Читать книгу Die Flucht des Feuerteufels - Tom Aspacher - Страница 5
Tag 3
ОглавлениеDer nächste Morgen war schlimmer als nach einer durchzechten Nacht. Holsbein hatte kaum die Augen geöffnet, da war die ganze Scheiße der letzten Tage auf ihn herabgestürzt. Ihm wurde das erste Mal richtig bewusst, dass er nie mehr in sein altes Leben würde zurückkehren können. Es war zwar nicht gerade eine Aneinanderreihung von Sensationen und Abenteuern, aber ganz nett, und schließlich hatte er es sich so ausgesucht. Nun lag er auf diesem viel zu weichen Bett in einem billigen Hotelzimmer und wusste nicht mehr weiter. Seine Zukunft war völlig ungewiss. Auf der Flucht konnte er nicht ewig bleiben, früher oder später würde er wohl im Knast landen. Am meisten aber setzte ihm zu, dass Aline ihn verraten hatte.
* * * * *
Widmer schleuderte den »Amsheimer Boten« auf Leimbachers Schreibtisch.
»Sie müssen mir keine Zeitung bringen«, meinte der gelassen, »wir haben hier selber welche.«
»Verdammt, Leimbacher«, donnerte der Hauptkommissar, »ich kann nicht glauben, was Sie da geschrieben haben.«
»Das habe ich Ihnen doch gestern gesagt, aber Sie wollten ja keine Stellung nehmen«, motzte Leimbacher. »Haben Sie übrigens gelesen, was die ›Nordost-Nachrichten‹ in ihrer heutigen Ausgabe geschrieben haben? Nichts! Mit Ausnahme einer kleinen Randnotiz, dass sich die Frau des Hausmeisters langsam von ihrer Rauchvergiftung und den Verbrennungen erholt. Wir aber bringen die relevanten News. Der ›Amsheimer Bote‹ ist dem Feuerteufel auf der Spur.«
»Jetzt kommen Sie mal runter, Leimbacher. Ihr Wettstreit mit den ›Nordost-Nachrichten‹ interessiert mich einen feuchten Dreck. Ich will wissen, woher Sie die Infos über Holsbeins Flucht haben.« Widmer setzte sich und versuchte seinem Gegenüber zu erklären, dass es die Fahndung durchaus erleichtern würde, wenn die Polizei Leimbachers Informanten ebenfalls ein paar Fragen stellen könnte.
Doch der winkte ab. »Quellenschutz, mein Lieber.«
Widmer musste gegen den Drang ankämpfen, ihm die Faust mitten in sein feistes Babygesicht zu rammen.
Leimbacher war der feindselige Blick nicht entgangen. Er stand auf und deutete an, dass es für Widmer nun langsam Zeit war, die Redaktionsräume zu verlassen. »Übrigens, Herr Wachtmeister, gibt es denn nichts, was Sie mir zu dem Fall erzählen könnten? Oder muss ich wieder schreiben, dass Sie überhaupt keinen Plan haben?«
Widmer drehte sich um. »Wir sind da tatsächlich an einer heißen Spur dran, aus ermittlungstaktischen Gründen darf ich Ihnen aber leider nichts darüber verraten. Auf Wiedersehen.«
Leimbacher ließ sich wieder in seinen Chefsessel plumpsen. Er benötigte dringend neue Informationen, um bei der Story weiterhin den Lead zu haben. »Sarah, komm doch mal, bitte«, rief er durchs Büro, konnte dann aber doch nicht warten und eilte, so schnell sein Bauch es erlaubte, zum Schreibtisch der Praktikantin. »Hast du schon was von Holsbein gehört?«
»Nein«, sagte Püppy unsicher.
»Hast du ihm eine Nachricht geschrieben und auch versucht, ihn anzurufen?«
»Hab ich, aber er hat nicht reagiert.«
»So ein Mist«, murmelte Leimbacher nach einer Kunstpause, die sein angestrengtes Sinnieren deutlich machen sollte. »Versuch es weiter. Und wenn du ihn bis Mittag nicht erreichst, dann vereinbarst du gleich einen Termin mit dieser Frau Öztürk. Und nimm die Fotokamera mit.«
»Wer ist das?«
»Ein Medium, das der Polizei auch schon bei der Ermittlung von Tätern geholfen hat. Die kann uns sicher etwas über diesen Bastard sagen. Wir brauchen unbedingt irgendwelche News.«
Püppy zögerte. »Ist das die Frau, die die Kollegen von der Mantelredaktion kürzlich als Betrügerin entlarvt haben?«
»Diese Ignoranten haben doch keine Ahnung«, schimpfte Leimbacher und stapfte zurück in sein Büro. Dank seinem Primeur in der aktuellen Ausgabe konnte es nicht mehr lange dauern, bis die Kollegen von anderen Zeitungen und vom Fernsehen anrufen und ihn um Details zum Fall bitten würden.
