Читать книгу Art-City - Tom Hochberger - Страница 5
ОглавлениеAuftrag und Zuflucht
Bruce wälzte sich hin und her, er war schweißgebadet.
„Hey Bruce, was ist los mit dir?“
Er wachte auf, blickte tief in Kims smaragdgrüne Augen und war heilfroh, nicht mehr zu träumen. Daraufhin fing er sich und küsste sie.
„Bruce sagst du mir, was du hast?“
„Es ist nichts, Schatz. Ich hab nur schlecht geträumt.“
„Aha“, erwiderte sie.
„Dann bleib liegen, bis ich das Frühstück gemacht habe.“
Das morgendliche Sonnenlicht fiel gleisend hell durch das Schlafzimmerfenster und traf mit stechender Wärme das Gesicht des stämmigen Mannes, was ihn dazu bewegte, aufzustehen. Er duschte ausgiebig und genoss es, das heiße Wasser über seinen muskulösen Körper laufen zu lassen, während der Duft von frisch gerösteten Kaffeebohnen durch die Ritzen der Badezimmertür kroch. Nachdem er das morgendliche Ritual beendet hatte, zog er sich seine Uniform über und folgte dem Geruch bis an den Frühstückstisch.
„Wie war´s gestern?“, wollte Kim wissen.
„Ach, nichts Besonderes.“
„Du bist spät heimgekommen.“
„Ja, wir hatten noch eine außerplanmäßige Besprechung.“
„Und um was ging es dabei?“
„Du weißt, dass ich über bestimmte Dinge nicht reden darf.“
„Ja, das weiß ich und das ist ein Problem für mich.“
„Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“
Nachdem sie gefrühstückt hatten, schnallte er sich das Halfter um die Hüfte, steckte seine Waffe hinein und gab Kim einen sanften Kuss.
„Ich liebe dich, bis heute Abend.“
Dann verschwand er durch die Haustür, während sie noch darüber nachdachte, wie sein Tagesablauf wohl aussehen würde.
„Hallo Bruce, zum Job?“, tönte es wohltuend dumpf aus einer nicht sichtbaren Tonquelle, als er in sein druckluftmotorbetriebenes Fahrzeug stieg.
„Genau“, antwortete er emotionslos, woraufhin sich das Vehikel von selbst in Bewegung setzte. Er dachte über sein gutes, aber mindestens genauso schwieriges Leben nach, während der Autorobot das Gefährt unspektakulär in das Parkhaus seiner Firma manövrierte. Das Fahrzeug war gerade in eine kleine Parklücke geschlüpft, als ein hochgewachsener Mann auftauchte.
„Guten Morgen Mister Garner, ich bin Christopher Summer vom Dailys. Wie geht es Ihnen heute Morgen? Sehr gerne würde ich ein Exklusiv-Interview mit Ihnen durchführen. Hätten Sie demnächst Zeit für einen Termin?“
Bruce fühlte sich überrumpelt und in die Ecke gedrängt und das ließ er Summer auch spüren.
„Tut mir wirklich sehr leid für Sie, Mister, aber ich habe jetzt zu tun und für so etwas echt keine Zeit.“
Genervt ließ er den aufdringlichen Fremden stehen und verschwand in den Aufzug. Während der Reporter unbeeindruckt in seinen Wagen stieg und davon fuhr, drückte Bruce auf den Knopf mit der 5. Auf dieser Etage durften sich die Safeguardians anhören, was ihre Vorgesetzten zu sagen hatten. Oben angekommen rückte er seine Uniform zurecht und trat durch die silberne Schiebetür, die sich mit einem angenehm leisen Surren öffnete. Vor ihm lag der schlauchartig angelegte Korridor, dessen Fußboden mit blauem Teppich belegt war. Die Strahler, die in regelmäßigen, kurzen Abständen von der Decke hingen, tauchten den Gang in ein sanftes, nicht zu helles Grün. Aus den Lautsprechern, die in den Wänden verborgen waren, ertönte eine beruhigende, sich stetig wiederholende Melodie. Die Decke des Gangs war zu einem Rundbogen geformt und die Wände waren mit einem Putz versehen, der Tausende von kleinen Vertiefungen aufwies. Bruce hatte das Gefühl zu schweben, wenn er diesen Gang entlanglief. Immer wieder aufs Neue genoss der Safeguardian dieses Erlebnis. Nach etwa 25 Metern befand sich die vermeintlich gleiche silberne Tür wie am Aufzug. Als Bruce sich dem Portal näherte, tat sich eine Öffnung in der Wand auf und eine kleine Kamera kam zum Vorschein. Er legte seinen linken Zeigefinger auf den Fingerabdruckscanner, der ebenfalls aus der Wand ragte. Gleichzeitig lugte er in die Linse der Kamera, welche die Iris seines Auges scannte. Nachdem Garner seinen Namen genannt hatte, öffnete sich die Tür und er verschwand dahinter.
