Читать книгу Art-City - Tom Hochberger - Страница 8
ОглавлениеDie Absoluten
Bruce Garner war auf dem Weg zur Arbeit, als ihn wieder eine seiner Panikattacken überfiel. Er war nicht mehr derselbe wie damals, als die Stadt noch nach ihren Idealen funktionierte. Wie gewöhnlich fuhr er mit dem Wagen. Von Angst gepeinigt ohrfeigte er sich selbst, schaute in den Rückspiegel und sagte: Reiß dich zusammen. Er versuchte sich zu beruhigen, indem er mit sich selbst redete:
„Du bist stark, du bist ein Safeguardian.“
Als er abbog, um in das Parkhaus seiner Firma einzufahren, übersah er einen entgegenkommenden Wagen. Geistesgegenwärtig riss der Fahrer des anderen Fahrzeugs das Steuer herum und trat mit aller Macht auf die Bremse. Das Adrenalin schoss wie ein Blitz durch seinen Körper und er war augenblicklich hellwach. Haarscharf schlingerten die beiden Wagen aneinander vorbei. Scheinbar hatten beide Fahrer die automatische Steuerung abgeschaltet. Garner verschwand im Parkhaus, während der Lenker des anderen Fahrzeugs stehen blieb und sich erst mal sammeln musste. Nach ein paar Sekunden Verschnaufpause fuhr er Garner hinterher. Der parkte seinen Wagen, so als ob nichts gewesen wäre. Als Garner ausstieg, stand Christopher Summer vor ihm. Beide waren etwas erstaunt, als sie sich erkannten.
„Sie schon wieder. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine Zeit habe für diese blöden Interviews“, sagte Garner.
Summer kochte innerlich.
„Sie hätten mich gerade beinahe über den Haufen gefahren. Meinen Sie nicht, dass eine Entschuldigung Ihrerseits fällig wäre?“
„Ach, Sie waren das, oh das tut mir leid. Ich bin zur Zeit etwas durcheinander. Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte der Safeguardian.
„Nein, Sie können ja sogar freundlich sein, wirklich erstaunlich. Schon seltsam, dass uns das Schicksal auf diese Art wieder zusammenführt.“
„Ja, seltsam. Aber bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss zur Arbeit.“ Garner verschwand im Gebäudeinneren und ließ Summer stehen. Dieser wunderte sich, dass er sich genau an der Stelle wieder fand, an der er vor Kurzem schon einmal gewesen war. Dieses Mal aber unabsichtlich. Nachdenklich fuhr er weiter.
Bruce Garner indessen blickte in die Kamera, legte gleichzeitig seinen Finger in den Scanner und sagte brav seinen Namen. Mit einem leisen Surren öffnete sich die Tür. Wie an jedem Arbeitstag ging er zu seinem Platz. Der Besprechungsraum war angelegt wie ein kleines Stadion. In der Mitte des Raumes schwebte ein halbkugelförmiges Gebilde, in dem ein kleiner untersetzter Mann stand. Er hatte schlohweißes, halblanges Haar und in der Hand eine Art Zepter. Als sämtliche Safeguardians Platz genommen hatten, erhob er seine Stimme.
„Vereinigte Guardians, wie an jedem Tag kommen wir heute zusammen, um Besprechung zu halten. Leider haben wir Grund zur Annahme, dass eine Verbindung nach außen besteht. Was das für den Betreffenden zu bedeuten hätte, geehrte Vereinigte, ist Ihnen durchaus bekannt. Das brauche ich hier wohl nicht zu erläutern. In mühevoller Arbeit haben wir in all den Jahren ein System entwickelt, das auf der ganzen Erdkugel seinesgleichen sucht. Die Absoluten, von denen ich einer bin, werden es nicht zulassen, dass dieses Werk durch einen Kollaborateur zerstört wird. Geehrte Vereinigte, ab heute gilt: Wer diesen gemeinen Verräter überführt, der wird aufgenommen in den Kreis der Absoluten. Dies sollte Ansporn genug sein. Ansonsten arbeiten Sie bitte auch heute wieder laut Plan. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen.“
Die Halbkugel schloss sich und schwebte durch ein Loch in der Decke aus dem Raum. Ein lautes und aufgeregtes Gemurmel brach unter den Safeguardians aus. Einige hatten von diesem Gerücht schon etwas gehört, für andere war es völlig neu. Wer konnte jetzt noch dem anderen vertrauen? Bruce Garner schaute in den Dienstplan, er war an diesem Tag für den Westbereich eingeteilt. Sein Partner war Alan Carelite. Die beiden arbeiteten oft zusammen und waren ein eingespieltes Team. Sie verstanden sich beinahe blind. Sie verließen das Gebäude und durchstreiften ihr zugeteiltes Gebiet.
