Читать книгу Sklavenjagd - Tomàs de Torres - Страница 6
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Sie fand die Adresse, die Jorge ihr gegeben hatte, ohne Probleme, schließlich hatte ihre beste Freundin Teresa lange genug in Antequera gelebt. Mittlerweile waren die Tränen versiegt; das Gefühl unendlicher Leere jedoch hielt an. Während sie einen Parkplatz suchte – wo sich die Garage befand, wusste Dolores nicht, sie musste Jorge als Erstes danach fragen –, dachte sie weiter über das Erlebte nach und kam zu dem Schluss, dass irgendjemand ihren Unfall beobachtet haben musste; wohl derjenige, mit dem der Polizist telefoniert hatte, bevor er sie anhielt. Denn dass ihn die Nackte – die Mörderin – angerufen hatte, konnte Dolores sich keinesfalls vorstellen; abgesehen davon, dass sie nichts bei sich getragen hatte, war sie ihr dafür viel zu … entrückt erschienen.
Was, bei allen Heiligen, war da oben vorgegangen?
Endlich fand sie eine Parklücke. Es war mittlerweile kurz nach Mitternacht, und dieser Teil der Stadt – ein ruhiges Wohnviertel am südlichen Rand – lag wie ausgestorben da. Es würde gewiss kein Problem sein, den lädierten Wagen hier eine Weile stehen zu lassen. Davon abgesehen: Nach dem Benehmen des Polizisten zu urteilen, würde sich sowieso niemand für den Unfall interessieren. Obwohl das kaum zu glauben war – im wahrsten Sinne des Wortes zu schön, um wahr zu sein.
In der Nähe befand sich ein kleiner Brunnen. Das kalte Wasser tat ihr gut; sie hoffte, dass es Jorge nicht auffiel, dass sie geweint hatte. Die Chancen dafür, dachte sie bitter, standen gut; schließlich war Jorge stets nur an sich selbst interessiert.
Ob sie ihm etwas erzählen sollte, wusste sie immer noch nicht.
Das Haus, in dem sich die Wohnung befand, war – wie der ganze Straßenzug – weiß getüncht und zwei Stockwerke hoch; in der oberen Etage führte ein schmaler Balkon mit schmiedeeisernem Geländer auf die Straße. Die offen stehende Eingangstür führte in einen wenige Quadratmeter großen Hausflur, der bis in Augenhöhe mit bunt gemusterten Kacheln ausgekleidet war. Eine hölzerne Bank stand an der Seite, und eine gläserne Tür führte in einen längeren, dunklen Flur; davor jedoch befand sich ein eisernes Gitter. Es war verschlossen.
Dolores drückte auf den oberen der beiden Klingelknöpfe daneben, und unmittelbar darauf ertönte ein durchdringendes Summen. Sie hastete eine hölzerne Treppe hinauf, wo ein hell erleuchtetes Rechteck, in dem eine männliche Silhouette lehnte, ihr den Weg wies. Schon lange war sie nicht mehr so froh gewesen, ihren Freund zu erblicken.
Doch seine ersten Worte trugen nicht dazu bei, diese Freude weiter zu vergrößern.
»Wo warst du so lange?«, fuhr er sie an. »Ich warte schon fast seit einer Stunde!«
Sie wich seinem Blick aus und zuckte nur mit den Schultern. »Señor Buitre …«, war alles, was ihr als Antwort in den Sinn kam. Sie wusste, dass das als Erklärung genügte.
Sie küssten sich kurz; eine gewohnheitsmäßige Geste, wie wenn man sich die Hand gab. Sein Atem roch nach Bier.
Sie drängte sich rasch an ihm vorbei. »Ich muss mal kurz …«
Das Bad war nicht schwer zu finden. Es war ein enger Raum, der gerade genug Platz bot für eine Toilette, ein kleines Waschbecken und eine Duschkabine. Dolores klappte die Brille hinunter, hob den Rock hoch und schob den Slip hinab und urinierte endlos. Als sie fertig war und ihre Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte, warf sie einen Blick in den Spiegel, obwohl sie sich davor fürchtete. Ihre robuste Lockenfrisur war noch einigermaßen in Ordnung, doch ihr Gesicht, dessen beinahe graue Farbe allenfalls zu einem Teil der müden 20-Watt-Birne geschuldet war, die von der Decke hing, sah nicht aus wie das einer 27-Jährigen und damit immer noch jungen Frau. Ihre blauen Augen – klar wie das Wasser eines sehr seichten Swimmingpools, wie es ihr Vater vor allzu vielen Jahren einmal ausgedrückt hatte – lagen tief in den Höhlen, und die Mundwinkel zitterten, wenn sie genau hinsah, immer noch ein bisschen. Sie verwendete so gut wie nie Make-up, nur ein wenig Lippenstift, und heute war sie froh darüber; die Tränen hätten es gewiss ruiniert und für Jorge zu bohrenden Fragen Anlass gegeben – Fragen, die sie, wie sie nun erkannte, lieber nicht beantworten wollte.
