Читать книгу Terapolis - Tom Dekker - Страница 9

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XI

Im Aufwachen spürte Greg ein gleißendes Licht, dass die Innenseite seines rechten Augenlids in ein unstetes Rot tauchte. Er hob eine Hand vor das Gesicht, öffnete das gesunde Auge und erkannte, dass die Sonne, die hoch am Himmel stand, durch ein kleines Fenster direkt auf seinen Kopf schien. Hastig erhob er sich und schaute sich in der kleinen Kammer, die er im hintersten Winkel seines Bewusstseins als den Raum wiedererkannte, in dem er nachts aufgewacht und Trisha begegnet war, um. Wie von selbst bewegte sich seine Hand zu seinem linken Auge, doch schon bevor er den Stoff der Augenklappe berührte, wurde ihm wieder bewusst, was geschehen war. Ob er das Auge jemals wieder würde richtig benutzen können?

Greg inspizierte die kleine Kammer aufmerksam. Unter dem Fenster befand sich ein kleiner Tisch mit einer Waschschüssel, einem Stück Seife und einem kleinen Spiegel, daneben stand eine einfache Holztruhe. Komplettiert wurde das spärliche Mobiliar durch einen Stuhl, einen zweitürigen Kleiderschrank und das Bett, in dem er gelegen hatte und vor dem ein Paar Schuhe standen. Greg ging zunächst auf das Tischchen zu und betrachtete aufmerksam sein Spiegelbild. Die Augenklappe gab ihm durchaus einen verwegenen Ausdruck, stellte er mit einem zufriedenen Schmunzeln fest. Wenn nur der Schmerz im Auge endlich vergehen würde. Mit der Linken strubbelte er sich behelfsmäßig die Haare zurecht. Dabei senkte er den Spiegel und erstarrte mitten in der Bewegung.

Greg schaute entgeistert an sich hinab. Er trug nicht mehr die Arbeitskleidung aus der City. Stattdessen war er in eine Lederhose gesteckt worden und seinen Oberkörper bedeckte ein weites Baumwollhemd. Ein Blick durch das Zimmer bestätigte seinen nächsten Verdacht – auch die Schuhe vor dem Bett waren nicht seine. Trotzdem setzte er sich auf die Bettkante und zog die Schnürstiefel, die man ihm hingestellt hatte und die sich, wie er zugeben musste, äußerst bequem an seine Füße schmiegten, an. Am Fußende des Bettes entdeckte er noch eine Lederweste und eine Zeitungsjungenmütze, die wohl ebenfalls zu seinem neuen Aufzug gehören sollten. Aber wo um alles in der Welt waren seine alten Sachen? Nicht, dass Greg an der Tuchhose oder der Wolljacke sonderlich gehangen hätte oder dass ihm seine alten, ausgetretenen Schuhe lieber gewesen wären als diese neuen, wunderbar angenehm zu tragenden Stiefel. Aber in seiner Jacke steckte alles, was er noch besaß. Und ohne Karte und Passierschein würde er es nie bis zur Terapolis schaffen und könnte so auch nie seine Unschuld beweisen.

Mit einem energischen Ruck öffnete er die Tür der kleinen Kammer und stieg mühsam und unter Schmerzen eine Stiege hinab, über die man offenbar das Erdgeschoss erreichen konnte. Unten hörte er Töpfe klappern, es musste also jemand im Haus sein. Er lauschte kurz, das Geklapper kam eindeutig von rechts. Also beschloss er, dem Krach zu folgen und kurz darauf stand er in einer engen, verrauchten Küche. An einem einfachen Ofenherd stand eine Frau und versuchte, in mehreren Töpfen gleichzeitig zu rühren. Sie trug ein feuerrotes, enges Kleid mit Korsett und eine Lederjacke. Ihre blau-schwarzen Haare lugten unter einem breitkrempigen Sommerhut hervor, womit sie einen deutlichen Kontrast zu der eher dunklen, stickigen Atmosphäre der Küche schuf. Mehrere Nietenarmbänder lagen um ihren linken Unterarm. Sonst war niemand zu sehen.