„Hey Bruce, warst du nicht neulich in diesen mysteriösen Vorfall an der Westwall verwickelt?“, fragte Carelite.
Garners Magen zog sich augenblicklich zusammen, er ließ sich aber nichts anmerken.
„Wieso mysteriös?“, stellte er die Gegenfrage mit kräftiger Stimme.
„Na ja, weil irgendwie niemand etwas Näheres darüber weiß.“
„Warum auch, so aufregend war das nicht. Ich musste ein paar Verstoßene in die Flucht schlagen und auf sie feuern. Das war alles.“
Carelite fragte nicht weiter. Er wusste nur zu gut, wer und wie Garner war. Nur ein Narr würde sich mit ihm in irgendeiner Form messen wollen. Überwiegend schweigend vollendeten sie ihr Tagwerk.
Als Bruce Garner die Haustür aufsperrte, schlug ihm ein unwiderstehlicher Duft entgegen, der ihn förmlich in die Küche sog. Kim schlang seine Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Während der bullige Bruce sein Essen verschlang, sagte Kim:
„Du, ich muss dir etwas sagen. Ich habe mich entschlossen, wieder zu arbeiten“, sagte sie.
„Soso, und was, wenn ich fragen darf?“
„Im Dailys suchen sie jemand für Datentransfers und -bearbeitung. Das wäre doch genau das Richtige für mich, meinst du nicht?“
Bruce verschluckte sich, als er das hörte, und musste husten. Ausgerechnet im Dailys dachte er sich.
„Warum willst du denn arbeiten gehen?“
„Warum denn nicht? Soll ich zu Hause rum sitzen und versauern?“
Bruce Garner verstand sie ganz genau, aber er stellte sich dumm.
„Ich brauche eine Beschäftigung und ehrlich gesagt, es ist mir eigentlich vollkommen egal, was du davon hältst.“
Der Safeguardian sprach kein Wort mehr, die Angst kroch aber wieder unaufhaltsam in seine Knochen. Kim schaute ihn an und fragte sich, was nur mit ihm los sei. Aber sie hatte das Gefühl, vollkommen machtlos zu sein. Obwohl sie ihn liebte, kam sie nicht mehr an ihn heran.
„Das Essen war lecker. Ich schaue noch auf einen Absacker bei Aaron vorbei.“
„Ja, ist gut.“
7
Alte Freunde
Garner lümmelte quer über zwei Sitze des Schwebebahnenabteils, als eine kleine, untersetzte Frau, etwa Mitte 60 den Zug betrat. Seinen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen, seine Hände zu Fäusten geballt und diese in den Taschen seines Mantels vergraben. Er wollte nichts sehen und nichts hören. Während die Frau sich in den Sitz fallen ließ, murmelte sie vor sich hin.
„Irgendwann wird er zurückkommen, irgendwann wird er zurückkommen.“ Garner schaute unter seinem Hut vor, bewegte sich dabei aber so gut wie gar nicht. Er wollte nur mal sehen, wer diese wunderliche Frau war, aber ein Gespräch um alles in der Welt vermeiden. Ihr Kopf war bedeckt mit schwarzem, etwas zerzaustem und teilweise ergrautem Haar. Ihr Gesicht war von tiefen Furchen gezeichnet. An den Gesichtszügen konnte man sehen, dass sie einmal sehr hübsch gewesen sein muss. Aber jetzt war sie es nicht mehr. Garner überlegte, was dieser Frau wohl so zugesetzt hatte, dass sie so aussah. Er malte sich aus, wie lange es wohl bei ihm dauern würde, bis er sein attraktives Äußeres verloren hätte.
„Hey Sie“, krächzte die Frau, „lümmeln Sie zu Hause auch so rum?“
Garner fand, dass das diese Frau nicht im Geringsten irgendetwas anginge, und gab keinen Ton von sich.
„Na ja, wir werden alle an der Nase rumgeführt, aber das werden Sie schon noch merken. Spätestens, wenn er wieder kommt und glauben Sie mir, er kommt wieder.“
Jetzt interessierte es Garner aber doch, von wem die Alte da redete. Mit seinem Zeigefinger schob er seinen Hut etwas nach oben und schaute die Frau an.
