die öffentliche Beschäftigung mit 1929 auch ist, sie steht in einem eigenartigen Kontrast zum Konsens unter den Wirtschaftshistorikern. Für die meisten von uns ist nicht 1929, sondern 1931 das entscheidende Jahr, in dem die Weltwirtschaftskrise ein bedrohliches Ausmaß annahm. Denn im Sommer jenes Jahres brach in Deutschland eine Finanzkrise aus, die eine viel verheerendere Wirkung auf die Weltwirtschaft ausübte als der Börsensturz an der Wallstreet. Auch politisch ist 1931 viel wichtiger als 1929. Von den fallenden Aktienkursen profitierten die Nationalsozialisten nicht im Geringsten, dafür aber umso mehr von den enormen Verwerfungen im Gefolge der deutschen Finanzkrise. Hitlers Chancen auf große Wahlerfolge stiegen im Sommer 1931 sprunghaft an.

Der Kern der Krise ist leicht erklärt. Das Reich hatte Auslandsschulden, die Ende der 1920er-Jahre rund 86 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten, was im historischen und internationalen Vergleich einen äußerst hohen Wert darstellt. Drei Fünftel dieser Summe bestand aus Reparationsverpflichtungen, der Rest war ausländischen Banken geschuldet. Solange die Wirtschaft gut lief, war die Schuldenlast gut zu tragen, aber als Deutschland 1929 in eine Rezession glitt, geriet die deutsche Regierung in eine gefährliche Zwangslage. Sie war nämlich gezwungen, gleichzeitig einen Haushalts- und einen Handelsbilanzüberschuss zu erzielen, um die hohen Auslandsschulden zu bedienen. Dadurch verschärfte sich die Rezession, was wiederum neue Sparanstrengungen erforderte.

Ermüdet von der Wirtschaftskrise und der politischen Opposition erklärte Reichskanzler Brüning schließlich im Juni 1931, dass Deutschlands Fähigkeit, die Reparationen zu bezahlen, erschöpft sei, und provozierte damit eine abrupte Flucht der Anleger aus der Reichsmark. Eine Zeitlang vermochte die Reichsbank den Geschäftsbanken die Devisen auszuhändigen, die sie benötigten, um die fliehenden ausländischen Kunden auszuzahlen. Aber Mitte Juli war das Pulver verschossen. Zuerst musste die Danatbank ihre Schalter schließen, dann das gesamte Bankensystem, und schließlich führte die Brüning-Regierung Kapitalverkehrskontrollen ein. Dies löste wiederum eine katastrophale weltweite Liquiditätskrise, eine Abwertungswelle und Bankenkrisen aus. Das globale Finanz- und Währungssystem lag am Ende des Jahres in Trümmern.

Weil die Fokussierung auf den Börsencrash vom Oktober 1929 in der angelsächsischen Welt besonders stark ist, habe ich dieses Buch ursprünglich für ein englischsprachiges Publikum geschrieben. Es war mir wichtig zu zeigen, dass die deutsche Krise sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihren Auswirkungen international war und dass die drei großen Gläubigerländer Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten eine ebenso große Verantwortung für die Katastrophe trugen wie die deutsche Regierung unter Reichskanzler Brüning. Denn sie waren nicht in der Lage, die eklatanten Widersprüche zwischen den internationalen Nachkriegsabkommen und den innenpolitischen Realitäten der Weimarer Republik rechtzeitig aufzulösen.

Mein Eindruck ist allerdings, dass auch in Deutschland das Bewusstsein für die globalen Dimensionen der Finanzkrise nicht allzu stark ausgebildet ist. In der Regel wird meist nur an die Bankenkrise vom Juli 1931 erinnert, während die internationale Diplomatie und die globalen Folgen nur am Rande erwähnt werden. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Schuldenkrise, die der Bankenkrise zugrunde lag, weniger gut mit Bildern illustriert werden kann. Schlangen vor geschlossenen Banken sind gut sichtbar, während der Abzug von ausländischen Guthaben infolge von politischen Ereignissen still und leise vor sich geht.

Eine deutsche Ausgabe empfiehlt sich auch deswegen, weil die Erinnerung an 1931 dazu beitragen kann, dass man sich in Deutschland noch stärker bewusst wird, welche Verantwortung das Land heute als größter Gläubiger Europas trägt. Die hochverschuldeten südeuropäischen Länder befinden sich momentan in einer ähnlichen Lage wie die Weimarer Republik zu Beginn der 1930er-Jahre. Die Schaffung des Euro hat ihnen das wichtigste Instrument zur Krisenbewältigung genommen. Sie können ihre Währungen nicht mehr abwerten und eine auf die Bedürfnisse der einheimischen Wirtschaft zugeschnittene Geldpolitik verfolgen. Zudem sind ihre Banken äußerst schwach kapitalisiert und kämpfen mit einem hohen Bestand an faulen Krediten. Die Folge dieser verfahrenen wirtschaftlichen Situation ist die Unmöglichkeit, stabile politische Mehrheiten zu bilden, was wiederum die Verabschiedung von Reformen erschwert. Diese Situation ist äußerst gefährlich und verlangt nach einer Lösung, an der sich nicht nur die Schuldner, sondern auch die Gläubiger beteiligen.

Darüber hinaus versuche ich in der Darstellung deutlich zu machen, dass wir den Aufstieg Hitlers nur verstehen können, wenn wir ein präzises Verständnis der Wirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre entwickeln. Es trifft nämlich nicht zu, dass sich die Wahlerfolge der Nationalsozialisten in erster Linie aus der stetig zunehmenden Arbeitslosigkeit ergaben. Es war vielmehr die Schuldenkrise vom Sommer 1931, welche die Weimarer Republik in ihren Grundfesten so stark erschütterte, dass sich ein rechtsextremer Politiker wie Hitler ernsthafte Chancen ausrechnen konnte. Unablässig hatte er die Auflagen der ausländischen Gläubiger und die damit verbundene Sparpolitik der eigenen Regierung für die wirtschaftliche Misere des Landes verantwortlich gemacht und konnte nun im Sommer 1931 die Ernte seiner politischen Agitation einfahren.

Bei der Entwicklung meiner Darstellung habe ich von vielen Gesprächen mit Freunden und Kollegen profitiert. Am wichtigsten waren dabei Markus Diem Meier, Markus Somm und Oliver Zimmer. Sie zwangen mich, meine Argumentation zu schärfen und die Relevanz einer vergangenen Finanzkrise anschaulich zu erklären. Ich lernte auch viel vom Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die mein Interesse für die Krise von 1931 teilen: Olivier Accominotti, Alexander Apostolides, Johannes Bähr, Simon Banholzer, Vincent Bignon, Øyvind Eitrheim, Marc Flandreau, Juan Flores, Luca Froelicher, Per Hansen, Clemens Jobst, Lars Jonung, Drew Keeling, Jan Tore Klovland, Peter Kugler, Matthias Morys, Lars Ögren, Lars Fredrik Øksendal, Mary O’Sullivan, Gianluca Pardini, Alexander Rathke, Alfred Reckendrees, Samad Sarferaz, Mark Spoerer, Stefano Ugolini, Scott Urban, Hans-Joachim Voth, Florian Weber, Ulrich Woitek und Nikolaus Wolf. Einen besonderen Dank schulde ich ferner Harold James und Albrecht Ritschl, deren Unterstützung für den Abschluss des Buchs entscheidend war. Und schliesslich möchte ich mich ganz herzlich bei Oxford University Press und der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft bedanken, insbesondere bei Luciana O’Flaherty, Johannes Klemm, Martin Richter und Daphne Schadewaldt.

1931

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