Als sie das Bad verließ, rannte sie beinahe in Jorge. Er kniff die Augen zusammen.
»Du hast es wieder getan!«
»Was getan?« Sie sah ihn verwirrt, beinahe ängstlich an. Bloß keinen Ärger heute! Als ob nicht alles schon schlimm genug wäre!
»Die Klotür abgeschlossen.«
Sie atmete auf. »Oh, das! Tut mir leid, Gewohnheit …«
Natürlich war das bestenfalls die halbe Wahrheit. Auch wenn sie sich, während er bei ihr in Málaga wohnte, ein paar Mal wöchentlich von ihm durchficken ließ, in welcher Stelllung es ihm gerade gefiel, und sie seinen Samen schluckte, war es ihr doch stets überaus peinlich, wenn er ihr beim Pissen zusah, wozu er einen starken Hang besaß. Überhaupt war ihr alles, was mit der Toilette zusammenhing, extrem unangenehm. Das ging so weit, dass sie öffentliche Toiletten nur im allergrößten Notfall benutzte; weniger wegen der Sauberkeit – obwohl das natürlich auch ein Problem war –, sondern weil vielmehr andere Leute, die sie dort hineingehen sahen, wissen würden, was sie dort tat. Und dieser Gedanke – zu wissen, dass andere wussten – war für sie beinahe unerträglich. Das Schlimmste in diesem Zusammenhang war jedoch für Dolores, wenn sie jemanden – vielleicht sogar einen Mann! – nach einer Toilette fragen musste. Dann spürte sie, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, und sie begann unweigerlich zu stottern, was nicht selten dazu führte, dass der andere die Frage nicht verstand und sie diese wiederholen musste … Für sie ein gewichtiger Grund mehr, den Schutz ihrer eigenen vier Wände oder ihres Arbeitsplatzes so selten wie möglich zu verlassen und Aufenthalte »draußen« weitestgehend zu vermeiden.
Doch nun musste sie sich um das im Moment Wichtigste kümmern: das Auto.
»Wo ist die Garage?«, drängte sie.
Jorge, der gerade den breiten Durchgang vom Flur in die Küche passiert hatte und auf den Kühlschrank zusteuerte, wohl um sich eine weitere Dose Cruzcampo-Bier – seine Lieblingsmarke – zu besorgen, hielt überrascht inne.
»Wozu denn das? Wo steht denn dein Wagen? In zweiter Reihe?«
»Natürlich nicht; in einer Seitenstraße, vielleicht hundert Meter von hier.«
»Und? Hast du Angst, jemand klaut diese Rostlaube?«
In diesem Augenblick erkannte Dolores, dass sie es nicht über sich bringen würde, mit Jorge über das zu sprechen, was sie an diesem Abend erlebt hatte. Denn Jorge war alles andere als der verständnisvolle Freund, den sie sich erträumt und als der er sich in den ersten Wochen ihrer Bekanntschaft auch gegeben hatte – so lange wohl, bis er ihrer sicher war.
»Wo, zum Teufel, ist die verdammte Garage?« Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. Gleich darauf blickte sie betreten zu Boden, überrascht, beinahe erschrocken über sich selbst.
Noch überraschter aber schien Jorge zu sein. Dass Dolores wütend wurde, war er von ihr nicht gewohnt; normalerweise war er es, der die Beherrschung verlor, wenn etwas nicht nach seinem Willen ging, dem im Extremfall auch schon mal »die Hand ausrutschte«.
In ruhigerem Ton erklärte er ihr die Lage der Garage, warf ihr einen Schlüsselbund zu und öffnete dann den Kühlschrank. Dolores biss sich auf die Lippen, griff sich ihre Handtasche, die sie auf einer kleinen, altmodischen Ablage neben der Eingangstür deponiert hatte, und verließ wortlos die Wohnung.
