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Kapitel 4

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Boris Waschkow und Bernhard Kuntz standen Seite an Seite und ihr Blick verharrte auf dem riesigen Eingangsgebäude zum Tempelhofer Flughafen. Philipp lehnte unweit am Auto und beobachtete die beiden Männer.

„Also ob das so eine gute Idee ist, den zu schließen?“, begann Kuntz leise zu reden.

„Naja, was soll ich sagen. Ich verstehe auch nicht alles, was ihr hier in Deutschland so treibt. Es gibt Wichtigeres als einen Flughafen schließen zu wollen. Vielleicht solltet ihr den anderen da draußen erst mal bauen, dann könnt ihr den hier immer noch schließen. Aber die Geschichte…, die Geschichte die der hier ausstrahlt…, die könnte ihr nicht woanders hin transportieren.“

Skeptisch drehte Kuntz sich ab. Sein Blick schweifte suchend über den Vorplatz. Er schien nervös und übermüdet. Die halbe Nacht sind sie durchgefahren, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Er wollte es sich aber nicht nehmen lassen, hier zu sein. Und er wollte seinen Freund Waschkow nicht im Stich lassen. Ganz davon abgesehen, dass er neugierig war, wie Sarah sich denn nun entschieden hat.

„Ich hätte das auch alleine geschafft.“

„Weiß ich Boris, weiß ich.“

Kuntz drehte sich zu seinem Chauffeur.

„Philipp? Hast du ne Zigarette?“

Philipps Kopfschütteln und sein verschmitztes Lächeln erinnerte ihn daran, dass Philipp Nichtraucher war und er ihn öfter daran erinnern musste, dass er ja eigentlich aufgehört hatte.

„Nee Chef, ist ungesund. Vor allem so früh am Morgen.“

Kuntz winkte beiläufig ab.

„Ihr mit eurem Gesundheitswahn. Wollt immer aussehen wie spartanische Krieger. Euer Fitnessgepumpe ist genauso ungesund.“

„Ja, ja. So ein Zweimeterschlaks mit Klingeldrähten bis zu den Kniekehlen und einer Hornbrille wäre auch genau der richtige für meinen Job.“

Philipps lapidare Bemerkung ließ erahnen, dass die beiden Männer diesen Dialog scheinbar nicht das erste Mal führten. Trotzdem konnte sich Kuntz ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Da kommen sie“, wies Waschkow den Polizeidirektor auf die Ankunft von Sarah und Frank hin. Kuntz schien immer noch nervös.

„Und? Sitzt sie drin?“

„Ja! Sieht ganz so aus. Du hast Recht gehabt.“

„Das ist gut, echt gut. Ich habe fast selber nicht dran geglaubt. Was mach ich denn jetzt?“

Ungläubig drehte sich der alte Waschkow zu Bernhard.

„Was? Mein alter Freund weiß nicht, wie er sich verhalten muss? Dass ich das noch erlebe. Sag ihr Guten Tag, wie man das so macht. Oder Guten Morgen. Auf alle Fälle sage ihr nicht, dass du wusstest, das sie kommt.“ „Wusste ich ja gar nicht“, unterbrach ihn Kuntz.

„Das klang vor zwei Tagen aber anders.“

„Na ja, sicher war ich mir aber nicht. Das war mehr Zweckoptimismus. Mir sind die Alternativen ausgegangen.“

Waschkow amüsierte sich über Bernhards kurzzeitige Unbeholfenheit.

„Benimm dich so, als wäre es das normalste der Welt, dass sie hier ist.“

„Ja, genau. So machen wir das.“

„Und vor allem hör auf, so rumzuzappeln. Ist ja nicht mit anzusehen. Du solltest wieder mit dem Rauchen anfangen.“

„Na haste doch gehört, hat doch keiner eine da“, echauffierte sich Kuntz.

Behäbig stieg Sarah aus dem Auto. Letzte Chance einen Rückzieher zu machen. Sie verweilte an der offenen Autotür und musterte ihre Tasche auf der Rückbank. Frank lehnte mittlerweile ihr gegenüber die Arme abgestützt auf dem Autodach und beobachtete sie. Langsam atmete Sarah aus, richtete ihr Augenmerk der Reihe nach auf Philipp, Waschkow, Kuntz, um dann schließlich bei Frank zu verharren. Frank war sich nicht sicher, ob sie immer noch mit sich haderte oder ob ihr genau im falschen Augenblick vielleicht wieder ihr Gesundheitszustand einen Streich spielte.

„Geht’s dir gut?“

„Ich bin mir nicht sicher. Sag du es mir.“

„Also ich muss dahin. Du hast noch die Wahl. Aber eins solltest du wissen, wenn du jetzt einen Rückzieher machst…“

„Dann?“

Frank machte eine kurze Pause ohne seinen Blick von ihr zu lassen.

