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Einleitung

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Am 14. Juli 1931 war Joseph Goebbels, der NSDAP-Gauleiter von Berlin und Propagandachef der Partei, in Hochstimmung. „Die Politik macht die tollsten Kapriolen“, schrieb er in sein Tagebuch. „Brüning in ernsten Schwierigkeiten. Die Kredite bleiben aus. Das Reich steht vor dem Bankrott. Unsere Stunde naht mit unheimlicher Sicherheit. Wir werden sie zu nutzen wissen. Nach Brüning sind wir an der Reihe.“1

Leider hatte Goebbels recht. Deutschlands Finanzkrise beschleunigte den Zusammenbruch der Weimarer Republik in beängstigendem Tempo. Nur 18 Monate später, im Januar 1933, wurde Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Kanzler ernannt. Goebbels täuschte sich zwar darin, dass die Nationalsozialisten die Regierung unmittelbar nach Brüning übernehmen würden – zwei weitere Politiker, Franz von Papen und Kurt von Schleicher, saßen kurze Zeit in der Reichskanzlei, bevor Hitler an die Macht kam –, aber sein Gespür war richtig. Eine Regierung, die Banken schließt, Kapitalkontrollen einführt und sich mitten in einer tiefen Rezession für zahlungsunfähig erklärt, hat kaum eine Chance, zu überleben. Zwar gelang es Brüning, bis Mai 1932 an der Macht zu bleiben, aber nach dem Juli 1931 war er tödlich verwundet.

Deutschlands Finanzkrise 1931 verschaffte nicht nur den Nazis enormen politischen Schub, sie löste auch eine internationale Liquiditätskrise aus und stieß Banken und Finanzmärkte auf der ganzen Welt ins Chaos. In Panik geratene Anleger zwangen das britische Pfund, den Goldstandard zu verlassen, und lösten nicht nur eine Welle von Abwertungen an so entfernten Orten wie Indien und Japan aus, sondern auch einen Run auf den Dollar und eine Bankenkrise in den USA. Wie Dominosteine fielen die Säulen der Weltwirtschaft eine nach der anderen um. Nicht der Börsenkrach von 1929 stieß die Welt in die wirtschaftliche Depression, sondern die deutsche Krise von 1931. Das wiederum schwächte die deutsche Wirtschaft und die Regierung in Berlin weiter.

Jede nachfolgende Generation hat diese außergewöhnliche Periode des politischen und ökonomischen Chaos studiert.2 Nun, da wir eine weitere große Finanzkrise überstanden haben und in einer Welt politischer Polarisierung leben, scheint ein besonders passender Moment zu sein, um die Ereignisse von 1931 neu zu betrachten. Die zentrale Frage, die es zu beantworten gilt, ist stets dieselbe geblieben: Warum konnten die politisch Verantwortlichen eine solche Katastrophe nicht verhindern?

Nach einer geläufigen Hypothese waren sie nicht in der Lage, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen, und dafür spricht einiges. Frühe Warnungen durch unabhängige Ökonomen wurden ignoriert, und viele Politiker gefielen sich in moralistischen Belehrungen, ohne über ökonomisches Wissen zu verfügen. Doch nach der Währungskrise, die vom sensationellen Wahlsieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen vom September 1930 ausgelöst wurde, erkannten viele Politiker, dass Deutschland am Rand des finanziellen Zusammenbruchs stand. Von diesem Zeitpunkt an hatten sie genügend Zeit, die Katastrophe zu verhindern. Geistige Trägheit erklärt das Drama also nur zum Teil.

Doch wenn die politisch Verantwortlichen den Ernst der Lage erkannten, warum brauchten sie so lange, um zu handeln? Fehlte es ihnen an Mut für harte Entscheidungen? Auch diese Hypothese ist ein Stück weit plausibel, denn zweifellos waren die verantwortlichen Politiker keine außergewöhnlichen Staatsmänner. Doch wenn wir die Biografien westlicher Staatsführer in dieser Periode vergleichend betrachten, erscheinen sie auch nicht als besonders feige oder inkompetent. US-Präsident Herbert Hoover war ein intelligenter und erfahrener Administrator mit großem Verständnis für die Probleme Europas. Der britische Premier minister Ramsay MacDonald zeigte ein tiefes Interesse an internationaler Zusammenarbeit und war bestrebt, Brücken zu bauen und Spannungen zu mildern. Die französische Außenpolitik lag in den Händen von Aristide Briand, einem der fähigsten Diplomaten, die Frankreich je dienten. Und Reichskanzler Heinrich Brüning galt als besonnener Politiker und einer der führenden Finanzexperten seiner Zeit. Natürlich machten sie alle Fehler, vor allem Brüning, aber man kann nur schwer argumentieren, dass eine andere Gruppe von Politikern die tickende Bombe leichter entschärft hätte.