Sie fand die Garage sofort, nur etwa 50 Meter von der Wohnung entfernt. Sie öffnete das Tor und holte dann den Wagen. Die Einfahrt war bis auf eine schmale Passage zugeparkt, so dass sie in der engen Straße vier oder fünf Mal rangieren musste, bis der Saxo endlich darin stand. Dann nahm sie ihren Koffer vom Rücksitz und schloss das Tor sorgfältig ab.
Als sie in die Wohnung zurückkehrte, war das Licht im Flur gelöscht. Sie knipste es wieder an und orientierte sich kurz. Links führte eine Tür in das Wohnzimmer mit dem Balkon, das im Dunkeln lag. Dahinter befand sich das Bad. Rechts war der Durchgang zur Küche; sie war leer, aber das Licht brannte noch. Neben dem Abfalleimer lagen drei leere Cruzcampo-Dosen.
Wenn Jorge nicht im Bad war, gab es also nur eine Möglichkeit …
Die einzig verbliebene Tür führte vom Flur ins Schlafzimmer. Dolores öffnete sie – und da lag er, auf einem anderthalb Meter breiten Bett mit blau gemustertem Laken, völlig nackt, und grinste ihr entgegen. Sein linkes Bein war angewinkelt und sein rechtes ausgestreckt, was ihr einen großartigen Blick auf seine beginnende Erektion bescherte.
Jorge Clavo Delgado war mit etwa 1,75 Metern einen halben Kopf größer als Dolores. Er hatte kurze und glatte schwarze Haare und war, wie die meisten Schauspieler, stets sauber rasiert. Sein Körper war schlank; nackt wirkte er beinahe schmächtig. Aus einer Menschenmenge stach er nicht heraus, nicht einmal, wenn die »Menge« aus höchstens einer Handvoll Leuten bestand. Unauffällig war das Attribut, das ihn am besten beschrieb. Und wahrscheinlich war es genau das gewesen, was Dolores bei ihrer ersten Begegnung vor etwa zehn Monaten angezogen hatte. Denn sie hielt sich ebenfalls für unauffällig – hoffte zumindest, es zu sein – und suchte instinktiv die Nähe von ebensolchen Männern. Wenn sie jemand mit dem überirdischen Aussehen von Antonio Banderas angesprochen hätte, wäre sie wahrscheinlich verwirrt und erschrocken weggelaufen oder gleich in den Erdboden versunken.
»Nun komm schon, zieh dich aus!« Jorge kam meist ohne große Umschweife zur Sache.
Dolores war nach nichts weniger zumute als nach Sex, aber sie wusste auch: Wenn sie Wert auf ein Wochenende legte, das halbwegs frei von Verdruss war, tat sie besser, was er verlangte. Sie drehte sich also zur Wand, wie sie es stets tat, wenn sie sich vor ihrem Freund entkleidete. Die Einrichtung des kleinen Schlafzimmers war beinahe ebenso spartanisch wie die des Bades: Außer dem Bett gab es noch einen alten Kleiderschrank, einen Stuhl, auf dem nun Jorges zusammengeknüllte Garderobe lag, sowie einen kleinen Nachttisch, dessen trübe Lampe die einzige Lichtquelle bildete. Dolores zog den Schutz der Dunkelheit für den Liebesakt vor, doch bei Jorge stieß sie in dieser Beziehung auf taube Ohren. Wie fast alle Männer genoss er den optischen Reiz einer nackten Frau.
Sie streifte also zunächst Schuhe, Rock und Bluse ab und hängte alles, sorgfältig gefaltet, über die Lehne des Stuhls. Als sie sich auch der restlichen Kleidung entledigt hatte, wandte sie sich um. Ein früherer Freund von ihr hatte einmal gesagt, der beste Teil ihres Körpers sei meist unter der Kleidung versteckt, und sie hatte ihm zugestimmt, weil sie ihr Gesicht als hässlich oder zumindest unattraktiv empfand. Ihre Brüste waren gut entwickelt, nicht zu klein und nicht zu groß, und sie waren immer noch fest und widerstanden dem Zug der Schwerkraft. Die Farbe der Warzenhöfe war ein zartes Rosa, das gut zu ihrer für eine Andalusierin ungewöhnlich bleichen Haut passte. Die Warzen selbst konnten bei Erregung groß und hart wie Flusskiesel werden, wenn sie sich im Moment auch artig zurückhielten. Und das Fellchen zwischen ihren zierlichen Schenkeln, vom gleichen Naturbraun wie ihre Locken, verbarg eine Muschel, deren Enge sie selbst manchmal vor Schmerzen, die Männer jedoch vor Lust seufzen ließ.