„Dann werde ich das akzeptieren. Ich liebe dich und ich will, dass es dir gut geht. Mach nicht das, was andere für richtig halten. Mach das, was für dich richtig ist. Mach’s nur, wenn sich das für dich gut anfasst.“

„Dein Arsch und deine Oberarme, die fassen sich gut an. Das hier, nein, dass fasst sich nicht gut an.“

„Du weißt doch wie ich es meine. Pass auf, ich gehe da jetzt rüber zu Kuntz, es wird nämlich Zeit, und ich werde ja sehen, ob du mir folgst. Wenn du mich zurückhältst um dich noch zu verabschieden, dann weiß ich Bescheid.“

Sarah schaute Frank hinterher, wie er sich langsam in Richtung Kuntz davonmachte.

„Frank! Warte.“

Ohne sich umzudrehen blieb Frank stehen in Erwartung dessen, was denn nun kommen werde.

„Ich muss Philipp noch die Autoschlüssel geben.“

Innerlich erleichtert drehte er sich Sarah zu.

„Gib mir deine Tasche. Ich warte bei Kuntz.“

Noch während Sarah ihm die Tasche in die Hand drückte, küsste sie ihn. Mit einem behutsamen Lächeln im Gesicht bewegte sie sich rückwärtslaufend, den Blick nicht von Frank lassend, in Philipps Richtung.

„Pass bloß auf. Nicht das du mir noch hinknallst.“

„Keine Angst. Ich habe mich entschieden. Dann musst du mich eben im Rollstuhl durch Bern schieben.“

Danach drehte sie sich zu Philipp um, der sie schon erwartete. Frank und Philipp verabschiedeten sich mit einem kurzen Wink und einem angedeuteten Kopfnicken, wie Männer sich halt verabschieden. Sarah dagegen nahm sich mehr Zeit. Sie küsste ihn, umarmte ihn und flüsterte ihm, während sie ihm den Schlüssel in die Hand drückte, ins Ohr.

„Sag Lisa schönen Dank und pass mir auf das Mädel auf. Die is ne Verrückte, aber du hast ihr den Kopf verdreht. Nicht das der noch schwindlig wird. Tu ihr nicht weh. Sie wird gerade vernünftig.“

Philipp konnte nicht viel mit Sarahs Bemerkung anfangen.

„Weh tun? Vernünftig?“ Sein Blick wanderte in Richtung des wartenden Polizeidirektors. „Vernünftig muss ich schon den ganzen Tag durch die Stadt chauffieren. Die soll nicht vernünftig werden!“

Sarah löste sich aus der Umarmung und machte sich davon, nicht ohne sich nochmal umzudrehen.

„Sag’s ihr.“

Der Gang in Richtung Bernhard Kuntz fiel Sarah merklich schwerer, als sich von Philipp zu verabschieden. Nun gab es kein Zurück mehr. Ihre Tasche stand unweit seiner Füße. Das riesige Flughafengebäude zog sie förmlich zu sich heran. Flucht ausgeschlossen.

„Da hast du dir ja was eingebrockt“, säuselte sie vor sich hin. Jetzt nahte der Augenblick, wo sie klein beigeben musste. Egal was Lisa sagte. Kuntz hatte gewonnen. Die Nervosität, das Gezappel bei ihm schien verflogen. Staatsmännisch stand er da und erwartete sie. Gesäumt von Waschkow, der sie freundlich wie immer anlächelte und Frank, dem die Erleichterung immer noch anzusehen war.

„Ich will nichts hören. Kein Wort. Ich bin hier und das muss erst mal reichen“, begrüßte sie Kuntz, den Polizeidirektor, den Freund der Familie, etwas anders als von ihm vielleicht erwartet. Auch Boris Waschkow reichte sie mehr förmlich die Hand. Eine kurze Verlegenheit machte sich bei Kuntz breit.

„Na los!“, stichelte ihn Waschkow.

„Äh ja, guten Morgen.“

„Na siehst du. Geht doch ganz einfach.“

Sarah war irritiert.

„Habt ihr das geübt?“

„Äh, nein…“

Waschkow schien seinen Spaß daran zu haben, seinen alten Freund in Verlegenheit zu bringen. „Doch! Haben wir…“

Waschkow bewegte sich auf Sarah zu, legte seine Hand auf ihre Schulter und schaute sie erleichtert und dankbar an.

„…na klar haben wir das geübt. Was denkst du denn, wie nervös wir waren. Wir wussten doch nicht, ob du kommst.“

„Soll heißen, ihr wart euch nicht sicher, ob ich klein beigebe.“

Waschkows Blick wurde ein wenig ernster.

„Nein Sarah. Wir wussten nicht, wie schwer es einem so liebenswerten Menschen wie dir fällt, zwischen Gefühl und Verstand zu unterscheiden.“

„Hab ich Ihnen schon gesagt, dass Ihr Deutsch besser geworden ist?“

„Hast du.“

„Tja, nun bin ich ja hier. Scheinbar hat der Verstand gesiegt.“

„Och, das glaube ich nicht. Vielleicht hat ja doch das Herz gewonnen.“

„Wie auch immer“, unterbrach Kuntz zaghaft die Gefühlsduseleien. „Es wird Zeit.“

„Gibt’s noch was, das wir wissen müssten?“, mischte Frank sich ein.