Greg wollte nicht unhöflich sein, deshalb räusperte er sich geräuschvoll.

„Ah, bist du endlich wach?“, fragte die Frau gelassen, ohne den Blick von den Kochtöpfen zu wenden.

„Äh, ja.“, brachte Greg hervor. „Wo sind meine...“

„Auf der Kommode gleich neben der Tür.“, beantwortete die Frau seine unausgesprochene Frage. „Ich habe alles aus der Jacke genommen, bevor ich sie gewaschen habe. Du solltest aber lieber die Sachen anbehalten, die wir dir gestern Abend angezogen haben.“ Ohne sich umzudrehen, deutete sie auf eine kleine Holzschale, die neben Gregs zusammengelegten Kleidern auf der Kommode stand und in der er seine Habseligkeiten erkannte. Dann hob sie einen schweren Topf vom Herd und balancierte ihn vorsichtig zu einem großen runden Tisch, der das Zentrum der Küche einnahm. Endlich erkannte Greg, dass sie noch gar keine Frau war. Es handelte sich um das Mädchen, das er gestern im Gemeindehaus gesehen und das ihn am Abend verarztet hatte. Schlagartig spürte er, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Ihr habt mich umgezogen? Heißt das, du..., also..., naja..., du hast...“

Das Mädchen hatte den Topf auf den Tisch gestellt, die Hände in die Hüften gestemmt und bedachte ihn mit einem spöttischen Grinsen. „Ob ich dich ausgezogen habe? Gott bewahre! Das haben die Jungs erledigt.“, sagte sie mit einer beschwichtigenden Handbewegung. „Wie geht es dir?“, fragte sie und kam einige Schritte auf Greg zu.

„Es geht schon etwas besser.“, antwortete er. „Alles tut mir noch weh. Aber besonders schlimm ist das Auge. Es brennt noch immer furchtbar.“

Sie nickte, als wüsste sie genau, wie es sich in seinem Gesicht gerade anfühlte. „Ja, das ist normal. Ich hoffe, es ist nicht zu schlimm verletzt. Grub wird es sich bald ansehen, dann wissen wir mehr.“

Ach ja, das war ja der Erfinder und Arzt. Mav und Stan hatten über ihn geredet. „Wer ist denn dieser Grub?“, fragte Greg, um das Gespräch am Laufen zu halten.

„Oh, er ist der größte Erfinder, den du jemals getroffen hast.“, begann sie zu schwärmen. „Und er hat heilende Hände, genau wie ich.“, fügte sie nicht ohne Stolz hinzu.

„Bist du so eine Art Hexe?“, fragte Greg skeptisch und spürte, wie sich sein Körper verspannte.

„Iwo.“, brummelte die Stimme eines alten Mannes hinter ihm. Greg machte einen Schritt zur Seite, um die Tür freizugeben und erblickte einen hageren, alten Mann mit langen grauen Haaren und einem Bart, in dem eine ganze Eichhörnchenfamilie ihr Nest hätte bauen können. Seine Kleidung ähnelte stark Gregs neuem Aufzug, nur dass sie in einem eher ungepflegten Zustand war und der Mann einen schweren Ledermantel trug. Der dadurch entstehende heruntergekommene Eindruck wurde aber durch das offene, fröhliche Leuchten seiner blauen Augen mehr als wettgemacht.

„Trisha ist keine Hexe.“, berichtete der Mann unbekümmert. „Sie ist ein aetherisches Wesen. Das ist alles.“, fügte er mit einer freundlichen Stimme hinzu, so als würde er sich mit einem Bekannten über alte Kochrezepte austauschen.

„Sie ist was?“, fragte Greg nach.

„Ein aetherisches Wesen.“, wiederholte der Mann besonders langsam und mit starker Betonung. „Sie kann den Aether spüren und mit ihm arbeiten. So wie ich.“ Er strahlte Greg an, der auf der Stelle einen Schritt zurück machte und mit der Ferse eine leere Milchkanne umstieß, die auf dem Boden gestanden hatte.

„Sind Sie ein Zauberer?“, fragte er ehrfurchtsvoll.