Summer fuhr indessen zum Bürogebäude des Dailys. Statt sich vom Autorobot chauffieren zu lassen, zog er es vor, selbst Gas zu geben. Nachdem er das Gefährt in der Tiefgarage abgestellt hatte, brachte ihn der Aufzug in das Erdgeschoss. Gelassen betrat er die große Empfangshalle, wo die warmen Sonnenstrahlen hell durch das Glasdach fielen. Zahlreiche kreuz und quer verlaufende Stahlträger zierten das Foyer. Zügig, aber nicht überhastet ging er in sein Büro, das sich im 9. Stock des Gebäudes befand, wobei er den Saal durchquerte, in dem all die anderen Reporter arbeiteten, die kein eigenes Büro hatten. Der eine oder andere schaute von seinem Schreibtisch auf und wünschte ihm einen guten Morgen. Als er sein großzügig angelegtes Arbeitszimmer betrat, erschien sofort das Konterfei seines Chefs auf der Projektionsfläche mitten im Raum.
„Guten Morgen Mr. Summer“, schallte es durch das Arbeitszimmer des Reporters, „bitte kommen Sie in mein Büro, ich habe einen neuen Auftrag für Sie.“
„Was, aber wieso? Ich bin doch an einer Story dran!“
„Ja, das weiß ich, aber vergessen Sie das erst mal. Wir haben einen großen Auftrag bekommen, und da ich das nicht versauen will, brauche ich den besten Journalisten, den der Dailys zu bieten hat. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Also kommen Sie bitte jetzt gleich rauf in mein Büro, danke.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, beendete Dangler das Gespräch. Die virtuelle Bildfläche zog sich blitzschnell wie ein angeklicktes Icon zusammen und verschwand im Nichts.
„Kaffee, schwarz!“, sagte Summer in den Raum hinein, woraufhin sofort heißes Wasser durch die Maschine rauschte und das gewünschte Getränk produzierte. Summer war sauer, als er die Tasse aus dem Gerät holte, setzte sich an seinen Schreibtisch und versuchte sich zu beruhigen. Gerade jetzt, wo er langsam Spaß daran fand, über die Safeguardians zu recherchieren. Er war sich so sicher, dass er ein Exklusivinterview mit Garner bekommen würde. Aber er wusste, wenn der Chef einen Auftrag für ihn hatte, gab´s daran nichts zu rütteln. Dennoch schmeichelte selbst einem hartgesottenen Reporter wie Summer die Aussage seines Chefs, er sei der Beste. Schmunzelnd trank er die Tasse leer und sein Ärger verflachte. Durch einen leichten Stoß mit dem Fuß gegen die Schreibtischkante versetzte er seinen Bürostuhl in Bewegung, sodass dieser eine halbe Umdrehung verrichtete. Er schaute durch das große Glasfenster direkt auf die Innenstadt von Art-City. Sein Blick schweifte zwischen den riesigen, hochmodernen Bauten umher. Direkt unter seinem Büro befand sich so etwas wie eine Fußgängerzone, die überspannt war von diagonal verlaufenden Aufzügen, genannt Hoverwalks. Diese Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden waren komplett aus Glas gebaut. Auch die Beförderungsbänder dieser Transportmittel waren aus einem durchsichtigen Material geschaffen. Aufgrund dieser Bauweise entstand beim Betrachter der Eindruck, dass die Fahrgäste von einem Gebäude zum anderen durch die Luft schweben würden. Art-City hatte noch vieler solcher bizarren Kuriositäten zu bieten. Summer benutzte den Anblick dieses Szenarios als Anregung zur Meditation. Nach wenigen Minuten der Entspannung drückte er auf seiner Multiquantwatch herum. Ein Gerät, welches er am Handgelenk trug und so ziemlich alle rechentechnisch möglichen Vorgänge