Erbost drehte Kuntz sich ihm zu.

„Willst du mir jetzt sagen, dass du dich noch nicht mit den Unterlagen beschäftigt hast?“

„Doch, doch, ich meine zusätzlich noch was. Über diese Bank oder so?“

„Nein! Alles was wir wissen, steht da drin. Eins muss ich euch aber noch…“

„Ich habe was“, unterbrach Sarah die beiden.

„Wie bitte?“

„Na ja. Lisa, Lisa hat noch was gefunden. Nicht viel. Ich hab’s noch nicht gelesen. Aber sie hat wohl was gefunden.“

„Lisa? Lisa Wenger, die da mit in Glostelitz war?“

„Hm.“

„Wo findet die sowas?“

„Ich habe keine Ahnung. Ich wüsste nicht mal, wo ich suchen müsste, aber Lisa, die findet immer was.“

Wohlwollend nickte Kuntz.

„Na ja, arbeitet ja schließlich im Präsidium. Muss ja was draufhaben. Trotzdem, eins noch: Vergesst nicht, was ich euch vorgestern gesagt habe.

Ansprüche stellen, heißt nicht Ansprüche zu haben. Lasst euch von dem ganzen Brimborium, den die da veranstalten, nicht beirren. Lasst das Wichtige nicht aus eurem Blick. Eine Bank ist eine Bank. Und nun haut ab. Ach Frank…, und du liest dir gefälligst die Unterlagen durch.“

Frank nahm das Gesagte zur Kenntnis, erwiderte aber nichts. Eine gewisse Anspannung zwischen den Vieren war immer noch zu spüren. Wortlos machten sie sich auf den Weg. Auch die Verabschiedung war mehr förmlich als herzlich. Man beließ es beim Händeschütteln und einem zaghaften Kopfnicken. Die Abfertigung war hier in Tempelhof relativ unspektakulär. So hatte Sarah Zeit sich hin und wieder Kuntz zuzudrehen. Irgendetwas schien ihr noch auf der Seele zu brennen.

„Warten sie. Ich muss nochmal zurück“, wandte sie sich an die Frau, die sie zum Flugfeld begleiten wollte.

„Das geht nicht. Sie haben doch schon eingecheckt.“

„Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich nicht mitfliege.“

„Ja aber, sie sind doch schon durch die Sicherheitsschleuse.“

Sarahs Mine verfinsterte sich.

„Sehe ich wie ein Terrorist aus? Da hinten steht einer der höchsten Polizisten von Berlin. Ich komm doch gleich wieder.“

„Naja, vielleicht ist der ja genau das Ziel ihres Anschlags“, erwiderte die Frau mit einem kurzen Augenzwinkern.

Sarah ließ sich nicht beirren und machte sich auf den Weg zurück zu Kuntz. Ratlos drehte sich die Frau zu Frank.

„Was soll das?“

„Keine Ahnung, aber so ist sie.“

Langsam bewegte sich Sarah auf Kuntz zu. Die beiden nahmen sich in den Arm, um sich nun doch herzlicher zu verabschieden.

„Tut mir leid Bernhard. Ich glaube, ich habe mich vorgestern im Ton vergriffen. Ich sollte dir gegenüber mehr Respekt zeigen. Auch wenn mir das nicht gefällt, was du so von dir gibst.“

„Danke. Danke dass du trotzdem gekommen bist. Wir brauchen dich da. Ich habe so ein ungutes Gefühl.“

„Wem sagst du das. Dann sind wir ja schon mal zwei.“

„Passt auf euch auf.“

„Machen wir, verlass dich auf uns.“

Sarah löste sich, wollte sich abwenden, verharrte aber noch kurz.

„Wusstet ihr, dass die Schweiz eigentlich gar keine richtige Hauptstadt hat?“

Ohne zu zögern und ohne den Blick von Sarah zu lassen, bejahten die Beiden ihre Frage fast im Einklang.

„Ja!“

„Warum wisst ihr so was?“

Zaghaft musterten sich die Männer als müssten sie großartig nach einer Erklärung für eine Frage suchen, die für sie gar nicht zur Debatte stand.

„Naja…, also ich weiß es, weil ich Politikwissenschaften studiert habe.“

Mit einem zustimmenden Kopfnicken drehte sich Kuntz wieder zu Sarah.

„Na und ich…, weil ich einer der Polizeidirektoren von Berlin bin. Da sollte man so was wissen.“

„Ah, deshalb. Naja, da bin ich hier also wieder die doofe Nuss.“

Sie lächelte den Beiden zu und verschwand. Die Männer verharrten noch für einen Moment, ihren Blick nicht von der Glastür lassend, durch die Sarah und Frank schon nicht mehr zu sehen waren.