Sie wandte sich wieder um und unterdrückte den Impuls, ihre Blöße mit den Händen zu bedecken. Jorge grinste immer noch erwartungsvoll und klopfte mit der linken Hand auf das Laken vor ihm.
»Hopp!«, machte er, als sei sie ein Hündchen, das ein eintrainiertes Kunststück vollführen sollte.
Und auf gewisse Weise, erkannte Dolores, war es ja auch so.
Dennoch bemühte sie sich um ein Lächeln. Sie ging auf ihn zu, und während seine Augen dem Schwung ihrer Brüste folgten, kletterte sie ins Bett. Ihre Hände drängten seine Schenkel auseinander. Beinahe unmittelbar bildete sich bei ihm eine Gänsehaut, aber auch Dolores stellte überrascht fest, dass die Berührung die Lust in ihr erwachen ließ – ein kleines Flämmchen zunächst, doch vielleicht würde daraus, wenn sie es richtig anstellte und Jorge ihr genug Zeit ließ, ein verzehrendes Feuer werden.
Sie kniete sich zwischen seine Beine und beugte ihren Kopf hinab; sie wusste, was Jorge liebte, und befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. Sein Glied schwoll in ihrem Mund an, kaum dass sie ihn darum geschlossen hatte. Jorges Schwanz war von der gleichen durchschnittlichen Länge wie er selbst, jedoch von einer Dicke, die Dolores vor Schmerz aufstöhnen ließ, wenn ihr Geschlecht nicht nass genug war.
Während Jorges lustvolle Seufzer den kleinen Raum erfüllten, bewegte Dolores unermüdlich ihren Kopf auf und nieder, nahm Jorges Schwanz immer tiefer in ihren Rachen auf und ließ dabei ihre Zunge spielen. Sie wusste, dass sie gut war in dieser Disziplin, »eine natürliche Begabung« hatte er es einmal genannt. Sie hatte früh gelernt, dass alle Männer es liebten, es mit dem Mund gemacht zu bekommen, möglicherweise, weil es ihnen ein Gefühl der absoluten Herrschaft über die Frau gab, und obwohl sie nicht gerade davon begeistert war, das Sperma zu schlucken, gab es doch viele Dinge, die ihr erheblich schlechter schmeckten. Und meist erregte dieses Spiel auch sie selbst.
Plötzlich versteifte sich Jorges Körper, und sein Glied wurde so hart, dass Dolores sich bereit machte zu dem, was er – da er es meist am Morgen genoss – »Frühstück unter der Decke« nannte, doch dann bedeutete er ihr mit einer Geste innezuhalten. Sie gehorchte sofort, gab seinen Schwanz frei und blickte fragend zu ihm auf.
»Setz dich auf mich!«
Er schloss die Beine, und Dolores nahm eine andere Position ein: Sie setzte ihre Füße zu beiden Seiten seiner Lenden auf die Matratze und ließ ihren Unterleib langsam auf sein immer noch hoch aufgerichtetes Zepter sinken. Kurz bevor es in sie eindrang, ergriff sie es mit der rechten Hand und führte es einige Male an ihrer Scheide entlang, um ihre Säfte zum Fließen zu bringen. Als sie so weit war – auch sie atmete nun merklich schneller, was sie mit Überraschung registrierte –, führte sie es langsam ein, indem sie sich einfach sinken ließ. Während Jorge aufstöhnte und mit beiden Händen nach ihren Brüsten griff, die so verlockend über ihm schwebten, biss sich Dolores auf die Lippen. Doch nach einigen Stößen verschwand der Schmerz und machte einem sich langsam vom Zentrum ihres Körpers ausbreitenden Lustgefühl Platz. Sie bewegte sich schneller und fragte sich, ob Jorge sich so lange zurückhalten konnte – und wollte –, bis sie selbst einen Orgasmus bekam, oder ob er wie so oft nur an sich selbst denken würde. Sie wusste, dass er diese Stellung am meisten liebte, weil dabei Dolores es war, die sich bewegte. Wenn er auf ihr lag und es ihm kam, hörte er auf, sich zu bewegen, weil er dazu vor Lust nicht mehr in der Lage war. Wenn sie jedoch auf ihm ritt und er abspritzte, konnte sie sich weiterhin bewegen, ihn weiter reizen, was seine Lust noch um ein Vielfaches steigerte. Bis zum letzten Tropfen wurde sein Saft dann aus ihm herausgepresst, was ihm zwar für eine Weile die Eier schmerzen ließ, ihm jedoch im Gegenzug einen überwältigenden Orgasmus bescherte.