in einem winzig kleinen Quantencomputer verarbeitete. In diesem Fall benutzte er es als Aufnahmegerät und legte eine neue Datei unter dem Namen „neuer Auftrag“ an. Der kleine Supercomputer war in der Lage, eine virtuelle Projektionsfläche in den Raum zu zaubern, mit der man mittels Gedankenübertragung interagieren konnte. Vorausgesetzt man hatte sich den zugehörigen Chip ins Hirn implantieren lassen. Summer hatte das bisher nicht in Erwägung gezogen und agierte lieber mit althergebrachten Bedienelementen wie der Sprachsteuerung oder den manuellen Bewegungsbefehlen auf der Projektionsfläche, über die man Internet- und GPS-Funktionen empfangen, telefonieren, fotografieren, filmen und noch unzählige andere, rechentechnisch machbare Funktionen ausführen konnte. Dann verließ er sein Büro und machte sich auf den Weg zu Dangler.
Bruce Garner knurrte der Magen. Es war um die Mittagszeit als er seinen Rundgang durch Statton Vacation, dem östlichen Stadtteil von Art-City, beendet hatte. Die Stadt war in vier Suburbs aufgeteilt. Nord-, Süd-, Ost- und Westbereich rund um den Centralcore. Bruce langweilte sich meist, wenn er in Vacation arbeiten musste, denn nachdem dort seine Firma stationiert war, passierte hier kaum etwas. Hier traute sich niemand auch nur ein Papierkügelchen auf den Boden fallen zu lassen, weil die Sicherheitsbestimmungen hart geworden waren in der Modellstadt. Aber dafür konnte man sich in diesem Teil der 4,5-Millionen-Metropole wunderbar erholen, denn hier befand sich der George-Washington-Park, benannt nach dem 1. Präsidenten der USA. Darin waren die verrücktesten und innovativsten Anlagen untergebracht, die ausschließlich dazu dienten, den menschlichen Akku wieder aufzuladen. Garner interessierte das aber nicht. Er war der Meinung, dass er so etwas nicht brauche. Lediglich wenn er für Statton Vacation eingeteilt war, betrat er dieses Gelände. Auch heute hatte er den Kontrollgang durch den Park schon hinter sich gebracht und wunderte sich, wie man an solch vielen albernen Dingen wie zum Beispiel der Moon-Hall Spaß haben konnte. In diesem riesigen Kuppelbau, der kilometerweit zu sehen war, betrug die Erdanziehungskraft nur 1/6 der gewöhnlichen Gravitationsstärke. Genau wie auf dem Mond. Die Besucher hatten einen Riesenspaß daran, wie aufblasbare Riesengummibälle schwebend durch die Gegend zu hüpfen. Garner fand das albern. Sein knurrender Magen zwang ihn stattdessen dazu, sich in Richtung Red Dot zu bewegen, wo es den besten Lunch gab, den er kannte. Jedem, der die Straße entlanglief, stach die große, knallrote Tür ins Auge und die wenigsten kamen daran vorbei. Die kulinarischen Düfte, die sich einen Weg durch die Ritzen der Tür suchten, sogen jeden Passanten auf magische Weise ins Innere des Lokals. Das Red Dot war kein normales Haus, es war eine große Kugel mit verschiedenen Ebenen. Sie waren verbunden durch Mini-Hoverwalks, die kreuz und quer durch das Gebäude verliefen. Bruce schwebte auf seinen Lieblingsplatz, der sich auf der 3. Etage des Restaurants befand. Das Red Dot war für den bulligen Safeguardian ein Ruhepol, an dem er ausspannen konnte, weil er durch die runde Bauweise und der samtig roten Ausstattung das Gefühl von Geborgenheit verspürte. Er bestellte einmal Bruce-Garner-Special, woraufhin ein etwas verbraucht aussehender, aber durchaus attraktiver Mann ihm das Essen brachte.
