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Mein erster Flug

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Während ich begann für Evelyn Songs zu schreiben, wurde ich auch ihr Sekretär … Was nun genau dies bedeutete, war uns allen nicht ganz klar, aber es klang erst einmal nach etwas, oder? In dieser mir nun verliehenen Wichtigkeit packte ich meinen und teilweise auch ihre Koffer. Da die Wohnung sehr groß war, wurde ich in das sogenannte Balkonzimmer einquartiert. Ein sehr schöner Raum mit einem riesigen, Gott weiß wie altem Bett, das sicher schon so manches Erlebnis hatte über sich ergehen lassen müssen. An den Wänden hingen Plakate verschiedenster Auftritte von Evelyn und ein paar selbst gemalte Bilder der Künstlerin. Der Balkon gewährte einen herrlichen Blick auf die zahlreichen Bäume dieser Straße und auf den Platz, an dem sich das Kino „Kurbel“ befand. Ein wirklich sehr schönes Stück Berlin. Mit eben diesem Balkon verbindet mich ja ein ganz besonderes Erlebnis: Nach gelungener Flucht im Kofferraum eines Diplomatenautos von Ost- nach Westberlin stand ich hier auf jenem Austritt mit meiner Mutter Waluscha. Wir waren ziemlich am Ende, aber überglücklich. Meine Mutter schaute hinunter auf die parkenden Autos und ich sagte: „Guck mal Mama, überall nur Westautos hier in der Straße, es muss wohl Pfingsten sein …“ Tja, das waren noch Zeiten, als Deutschland West sich in Deutschland Ost mit allerlei Geschenken zu den Feiertagen sehen ließ …

Ich war einigermaßen aufgeregt, schließlich war ich bis dato noch nie geflogen, und Evelyn beruhigte mich auf ihre herrliche Weise. Sie sei im Krieg selbst Flugzeuge geflogen und im Notfall könne sie den Vogel auch sicher zur Erde bringen … naja. Das beruhigte mich nicht wirklich und so fuhr ich sehr angespannt zum Flughafen. Am Schalter zündete sich Evelyn eine HB-Zigarette an, was mir immer angenehm auffiel, kannte ich doch aus meiner heimlichen Westfernseh-Guckerei den Werbespot für diese Zigarettenmarke. „Man muss doch nicht gleich in die Luft gehen, mein Freund, greife erst mal zur HB …“, oder so ähnlich hieß es da. Wenn man mit Evelyn privat länger als einen Tag verkehrt hatte, dann wusste man, dass sie in der Tat die richtige Marke rauchte, denn sie pflegte in dieser Zeit sehr schnell in die Luft zu gehen. Was für ein Doppelsinn angesichts des Fliegens und so stehen wir also an der Abfertigung in Berlin Tegel, um eben ganz genau dies zu tun: In die Luft gehen! Die Dame hinter dem Schalter tauschte mit der Künneke einige Nettigkeiten aus, bis ich das Kommando von ihr hörte: „Tomas, die Koffer aufs Fließband!“ Ich bewege mich natürlich sofort dienstbeflissen und wuchte das Gepäck in die gewünschte Lage. „Und jetzt noch meine Boas!“ Treu ergeben folge ich auch diesem Wunsch und lege einen grünen Seesack auf das Transportband. Zufrieden mit ihren Anweisungen, die Zigarette lässig wie ein amerikanischer Filmstar im Mundwinkel hatte sie diesen zweiten Befehl ausgestoßen. Die nette, bisher um vorzüglichen Service bemühte Dame hinter dem Abfertigungstisch erhebt nun ihrerseits die Stimme und sagt in das vor ihr qualmende Gesicht: „Haben Sie denn eine Impfbescheinigung für die Tierchen?“ Evelyn, erstaunten Blickes, nun fast hilflos dreinschauend, fragt nach: „Was haben Sie gesagt?“ „Sie brauchen, auch bei Inlandsflügen, eine Impfbescheinigung, sonst dürfen Sie die Schlangen nicht mit sich führen!“ Nun entbrannte das, was ich in den folgenden Jahren mehrmals erleben durfte, mich aber nie wieder derart ernsthaft in seelische Verwirrungen bringen sollte. „Gott, sind Sie blöde, Schätzchen, das sind doch nur meine Boas! Die brauche ich für meine Bühnenshow! Sie wissen wohl nicht, wer ich bin, oder?“ Mein Verstand hatte das offensichtliche Missverständnis ja bereits verarbeitet, aber meine Gefühle waren noch nicht klargekommen mit der Situation, und so fühlte ich mich auserwählt, der netten Dame den Sachverhalt zu erklären. Ich schob mich mit meinem ausgezehrten Körperchen an der nicht unerheblichen Leibesfülle meiner Künstlerin vorbei ins Bild und begann: „Sehen Sie, die Boas …“ „Tomas! Das mache ich selbst, ich bin durchaus noch in der Lage, meine Belange selbst zu regeln!“ Damit war ich wieder in Reihe zwei, hinter mir raunte eine Anzahl flugwilliger Menschen etwas von „unerhört, typisch Künstler“ und Ähnlichem. Die Dame hatte sich inzwischen in voller Lebensgröße erhoben, was sich gegen Evelyn ausnahm wie der Versuch von G. G. Anderson Bernhard Brink gerade in die Augen blicken zu wollen, und wiederholte unerschütterlich ihre Anweisung: „Ohne eine Impfbescheinigung können Sie ihre Tiere nicht mitnehmen, und wenn Sie der Schah von Persien sind!“ Evelyn verlagerte ihre Stimme nunmehr ins Zickige und erwiderte: „Schätzchen, der Schah von Persien wüsste Dank seiner sicher ihren Horizont weit übersteigenden Intelligenz, dass es sich hierbei nicht um Tiere handelt, sondern …, ach was rede ich, Tomas, gib mir mal eine meiner Boas aus dem Seesack!“ Wieder tat ich wie mir befohlen und reichte ihr aus dem grünen Ding eine ihrer Bühnenboas. „Sehen Sie hier, Schätzchen“, flötete Evelyn nun so lieblich wie die Dumpfbacke aus der schrecklich netten Familie, während sie die wirklich schöne Federboa um ihren runden Körper schlang, „dies hier beispielsweise ist ‚Marlene‘, eine meiner liebsten Boas. Ich pflege mit ihr ‚Johnny, wenn du Geburtstag hast‘ zu singen; ist es in Deutschland inzwischen verboten damit zu reisen?“ Diese Vorstellung hatte sie halb zur Abfertigungsdame, aber eigentlich schon mehr zu den Leuten in der Schlange hinter uns gegeben (… den Leuten hinter uns in der ‚Schlange‘ machte jetzt wieder doppelt Sinn). Nun sank, in trüber Peinlichkeit gefangen, die Dame wieder auf ihren Arbeitsstuhl zurück und gab uns endlich die lang umkämpften Bordkarten. Im Flugzeug beobachtete ich Evelyn und tat ihr alles gleich, um bei meinem ersten Flug in derart prominenter und auffälliger Begleitung nicht als Erstlingsflieger enttarnt zu werden. Hierbei, wir flogen ja nur von Berlin nach Hamburg, lernte ich, dass Evelyn von großer, grandios überspielter Flugangst erfasst war. Sie kompensierte diese Nervosität mit drei Dingen: Lesen von Konsalik-Romanen, Kettenrauchen und mit der Stewardess streiten.

Nur eine kleine Operation

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