„Wer kommt wieder?“, fragte Garner.
Mit einem leicht triumphalen Blitzen in den Augen sagte sie:
„Mein Fred. Und dann wird bewiesen werden, dass ich nicht verrückt bin.“ Garner verzog keine Miene und antwortete auch nicht, während die Bahn Exitnumber 17 erreichte. Wortlos verschwand er nach draußen. Auf dem Weg ins `Red Dot´ versuchte er die Begegnung von soeben zu vergessen. „Hm, nur eine verdrehte Alte“, dachte er sich.
Es war Freitagabend und im Lokal war enorm viel los. Als Garner die Tür öffnete, schlugen ihm lautstarkes Stimmengewirr und durchdringende Musik entgegen. Es brauchte schon einigen Körpereinsatz, um sich durch die Menge zu schieben. An der Bar angekommen, bestellte er sich bei Linda einen Guardianspear.
„Soll ich Aaron holen?“
„Ja Linda, das wäre sehr nett von dir.“
Während Garner auf Aaron wartete, beobachtete er das bunte Treiben und die Lichter blitzten ihm ins Gesicht.
„Hallo Bruce. Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte. Komm mit, wir gehen an ein ruhigeres Plätzchen.“
Aaron Altinghaus ging seinem Freund voran bis auf die zehnte Ebene. Dort herrschte eine angenehmere Lautstärke vor und der Raum, den sie betraten, verströmte eine beruhigende Atmosphäre. Eine große Glasfront schirmte die loungeartig angelegte Sitzlandschaft vom Rest des Lokals ab. Sie ließen sich in den großzügigen Polstermöbeln nieder und betrachteten nun das Geschehen aus sicherem Abstand von oben.
„Hey Bruce, stell dir vor wer neulich mit so nem coolen Typen bei mir gegessen hat.“
„Na, wer denn?“
„Die rassige Schwarze, die schon öfter hier war.“
„Wen meinst du?“
„Jetzt komm schon, tu nicht so. Du weißt genau, wen ich meine. Die, die immer an der Bar rum steht und allen männlichen Wesen allein durch ihre Anwesenheit den Kopf verdreht.“
„Aha, und wie sah ihr Begleiter aus?“, fragte Garner.
„Groß, schlank, sportlich, halblange, dunkelblonde Haare und cool gekleidet.“
Garner nippte an seinem Drink und verschluckte sich fast, als er das hörte, denn es musste sich der Beschreibung nach um Summer handeln.
„Warum erzählst du mir das eigentlich?“, fragte er.
„Na, du kennst ja die Kleine und da dachte ich, es würde dich vielleicht interessieren. Dir gefällt sie doch auch.“
„Mann Aaron, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich mit Kim verheiratet bin und ich sie sehr liebe.“
„Ach so, klar. Wie konnte ich das nur vergessen.“
Die kreuz und quer verlaufenden Mini-Hoverwalks und die Mischung aus Stahlgestängen und roter Polsterung schufen ein bizarres Bild.
„Bruce, kannst du mir mal erklären, was mit dir los ist?“
Der Safeguardian saß nur stumm da und reagierte zunächst überhaupt nicht. Doch dann hob er an:
„Aaron, wärst du bereit, deine Umwelt zu belügen, um sie zu retten?“
„Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll.“
„Na so, wie ich es gesagt habe. Ich will es mal so beschreiben. Nehmen wir an, deinem Schuppen hier wäre noch ein Bordell angeschlossen und niemand außer dir, den Kunden und den Nutten wüssten davon. Aber ein Bordell zu betreiben ist in Art-City verboten, trotzdem brauchst du es, weil sich der Laden sonst nicht trägt. Würde es rauskommen, müssten alle deine Beschäftigten in den Knast wandern, auch die, die nichts davon wussten. Auf einmal riecht einer deiner normalen Angestellten Lunte und fängt an dich zu löchern. Dieser weiß aber nicht, dass er in den Knast wandert, wenn alles auffliegt. Du schätzt diesen Angestellten sehr und willst nicht, dass ihm was passiert, also was tust du? Weihst du ihn ein, selbst auf die Gefahr hin, dass er dich und dummerweise sich selbst verraten würde, oder würdest du ihn einfach belügen?“
Aaron legte sein Gesicht leicht zur Seite und schaute seinen Freund mit zusammengekniffenen Augen fragend an.