„Na? War das nun so schlimm?“

„Wir werden sehen. Ich wusste gar nicht, dass du Politikwissenschaften studiert hast. Da lernt man sowas?“

„Quatsch! Aber was hätte ich denn sonst sagen sollen.“

„Sie hat übrigens Recht.“

„Womit?“

„Dein Deutsch ist besser geworden.“

*

Vertieft, Frank in die Unterlagen die er von Kuntz erhalten hatte und Sarah indem was Lisa ihr hat zukommen lassen, saßen sie nebeneinander und konzentrierten sich auf das, was sie zu lesen hatten. Die Maschine, gerade mal halbvoll besetzt, wenn überhaupt, schwebte ruhig vor sich hin. Es war noch früh am Tage, so dass der Geräuschpegel, der von mehr oder weniger miteinander kommunizierenden Menschen in so einem Flugzeug ausgeht, doch sehr angenehm war. Außerdem war es kein Ferienflieger, wo Hinz und Kuntz sich über ihre neuesten Urlaubseindrücke, meist ungefragt, austauschen wollten. Keine quengelnden Kinder und glücklicherweise auch keine halslosen, nach billiger Eau de Toilette müffelnden dickbeleibten Menschen, die ihren eilig in sich hineingeschlungenen Flugzeugfraß wieder in die paketbraune Tüte kotzten. Die paar Hanseln, die hier rumsaßen waren mehr damit beschäftigt, zu schlafen, Zeitung zu lesen oder irgendwelche mehr oder weniger wichtigen Unterlagen zu studieren, so wie auch Sarah und Frank. Bei vielen stand das Essen noch so wie von der Stewardess abgestellt auf den meist freien Tisch des leeren Nachbarsitzes. Das einzige was hier rotierte, war die Kaffeekanne oder die Finger auf den Tastaturen von diversen Laptops. Schien, als wäre das hier ein typischer Businessflug.

Von Zeit zu Zeit blickte Sarah auf, schien nachzudenken oder rüttelte an ihrem Gurt herum in der Hoffnung, es irgendwie ein bisschen bequemer zu haben.

„Man, die haben so viel Kohle, die hätten ruhig mal einen Privatjet springen lassen können.“

Frank musterte Sarah.

„So richtig mit Ledersesseln und Champagner?“

„Ja! So was in der Art. Und die Chippendales als Stewarts.“

Außer einem verschmitzten Lächeln hatte Frank dem nichts hinzuzufügen. Er lehnte seinen Kopf zurück und beobachtete Sarah.

Deren Blick schweifte umher. Der Anblick der zahlreichen Laptops ließ sie an Lisa denken. Ihre Lisa. Während sie die ganze Breite des Bettes nutzen konnte, hatte sie vermutlich die halbe Nacht damit verbracht, im weltweiten Netz rumzusurfen, um ihr ein paar Infos zu dieser suspekten Bank und dieser noch geheimnisvolleren Ruben Compagnie rauszusuchen. Viel war es nicht, aber immerhin ein Anfang.

„Und? Ist da was bei, was man wissen müsste?“, wurde sie von Frank aus ihren Gedanken gerissen.

„Na ja, nicht viel. Die scheinen nicht viel von sich preiszugeben. Ich bin auch noch nicht ganz durch.“

„Lass hören.“

„Familienunternehmen. Dritte oder vierte Generation im Familienbesitz des mittlerweile verstorbenen Barons Devuille. Gegründet Anfang des vorigen Jahrhunderts in der Romandie, in Lausanne. Gehört zum französischen Teil der Schweiz. Nach dem Krieg, so Anfang der fünfziger Jahre haben sie ihren Sitz nach Bern verlegt. Vom Kerzenständer bis zum überdimensionalen Gemälde, alles was mit Kunst zu tun hat wird von ihnen in auf ganz Europa verteilten ehemaligen Bunkeranlagen gelagert, verwaltet, gekauft, verkauft, verliehen, begutachtet und/oder ausgestellt. Das komplette Programm. Chef des Ganzen ist wohl jetzt der Sohn oder der Enkel des Barons, ein gewisser Maître Roman Devuille. Älterer Mann, der mit eisenharter Hand regiert. Alle die in dem Laden was zu sagen haben tragen übrigens den Namen Devuille.“

„Das war’s?“

„Geschätztes verwaltetes Vermögen…, was…, wie viel…?“

Sarah unterbrach ihren Redeschwall. Mit aufgerissenen Augen starrte sie Frank an.

„Wieviel? Sag schon?“

„Vierzig bis Fünfzig…“

„Vierzig bis Fünfzig Millionen? Mein lieber Mann. Na ja, Kunst hat ihren Preis.“

Behutsam legte Sarah ihre Hand auf die von Frank.

„Milliarden! Frank…, Milliarden. Vierzig bis fünfzig Milliarden verwalten die. Weltweit!“

„Ups. Doch so viel.“

Frank war sichtlich überrascht, wenn nicht gar geschockt.

