Читать книгу Art-City - Tom Hochberger - Страница 4
ОглавлениеRückzug
„Farell!“
„Ja, Kotto.“
„Weißt du, was ich an dir bewundere?“
„Nein“, keuchte Farell.
„Deine unermüdliche Ausdauer, die Dinge zu Ende zu bringen!“
Farell gab keine Antwort, sondern konzentrierte sich darauf, gleichmäßig ein- und auszuatmen, um eine konstante körperliche Kraft aufrechtzuerhalten. Es war nicht einfach, den scheinbar immer schwerer werdenden Kotto auf dem Rücken zu tragen und sich dabei noch möglichst schnell fortzubewegen. Warm und klebrig tropfte Kottos Blut in Farells Nacken. Farell ignorierte einfach alles, was ihn hätte aufhalten können. Er biss die Zähne zusammen und achtete nicht auf das dornige Geäst, das ihm ins Gesicht peitschte. Auch nicht auf die größer werdenden Blasen an seinen Füßen. Sein Verstand wurde nur von einem Gedanken bestimmt:
„Rette Kotto, bevor es zu spät ist!“
Etwa drei Kilometer hatten die beiden noch zu bewältigen, bis sie das Lager erreichen würden. Kotto versuchte sich bei Bewusstsein zu halten, indem er sich vorstellte, Vergiles zarte Hände würden mit sensibler Behutsamkeit seine Wunden behandeln. Langsam verschwamm das wunderschöne Antlitz dieser außergewöhnlichen Frau vor seinem geistigen Auge. Er wurde schwächer und schwächer, bis er schließlich bewusstlos war. Für Farell wurde die Angelegenheit somit anstrengender, denn Kottos schlaffer Körper fühlte sich dadurch noch schwerer an. Dankbarkeit machte sich in Farells Herz breit, als er die markante Baumgruppe, die die auffällige Form eines Karos bildeten, passierten. Jetzt wusste er, dass er höchstens noch zehn Minuten zu laufen hatte, bis er den rettenden Eingang der Höhle erreichen würde. Belebt von der Vorfreude auf das Lager erhöhte er das Tempo. Seine kräftigen Beine flogen regelrecht über den weichen, moosigen Waldboden. Er dachte nur noch daran, anzukommen. Was sollte ihn jetzt noch aufhalten? Er stellte sich den Geruch von gebratenem Fleisch vor und schwelgte darin. Aber er wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen.
Farell schrie zornig und entsetzt auf, als sein Fuß an einer Wurzel hängen blieb und ihn zu Fall brachte. Durch seine körperliche Gewandtheit konnte er zwar verhindern, dass er Kotto verlor. Das führte aber dazu, dass dieser direkt auf ihm lag und ihn mit seinem gesamten Gewicht zu Boden drückte.
Farells Nase funktionierte noch, denn feuchtmoosiger Geruch stieg ihm jetzt in das entsprechende Organ. Aber was mit dem Rest seines Körpers los war, konnte er in diesem Moment nicht sagen. Verschiedenste Gedanken schossen ihm durch den Kopf.
„Hätte ich langsamer laufen sollen, mit dem Risiko, dass wir es vielleicht nicht schaffen werden? Hätte ich vielleicht sogar in der Stadt um Hilfe bitten und dabei riskieren sollen, dass sie uns eventuell nicht mehr rauslassen? War alles meine Schuld?“
„Hör auf jetzt“, dachte er sich, „du weißt, dass dich das kein Stück weiterbringt, also nimm alle deine Kräfte zusammen! Bündele sie auf den einen hoffnungsvollen Moment des Aufbäumens, leg´ deinen ganzen Willen und die Kraft deines Herzens hinein und wisse schon vorher, dass du es schaffst!“
Kottos schlaffer Körper lag auf Farell wie eine fleischgewordene Depression, die ihn mit aller Macht zu Boden drückte. Außerdem wusste Farell noch nicht, ob er selbst verletzt war. Sein Wille befahl seinen Muskeln, alle potenzielle Kraft, die in ihnen steckte, zu mobilisieren. Er wartete auf diesen Moment des Energieschubs. Als er ihn spürte, bäumte er sich auf wie ein Grizzlybär, der gerade dabei war sein Junges vor Feinden zu verteidigen. Langsam aber sicher gelang es ihm, wieder sicheren Halt unter den Füßen zu gewinnen. Für einen kurzen Moment tanzten Sternchen vor seinen Augen. Er besann sich kurz, mobilisierte seine Kräfte erneut und setzte seinen Marsch fort.
Benommen taumelte Farell in die Höhle, nicht mehr fähig, seine Freunde richtig wahrzunehmen. Er steuerte Richtung Liege und machte eine gekonnte Drehung, wodurch Kotto etwas unsanft aber sicher auf der Pritsche landete. Farell kämpfte jetzt nicht mehr gegen die Erschöpfung an. Mit Erleichterung ließ er seinen Körper auf das am Boden liegende weiche Lammfell fallen. Dann warf er einen letzten Blick auf das wärmende Feuer und versank in einen Tiefschlaf.
Um Kottos Körper hingegen begann jetzt ein äußerst reges Treiben. Er hatte viel Blut verloren und sie mussten ihn dringend behandeln. Bolko kam mit seiner medizinischen Ausrüstung und machte sich sofort daran die zwei Kugeln, die Kotto getroffen hatten, herauszuoperieren. Alle anderen standen jetzt um ihn herum und assistierten ihm. Das Lager glich einem OP-Saal und dementsprechend ging es auch zu. Nur einen schien das ganze Gewusel nicht zu stören, Farell. Er schlief tief und fest und träumte davon, auf dem wunderbar moosig-weichen Waldboden zu liegen, über den er kurz zuvor noch gehastet war und die warmen Sonnenstrahlen zu genießen, die durch die Bäume schimmerten.
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