* * * * *
Nach der kalten Dusche fühlte sich Holsbein wieder besser. Da es im Hotel kein Frühstück gab, ging er auf einen Kaffee in die Bar gegenüber.
»Ah, mein liebster Stammgast«, begrüßte ihn der Patron. »Kaffee oder doch lieber schon ein Bier?«
»Das Bier muss noch ein wenig warten«, sagte Holsbein und setzte sich auf seinen Hocker.
Der Dicke stellte ihm den Kaffee auf den Tresen. »Darf ich Ihnen zwei Croque Monsieur bringen, die Sie dann wieder stehen lassen können?«
»Nein danke.« Holsbein grinste. Das war einer dieser Barkeeper, die ihre Gäste genau einschätzen konnten, die wussten, wann ihr Geplauder gefragt war, wann sie mit einem Spruch die Stimmung aufheitern – oder einfach die Fresse halten und Schnaps nachschenken sollten. Holsbein nahm einen Schluck Kaffee, verzog das Gesicht. Er legte drei Euro auf die Theke und stand auf. »Bis später.«
In der Autogarage, die er am Abend zuvor ausfindig gemacht hatte, ging es ziemlich laut zu und her. Zwei Mechaniker waren gerade dabei, im Hinterhof mit Vorschlaghammer und Schweißgerät einen alten Ami-Schlitten auseinanderzunehmen. Der Chef kam mit dem Telefon am Ohr aus dem Büro und lief einmal um den Espace rum. Er rüttelte an der leicht schief sitzenden Plastikverkleidung am Heck, schaute sich das zertrümmerte Rücklicht an und trat gegen den rechten Hinterreifen. »Sollen wir nur die Laterne hier hinten ersetzen oder hat das Schätzchen noch andere Probleme?«, fragte er, ohne das Telefon vom Ohr zu nehmen. Offensichtlich hing er in einer Warteschleife fest.
»Das Rücklicht reicht«, sagte Holsbein.
»Darf es denn auch ein gebrauchtes sein?«
»Sehr gerne sogar.«
»Gut. Wäre ja auch schade, hier noch was Neues einzubauen«, sagte der Typ. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Bruder noch so ein Modell bei sich rumstehen hat. Er betreibt eine Autoverwertung, drüben in Héricourt. Das Teil bekomme ich allerdings frühestens heute Nachmittag, vielleicht auch erst am Abend. Morgen um zehn Uhr können Sie Ihr Schätzchen wieder abholen.«
Holsbein reichte ihm die Keycard und den Fahrzeugausweis und verabschiedete sich.
»Ach ja«, rief ihm der Chef nach, »wir nehmen keine Checks und auch keine Kreditkarten, nur Bares.«
»Kann mir nur recht sein.«
Der Tag verlief relativ ereignislos, gerade für einen, der sich auf der Flucht vor der Polizei befand. Nach dem Termin in der Werkstatt ging Holsbein zurück in sein Hotelzimmer. Das Bett war schon gemacht, und die Putzfrau hatte das Ende der Toilettenpapierrolle zu einem Dreieck gefaltet. Das mochte er. Holsbein legte sich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein. Die Nachrichtensprecherin auf einem Provinzkanal erinnerte ihn ein wenig an Blondie. Er holte sich einen runter und döste dann ein.
Mittags ging es in die nächstbeste Pizzeria. Beim Kaffee blätterte Holsbein eine Infobroschüre über Belfort durch, die er aus dem Hotel mitgenommen hatte, er musste schließlich einiges an Zeit totschlagen. Die Zitadelle, der Löwe des Bildhauers Bartholdi, der Befestigungsgürtel: Das alles interessierte ihn einen Scheiß. Und was er auf der Suche nach der Autowerkstatt von Belfort gesehen hatte, war auch nicht wahnsinnig aufregend gewesen. Er beschloss deshalb, sich noch einen runterzuholen und vielleicht ein bisschen zu schlafen.
