Читать книгу Terapolis - Tom Dekker - Страница 8
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Greg versuchte, im nur von wenigen Fackeln erleuchteten Zwielicht der Nacht etwas zu erkennen. Ein schabendes Geräusch hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, da war er sich ganz sicher. Doch so sehr er auch lauschte, kein weiterer Laut war zu vernehmen. Es war bitterkalt. Sein nur mit einer dünnen Wolldecke geschützter Körper zitterte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Ob das Zittern nur von der Kälte kam? Da war es wieder, dieses Schaben, so als würde Eisen auf Eisen entlanggezogen. Näher diesmal, aber immer noch konnte er keine Bewegung ausmachen. Er schaute sich in seiner näheren Umgebung um. Offenbar hatte man ihn in einen grob gezimmerten offenen Verschlag gelegt, der am Tag eine gute Sicht auf eine der Straßen ermöglichte, doch jetzt, in der Nacht, konnte Greg kaum zehn Schritte weit sehen. Umso mehr war er auf sein Gehör angewiesen. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit, konnte aber keinen Laut ausmachen. Es war geradezu gespenstisch still. Die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, spürte er eine neue Kältewelle durch seinen Körper rollen. Das Zittern breitete sich von seinem Bauch durch den ganzen Körper aus. Greg musste die Augen schließen, als die Kältewelle durch seinen Kopf fegte. Gerade, als er sie wieder öffnete, spürte er den Hauch eines Atems in seinem Gesicht. Eine schrecklich verzerrte Fratze beugte sich über ihn und direkt hinter der Kreatur war wieder dieses schabende Geräusch zu hören. Jedes rationale Denken war unmöglich, stattdessen übernahmen Gregs Instinkte das Kommando. Mit einem markerschütternden Schrei riss Greg die Arme hoch und versuchte, die Fratze von sich zu schieben.
Das nächste, was er spürte, waren mehrere Hände, die sich um seine Arme und Beine krallten und ihn daran hinderten, um sich zu schlagen. Wütend wollte er all seine Kräfte einsetzen, doch plötzlich wurde ihm bewusst, dass diese Empfindung völlig anders war, als das Schaben und Kratzen der Kreatur. Mühsam zwang er sich, ruhig zu atmen, entspannte Arme und Beine und öffnete die Augen.
„Gott sei Dank. Er wird wach.“, hörte er eine Mädchenstimme sagen.
„Ich dachte schon, er will uns alle windelweich schlagen.“, brummte eine Jungenstimme, die ihm merkwürdig bekannt vorkam.
„Gegen wen er wohl in seinem Traum gekämpft hat?“, fragte eine weitere Mädchenstimme, die eindeutig Nici gehörte. Nici? Langsam setzten sich die Bilder des vergangenen Tages in Gregs Kopf wie Puzzleteile zusammen und er erinnerte sich wieder, wo er war. Die Kolonie. Er war vom Zug gestürzt, Mav, Stan, Nici und Mara hatten ihn zur Kolonie gebracht und dort hatten die Einwohner beschlossen, ihn für drei Tage aufzunehmen. Dann war er mit Mav und Hanson mitgegangen. Und danach? An das Danach konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern.
Vorsichtig drehte er seinen Kopf und stellte fest, dass er in einer kleinen Kammer lag. Mav und Stan saßen zu seinen beiden Seiten und hielten seine Arme fest, Mara und Nici hatten sich an seine Beine geklammert. Zu seiner rechten Seite hockte ein Mädchen, dessen Namen er noch nicht wusste, das er aber trotzdem sofort wiedererkannte. Diese grün-braunen Augen hatten sich in seinen Kopf gebrannt, sie würde er unter Tausenden von Menschen wiedererkennen. Greg versuchte sich an einem Lächeln, aber eine neue Schüttelfrostwelle durchfuhr seinen Körper. Diesen Teil hatte er also offenbar nicht geträumt.
„Du bist krank. Die Verletzung hat deinen Körper stark mitgenommen.“, sagte das Mädchen und drückte ihn sanft zurück auf sein Lager.
„Vielleicht wirst du bald sterben.“, machte Mara Greg Mut.
„Mara.“, zischte Nici empört.
„Was denn?“, erwiderte diese mit einem Schulterzucken. „Besser, er ist darauf vorbereitet, meinst du nicht?“
„Du spinnst ja.“, knurrte Nici und ließ Gregs Beine los. „Er wird doch wieder gesund, stimmt's, Trisha?“, fragte sie aufgeregt.
„Ich hoffe es.“, antwortete das Mädchen mit den grün-braunen Augen. Trisha! Was für ein wundervoller Name, ging es Greg durch den Kopf. „Der Schüttelfrost wird sicher bald vorbei sein. Ob wir das Auge retten können, weiß ich aber noch nicht.“
„Glaube ich nicht. Sah ganz schön übel aus, wenn ihr mich fragt.“, kommentierte Mara.
Das Auge? Was war mit seinem Auge? Gregs Arm schoss nach oben, doch bevor er das Gesicht erreicht hatte, umklammerte Trishas weiche, warme Hand seinen Unterarm. „Nein, nicht anfassen!“, befahl sie mit sanfter Stimme. „Wir haben das Auge vorläufig versorgt. Du trägst eine Augenbinde. Ein Splitter deiner Brille ist in das Auge gedrungen. Jetzt ist es zu dunkel, um etwas zu unternehmen, aber Grub wird sich morgen darum kümmern.“, setzte sie Greg ins Bild.
„Grub?“, fragte Greg verwundert und wünschte sich gleichzeitig, Trisha würde sein Handgelenk nie mehr loslassen.
„Unser alter Erfinder und Arzt.“, schaltete sich Stan ein. „Ein bisschen verrückt, aber mit Wunden und Apparaten kennt er sich aus wie kein zweiter.“, sagte er fröhlich.
Eine neuerliche Kältewelle durchströmte Gregs Körper und ließ ihn aufstöhnen. Trisha legte eine Hand auf seine Stirn. „Du hast hohes Fieber. Dein Körper kämpft gegen all die Wunden.“ Sie schaute sich im Raum um. „Nici, bring mir bitte aus der Tasche das kleine braune Fläschchen mit der Eisrose auf dem Etikett!“
Nici hüpfte auf und kramte eifrig in einer Ledertasche, die an der Wand neben der Tür der Kammer stand.
„Ich werde dir etwas geben, das gegen die Schmerzen hilft. Du wirst gut schlafen und dein Körper kann sich besser erholen.“, erklärte Trisha Greg. Sein Auge hing an ihren Lippen. Mechanisch nickte er zu ihren Worten. In diesem Moment hätte er sicher sogar begeistert zugestimmt, wenn sie ihm vorgeschlagen hätte, in ein Fass mit Jauche zu springen.
Nici kam mit einer Flasche und einem großen Löffel in der Hand zurück. Trisha nahm beides entgegen und zählte gewissenhaft die Tropfen ab, die aus der Flasche in den Löffel fielen. Dann führte sie den Löffel vor Gregs Gesicht, der bereitwillig den Mund öffnete und die Medizin schluckte. Diesen Augen würde er immer und überall vertrauen.