„Ein Zauberer?“, kicherte der alte Mann. „Die gibt es doch nur im Märchen. Aber wo bleiben nur meine Manieren.“ Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich bin Grub. Erfinder und Arzt. Der Herr hat in meinem Haus genächtigt und ich hoffe doch, er hat sich vortrefflich erholt.“ Bei diesen Worten streckte er Greg mit einem weiteren strahlenden Lächeln seine Rechte entgegen.

Greg schüttelte die Hand und blickte zwischen Grub und Trisha hin und her. „Aetherische Wesen?“, fragte er ungläubig, ohne auf die Frage seines Gastgebers zu reagieren. „So wie Feen?“

Trisha schnaubte missbilligend. „Wir sind weder Hexen, noch Zauberer und schon gar keine Feen. Wir können einfach das Aether, das uns überall umgibt, erspüren und zum Nutzen der Menschen einsetzen. Das könnte jeder, aber die meisten sind ja viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um es überhaupt zu versuchen.“ Sie machte eine kleine Kunstpause, um ihren Worten das nötige Gewicht zu verleihen. „Essen ist fertig.“, rief sie dann so laut, als müsste sie noch eine Kompanie Erntejungen vom Feld in die Küche rufen und ließ sich an dem Tisch nieder.

Greg setzte sich an den Tisch, auf dem drei Holzschalen mit Löffeln und drei Keramikbecher standen. Offenbar waren doch keine weiteren Gäste eingeladen. Greg versuchte, einen Blick in die drei Töpfe, die Trisha in die Mitte des Tisches gestellt hatte, zu erhaschen. In dem größten befand sich ein orangefarben leuchtender Brei, die beiden kleineren schienen gekochtes Wurzelwerk und eine rote Soße zu enthalten. Es roch köstlich, wenn auch sehr fremdartig. Greg überkam ein plötzliches Hungergefühl. Er hatte seit seiner Flucht aus der City noch nicht viele Möglichkeiten gehabt, etwas zu essen. Begierig blickte er zwischen den Töpfen hin und her. Es wäre unhöflich gewesen, sich in einem fremden Haus selbst zu bedienen, aber weder Trisha noch Grub machten Anstalten, sich etwas aufzutun. Stattdessen hatten sie die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hände vor der Stirn gefalten und die Augen geschlossen.

„Greg, würdest du den Tischsegen für uns sprechen?“, fragte Grub, ohne die Augen zu öffnen.

„Den Tischsegen?“, antwortete Greg verdattert. Was für ein eigenartiger Brauch konnte das wieder sein.

Trisha öffnete ein Auge und beobachtete Greg neugierig. In ihrem Blick sah er eine Faszination, wie sie ein Erfinder beim Betrachten einer ihm unbekannten Metalllegierung empfinden musste. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“, flüsterte sie belustigt.

Als Greg nur den Kopf schüttelte und die Schultern hob, bedeutete sie ihm, einfach die Augen zu schließen. Dann begann sie mit melodischer Stimme: „Herr, vielen Dank für die reichlichen Gaben, die du uns hast zuteil werden lassen. Segne dieses Mahl und diese kleine Gemeinschaft und hilf auch allen, denen es schlechter als uns geht. Amen.“

„Amen.“, brummte Grub. Greg zögerte einen Augenblick, dann tat er es ihm gleich und öffnete vorsichtig das gesunde Auge. Trisha zwinkerte ihm zu. Grub hatte sich inzwischen eine große Kelle geschnappt und füllte Gregs Schüssel mit dem orangefarbenen Brei. „Morgum.“, erklärte er. „Einen besseren hast du noch nie gegessen.“, fügte er im Brustton der Überzeugung hinzu.

„Ich glaube, ich habe das überhaupt noch nie gegessen.“, gab Greg unumwunden zu.

„Na, dann ist es auf jeden Fall der beste Morgum, den du jemals gegessen hast.“, kicherte Trisha. „Keine Angst, er besteht hauptsächlich aus Möhren, Kartoffeln und Zwiebeln. Und ein paar geheimen Kräutern.“, kokettierte sie.

Greg nickte. „Und was sind das für Wurzeln?“, fragte er neugierig und deutete mit dem Löffel auf den zweiten Topf.