Auf dem Weg zurück ins Hotelzimmer kam Holsbein an einem Internetcafé vorbei. Er kaufte dreißig Minuten für fünf Euro und widmete sich den Schweizer Newsportalen. Die Website seiner eigenen Zeitung brauchte er gar nicht erst aufzurufen, viel mehr als ein veraltetes Impressum und die Inseratetarife gab es da nicht zu sehen. »Mal schauen, was der Feuerteufel so macht«, murmelte er und klickte sich durch die vielen aufgeblasenen Sommerlochgeschichten.
Es dauerte nicht lange, da wurde Holsbein fündig. »Amsheimer Feuerteufel flüchtet nach Rotterdam«, titelte die Onlineausgabe des »Ostschweizer Tagblatts«. Demnach war der Täter R. H. (Name der Redaktion bekannt) auf der Flucht über Deutschland in die niederländische Hafenstadt Rotterdam, wo er als Matrose auf einem Frachter anheuern und erst einmal untertauchen wollte. Der Autor des Textes berief sich bei sämtlichen Informationen auf einen Artikel des »Amsheimer Boten«, der laut dem »Tagblatt« wiederum gut unterrichtete Kreise zitiert hatte.
Holsbein verdrehte die Augen. Das war haargenau der Inhalt seiner SMS, die er an Püppy geschrieben hatte. Als Urheber der Meldung hätte er eigentlich ein Informationshonorar zugute gehabt. Er schaute sich noch ein paar andere News-Seiten an, aber die hatten alle mehr oder weniger den gleichen Text aufgeschaltet. Nach einer Viertelstunde wusste Holsbein alles, was er wissen wollte und machte sich wieder auf den Weg. Er freute sich auf Blondie, die im Hotelzimmer auf ihn wartete. Irgendwie.
* * * * *
»Und du bist dir sicher, dass er nicht auf nach Weg nach Rotterdam ist?« Camenzind presste den Telefonhörer mit der Schulter ans Ohr und tastete sein Jackett nach einer Schachtel Zigaretten ab. »Sonst müssen wir die Meldung unserer lieben Konkurrenz übernehmen.«
»Mach das nicht«, sagte Aline. Sie saß in ihrem neuen Büro, das seit der Suspendierung im Wesentlichen aus ihrem Sofa, dem riesigen Flachbildfernseher und ein paar herumstehenden Bierflaschen bestand – die Vorteile von Homeoffice. »Wenn du den Mist auch in unserem Blatt bringst, dann kannst du dich nachher nicht über die Dumpfbacken lustig machen, und das würdest du doch gerne, oder?«
»Klar. Aber was macht dich so sicher, dass die Meldung nicht stimmt?«
»Nennen wir es doch einfach weibliche Intuition …«
»Nein, nein«, fiel ihr Camenzind ins Wort. »Den ganzen Tag höre ich zigmal diesen Scheiß mit der weiblichen Intuition. Komm mir also nicht damit. Ich will Fakten, sonst kann ich gleich dieses verrückte Möchtegern-Medium fragen, wo sich Holsbein aufhält. Frau Öztürk heißt die, oder?«
»Mein lieber Armin«, flötete Aline, »du hast offenbar vergessen, dass ich ihn ganz gut kenne.«
»Das sagt gar nichts, ich bin seit bald zwanzig Jahren verheiratet und meine Frau überrascht mit noch jeden Tag mit nicht nachvollziehbaren Aussagen und Handlungen.«
»Aber Holsbein ist wirklich einfach zu durchschauen, das kannst du mir glauben.«
Camenzind gab sich damit nicht zufrieden. Er hatte Aline aus zwei Gründen suspendiert. Einerseits wollte er der Polizei damit zeigen, dass er die Namensnennung eines flüchtigen Verdächtigen in seiner Zeitung nicht tolerierte. Auf der anderen Seite hielt er sie so aus dem Tagesgeschäft raus, damit sie sich auf Holsbeins Flucht konzentrieren konnte. Würde die Serie gut werden, und davon ging er aus, wäre das gut für die Zeitung und damit gut für ihn – und das wiederum wäre eine kleine Wiedergutmachung für den Ärger mit der Polizei, den sie ihm eingebrockt hatte. Informanten schien sie ja zu haben, das musste er ihr zugestehen. Aber endlos warten wollte und konnte er auch nicht. »Du hast bis morgen Zeit, mir irgendwas zu liefern«, hielt Camenzind unmissverständlich fest.