„Bruce, ich weiß nicht, was du zur Zeit für Spielchen treibst und ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich das überhaupt noch wissen will. Aber etwas kann ich dir sagen, du weißt ganz genau, dass niemand in Art-City dazu gezwungen wäre, illegale Geschäfte zu betreiben, um seinen Laden am Leben zu erhalten. Schon rein von daher kann ich dir nicht ganz folgen, was du eigentlich willst.“
„Das Ganze ist ja auch nur eine fiktive Geschichte, die ich mir soeben ausgedacht habe. Es geht nur um den Kern der Story. Also, was würdest du machen mit deinem Angestellten?“
„Auch da kann ich dir nicht folgen, warum sollte der nicht wissen, dass er auch mit dran wäre?“
Mit einer Miene der leichten Verzweiflung schnaufte Bruce laut durch. „Mann Aaron, jetzt stell dich halt nicht so an. Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff. Im Grunde genommen geht es darum, ob man jemanden belügen soll, um ihn zu retten. Selbst auf die Gefahr hin, dass man denjenigen dann verliert.“
Aaron nahm einen Schluck von seinem Drink, um etwas Zeit zu gewinnen und den Rüffel seines Freundes zu verarbeiten.
„Ich will dich mal was fragen Bruce, gibt es eigentlich noch irgendeinen Menschen auf der Welt, dem du vertraust?“
Der Safeguardian brauste innerlich auf, ließ sich aber nach außen hin nichts anmerken. Ignoranter Idiot dachte er sich. Was weiß der denn schon? Gar nichts weiß er. Er kapiert ja noch nicht einmal, worum es geht. Es geht um alles, um wirklich alles. Und er stellt so eine bescheuerte Gefühlsfrage. Garner war drauf und dran, einfach aufzustehen und zu gehen. Als ob Altinghaus Gedanken lesen könnte, sagte er:
„Steh jetzt nicht auf und geh, sondern sag mir endlich, was los ist.“
Jetzt war Bruce der Verzweiflung wirklich sehr nahe.
„Merkst du nicht, dass ich es dir nicht sagen kann? Außerdem hast du vorhin selbst gesagt, du wüsstest nicht, ob du es noch wissen willst. Also, jetzt spiel doch mir zuliebe einfach mal mit. Was würdest du tun?“
Aaron zwirbelte mit Daumen und Zeigefinger an seinem Schnurrbart herum und überlegte.
„Ich wills mal so sagen, jemanden zu belügen, dem man eigentlich vertrauen sollte, bedeutet normalerweise nichts anderes, als ihn zu missbrauchen. Aber wenn es notwendig ist, ihn durch die Lüge zu retten, würde ich es wahrscheinlich auch tun. Das Verzwickte an der ganzen Geschichte ist nur, dass ich selbst nicht damit klarkommen würde, illegale Geschäfte zu betreiben.“
Mit einem durchdringenden Blick schaute Aaron seinem Freund in die Augen und hoffte, dass dieser die Anspielung verstand und gleichzeitig nicht durchdrehte. Ihm war vollkommen klar, dass er sich mit dem Schlusssatz seiner Bemerkung auf äußerst gefährliches Terrain begab. Er kannte Bruce von Kindesbeinen an und wusste, dass dieser in einem ungünstigen Moment schon mal die Kontrolle über sich selbst verlieren konnte. Garner hatte zwar durch seinen Beruf gelernt, sich im Griff zu behalten, allerdings war er in der Zwischenzeit auch zur reinsten Kampfmaschine mutiert. Zwar würde der Safeguardian seinen Job verlieren, falls er sich nicht im Zaum halten konnte, aber darauf mochte sich sein Kumpel nicht verlassen. Bruce Garner verstand die Anspielung, blieb aber ruhig. Den durchdringenden Blick seines Freundes erwiderte er, sagte aber trotzdem kein Wort.
„Okay Bruce, du kannst es mir nicht sagen, ob du unsaubere Geschäfte betreibst, aber das eine sollst du wissen. Bevor du irgendetwas Dummes anstellst, komm lieber zu mir und rede mit mir. Du kannst mir vertrauen.“ Aaron war klar, dass sein Freund nicht mehr herausrücken würde, und beließ es dabei. Bruce dachte über die verzwickte Situation in seinem Job nach und wie er es anstellen konnte, sich mit den Gegebenheiten so zu arrangieren, dass er noch einigermaßen vernünftig leben konnte. Die beiden lehnten sich zurück, ließen sich noch einen Drink bringen und verbrachten mehr oder weniger wortlos den Rest des Abends.