Eine weitere Hypothese betont den institutionellen Rahmen, innerhalb dessen die Politiker handelten. Das erscheint als plausibelste Erklärung, denn Anfang der 1930er-Jahre hatte die deutsche Regierung wegen ihrer hohen Auslandsschulden fast keinen Handlungsspielraum. Sie musste nicht nur Reparationen für den Ersten Weltkrieg bezahlen, sondern war nach einem Kreditrausch während des Booms der späten 1920er-Jahre auch tief bei ausländischen Banken verschuldet. Als die Weltwirtschaftskrise kam, blieb der deutschen Regierung keine Wahl als eine Sparpolitik, welche die Rezession weiter verschärfte und mehrere Runden von Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen erforderte. Zudem machte der Goldstandard es schwierig, dem Bankensystem genügend Liquidität zu geben. Die deutsche Reichsbank musste stets mindestens 40 Prozent des Werts aller zirkulierenden Banknoten mit Gold- und Devisenreserven decken. Es war unter diesen ruinösen Umständen nur eine Frage der Zeit, bis radikale Parteien Wahlen gewinnen würden und das Finanz- und Währungssystem zusammenbrechen würde.3

Offensichtlich wäre es für private wie staatliche Gläubiger möglich und angebracht gewesen, Deutschlands Zahlungsverpflichtungen zu erleichtern, und es gab durchaus einflussreiche Stimmen, die genau dies forderten. Doch aus verständlichen Gründen zögerten die Politiker in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten und wählten einen schrittweisen diplomatischen Ansatz. Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg war noch frisch, die Regierungen misstrauten einander, und die öffentliche Meinung in den Gläubigerländern war skeptisch, was weitreichende Zugeständnisse und Schuldenschnitte anging. Außerdem verschärfte sich die Krise sehr schnell und überrollte die alltägliche Routine von Politik und Diplomatie. Schließlich startete Präsident Hoover in letzter Minute eine Initiative, um die Flucht aus der deutschen Währung zu stoppen, doch es war zu spät, die Finanzkrise von 1931 zu verhindern.

So ist die deutsche Krise nicht deshalb lehrreich, weil sie zeigt, dass Politiker es manchmal versäumen, mutige Entscheidungen zu treffen. Das ist zu erwarten. Die meisten von uns gehen ungern ein Risiko ein. Vielmehr lehrt sie uns eine zeitlose Lektion darüber, wie wichtig es ist, bei internationalen Abkommen realistische Vorgaben zu machen. In den 1920er-Jahren misslang es den Alliierten, ein Reparationssystem zu entwickeln, das den wirtschaftlichen und politischen Realitäten in Deutschland entsprach. Diplomaten und Politiker gaben sich zwar große Mühe, das System den sich wandelnden Umständen anzupassen, hielten fast 30 Konferenzen ab und einigten sich 1924 auf den Dawes-Plan und dann 1930 auf den Young-Plan. Doch eine Analyse all des Aktenmaterials dieser Konferenzen erbringt nur wenige Hinweise, dass man sich bewusst war, wie dringend nötig ein neuer, realistischerer Ansatz war. „Das politisch Praktikable und das ökonomisch Mögliche standen miteinander im Krieg“, fasste ein zeitgenössischer Beobachter treffend die Tragödie zwischen 1919 und 1931 zusammen. „Der Kampf war wie ein lang andauerndes Gefecht an einem Hügel, wo die politischen Kräfte wiederholt versuchten, bergauf vorzudringen und es zuweilen auch für kurze Zeit schafften, während die herrschenden ökonomischen Faktoren sie stetig bergab trieben.“4

Die vorliegende Darstellung konzentriert sich auf die dramatische Periode vom Januar 1930, als der Young-Plan verabschiedet wurde, bis zum Juli 1931, als die Finanzkrise ausbrach. Wir werden im ersten Teil sehen, wie die meisten Bankiers, Diplomaten und Politiker nur langsam das Ausmaß dessen erkannten, was vor sich ging. Der zweite Teil behandelt die Wendepunkte, die den Akteuren vor Augen führten, was auf dem Spiel stand, und wie sie versuchten, die Handlungszwänge zu überwinden. Der dritte Teil schildert das Scheitern bei dem Versuch, die Katastrophe zu verhindern, und die rasche Verschärfung der Finanzkrise. Es handelt sich um ein Drama von fast biblischem Ausmaß, das zeigt, wie schnell eine Situation, die zunächst beherrschbar erscheint, außer Kontrolle geraten kann.

1931

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