„Hätte ich vielleicht doch einen zweiten Anzug mitnehmen sollen.“

„Alter…, wo sind wir da schon wieder reingeraten?“

„Steht da noch mehr?“

„Na ja, Lisa hat hier eine Notiz ran geheftet. Info ist mit Vorsicht zu genießen. Die Informationen sind aus einem Blog. Sind also keine autorisierten Informationen der Bank. Irgendjemand war der Meinung, das zu wissen und es ins Internet zu stellen. Muss also nicht zwingend stimmen. Vielleicht ein Insider, der sich wichtigtun will. Kann aber auch was dran sein.“

„Na was denn nun?“

„Lisa sagt immer, nicht alles was im Internet steht, stimmt auch. Kann ja jeder Idiot was reinschreiben. Aber an vielem ist meistens auch ein bisschen Wahrheit.“

„Das war’s? Das ist alles?“

„Nein! Kommt noch besser. Man unterstellt der Bank ein nicht humanes und nicht ethisches Gebaren im Umgang mit der Herkunft der Kunstgegenstände. Es wird verwaltet, verkauft, gekauft, ohne Anblick der Personen, geschweige denn, wie diese dazu gekommen sind. Die Herkunft der Kunstgegenstände muss laut ihrer eigenen Richtlinien maximal über zwei Instanzen nachgewiesen werden. Auch werden ihnen diverse Kontakte zu Geheimdiensten, obersten politischen Würdenträgern oder zwielichtigen Institutionen bis hin zur mafiastrukturellen Gruppierungen in aller Herren Länder unterstellt.“

„Das klingt aber mächtig nach Insider. Wer weiß wo Lisa das herhat?“

„Also eins weiß ich, Lisa fängt da an im Netz nachzubohren, wo andere sich vor Angst in die Hosen machen. Und eins kann ich dir sagen, die hat auch ihre Quellen in der einen oder anderen dubiosen Gruppierung. Ob illegale Hacker oder die Freaks vom Geheimdienst. Im Netz sind alle gleich. Ist eine eigene Subkultur. Ich weiß gar nicht, wer die in den Polizeidienst gelassen hat.“

Sarahs Blick streifte wieder durchs Flugzeug. Jeder, der hier auch nur ansatzweise einen Anzug anhatte, war urplötzlich für sie automatisch verdächtig, einer dieser dubiosen Gruppierungen aus Lisas Unterlagen anzugehören.

„Frag mich mal nochmal, wie sich das anfasst. Ich glaube, ich mach mir auch gleich in die Hose.“

„Dann sollten wir davon ausgehen, dass der Flug hier das Bequemste ist, was wir die nächsten Tage erleben werden. Mutig sind nicht die, die in den Krieg ziehen. Mutig sind die, die zugeben, dass sie die Hose gestrichen voll haben. Was hast du da noch?“

„Ach, das ist nur ein bisschen was über die Schweiz, damit wir nicht ganz so blöd dastehen.“

„Die denkt an alles. Na los, erzähl. Wer weiß, wozu man so etwas gebrauchen kann. Kann ja nur besser werden. Außerdem höre ich dir gerne zu wenn du redest.“

„Was soll ich sagen…, dass die Schweiz laut ihrer Bundesverfassung keine Hauptstadt hat, das hat mir Franzi gestern schon erzählt. Du hast übrigens nicht nur eine schlaue Tochter, sondern auch eine schlaue Mutter.“

„Naja, hat man mich wohl übersprungen.“

„Hast du das etwa auch gewusst?“

„Was?“

„Das die Schweiz keine richtige Hauptstadt hat.“

„Hat sie nicht?“

„Hat sie nicht!“

„Aber wo fliegen wir dann hin?“

„Na, nach Bern!“

„Und Bern ist nicht die Hauptstadt?“

„Nein!“

„Sondern?“

„Sag mal verarschst du mich?“

„Nein. Was ist denn dann die Hauptstadt?“

„Die Schweiz hat keine richtige Hauptstadt.“

„Keine Hauptstadt?“

„Keine Hauptstadt. Bern ist aber Sitz der Schweizer Bundesbehörden und damit de facto die Hauptstadt.“ „Also doch.“ „Nein…, nur de facto. Nicht de jure. Du weißt was das heißt? Ist lateinisch.“ „Naja, Schule war nicht so mein Ding. Lateinisch schon gar nicht, deshalb bin ich ja Polizist geworden.“

„Du schwindelst. Deine Mutter hat mir gesagt, dass du ein guter Schüler warst.“

„Verräterin.“

„ Außerdem hast du ja wohl erst mal Möbeltischler gelernt und bist erst später zur Polizei gegangen.“

„Sag ich ja, für einen ordentlichen Beruf hat es nicht lange gereicht. Außerdem sagen Mütter immer, dass man ein guter Schüler war.“

„Du spinnst vielleicht was rum. Die Scheune ist doch der beste Beweis, dass du was Ordentliches gelernt hast. De facto heißt, also eigentlich nicht, im Prinzip aber doch. Bern ist de facto eine Hauptstadt, Berlin ist de jure eine Hauptstadt. Die Schweiz war eigentlich ein loser Staatenbund aus Eidgenossenschaften und besteht heute aus 26 teilsouveränen Kantonen. Die Bundesratsmitglieder haben alle dieselben Rechte und Pflichten. Der Regierungschef - der eigentlich keiner ist, weil der Bundesrat regiert - wechselt jährlich und entscheidet nur bei Stimmengleichheit. Die Neutralität der Schweiz ist seit 1815 völkerrechtlich anerkannt, worauf man auch sehr viel wert legt. Steuerlich macht jeder Kanton was er will. Übrigens, das musst du dir mal reinziehen, seit diesem Jahr, sind wir Deutschen die drittgrößte Gastarbeitergruppierung in der Schweiz. Ist doch Wahnsinn.“

„Wenn man das so hört…, ich mag ja solche Länder. Vermutlich weil es nicht so viele davon gibt. Also irgendwie passt diese Bank in die Schweiz. Alles ein bisschen anders.