8
Der Meflugator
Die Sonne stand senkrecht über der Stadt und ihre Strahlen durchdrangen die klirrende Kälte mit intensiver Helligkeit. Christopher Summer schlenderte kreuz und quer durch das Zentrum der Metropole. Vorbei an unzähligen Geschäften und kuriosen Gestalten, die alle ihre Ware an den Mann bringen wollten. Er betrat einen Laden für Miniflugtechnik. Im Inneren entpuppte sich das Geschäft als eine riesengroße Halle, in der man die Produkte vor Ort testen konnte. Summer blieb an einem Meflugator hängen. Er schnallte sich das Ding auf den Rücken und ergriff den Joystick, der sich jetzt auf der Höhe seiner rechten Hand befand. Kurz bevor er auf den Starterknopf drücken wollte, kam ein Verkäufer herbeigestürzt.
„Hey Mister, meinen Sie nicht, Sie sollten sich das Ding mal erklären lassen, bevor Sie damit die Gegend unsicher machen?“
Summer wartete mit seiner Antwort, bis der Verkäufer bei ihm angelangt war, und grinste vergnügt.
„Wollte nur mal sehen, wie lange es dauert, bis jemand kommt und mich bedient.“
„Ha ha, sehr witzig. Muss ich schon sagen“, grunzte der freakige Schwarze mit der Zottelfrisur.
„Ja, genau, also dann erklären Sie mal“, sagte Summer.
„Okay Chef, richtig umgeschnallt haben Sie sich das Ding ja schon. In Ihrer rechten Hand befinden sich Starter und Steuerung des Meflugators, auch genannt Joystick. Wenn Sie den roten Knopf drücken, starten Sie den Druckkompensator des Meflugators. Ein Mechanismus im Gerät bewirkt, dass immer so viel Pressluft im Kompensator bleibt, wie Sie zum Starten brauchen. Während des Fluges arbeitet das Gerät gleichmäßig in zwei Takten. Ansaugtakt und Kompressionstakt. In Höhe des Zeigefingers befindet sich der Geschwindigkeitsregulator. Je stärker Sie drauf drücken, desto höher wird die Frequenz der Takte und somit auch das Tempo. Ziehen Sie den Joystick nach hinten, steigen Sie. Drücken Sie ihn nach vorne, sinken Sie. Bewegen Sie ihn nach links, fliegen Sie nach links. Bewegen Sie ihn nach rechts, fliegen Sie nach rechts. Möchten Sie das Gerät jetzt ausprobieren?“
Ohne zu überlegen, bejahte der Journalist die Frage.
„Gut. Zentrale, ich möchte einen Probeflug anmelden. Befindet sich momentan sonst noch jemand in der Luft?“
„Nein Micky, das geht in Ordnung. Probeflug freigegeben, Flugzeit zehn Minuten“, tönte es aus dem kleinen schwarzen Knopf, den Micky am Hals trug.
„Also Mister, Sie haben es gehört. Der Luftraum gehört Ihnen für zehn Minuten. Dann müssen Sie wieder hier sein. Aber seien Sie vorsichtig, das Ding hat einen giftigen Abzug.“
Summer rückte den Meflugator zurecht, schnallte sich den Gurt um den Bauch und startete. Er spürte, wie sein Magen in der Ausgangsposition verharren wollte, als er den Regulator drückte und ruckartig abhob. Mit einer für einen Anfänger viel zu hohen Geschwindigkeit jettete er durch die Luft. Berauscht vom Adrenalin, das durch seinen Körper schoss, nahm er die Geschwindigkeit nicht zurück, sondern erhöhte sie sogar noch. Er flog hin und her, kreuz und quer und genoss den Augenblick des Kicks. Nach ein paar Minuten des Austobens verringerte er die Geschwindigkeit und schwebte über all die Gerätschaften und Menschen unter ihm. Völlig schwerelos dachte er plötzlich an Helen und ihr unwiderstehliches Lächeln. Ihm wurde warm, aber gleichzeitig versuchte er, die in ihm aufkeimenden Gefühle zu unterdrücken. Er machte einen Sprung in seiner Gedankenwelt weg von Helen und hin zu seinem Auftrag. So langsam musste er mal etwas tun. Als er nach unten sah, wurde ihm bewusst, dass es bei seinem Auftrag eigentlich völlig egal war, wen er sich als Interviewpartner suchte. In jenem Moment beschloss er, den Meflugator zu kaufen und damit seine Befragungsobjekte von oben auszuspähen. Wie ein Adler, der seine Beute jagt. Sichtlich zufrieden landete er wieder bei Micky, dem Verkäufer.