„Schwarzwurzel, Rote Beete und Steckrüben. Ganz frisch geerntet.“, erklärte ihm Trisha stolz. „Sag bloß, die kennst du auch nicht?“ Sie wirkte wirklich erschüttert bei dieser Feststellung.

Greg zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe bisher meistens in einer der billigen Suppenküchen gegessen. Da konntest du kaum erkennen, was in der dunklen Brühe herumschwamm. Und abends, in der Gemeinschaft, haben wir meist ein paar Dosen warmgemacht, die Philt aufgetrieben hatte. Viel mehr konnten wir uns nicht leisten.“ Trisha nickte verständnisvoll. Greg spürte erneut einen Stich in seiner Brust. Er wusste überhaupt nicht, wie es den anderen erging. Hoffentlich hatte seine Flucht sie nicht in Probleme gestürzt. Wie konnte er nur erfahren, ob es ihnen gut ging? War es nicht sehr selbstsüchtig gewesen, so Hals über Kopf aufzubrechen, ohne sie wenigstens zu warnen?

Er spürte Trishas aufmerksamen Blick auf sich ruhen. Schnell schnappte er sich den Löffel und schob sich einen Haufen Morgum mit Wurzelgemüse in den Mund, um sich von seinen trüben Gedanken abzulenken. Es schmeckte köstlich, noch besser, als der exotische Duft es bereits hatte vermuten lassen. Begierig schob Greg einen zweiten Löffel nach und ließ die Köstlichkeiten mit einem seligen Lächeln über seinen Gaumen gleiten. Der Rest des Essens verlief, abgesehen vom Klappern der Löffel und Grubs hingebungsvollem Schlürfen, in nachdenklicher Stille.

„So, ich denke, es wird Zeit, dass ich einiges erfahre! Was denkt Ihr, Kinder?“, rief Grub, nachdem er den Löffel geräuschvoll in seinen leeren Teller fallen gelassen und seinem Magen durch einen kräftigen Rülpser Erleichterung verschafft hatte.

Greg hatte sich gerade einen weiteren Löffel des überaus wohlschmeckenden Breis in den Mund geschoben, und war deshalb ausgesprochen dankbar, dass Trisha das Wort ergriff und Grub über die abendliche Versammlung im Gemeindehaus informierte. Obwohl er dabei gewesen war, lauschte Greg gebannt ihren Worten und konnte seinen Blick nicht von ihren unglaublich fein geschwungenen Lippen wenden.

„...und dann haben Pater Elia und Hanson das Ergebnis verkündet. Greg bleibt erst einmal drei Tage bei uns, und alles Weitere werden wir dann sehen.“, beendete Trisha ihren Bericht. Greg hörte auf, den inzwischen beinahe geschmacks- und konsistenzlos gewordenen Brei in seinem Mund zu kauen, und schluckte ihn hastig hinunter. Grub schaute einen Augenblick versonnen in eine nur ihm zugängliche Ferne, dann richtete er den Blick seiner unter buschigen grauen Brauen beinahe verborgenen blauen Augen auf Greg.

„Und wie ist dein voller Name, Greg?“, fragte er freundlich, aber bestimmt.

„Theodor Gregorich Knox.“, brummte Greg verlegen, dem es viel schwerer fiel, diesen alten Mann zu belügen, als am Vorabend die gesamten Repräsentanten der Kolonie.

„Na, kein Grund, so schüchtern zu sein.“, erwiderte Grub in offenbarer Verkennung der eigentlichen Ursache von Gregs Unbehagen jovial. „Bist du zufällig verwandt mit Emmeric Knox, dem berühmten Geigenbauer?“, hakte er mit fast kindlicher Aufregung in der Stimme nach.