Unscheinbar, vermutlich arg unterschätzt. Verwalten ein Milliardenvermögen. Warum nur hat man von so einer Bank noch nie was gehört? Ich glaube, wir werden da ganz schön alt aussehen. Dazu, dass wir da ziemlich alt aussehen, kommt dann auch noch, dass wir nicht die leiseste Ahnung haben, was wir da eigentlich machen. Tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe.“

„Was?“, Sarah war irritiert. „Darf ich dich dran erinnern, dass das ganze Dilemma von mir und meinem Gehöft ausging. Also wenn überhaupt, dann habe ich dich da mit reingezogen. Hättest du mal auf Kuntz gehört und nicht geschossen. Obwohl…, wenn ich ganz ehrlich bin, war schon gut so. Hast mir was abgenommen. Es wird schon nicht so schlimm werden. Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert.“

„Eben. Das macht mir ja Sorgen. Früher hat man sich auf einer Wiese, weit vor der Stadt, gegenübergestanden. Da hat dann jeder den anderen abwechselnd mal schießen lassen und am Ende wurde gezählt, auf welcher Seite noch mehr Leute übrig waren. Wenn es dann, wie meistens der Fall, so ungefähr die gleiche Anzahl waren, dann sind sie mit einem Holzknüppel aufeinander losgegangen. Mann gegen Mann. Von Angesicht zu Angesicht. Keine Intrigen, keine Geheimdienste, keine hochtechnologisierten Waffen und schon gar kein Internet.“

„Tja, so ist die Zeit. Heute werden Kriege nur noch durch Geld und Informationen gewonnen. Wenn man denn überhaupt einen Krieg jemals gewinnen kann. Aber glaub mir mal, Intrigen gab es schon immer.“

Frank drehte sich ab und starrte aus dem Fenster. Er schien das Besprochene zu verarbeiten. Sarah knabberte an ihrem vertrockneten Croissant und beobachtete ihn dabei.

„Sage mal, darf ich dich was fragen?“

Frank wandte sich ihr wieder zu ohne zu antworten.

„Woher kennst du eigentlich Kuntz so gut? Oder anders gefragt, warum habt ihr so einen guten Draht zueinander? Ich meine, schließlich ist er ja ein ziemlich hohes Tier in Berlin und du…“

„Ich bin nur ein kleiner Kommissar. Einer von vielen“, unterbrach er sie.

„Nein, oder doch. Ich meine, du bist ja scheinbar nicht gerade der Verfechter der Dienstvorschriften und in der Hierarchie ist ja da ne ganze Menge Luft zwischen euch.“

„Ach die Dienstvorschriften. Ich glaube Kuntz kann das ganz gut abwägen. Über den Sport haben wir uns kennengelernt. Ich war mal eine ziemliche Sportskanone. Ich wurde gefördert und wie das so ist, bei Wettkämpfen auf Bundesebene war er ab und zu mal da. Eigentlich, wenn ich’s mir recht überlege, eigentlich immer. Ihm war das ganz angenehm und das war mir wiederum ganz angenehm.“

„Dass er da war? Solche Leute wollen sich doch dann immer nur in den Vordergrund rücken?“

„Naja, er eben nicht. Beim ersten Mal habe ich gar nicht gewusst, wer er eigentlich ist. Er war wirklich interessiert und hat förmlich mitgefiebert, mitgelitten, je nach dem. Hat nicht den Chef raushängen lassen. Er hat solche Treffen auch immer genutzt, um zu erfahren was draußen so los ist. Er hat mich irgendwann mal beiseite genommen und ganz belanglos gefragt, ob es was zu meckern gibt. Im Polizeidienst, im Alltäglichen und so. Was draußen los ist. Wie die Stimmung in der Truppe, auf der Straße ist. Da habe ich ihn angeschaut und gefragt, ob er das wirklich wissen will oder ob ich ihm das sagen soll, was er hören will.“

„Und?“

Klartext Junge! Arschkriecher habe ich die ganze Woche um mich. Sag was zu sagen ist. Ich habe Angst, in meinem Ledersessel den Gestank der Straße zu vergessen. Als Kapitän kann man nicht immer nur auf dem Sonnendeck nach dem Rechten sehen, ab und an muss man auch mal in den Maschinenraum. Das waren seine Worte. Na dann habe ich ihm alles gesagt, was mir so quer liegt und er hat sich das Wort für Wort angehört. Und so hat sich das dann im Laufe der Zeit zu einem ganz guten Verhältnis zwischen uns entwickelt.“ „Du warst also sein Geheimagent? Sein Spitzel? Sein Draht zur Basis?“, fasste Sarah mit einem spitzbübischen Lächeln zusammen.