Wieder vermeinte Dolores zu spüren, dass Jorge kurz vor einer Eruption stand, und bedauerte bereits, abermals nicht selbst zum Zuge zu kommen, als er ein kurzes »Warte!« zwischen den Zähnen hervorstieß. Gehorsam hob sie ihren Körper an und entließ seinen Schwanz aus seinem Gefängnis. Er zuckte zwei-, dreimal begehrlich, doch im letzten Moment beherrschte sich Jorge. Er machte eine drehende Bewegung mit der Hand und richtete sich auf. Dolores, mittlerweile beinahe ebenso erregt wie er, legte sich auf den Rücken, spreizte einladend die Beine und schloss die Augen. Sie stellte sich vor, sie schwebe in der Unendlichkeit des Alls, und versuchte, ihren Geist auf ihren Körper zu konzentrieren, sich gewissermaßen in sich selbst zu versenken. Sie wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, wollte nur noch fühlen – wollte alles vergessen, ihr bewusstes wie auch ihr unterbewusstes Denken ausschalten, wie man vor dem Schlafengehen das Licht ausschaltete, und ganz in ihrem Körper, in ihrer Körperlichkeit aufgehen. Die heiße, vor Erregung bebende Spitze von Jorges Glied berührte ihre Pforte und jagte Flammenspeere namenloser Begierde durch ihren Leib, der nun das Universum auszufüllen schien, und als es in sie eindrang, verwandelte es sich in ein zweites Universum, fremd und doch vertraut, das sich innerhalb ihres eigenen aufblähte, es beinahe vollständig ausfüllte, bis die beiden zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen.
Dolores wimmerte nun, ohne es zu bemerken. Ihr Atem kam stoßweise, keuchend, wie jener von Jorge. Doch ihr Freund existierte in diesen endlosen Augenblicken nicht mehr für sie, noch überhaupt sie selbst. Nur jenes einzige Universum, eingebettet ins unendliche Nichts, ins Nirwana, und pulsierend im ewigen Rhythmus von Tod und Wiedergeburt.
Und dann kam die Erlösung, als ob sich die während der ganzen schrecklichen Nacht angestaute Anspannung kanalisiert hätte und nun in einen der gewaltigsten Orgasmen mündete, von denen Dolores’ Körper jemals erschüttert worden war. Wie ein Naturereignis, das zu erfahren einem Menschen nur wenige Male in seinem Leben vergönnt ist.
Als Dolores die Augen wieder aufschlug, lag Jorge neben ihr, ebenso erschöpft wie sie, und sie spürte seine Nässe zwischen ihren Beinen. Sie richtete sich auf und kletterte vorsichtig aus dem Bett. Jorge gab ein leises Brummen von sich und drehte sich zur Wand; wahrscheinlich schlief er schon halb.
Dolores duschte lange und gründlich, als könne sie damit nicht nur den Schweiß der Ekstase und Jorges Sperma abwaschen, sondern auch die Erinnerung an das unwirkliche Erlebnis zwischen den Felsen, die nach dem Nirwana der Ekstase zurückgekehrt war, unerbittlich wie ein Bluthund, der eine einmal aufgenommene Fährte niemals wieder verlor.
Als sie fertig war, fischte sie sich ihr mitgebrachtes Nachthemd – ein züchtiges weißes Negligé, das beinahe bis an die Knie reichte – aus ihrem Köfferchen, das immer noch im Flur stand, wo sie es abgesetzt hatte. Dann ging sie in die Küche. Bereits als sie Málaga verlassen hatte, war sie hungrig gewesen, da sie nicht zu Abend gegessen hatte. Später dann hatte sie ihren Hunger vergessen, natürlich, doch nun kehrte er zurück, intensiv und fordernd. Sie öffnete den Kühlschrank, und obwohl sie den Anblick, den sein Inneres bot, in etwa erwartet hatte, konnte sie einen Laut der Enttäuschung nicht unterdrücken. Eine angebrochene Sechserpackung Cruzcampo sowie eine vollständige, eine halbe Flasche Orangensaft und eine 0,5-Liter-Flasche Wasser ohne Kohlensäure. Als sie die Bierdosen beiseite schob, stieß sie auf den Rest eines Apfels, der, seiner bräunlichen Verfärbung nach zu urteilen, bereits geraume Zeit hier lagern musste.