„Hey Mister, gehen Sie immer gleich so zur Sache mit Geräten, die Sie noch gar nicht kennen?“
Summer grinste.
„Kommt drauf an, was das Gerät zu bieten hat. Kann ich bei Ihnen über Superinternet bezahlen?“
„Was für eine Frage, logisch können Sie das. Um das Gerät draußen benutzen zu können, müssen Sie sich noch eine Lizenz bei der Verwaltung holen. Bevor Sie die bekommen, müssen Sie aber das Reglement zur Benutzung des Luftraums über Art-City gelesen haben. Das können Sie auch von uns bekommen, indem wir die Daten direkt auf Ihre Multiquantwatch transferieren.
„Gut, machen wir´s so.“
Summer bezahlte und war beinahe schon durch den Ausgang verschwunden, als der Verkäufer ihm hinterher schrie:
„Und fliegen Sie nicht, bevor Sie die Lizenz haben. Sonst können Sie leicht im ...“
Er hörte die letzten Worte des Verkäufers nicht mehr, was aber besser für ihn gewesen wäre. Mit seinem Paket unter dem Arm schlängelte er sich durch die Menschenmassen der Metropole. Tierisch genervt von dem ständigen Gerempel der Passanten, beschloss er, das neu erworbene Produkt gleich zu nutzen. Ein paar Ecken weiter kannte er einen Platz, an dem nicht soviel Gedränge herrschte. Er packte den Meflugator aus, schraubte die Steuerung an das Gerät und stopfte die Verpackung in einen öffentlichen Müllbehälter. Voller Vorfreude schnallte er sich das Gerät auf den Rücken, den Gurt um den Bauch und drückte den Starterknopf. Mit enormer Geschwindigkeit schoss Summer in den Himmel. Bis zu seiner Wohnung waren es gut und gerne fünf Kilometer. Bei den eisigen Temperaturen war es ein Problem, dass Summer keine Handschuhe trug und auch sonst nicht gerade passend angezogen war. Um seine Hände warmzuhalten, bewegte er seine Finger permanent. Intensiv beschäftigt mit dem Wärmehaushalt seines Körpers traute er seinen Augen nicht, als ihn plötzlich ein blau-schwarz gekleideter, ebenfalls mit einem Meflugator ausgestatteter, Safeguardian überholte. Auf dessen Gerät leuchtete mit roter Diodenschrift „bitte folgen“ auf. Ohne zu zögern, befolgte er die Anweisung und der Safeguardian dirigierte Summer auf den Boden.
„Guten Tag, ich bin Sergeant Cippro. Ihren Ausweis und die Fluglizenz bitte.“
Ziemlich überrascht von der Präsenz des Safeguardians in der Luft zückte Summer seinen Ausweis und hielt ihn dem Sergeant vor die Nase.
„Gut, Mister Summer. Und jetzt Ihre Fluglizenz bitte.“
Summer nestelte verlegen an seinen Taschen herum und suchte krampfhaft nach einer glaubhaften Ausrede. Aber außer einem ziemlich gequetschtem Ähem brachte er nichts heraus.
„Haben Sie etwa keine?“
Summer überlegte kurz und beschloss, die Wahrheit zu sagen.
„Nein, ich habe noch keine. Das Gerät habe ich eben erst gekauft. Genervt von dem vielen Gewusel am Boden habe ich beschlossen, den Meflugator gleich zu nutzen und nach Hause zu fliegen.“
Cippro runzelte die Stirn, kratzte sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck an der Schläfe und fragte:
„Hat man Ihnen denn nicht gesagt, dass Sie eine Lizenz brauchen?“ Summer zog die Achseln nach oben und die Mundwinkel nach unten. „Doch, das hat man. Aber ich dachte so schlimm kann das schon nicht sein.“
Die Miene des Sergeants wurde immer ernster.