Greg schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein. Ich kenne meine Eltern und meine Familie nicht. Ich bin ein Waisenkind.“

„Ui!“ Grub pfiff wissend durch die Zähne. „Da hast du es sicher nicht einfach gehabt. Gab es genug zu essen im Waisenhaus?“

„Ich war nicht lange im Waisenhaus. Bei der erstbesten Gelegenheit habe ich mich davongemacht. Es war wirklich schrecklich dort.“, begann Greg, sich seinen Kindheitskummer von der Seele zu reden. Als er merkte, dass sich dieses Thema hier irgendwie fehl am Platze anfühlte, schloss er kurz angebunden: „Ich habe erst auf der Straße gelebt und dann in einer Gemeinschaft.“

Wieder nickte Grub mit dem Kopf. „In einer Gemeinschaft, soso. Eine feine Sache, so eine Gemeinschaft. Fast wie bei uns, oder?“

Trisha beugte sich neugierig vor, um dem Gespräch über Dinge, von denen sie noch kaum etwas wusste, besser folgen zu können.

„Naja.“, sagte Greg und nahm sich kurz Zeit, sich die passenden Worte zurechtzulegen. „So viel habe ich von eurer Kolonie noch nicht gesehen. Aber auch wir beraten uns gemeinsam und helfen einander, wenn es Probleme gibt. Das ist schon ein bisschen so wie bei euch, denke ich.“

„Aber werdet ihr nicht schrecklich unterdrückt in der City und von den Reichen ausgebeutet, damit sie in Saus und Braus leben können?“, fragte Trisha, die es nicht länger aushielt, nur zuzuhören.

Greg schaute sie für einen Augenblick aus großen Augen an, dann fasste er sich wieder. „Ja, das schon. Ihnen gehören die Fabriken, sie leben in riesigen Häusern mit allerlei Luxus und fahren mit ihren Dieselkutschen durch die Stadt. Und wir können froh sein, wenn die Wertmarken für mehr reichen, als dünne Bohnensuppe.“, gab Greg ihr recht. „Aber in unserer kleinen Gemeinschaft ist es nicht so.“ Er stockte kurz. „War es nicht so.“, flüsterte er verlegen und musste dagegen ankämpfen, dass sich eine heiße Träne in sein Auge schlich.

„Ich bin sicher, dass du wieder zu deiner Gemeinschaft zurückkehren wirst.“, antwortete Trisha und zwinkerte ihm aufmunternd zu.

„Womit hast du eigentlich deinen Lebensunterhalt verdient?“, schaltete sich Grub wieder in das Gespräch ein.

„Ich bin Handelsreisender für die Firma Jesua Fingrey.“, hielt sich Greg an die mit Nick verabredete Geschichte.

Grub nickte. „Jaja, das habe ich schon gehört. Ist auch eine gute Tarnung, wenn du in eine City kommst oder an einem Posten vorbei musst. Aber mir kannst du nichts vormachen, mein Junge. So junge Handelsreisende habe ich noch nie gesehen, und ich habe schon einiges gesehen, musst du wissen.“

Greg spürte, wie seine Wangen glühend heiß brannten. Wenn es ihm noch nicht einmal gelang, diesen alten Mann hinters Licht zu führen, wie sollte er es dann schaffen, Polizisten, Soldaten oder Zöllner von seiner Geschichte zu überzeugen.

„Keine Angst, Greg. Dein Geheimnis ist bei uns gut gehütet.“, sagte Grub in besänftigendem Tonfall. „Aber wenn du willst, dass wir dir helfen, dann müssen wir dir vertrauen können. Und du musst uns vertrauen.“

Greg rang mit sich. Wenn er jetzt schon seine Deckung fallen ließ, würde es möglicherweise noch schwerer, unerkannt bis zur Terapolis zu gelangen. Andererseits war er von diesem Schritt ohnehin meilenweit entfernt. Er hatte noch immer nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wo er sich überhaupt befand. Um weiter zu kommen, brauchte er also unbedingt Hilfe.

Greg sah lange in Trishas grün-braune Augen und gab sich einen Ruck. „Ich habe Dieselmotoren repariert. Darin bin ich ziemlich gut. Smitty meint, ich hätte ein besonders Geschick für Metall. Egal, was man mir gibt, ich könnte etwas Anständiges daraus machen.“, erzählte Greg nicht ohne Stolz.

„Smitty?“, fragte Grub nach.