»Kein Problem, Herr Major«, erwidert Aline im zackigen Tonfall. Allerdings hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie das machen sollte. Der Feuerteufel war wie vom Erdboden verschluckt.
* * * * *
Irgendwann hatte Holsbein genug von der dauernden Wichserei und dem Herumgezappe durch die Fernsehkanäle und beschloss, dem »Princesse« einen Besuch abzustatten. Der Riese schien sich richtig zu freuen und wollte wissen, ob er ihm einen Kaffee machen solle, damit er ihn wieder stehen lassen könne.
»Nein danke, mein Herr. Ich hätte gerne ein kühles Blondes.«
Diesmal befanden sich mehr Gäste als sonst in der Bar; die meisten waren Arbeiter bei ihrem Feierabendbier. Holsbein war durstig und orderte gleich noch ein zweites Lager. »Übrigens, schöne Hosenträger«, schickte er der Bestellung gut gelaunt hinterher. Er griff in die linke Gesäßtasche seiner Jeans, um sein Handy herauszuholen, ließ es dann aber sein. Er hätte nur zu gerne gewusst, ob er schon in Rotterdam angekommen war. Doch er wollte den Fahndern keine Möglichkeit geben, ihn zu orten. Morgen würde er sich eine Prepaid-Karte besorgen müssen, sofern dies ohne die Angabe seiner Personalien überhaupt möglich war.
Der Riese stellte ihm das Bier auf den Tresen. »Mein Herr, Sie haben vorhin meine Hosenträger angesprochen«, sagte er und beugte sich zu ihm herab.
»Das habe ich, die stehen Ihnen wirklich gut«, meinte Holsbein.
»Sie halten das vielleicht für ein modisches Accessoire, ein schmückendes Element.«
»Na ja«, sagte Holsbein lakonisch, »vor allem sorgen sie wohl dafür, dass die Hose nicht runterrutscht.«
»Ganz genau so ist es. Ich trage sie auch, wenn ich es mir zu Hause in meiner Freizeitkleidung bequem mache, oder im Bett, mit meinem Schlafanzug.«
Holsbein schmunzelte. »Das scheint mir aber nicht sonderlich bequem zu sein.«
»Es geht hier nicht um Bequemlichkeit. Sehen Sie, bevor ich dieses reizende kleine Lokal hier mit dem Erbe meines Onkels erstanden habe, arbeitete ich bei einem Bestattungsinstitut. Meine Aufgabe war es, die Toten abzuholen, sobald die Leichname von der Polizei freigegeben wurden. Und Sie können sich nicht vorstellen, wie viele tote Männer mit heruntergelassenen Hosen ich dabei gesehen habe. Die starben beim Scheißen, sind einfach von der Schüssel gekippt, oder mit dem Schwanz in der Hand vor dem Fernseher. So will man nicht gefunden werden, von der eigenen Frau nicht und auch nicht von der Polizei. Und glauben Sie mir, Ihr Schwanz wird winzig sein, wenn Sie tot sind.«
Zwei Typen kamen rein und bestellten eine Flasche Weißwein. Der Riese entschuldigte sich.
»Und was hat das jetzt mit den Hosenträgern zu tun?«, wollte Holsbein wissen.
Der Patron machte eilig zwei dickwandige Weingläser voll und wandte sich dann wieder Holsbein zu. »Mein junger Freund, all diese toten Männer mit ihren kleinen Penissen sind der Grund dafür, weshalb ich die Hosenträger nie ausziehe, selbst auf der Toilette lasse ich sie über den Schultern, auch wenn das ziemlich spannt.«
Holsbein kam nicht darum herum, sich dieses Bild plastisch vorzustellen. Er hoffte, er würde es jemals wieder aus dem Kopf kriegen.
»Es ist doch so«, fuhr der Riese fort. »Wenn ich einen Herzinfarkt bekomme, dann habe ich sicher keine Zeit mehr, mir die Hosen hochzuziehen. Aber wenn ich von der Couch oder der Schüssel kippe, dann schnellen meine Hosen wegen der Hosenträger automatisch nach oben und ich kann mir wenigstens ein bisschen Würde erhalten. Machen Sie sich mal Gedanken darüber.«
»Danke für den Tipp, das werde ich tun«, sagte Holsbein ernst. »Und nun hätte ich gerne noch ein Bier.«