Abendessen war also gestrichen.
Sie seufzte und goss sich etwas Orangensaft in ein Glas, das sie dem Hängeschrank über der Spüle entnahm. Nach einem Blick auf seine Farbe schüttete sie ihn in den Ausguss und griff sich die Wasserflasche, die wenigstens ungeöffnet war. Sie ging in das Wohnzimmer, ohne das Licht anzuschalten, stellte sich an die Balkontür und sah durch die weitmaschigen weißen Stores hinaus. Es musste nun etwa zwei Uhr morgens sein, und die enge Straße lag beinahe vollständig im Dunkeln – ruhig, unbeschwert, friedlich. Als wären alle Menschen, alle bösen Gedanken und Taten, alle Gewalt mit einem Mal verschwunden, hätten sich in nichts aufgelöst und lediglich die bittere Erinnerung daran zurückgelassen … Doch diese Erinnerung verschwand nicht, oh nein, sie war im Gegenteil lebendiger als je zuvor. Das kreidige Antlitz, das unvermittelt vor dem Saxo entstanden war, das Geräusch des Zusammenpralls und brechender Knochen, das Bild des hingestreckten Mannes … Und dann, jählings im kalten Scheinwerferlicht auftauchend wie ein Dämon aus der Hölle, wie eine indische Todesgöttin, die nackte blonde Frau mit den gefesselten Händen – und die schwere Eisenkugel, die auf den Kopf des schwarzgekleideten Mannes niederfuhr wie der Hammer Thors, wieder und wieder …
Es war die dritte Jagd!
Wie Dolores es auch drehte und wendete, es ergab keinen Sinn. Weder der Unfall noch der bizarre Mord, und schon gar nicht die unverhüllte Drohung des Polizisten, sie solle schleunigst alles vergessen, was sie gesehen habe.
Mit aller Gewalt zwang sie sich, diese Angst einflößenden Gedanken zu verdrängen, und suchte nach einem anderen Objekt für ihre Überlegungen. Es war nicht schwer zu finden.
Jorge.
Es war nicht zu leugnen, dass sie bereits nach den ersten, stürmischen Wochen begonnen hatten, sich langsam, aber stetig auseinanderzuleben. Dolores hatte zunehmend das Gefühl, dass Jorge sie nur ausnutzte. Sein Erfolg als Bühnenschauspieler war allenfalls mäßig; der Beruf brachte ihm nicht einmal genug Geld zum Leben ein, weshalb er nur eine Woche nach Beginn ihrer Beziehung bei Dolores eingezogen war. Seither kam sie, deren Gehalt ohnehin nicht gerade üppig war, für seinen Unterhalt auf.
Doch auch sie brauchte ihn, wenn auch auf eine andere Weise, als es umgekehrt der Fall war. Sie brauchte jemanden, an den sie sich anlehnen konnte, der ihr Halt gab – der ihr ihren Platz im Leben zuwies. Auch wenn Jorge nicht gerade ein starker Pfeiler war von jener Art, die das Gewölbe einer Kathedrale trug, sondern eher die brüchige, wurmzerfressene Strebe eines halb verfallenen Hauses, das der nächste größere Windstoß umwerfen konnte. Nach Teresas Ansicht hätte sie diese Beziehung schon längst beenden sollen, aber sie brachte es einfach nicht fertig; von der Verlustangst abgesehen, fürchtete sie sich vor dem finalen Streit, vor der letzten, hässlichen Szene, Jorges großem Auftritt, in dem er den gekränkten Liebhaber geben würde, den Verlassenen, Verratenen.
Alles, so ihre Überzeugung, war besser, als diese Szene erleben zu müssen.
Eine Polizeisirene, entfernt, aber sich rasch nähernd, unterbrach ihre Überlegungen. Das Bild der blutigen Masse, die einstmals der Kopf eines fühlenden und denkenden Menschen gewesen war, stand mit einem Mal wieder vor ihrem inneren Auge. Unwillkürlich verkrampfte sie sich, Atem und Herzschlag schienen auszusetzen, bis sich das so unheilverkündende, an- und abschwellende Geräusch wieder in der Ferne verlor.
Irgendwann, sehr viel später, ging sie zurück ins Schlafzimmer, legte sich neben dem regelmäßig und tief atmenden Jorge ins Bett und schlief allen Widernissen zum Trotz bereits nach wenigen Minuten ein.