„Mein Kollege in der Werkstatt.“, klärte ihn Greg auf. „Einmal hat er mir eine kaputte Spule gegeben. Ich sollte sehen, was sich daraus noch machen lässt. Und es hat gar nicht lange gedauert, da war sie fast wie neu und Smitty meinte, sie würde jetzt sogar noch besser wirken als vorher.“

Grub warf Trisha einen dieser tiefen Blicke zu, bei denen man als Außenstehender merkte, dass die anderen über etwas Bescheid zu wissen schienen, von dem man selbst keine Ahnung hatte.

„Gibt es noch andere Dinge, die du besonders gut kannst?“, fragte Trisha scheinbar teilnahmslos.

Greg überlegte einen Augenblick. „Nein, nicht wirklich. Nicht so gut wie die Arbeit mit Metallteilen. Und das Reparieren von Dieselmotoren.“, antwortete er mit einem leichten Bedauern in der Stimme, so als hätte er Trisha und Grub mit seiner Antwort enttäuscht.

„Hättest du Lust, mir ein bisschen zur Hand zu gehen, so lange du hier bist?“, fragte Grub unvermittelt.

„Zur Hand gehen?“ Greg war verwirrt. „Wobei denn?“

Grub schmunzelte aufrichtig. „Ich bin mir sicher, Trisha hat dir erzählt, dass ich an einigen Erfindungen arbeite. Viele haben etwas mit Metall zu tun, und vielleicht kannst du an der ein oder anderen ja noch etwas verbessern?“

Da Greg ohnehin keine anderen Pläne hatte und die Arbeit ihn sicher von düsteren Gedanken abhalten würde, antwortete er, ohne lange zu überlegen: „Ja, das kann ich gern versuchen.“

„Gut, dann ist das abgemacht.“ Grub rieb sich zufrieden die Hände.

„Warum habt ihr mich eigentlich umgezogen?“, wechselte Greg plötzlich das Thema.

Trisha machte eine unwirsche Handbewegung. „Deine Kleidung kannst du hier draußen nicht gebrauchen. Wenn du die Kolonie verlässt oder der Schutzschild zusammenbricht,“, wobei sie Grub einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, den er mit einem lausbübigen Grinsen über sich ergehen ließ, „bieten sie dir nicht genug Sonnenschutz. So,“, sie deutete mit dem Finger auf Greg, „ist es wesentlich sicherer für dich. Und praktischer bei der Arbeit mit glühendem Metall.“, fügte sie noch hinzu.

Greg wollte etwas erwidern, wurde aber von einem lauten Geräusch an der Tür abgelenkt. Er drehte sich um, und sah Mav im Türrahmen auftauchen.

„Guten Morgen.“, rief der kräftige Junge und stürmte in die kleine Küche. „Na, wie geht es unserem Patienten?“, fragte er aufgeregt.

„Nun, zumindest kann er wieder essen und reden, wie du siehst.“, erwiderte Grub etwas pikiert. „Aber es ist an der Zeit, dass wir uns das Auge einmal genauer ansehen.“

Eine angespannte Stille legte sich über den Raum. Alle Augenpaare waren auf Greg gerichtet. Trisha sah ihn besorgt an. Mav versuchte, seine Unruhe zu verbergen und klopfte Greg kameradschaftlich auf die Schulter, so dass dieser zusammenzuckte „Das wird schon!“, murmelte er. „Und mit Augenklappe siehst du auch nicht übel aus. So richtig verwegen.“, fügte er mit gespieltem Enthusiasmus hinzu, als er merkte, wie lahm seine Aufmunterung wirken musste.

Trisha bedachte Mav mit einem missbilligenden Blick, doch bevor sie etwas erwidern konnte, klatschte Grub in die Hände. „Schieben wir es nicht weiter auf, Kinder. Kommt alle mit in meinen Ruheraum, dort können wir uns am besten anschauen, was noch zu retten ist.“, sagte er munter und erhob sich von seinem Stuhl. Greg blieb nichts anderes übrig, als den dreien mit bangem Herzen durch eine kleine Tür in einen der Nebenräume zu folgen. Dort sollte sich also das Schicksal seines verletzten Auges entscheiden.

Terapolis

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