„Hey Bruce, alter Freund. Wie geht´s dir? Schön, dass du wieder mal vorbei schaust. Du siehst so nachdenklich aus, was ist los mit dir? Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Nein, mir gehts gut. Ich hatte nur wahnsinnig Hunger und dachte mir, das ist die Gelegenheit, dich mal wieder zu besuchen. Dein Laden scheint ja ordentlich zu brummen, alles voll mit den verschiedensten Gestalten. Da drüben zum Beispiel, der etwas Untersetzte mit den aufgestylten schwarzen Haaren und dem Nadelstreifenanzug, das krasse Gegenteil zu dem Gast am Nachbartisch, langhaarig, groß und einen etwas herrischem Blick. Läuft da immer alles ruhig bei so viel Unterschiedlichkeit?“
„Ja, normalerweise schon, und wenn ein Safeguardian von deinem Kaliber anwesend ist, dann sind die Menschen brav wie Lämmer. Aber warum fragst du überhaupt? Du weißt doch am allerbesten darüber Bescheid, was die Ordnung in Art-City betrifft.“
Gedankenversunken und etwas durcheinander stocherte Bruce in seinem Essen herum, er gab keine Antwort.
„Hey komm schon, wenn dich nicht mal mein Spezialteller, den ich extra für dich kreiert habe, aufmuntern kann, dann stimmt was nicht mit dir. Rede mit mir!“
Bruce wusste nicht, was er sagen sollte. Er vertraute niemandem, nicht mal seinem alten Freund Aaron Altinghaus. Aber es verlangte ihn, zu reden.
„Aaron, hast du es jemals bereut nach Art-City gezogen zu sein?“
„Nein, wieso auch. Weißt du nicht mehr als wir uns damals gemeinsam auf den Weg machten? Wir lebten auf der Straße und hatten keine Perspektive. Art-City war doch damals genau das, was wir brauchten. Ich glaube kaum, dass wir es anderswo so weit gebracht hätten. Was ist bloß los mit dir, alter Freund?“
Garner hatte bis dahin die Hälfte seines Gerichts verzehrt, es war eine Mischung aus schönen, großen Gambas, gebratenem Huhn und mediterran zubereitetem Gemüse, angerichtet auf Safranreis. Abgerundet wurde das Mahl mit einer süßsauer und dennoch scharfen, geheimnisvollen Soße. Zu trinken hatte sich Garner Red-Rocket bestellt, das Erfrischungsgetränk des 21. Jahrhunderts. Ein äußerst vitalisierender und schmackhafter Durstlöscher, den Aaron Altinghaus kreiert hatte und den er mittlerweile in die ganze Welt exportierte. Die Zusammensetzung kannte nur der Erfinder selbst und ausschließlich er war es, der die Grundzutaten bei jeder neuen Mischung höchstpersönlich zugab. Das Red Dot war im Grunde nur sein Hobby.
„Ja du hast Recht, Aaron. Deine Mahlzeiten sind wirklich klasse. Na ja, ich dachte nur, vielleicht hätten wir es ja auch an einem anderen Ort zu etwas gebracht.“
„Nein, ganz sicher nicht und ich glaube, dass dir das vollkommen klar ist. Irgendwas stimmt doch nicht mit dir, oder?“
„Nein, mit mir ist alles in Ordnung. Ich wollte mich nur mal wieder mit dir unterhalten. Der Spezialteller war allererste Sahne, was bin ich schuldig?“
„Willst du mich beleidigen, Mann? Für einen alten Freund wie dich natürlich nichts, aber willst du etwa schon gehen? Komm, ich lass dir noch ´nen Espresso bringen.“
„Okay.“
Die beiden Freunde lehnten sich gemütlich zurück, während sie auf ihren Kaffee warteten und amüsiert das multikulturelle Treiben im Lokal beobachteten.
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