„Immer Ärger mit euch Fluganfängern! Nachdem Sie das Reglement höchstwahrscheinlich auch nicht gelesen haben, wissen Sie demnach auch nicht, dass ein Flug ohne gültige Lizenz zwangsläufig zu einer 30-tägigen Haftstrafe führt, oder?“
Summer überfiel plötzlich ein Gefühl von totaler Ohnmacht. Sein Magen verkrampfte sich und er spürte, wie sein Herz schneller zu pochen begann.
„Aber jetzt hören Sie mal, ich habe doch nichts verbrochen. Kann man das nicht irgendwie anders regeln?“, fragte er.
„Was meinen Sie?“
„Na, gegen Kaution oder so?“
„Glauben Sie denn, dass das in Art-City irgendjemanden jucken würde, wenn er Kaution bezahlen müsste? Es tut mir leid, Mr. Summer. An Ihrer Haftstrafe führt kein Weg vorbei.“
„Moment könnten Sie mir bitte erklären, was so arg ist an meiner Tat?“
„Das kann ich, Sie können von Glück reden, dass ich Sie erwischt habe. Hätten Sie die Stadt auf dem Luftweg verlassen und wären irgendwann wieder hereingekommen, dann hätte man Sie eliminieren müssen. Bei Erwerb einer Fluglizenz werden die Daten, die sich auf ihrem eingepflanzten Mikrochip befinden mit denen Ihrer Fluglizenz gekoppelt und im Zentralcomputer gespeichert. Dringt irgendjemand in den Luftraum von Art-City ein, so wird er automatisch gescannt. Wenn der Zentralcomputer dann feststellt, dass irgendwelche Daten fehlen oder der Pilot keine gültige Fluglizenz hat, alarmiert er uns. In diesem Fall haben wir den Auftrag, den ungebetenen Gast zu eliminieren.“
Summer wurde fahl im Gesicht und fühlte sich plötzlich elend.
„Eliminieren?“, fragte er mit verdutztem Blick.
„Aber warum denn, das kann doch nicht sein. Was soll denn das alles? Ich dachte, Art-City wäre die Vorzeigestadt schlechthin und dann so etwas. Wozu diese brutalen Sicherheitsvorkehrungen?“
Als Summer sich selbst reden hörte, drehte sich ihm der Magen um. Die Erkenntnis, bisher sehr naiv in Bezug auf die Stadt gewesen zu sein, traf ihn hart. Zu hart, als dass er es schnell verarbeiten konnte.
„Fragen Sie nicht mich, fragen Sie den Bürgermeister oder den Regierungsbeauftragten. Sie sind doch der Topjournalist beim Dailys. Wir führen nur unsere Befehle aus.“
Summer zuckte zusammen, als er das hörte.
„Woher wissen Sie das?“
„Was? Dass Sie Journalist sind? Ihr eingepflanzter Mikrochip transferiert automatisch alle relevanten Daten über Sie auf meine Mulitquantwatch, sobald ich ihren Ausweis scanne. Rein technisch wäre das auch ohne diese Scannerei möglich, ist aber eine kleine Sicherheitsmaßnahme, welche die Regierung bei Routinekontrollen wie dieser der Bevölkerung zugesteht. In welcher Zeit leben Sie eigentlich? Gerade ein Mann wie Sie müsste doch ein bisschen besser Bescheid wissen.“
Christopher Summer wurde immer übler zumute. Er fühlte sich, als ob ihn ein Fausthieb unvorbereitet in die Magengegend getroffen hätte. Der Journalist war ein kluger Mann und doch wurde er soeben seiner kindlichen Naivität überführt. Seine Gedanken stellten sich jetzt um und er beschloss aus Sicherheitsgründen, die Konversation mit dem Safeguardian nicht mehr weiter zu intensivieren.
„Ja, da haben Sie wohl recht, und wie geht es jetzt weiter?“
Sergeant Cippros Miene entspannte sich ein wenig. Er war sichtlich beruhigt, dass Summer nicht weiter löcherte.
„Sie werden heute noch vor ein ordentliches Gericht gestellt und verurteilt. Einen Verteidiger brauchen Sie nicht. Ihr Urteil lautet so oder so 30 Tage Haft. Sie können natürlich gerne mit Ihrem Anwalt telefonieren, aber er wird Ihnen dasselbe sagen. Direkt nach Ihrer Verhandlung wird man Sie ins Gefängnis bringen. Der morgige Tag gilt dann als Erster Ihrer Haftstrafe.“
9