„So in etwa. Ich war sein IM…, obwohl…, inoffiziell war das ja gar nicht.“

„Und? Hat sich was geändert?“

„Eigentlich nicht. Hat er mir aber auch nicht in Aussicht gestellt. Wir haben manchmal drüber diskutiert und er hat mir manche Sachen von seinem Standpunkt aus erklärt. Hauptsächlich wollte er eben wissen was los ist. Hat er dich denn nie gefragt?“

Sarah überlegte.

„Vielleicht. Habe ich jetzt nicht so auf dem Schirm. Meistens hat er sich mehr für die Arbeit von meinen Eltern interessiert. Von meinem Vater. Was wir so geredet haben, das war mehr oberflächlich. Glaube ich jedenfalls. Kann mich natürlich auch täuschen. Er kann ja sehr geschickt fragen ohne das man es so richtig mitbekommt. Wir kennen uns halt eine Ewigkeit. Außerdem war meine Karriere bei der Polizei ja ein rotes Tuch für meinen Vater, und da wollte er halt nicht noch den Finger in die Wunde legen. Er war ja froh, dass er mich hatte.“

„So gut warst du also?“

Ein wenig verlegen schaute Sarah zu Frank.

„Ich glaube, dass ich den Job ganz ordentlich gemacht habe.“

Behutsam streichelte Frank Sarahs Wange.

„Oh nein, du machst ihn immer noch gut. Sonst würden wir doch jetzt nicht hier sitzen und gegen dubiose Banken und Compagnien ankämpfen.“

„Ankämpfen? Meinst du? Ich will nicht mehr kämpfen.“

„Naja, wie gesagt, die Zeiten des Säbelrasselns sind vorbei. Dort in Bern werden wir wohl an’s Eingemachte müssen.“

Sarah schmiegte sich für die letzten Minuten ihres Fluges in Franks Arm und ließ das Gesagte unkommentiert.

*

„Also wenn hier alles so überschaubar ist wie der Flughafen, dann könnte mir Bern vielleicht doch gefallen. Eine Landebahn…, wehe hier kommen mal zwei Flieger gleichzeitig an.“

„Ich glaube eher nicht.“

Während Frank Sarah beiläufig antwortete, ließ er seinen Blick suchend umherschweifen.

„Wie geht’s weiter?“

„Wir werden abgeholt, da…, da steht so ein Schilderhochhalter.“

„Können wir nicht die Frau mit dem Schild daneben nehmen. Die sieht netter und nach Reisegruppe aus.“

„Kloster St. Berthold? Die sieht nicht nach Reisegruppe aus, die sieht wie ne Nonne aus.“

„Naja, besser als Banque pour l’art und so ein Zweimeter Riese von Chauffeur.

„Ich denke du stehst auf so was? Philipp sieht doch auch so aus.“

„Ja, aber Philipp ist nett. Der da sieht nicht nett aus. Heute sind die Chauffeure alle so ´ne Jason Statham-Typen. Früher waren die alt und gediegen, hatten ´ne Nickelbrille, einen Zylinder, weiße Handschuhe…“

„…und ne Pferdekutsche. Wach auf Sarah. Wir sind im 21. Jahrhundert. Außerdem sieht Jason Statham doch nett aus.“

„Ja, im Film. Kuck dir doch den da an, wer weiß, wo der uns hinfährt?“

Mit einem Schmunzeln quittierte Frank Sarahs Sorgen.

„Ich bin ja bei dir. Komm…, hey, hey, hey.“

Gerade als Frank seine Tasche hochheben wollte, wurde er unsanft angerempelt. Es war so ein typischer Anrempler der sich genau an der Grenze zum Schmerz bewegte. Man ist sich nicht sicher, ob es absichtlich war oder nur ein Versehen. Ein kurzer Blick über die Schulter, des vorbeihastenden Mannes, ein kurzes „pardon, excusez-moi“ und schon schien die Sache vorbei. Trotzdem schauten sich die Männer für einen kurzen Augenblick genauestens in die Augen, ehe der Mann hastig den Ausgang anpeilte. Frank ließ ihn nicht aus den Augen. Alt war er, aber die Wucht des Zusammenpralls war für Frank immerhin so spürbar, dass man durchaus auf eine gute körperliche Konstitution schließen konnte. Ihm entging auch nicht der Blickkontakt zwischen dem, man kann fast schon sagen, flüchtenden Mann und dem Chauffeur der sich langsam auf sie zubewegte.

„Alles in Ordnung?“

Frank reagierte nicht auf Sarahs Frage. Sein Blick klebte so lange es ging an dem davonlaufenden Mann.

„Frank? Hast du dir wehgetan?“

„Keine Ahnung, nein…, hast du den Blick gesehen?“

„Welchen Blick? Der ist doch nur vorbeigerast.“

„Ja…, ja…, ich weiß nicht. Hast du das nicht gesehen?“

„Was denn?“

„Na seinen Blick. Als wollte er, dass ich sein Gesicht sehe.“

„Hat er deine Waffe?“

„Nein, nein, das hätte ich gemerkt.“

Noch während er sinnierte, taste er oberflächlich seine Jacke ab.

„So viel zum Thema überschaubarer Flughafen. Hier ist so wenig Platz, dass man nicht einmal bequem aneinander vorbeikommt.“

„Pardon, sind Sie Kommissar Frank Wagner aus Berlin?“

„Ja.“

„Willkommen in der Schweiz. Willkommen in Bern. Ich bin hier um Sie abzuholen.“

„Kannten Sie den Mann?“

„Welchen Mann?“

Ohne jegliche Regung schaute der Chauffeur Frank in die Augen. Kein suchender Blick, kein Nachfragen. Frank war sich sicher, er kannte ihn. Zumindest hat er ihn schon mal gesehen. Auf alle Fälle hatte er die Rempelei mitbekommen.

„Na den Mann, der hier gerade raus ist. Sie haben sich doch kurz angesehen.“

„Wir sind hier auf einen Flughafen. Hier hasten viele Männer umher. Ich habe nichts gesehen.“

Er ließ Frank links liegen und wandte sich an Sarah. „Madam.“

„Oh ja, Entschuldigung, das ist Sarah Fender“, stellte Frank Sarah vor.

„Auch Ihnen ein herzliches Willkommen in Bern. Können wir?“

„Ja, gerne.“

Der Chauffeur nahm Sarah die Tasche aus der Hand und ging, gefolgt von den Beiden dem Ausgang entgegen. Beiläufig zog er ein Handy aus seinem Jackett. Frank war immer noch in Gedanken bei dem Mann. Wiederholt tastete er vorsichtig über seine Jacke. Alles schien da. Irgendetwas in seiner Tasche knisterte. Frank ertastete ein Blatt, Zettel, Foto - was auch immer, ließ es aber in der Tasche. Er spürte, wie Sarah ihm was zuflüstern wollte.

„Denk an meine Worte. Wer weiß wo der uns hinfährt und nein, dass fasst sich nicht gut an. Kuck dir die Karre an.“

Auffälliger war kaum möglich. Frank musterte den Bereich vor den Eingangstüren. Parkverbot, Halteverbot, das ganze Programm, und mitten auf dem Fußgängerbereich ein schwarzer 600er Mercedes. Ein paar Meter weiter lehnte ein Polizist am Geländer, der sie zwar beobachtete, aber nicht mal ansatzweise Anstalten machte, irgendetwas zu monieren. Während der Chauffeur die Taschen verstaute und Sarah die Tür aufhielt, das Handy immer noch in der Hand, schweifte Franks Blick über den Vorplatz.

„Da, da ist er“, flüsterte er vor sich hin.

Sein Augenmerk galt dem Mann, von dem er eben im Flughafenfoyer angerempelt wurde. Er beobachtete sie aus sicherer Entfernung und machte kein Hehl daraus. Frank sah ihn und er sah, dass Frank ihn sah. Sein kurzes zustimmendes Nicken ließ Frank behutsam in seine Jackentasche greifen. Vorsichtig zog er ein altes arg in Mitleidenschaft gezogenes Foto hervor. Ein mit freiem Oberkörper, vor einem alten Blockhaus posierender Mann. Zigarette im Mund, eine Axt in der Hand, ein Bein auf einem alten Baumstupf gestützt, schien er der letzte Überlebende in einer unbekannten Wildnis zu sein. Langsam drehte er das Bild um.

Attention. Ich werde kontakten sie. Was für ein Kauderwelsch. Eine Mischung aus Französisch und zusammengewürfelten Deutsch stand da in deutlich lesbarer Schrift. Altes Foto - neue Schrift. Frank blickte wieder hoch. Er war weg. Hastig suchend schweifte sein Blick umher. Er war weg.

„Was hast du da?“

Sarah schaute neugierig zu ihm von der Rückbank empor.

„Nichts. Alles gut.“

Frank schloss die Wagentür, ging ums Auto und stieg, nicht ohne seinen Blick noch mal schweifen zu lassen, auf der anderen Seite ein. Kurz hielt er inne und beobachtet den Chauffeur am anderen Ende des Wagens beim Telefonieren. „Il etait la…“ war alles was er an Wortfetzen verstand, aber nicht übersetzen konnte.

Während sie sich langsam durch den Stadtverkehr quälten, musterte Frank ein aufs andere Mal das Foto, drehte und wendete es. Sarah beobachtete ihn dabei. Er hielt es weit unten hinter dem Sitz, so dass der Chauffeur es nicht mitbekommen konnte, Sarah aber einen guten Blick drauf hatte. Ohne ein Wort zu verlieren schauten sich die Beiden an. Jeder wusste was der andere dachte.

„Was haben sie da?“, meldete sich neugierig der Chauffeur zu Wort.

„Ach nichts“, klang es einvernehmlich von der Rückbank und die Beiden wandten ihren Blick gedankenvertieft aus ihrem jeweiligen Fenster.

Totenwache 2.Teil

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